Titel: Zur Geschichte der Rübenzuckerfabrikation; von Dr. C. Scheibler.
Fundstelle: Band 223, Jahrgang 1877, S. 209
Download: XML
Zur Geschichte der Rübenzuckerfabrikation; von Dr. C. Scheibler. Scheibler, zur Geschichte der Rübenzuckerfabrikation. Mit der Entdeckung des krystallisirbaren Zuckers im Safte der Runkelrüben (Beta cicla), welche im J. 1747 durch Marggraf Andreas Sigismund Marggraf, Director der physikalischen Classe der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, wurde am 3. März 1709 zu Berlin geboren und starb daselbst am 7. August 1782. erfolgte, war ein Schritt geschehen, der seitdem von weitgreifender Bedeutung für Europa geworden ist, indem diese Entdeckung nicht allein dem überseeischen Handel mit Zucker eine andere Richtung gegeben, Europa mehr und mehr von dem Bezuge dieses tropischen Erzeugnisses unabhängig und den Zucker erst zu einem allgemeinern, auch den unbemittelten Volksclassen zugänglichen Nahrungsmittel gemacht hat, sondern besonders auch, indem dieselbe auf die Entwicklung der Landwirthschaft im Allgemeinen und Hebung der Volkswohlfahrt den segensreichsten Einfluß ausgeübt hat. Die Entdeckung Marggraf's blieb, trotzdem sie anfangs das größte Aufsehen erregte, zunächst ohne praktische Folgen, bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts Franz Carl Achard, ein Schüler Marggraf's und Nachfolger desselben als Director der physikalischen Classe der Akademie zu Berlin, die Entdeckung seines berühmten Lehrers im Großen auszunutzen suchte und die erste Rübenzuckerfabrik im J. 1801 zu Cunern in Schlesien errichtete.Achard wurde am 28. April 1753 zu Berlin geboren und starb am 20. April 1821 auf seinem Gute Cunern. Ueber die rastlosen Bemühungen desselben zur Begründung einer europäischen Zuckerfabrikation sehe man die zur Feier des 25jährigen Bestehens des Vereins für die Rübenzucker-Industrie des Deutschen Reiches herausgegebene Festschrift: „Actenstücke zur Geschichte der Rübenzuckerfabrikation in Deutschland während ihrer ersten Entwicklung“; von Dr. C. Scheibler. (Berlin 1875. Feister'sche Buchdruckerei.) Die Bestrebungen Achard's, eine Zuckerfabrikation aus Rüben zu begründen, sowie auch die gleichen von Hermbstädt, Lampadius, Koppy u.a. hatten in dem ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, wegen zahlreicher technischer Schwierigkeiten und mangelhafter Arbeitsmethoden, zunächst nur wenig Erfolg und liefen Gefahr, in Vergessenheit zu gerathen. Erst in der Zeit der durch Napoleon J. decretirten Continentalsperre, welche dem Colonialzucker die Häfen des Continentes verschloß, erhielt die Rübenzuckerfabrikation, in Folge der außerordentlich hohen Zuckerpreise, eine begünstigte Entwicklung, und es entstanden sowohl in Deutschland als Frankreich zahlreiche Fabriken, welche aber mit dem Sturze Napoleon's fast alle wieder eingingen. Nur einzelne französische Fabriken, die im Vertrauen auf eine längere Regierungsdauer Napoleon's mit solidern Einrichtungen versehen worden waren, hielten sich. Die Fabrikation nahm dann auch bald mit Hilfe der Chemie und Mechanik einen bessern Fortgang, und es gelang unter Benutzung des Dampfes beim Kochen, sowie besonders durch Anwendung der Knochenkohle den Zucker reiner und in reichlicherer Menge als früher darzustellen. Frankreich zählte im J. 1828 bereits 103 Fabriken, in welchen etwa 3000t Zucker producirt wurden. In Deutschland entwickelte sich die Rübenzuckerfabrikation erst wieder