Titel: Otto Radde's Stenochromie und dessen internationale Farbenscale.
Fundstelle: Band 223, Jahrgang 1877, S. 536
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Otto Radde's Stenochromie und dessen internationale Farbenscale. Radde's Stenochromie und dessen internationale Farbenscale. Bei der gewöhnlichen Chromolithographie braucht jede Farbe, welche auf das Papier aufgetragen werden soll, ihren besondern Stein. Es kann vorkommen, auch wenn man darauf bedacht ist, eine Anzahl Töne durch Uebereinanderfallen zweier Farben hervorzubringen, daß ein Bild gleichwohl 30 bis 40 Steine erfordert, welche alle mit äußerster Sorgfalt in die Zeichnung eingepaßt oder, wie man bei bedruckten Geweben sagen würde, rapportirt werden müssen. Nachdem vor einigen Jahren mehrere Verfahren, welche diese Chromolithographie abkürzen sollten, angegeben (vgl. 1875 215 94) und wegen der Schwierigkeiten in der praktischen Ausführung verlassen worden sind, ist es Otto Radde in Hamburg gelungen, einen der frühern Gedanken lebensfähig zu machen, so daß er, wie englische Blätter melden, der Society of Arts in London wirklich gute und reine, in Oel- und Wasserfarben nach seiner Methode im Großen ausgeführte, vielfärbige Proben von Farbendruckbildern vorlegen konnte. Die angewendeten Farben sind ursprünglich flüssig, aber so zusammengesetzt, daß sie sehr schnell fest werden. Ueber diese Zusammensetzung ist nichts verlautet, da sie offenbar das hauptsächliche Geheimniß des ganzen Verfahrens ausmacht. Die flüssige Farbe wird nun in eine auf der ebenen Steinplatte aufgestellte Metallform gegossen, die Form nach dem Festwerden der Farbe weggenommen, und die auf dem Steine fest gewordene Farbe mit einem eigens hierzu construirten, nach allen Seiten hin beweglichen, jedoch immer senkrecht arbeitenden Messer genau nach den von der Zeichnung verlangten Umrissen beschnitten. Auf gleiche Weise wird mit der zweiten, dritten u.s.w. Farbe verfahren und schließlich von dem so zugerichteten Stein mit einer gewöhnlichen lithographischen Presse der Abdruck gemacht. So werden alle Farben auf einmal auf das Papier aufgetragen, und es ist die bedeutende Ersparniß von Zeit und Arbeit gegenüber dem alten Farbendruckverfahren leicht ersichtlich, wenn auch die Schärfe des Druckes ein zweimaliges, mitunter sogar mehrmaliges Auftragen verlangt. – Es trifft sich günstig, daß Referent soeben in den Besitz einer im Buchhandel erschienenen praktischen Anwendung dieser neuen Stenochromie gelangt. Es ist dies die ebenfalls von Otto Radde erfundene und in seiner stenochromatischen Anstalt in Hamburg nach seinem Verfahren gefertigte „internationale Farbenscale.“ Der leitende Gedanke für die Ausführung dieses prächtig ausgestatteten Werkes besteht darin, der Wissenschaft, der Kunst, der Industrie, dem Handel, dem Gewerbe und dem Haushalt, wo es sich darum handelt, bestimmte Farben festzustellen und zu wählen, neue Farbenstellungen zu combiniren und zu besprechen, hierfür einen einheitlichen, unveränderlichen Farbenmaßstab an die Hand zu geben und darauf gegründet, eine von allen Willkürlichkeiten und Unsicherheiten befreite, in allen Ländern giltige Bezeichnungsweise der zahlreichen gebräuchlichen Farbentöne einzuführen. Jeder Techniker, sei er Färber, Decorateur, Tapezierer, Chromograph, oder Lackirer, Maler, Architekt, überhaupt jeder Industrielle, welcher Farben oder farbige Stoffe gebraucht oder verkauft, weiß, wie schwer es oft fällt, bestimmte Farbentöne in exacter, allseitig verständlicher Weise zu beschreiben, und wird Radde's Gedanken, diese empfindliche Lücke des industriellen Verkehrs durch eine genaue Normirung der Farbentöne und durch fixe Anhaltspunkte für deren Bezeichnung dauernd auszufüllen, gewiß als einen glücklichen und fruchtbaren begrüßen, dessen Verwirklichung sogar über das nächste Ziel der Befriedigung bestimmter praktischer Bedürfnisse hinaus noch den vieler Orts nicht genug erweckten Farbensinn entwickeln und ins Leben rufen wird. Die Ausführung des an und für sich schon