Titel: Notizen aus der Soda-Industrie; von Professor Dr. G. Lunge in Zürich.
Autor: Georg Lunge [GND]
Fundstelle: Band 224, Jahrgang 1877, Nr. , S. 318
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Notizen aus der Soda-Industrie; von Professor Dr. G. Lunge in Zürich. (Schluß von S. 203 dieses Bandes.) Lunge, Notizen aus der Soda-Industrie. Um wieder auf Kingzett zurückzugreifen, entnehme ich ihm einige Mittheilungen über Weldon's Versuche, den beim Zersetzen von Sodarückstand (oder auf anderem Wege) erhaltenen Schwefelwasserstoff nützlich zu verwerthen, bekanntlich eines der Probleme, deren wirklich erfolgreiche, auch ökonomisch sich bewährende Lösung bis jetzt ein frommer Wunsch der technischen Chemiker geblieben ist. Es ist schon längst bekannt, daß beim Zusammentreffen von Schwefelwasserstoff und schwefliger Säure (feucht) die Reaction nicht, wie früher angenommen, glatt in folgender Weise vor sich geht: SO2 + 2H2S = S3 + 2H2O, sondern daß viel Pentathionsäure nach folgender Gleichung gebildet wird: 5SO2 + 5H2S = H2S5O6 + S5 + 4H2O. Dasselbe findet statt, wenn SO2-Gas in eine wässerige Lösung von H2S eingeleitet wird. Dagegen will Weldon gefunden haben, daß keine Pentathionsäure sich bildet, wenn man gasförmiges H2S in eine wässerige Lösung von S O2 leitet. Als andere Methoden zur Absorption des Schwefelwasserstoffes schlug Weldon auch die schon längst bekannte und von den meisten Gasfabriken ausgeübte, durch Raseneisenerz, vor; endlich auch eine von mir schon in einem englischen Patente von 1865 angegebene, durch Eisensalze in wässeriger Lösung mit Zusatz von Kalk. Interessant, obwohl technisch nicht verwerthbar, sind Kingzett's Experimente über die Wirkung des Schwefelwasserstoffes auf Chlornatrium bei hohen Temperaturen; er zeigte, daß dabei ein Theil des Salzes in Schwefelnatrium verwandelt wurde und Salzsäure fortging. Die Zersetzung (beim Schmelzpunkte des Salzes oder darüber) belief sich auf 1 bis 15 Proc. des letztern; die genauern Bedingungen davon sind noch keineswegs erforscht. Weldon's Bemühungen, den Schwefelwasserstoff zu absorbiren, waren freilich weniger angespornt durch den Sodarückstand, als durch eines von den vielen neuen, von ihm vorgeschlagenen Sodafabrikations-Verfahren. Es ist wieder einmal unser alter Freund: Sulfat wird durch Schmelzen mit Kohle zu Schwefelnatrium reducirt und dessen Lösung mit Kohlensäure behandelt — freilich in einem recht neuen Gewande. Um der Corrosion der Oefen zu steuern, soll man sie (und Weldon in seiner Kühnheit will auch gleich rotirende Oefen nehmen) mit Kohlenziegeln füttern, hergestellt durch Glühen von mit Theer getränktem Kokespulver; das Sulfat soll in einem andern Siemens'schen Cylinderofen zum Schmelzen gebracht und in den ersten mit Kohle gefütterten Ofen eingelassen werden, welchen man, um Oxydation zu vermeiden, an der Feuerbrücke gegen das Feuer abschließen und am andern Ende mit einem Gasometer in Verbindung setzen kann. Dieser wunderbare Ofen ist noch nicht gebaut worden, und auch er würde die vielen anderweitigen, jedem technischen Chemiker genügend bekannten Bedenken gegen das Schwefelnatrium-Verfahren nicht beseitigt haben. Da ich einmal bei den kühnen Vorschlägen bin, so will ich gleich Kingzett's eigenen Vorschlag zur Verwerthung des Schwefelwasserstoffes hersetzen. Er ist der, daß man Alloxan (aus Guano) damit behandeln soll, wobei Alloxantin und Schwefel entstehen; das Alloxantin soll durch eine Mischung von 2 Th. rauchender Salpetersäure von 1,52 spec. Gew. und 1 Th. gewöhnlicher Salpetersäure von 1,42 spec. Gew. wieder in Alloxan umgewandelt und von neuem gewonnen werden. Natürlich soll sämmtliche Salpetersäure wieder gewonnen werden. Eine ernstliche Besprechung dieses abenteuerlichen Vorschlages wird man mir erlassen; statt des vornehmen Alloxans hätte es das hausbackene Ferrisulfat auch gethan! Nicht viel besser steht es mit einem von Valentin