zu Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre, um dann namentlich vom J. 1840 ab dauernde Fortschritte zu machen und zuletzt einen wahrhaft riesigen Aufschwung zu nehmen, wie sich aus der nachfolgenden Tabelle ergibt, welche vom J. 1840 ab, von wo die Rübenzuckerfabrikation besteuert wurde, auf Grund genauer statistischer Erhebungen entworfen worden ist. (1 Ctr. = 50k.) Diese Tabelle zeigt, daß sich seit dem Betriebsjahre 1840/41 die Zahl der deutschen Fabriken von 145 auf 337, also im Verhältniß von 1 : 2 1/3, die Menge der verarbeiteten Rüben bei stetiger Vergrößerung der einzelnen Fabrikanlagen von 4,8 Mill. Ctr. auf 70,5 Mill. Ctr., also im ungefähren Verhältniß von 1 : 15, und die Menge des gewonnenen Rohzuckers mit Hilfe der technischen Fortschritte sogar von 284000 Ctr. auf 5880000 Ctr. oder im Verhältniß von 1 : 20 gesteigert hat. Während man im J. 1840/41 noch 17 Ctr. Rüben zur Herstellung von 1 Ctr. Rohzucker gebrauchte, waren in den letzten Jahren hierzu durchschnittlich nur etwa 12 Ctr. Rüben erforderlich. Auch der Zuckerverbrauch hat sich sehr erheblich, und zwar von 2k,355 pro Kopf der Bevölkerung im Jahre 1840/41 auf 6k,265 im J. 1873/74 gesteigert. Die Steuer erreichte im Campagnejahre 1873/74 die vordem noch nicht dagewesene Höhe von 56460222 M. Nach Hinzurechnung der Eingangsabgaben von importirtem Zucker und nach Abzug der Steuerrückvergütungen für Zuckerexporte ist als Gesammtertrag der Abgaben vom Zuckerverbrauch für die Campagne 1873/74 ein Summe von 60643629 M. erzielt worden. In der Campagne 1872/73 hatte diese Summe 54831132 M. und 1871/72 44637000 M. betragen. Der Durchschnitt dieser 3 Perioden ergibt einen Jahresertrag von 53370000 M. als Einnahme der Reichskasse. Rübenzucker-Production des Zollvereins, beziehentlich des Zollgebietes des Deutschen Reiches, während der Betriebsjahre 1836/37 bis 1873/74. Textabbildung Bd. 223, S. 211 Betriebsjahr; Zahl der activen Rübenzucker-Fabriken; Verarbeitete grüne Rüben Ctr.; Producirter Rohzucker Ctr.; Entrichtete Steuer; pro Centner Rüben Pf.; Brutto. M.; Rübenverbrauch zu 1 Ctr. Rohzucker; Zuckerconsum pro Kopf der Bevölkerung Eine Zusammenstellung der Abgabenerträge von den wichtigern Verbrauchsartikeln zeigt, daß kein anderer Artikel der Reichskasse gleich hohe Erträge zuführt. Es betrug nämlich der Nettoertrag der Zölle und ReichssteuernNach der Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 8. Heft 4. Abtheilung 1. S. 129. im Durchschnitt der J. 1871 bis 1873 beim Zucker 53370000 M. Branntwein 40428000 Salz 37800000 Kaffee 32355000 Tabak 15387000 Bier 14667000 Die Gesammtproduction an Zucker aus verschiedenen Pflanzen auf der ganzen Erde wurde für das Betriebsjahr 1870/71 auf rund 55 1/3 Millionen Centner geschätzt.Deutsche Industrie-Zeitung, 1872 S. 460. Hiervon kommen auf: Zucker aus Zuckerrohr, Ahorn, Sorgho und andern Pflanzen 36,5 Mill. Ctr. Zucker aus Rüben 18,8   „       „ ––––––––––– 55,3 Mill. Ctr. An dieser Zuckerproduction aus Rüben betheiligten sich die einzelnen europäischen Länder, wie folgt: Frankreich mit 5781660 Ctr. Deutschland 5259734 Oesterreich und Ungarn 3645600 Rußland und Polen 2700000 Belgien 1114780 Niederlande und andere Länder 350000 –––––––––––– 18851774 Ctr. Für dasselbe Betriebsjahr 1870/71 wird die Anzahl der Rübenzuckerfabriken in den europäischen Ländern, wie folgt, angegebenZeitschrift des Vereins für die Rübenzucker-Industrie im Zollverein, 1871 S. 154.: Frankreich 483 Fabriken