neuen Gedankens war aber nur möglich, wenn sie auf eine sichere, billige und dadurch dem Publicum allgemein zugängliche Weise geschehen konnte, wie dies die neue Erfindung der Stenochromie erlaubt, welche mit einem einzigen Druck eine Fülle von klaren, glatten, constanten und – eine Hauptbedingung – gegen Licht, Luft und Feuchtigkeit vollkommen haltbaren Farbentönen zu reproduciren im Stande ist. Die Radde'sche internationale Farbenscale besteht aus 14 Tafeln oder Cartons, jeder mit einem Gattungsnamen bezeichnet, welcher die Basis oder den Cardinalton für alle auf dem betreffenden Carton befindlichen Farbentöne angibt. Carton 1 trägt die Ueberschrift Zinnober, Carton 2 heißt Orange, Carton 3 Gelb, dann folgt Gelbgrün, Grün, Blaugrün, Blau, Violett, Purpur, Carmin. Jeder Carton enthält drei Gammen oder Farbentonleitern mit fortlaufenden Nummern von 1 bis 42, und zwar jede Gamme wieder mit ihrer eigenen Benennung, die sich zum Cardinalton verhält, wie die Art zur Gattung. Z.B. Carton Nr. 4 führt den Gattungsnamen Gelbgrün und besteht aus den drei Gammen Nr. 10 (als Cardinalton, d.h. Gelbgrün im engern Sinn) Nr. 11 (erster Uebergang nach Grasgrün) und Nr. 12 (zweiter Uebergang nach Grasgrün.) Jede Gamme endlich enthält 21 auf Papier aufgedruckte Farbentöne in Form von etwa 1cm hohen und 6cm langen horizontalen Farbenstreifen, welche von oben nach unten an einander gereiht, je durch einen schmalen, weißen Horizontalstrich von einander getrennt und je mit einem Buchstaben von a bis v gezeichnet sind. Der oberste Ton a einer Gamme stellt immer eine Varietät von Schwarz, der unterste Ton v eine solche von Weiß vor, während die eigentliche Stammfarbe für jede Gamme meist in deren Mitte bei k, I, m zu finden ist. So stellt Carton 1, Gamme 1, Ton I das reine Zinnoberroth vor, und durch successives Addiren einer immer stärkern dunklen Farbe zu 1 ist Rothbraun g, Dunkelbraun c und Schwarz a, umgekehrt durch fortgesetztes Abtönen von I ist allmälig Rosa p, Fleischfarbe s und Weiß v entstanden. Die vier letzten Cartons führen keinen Gattungsnamen, sie umfassen in den Gammen 31 bis 42 die zahlreiche Familie der grauen Farbentöne im weitesten Sinn des Wortes, inclusive Braun 33. Der wichtige braune Ton ist überdies auch sonst in allen möglichen Varietäten vertreten, z.B. in den Gammen 1, 2, 3, 4 Ton b bis f, in 24 b bis d, ferner in Gamme 25, 26, 27, 28, 29, 30 je b bis f, womit zugleich eine praktische Nutzanwendung für den Gebrauch der Scale und ein Begriff von deren Reichhaltigkeit und der Vielseitigkeit ihrer 882 Farbentöne gegeben sein soll. Es ist leicht einzusehen, daß Radde's Verfahren eine unbegrenzte Anzahl von Farbentönen für die Referenz beim schriftlichen und mündlichen Verkehr der Farbenindustrie zu drucken gestattet; aber der Erfinder hat sich eine anerkennenswerthe Reserve auferlegt, um sein Werk nicht mit Tönen zu überladen, wodurch es für die Bedürfnisse der Gewerbe, des Hauses und des Handels unbequem, unbrauchbar, für das praktische Leben zu voluminös ausgefallen wäre. Um die Handhabung der internationalen Farbenscale zu erleichtern, führt ein Titelblatt sämmtliche Cardinaltöne in einer kleinern Scale vor, nebst beigedrucktem Index sämmtlicher Gammen, so daß man sich mit einem Blick über die Anlage des ganzen, in eine dauerhafte Buchform eingelegten Werkes orientiren kann. Endlich ist ein sehr geschicktes und doch einfaches Instrument beigegeben, welches gestattet, jede der von ihrem Carton abgenommenen Gammen einzeln mit andern zusammenzulegen, die begehrten Töne zu vergleichen und nach Belieben für das Auge zu isoliren. Der Preis von 24 M. für das ganze Werk, wie es durch alle Buchhandlungen zu beziehen ist, muß in Anbetracht des außerordentlichen reichen Inhaltes und der schönen Ausstattung ein sehr mäßiger genannt werden, und so ist wohl zu erwarten, daß die Radde'sche Scale rasch die weiteste Verbreitung und bald als anerkannte Referenz bei Specialisirung von Farben durch Sprache und Schrift eine allgemeine Anwendung finden wird. Kl.