Deutschland 310 Oestereich und Ungarn 228 Rußland und Polen 481 Belgien 135 Holland 20 Schweden 4 Großbritannien 1 Italien 1 ––––––––––––– 1663 Fabriken. Die in einer fortdauernden Zunahme begriffene Zuckerconsumtion in den civilisirten Ländern der Erde wurde für das J. 1867, wie folgt, geschätztAus Produce Market's Review durch Journal des Fabricants de sucre, VIII Nr. 38 und 42.: Land. Zuckerconsumtion pro Kopf.k Land. Zuckerconsumtionpro Kopf.k Neu-Süd-Wallis 46,045 Oesterreich   1,500 Victoria 44,095 Zollverein   5,000 Süd-Australien 31,830 Spanien   3,260 Tasmania   1,040 Vereinigte Staaten 18,550 Neu-Seeland 41,530 Hansestädte   9,150 Queensland 39,360 Dänemark   6,250 Canada   7,105 Italien und päpstliche Staaten   4,450 Prince-Eduard-Inseln   3,435 Portugal   4,600 Neufundland   4,275 Belgien   5,000 British Columbia   0,025 Schweiz   4,660 Natal   0,230 Griechenland   2,700 Gibraltar 17,730 Polen   2,250 Malta   6,705 Rußland   1,610 Großbritannien 22,075 Türkei   1,500 Holland   7,430 Frankreich   8,840 Hiernach zeigen Großbritannien mit Einschluß seiner Colonien und die Vereinigten Staaten die größte Consumtion, nämlich durchschnittlich 20k,55 pro Kopf der Bevölkerung; demnächst folgen Frankreich, Italien, Spanien und Belgien mit 6k, 17 pro Kopf, dann Deutschland, Oesterreich, Holland und Dänemark mit 3k,67 und zuletzt Rußland, Griechenland und die Türkei mit 1k,67 Zucker pro Kopf der Bevölkerung. Die Bedeutung des sich mehr und mehr ausbreitenden Rübenbaues für die Landwirthschaft ergibt sich am besten aus der Thatsache, daß das gegenwärtig in Deutschland alljährlich mit Rüben bebaute Areal etwa 18 Quadratmeilen beträgt. Der Werth des auf dieser Fläche erzielten Rohzuckers kann auf rund 180 Millionen M. veranschlagt werden, wozu aber noch der Werth der entfallenden Melasse mit etwa 6 Millionen M. gerechnet werden muß. Diese Summen repräsentiren aber nicht allein den Werth, welchen die Landwirthschaft aus dem Rübenbau erzielt; denn außer den genannten beiden Producten, welche mit Ausnahme eines geringen Antheils Melasse in den Handel übergehen, verbleiben der Landwirthschaft noch Rübenrückstände und Abfälle als Viehfutter im ungefähren Werthe von 15 3/4 Millionen M. und außerdem kommen ihr bedeutende Mengen producirten Düngers zu Gute. Der beträchtlichste Nutzen aber, welcher der Landwirthschaft aus dem Rübenbau erwächst, ist ein indirecter; er entspringt aus den Anforderungen, den die Rübencultur an die Bodenbearbeitung stellt. Die Tiefcultur, die Benutzung der Drill-, Dibbel- und Hackmaschinen, die rationelle Anwendung künstlicher Düngemittel etc. haben die Ertragsfähigkeit der Aecker außerordentlich gesteigert, so daß trotz des sehr ausgedehnten Zuckerrübenbaues nicht weniger, sondern mehr Getreide von den Aeckern gewonnen wird, die Butter- und Käsefabrikation nicht abgenommen hat und die Fleischproduction sich fortwährend in der Zunahme befindet. Dabei haben diese erfreulichen Thatsachen der arbeitenden Bevölkerung des platten Landes gleichzeitig Gelegenheit zum größern Verdienst, namentlich lohnende Beschäftigung während der Wintermonate und dadurch Verbesserung ihrer Lage gegeben. – Wir werden nächstens auf den übrigen Theil dieser vom Verfasser als Separatabdruck aus dem „Amtlichen Berichte über die Wiener Weltausstellung im J. 1873“ (Band 3, Abtheilung 1. Braunschweig 1877. Friedr. Vieweg und Sohn. Preis 10,20 M.) gef. eingesendeten bemerkenswerthen Arbeit zurückkommen.