patentirten Verfahren zur Regeneration von Braunstein (über welche und über Chlorerzeugung im Allgemeinen Kingzett sonst nur Bekanntes bringt). Valentin wollte die Eigenschaft des Ferridcyankaliums benutzen, als Ueberträger von Sauerstoff auf Manganoxydul (in Form von gefälltem Schlamm, ganz wie bei Weldon) zu dienen; das entstehende Ferrocyankalium sollte durch einen Luftstrom immer wieder zu Ferridcyankalium oxydirt und auf diese Weise eine continuirliche Wirkung ausgeübt werden, vergleichbar der Rolle, welche die salpetrige Säure im Schwefelsäureproceß spielt. Es sollte weniger als 0,5 Proc. Ferridcyankalium vom Gewichte des Braunsteins zur Regenerirung desselben genügen, was ich an sich bis auf weiteren Beweis bezweifeln möchte. Aber bei dem hohen Preise dieses Salzes würde schon dieser Verlust zu groß sein, und es ginge auch sonst nicht an, dasselbe in dem Braunstein zu lassen, da sonst furchtbar giftige Cyanverbindungen neben dem Chlor entstehen würden. Man müßte also das Ferridcyankalium durch Filtriren und Auswaschen des Mangansuperoxydschlammes gewinnen, dessen Volum im günstigsten Falle pro 1000k Mn O2 10cbm gewöhnlich aber mehr (bis 15cbm), selbst nach dem Ablassen der Chlorcalciumlösung beträgt, und würde daraus nur 4k Ferricyankalium erhalten, wenn alles wiedergewonnen würde! Selbststredend ist an eine Ausführung davon im Großen nicht zu denken, und erwähne ich die Sache überhaupt nur, um ihrer späteren „Entdeckung“ gleich vorzubeugen. Aus den über den Chlorkalk selbst handelnden Artikeln will ich nur erwähnen, daß alle mechanischen (continuirlichen) Formen von Chlorkalkapparaten, Thürme mit Scheidewänden, rotirende Cylinder u. a. nach Kingzett, welcher die einzelnen Patente aufzählt, sich nicht bewährt haben; dies stimmt auch mit meinen sonst gewonnenen Erfahrungen ganz überein. Kingzett schließt mit einer Tabelle, welche er einem Aufsatze von Mactear (verlesen in der British Association-Versammlung 1876 und veröffentlicht von Mactear selbst) entnimmt. Ich will diese Tabelle gleichfalls wiedergeben, warne aber den deutschen Leser gleich von vornherein, daß die daraus hervorgehenden Rendements mir nicht die Durchschnittszahlen der (im übrigen ganz vorzüglich geleiteten) Fabrik zu St. Rollox zu sein scheinen, sondern solche Resultate, wie sie unter besonders günstigen Umständen erhalten werden. Das Sodaverfahren, welches dabei angenommen ist, ist eben Mactear's Modification des Cylinderofen-Processes, und die Chlordarstellung geschieht dort noch immer nach dem Dunlop'schen Verfahren. Textabbildung Bd. 224, S. 321 Im Begriff, diese Notizen an die Redaction abzuschicken, erhielt ich das erste Februarheft dieses Journals, in welchem sich ein sehr interessanter Aufsatz von R. v. Wagner: Zur Beurtheilung der wirtschaftlichen Lage der deutschen Sodaindustrie befindet (Bd. 223 S. 302). Ich möchte mir erlauben, noch einige dahin gehende Bemerkungen anzuschließen. Mit dem größten Theile des Inhaltes jenes Aufsatzes bin ich durchaus einverstanden. Es hat sich auch mir die Ueberzeugung aufgedrängt, daß unter den jetzigen Umständen die deutsche Sodaindustrie, wenn der geringe, ihr noch zu gut kommende Schutzzoll aufgehoben wird, nach aller menschlichen Berechnung von der englischen, unter fast durchgängig ungemein viel günstigern Umständen arbeitenden Sodaindustrie erdrückt werden wird, bis auf wenige locale Ausnahmen. Für die Ueberlegenheit der Engländer in diesem Felde hätte ich noch weitere Erklärungsgründe anführen können als v. Wagner, glaube dies aber kaum nöthig zu haben und will nur eines noch erwähnen, nämlich daß einer der Hauptgründe der billigeren englischen Soda-Arbeit die Concentration desselben auf bestimmte Localitäten und in zum Theil enorm großen Fabriken ist (die kleinern Fabriken fangen auch in England schon an einzugehen), während in Deutschland eine Concentration aus vielen Gründen wohl unmöglich und mit Rücksicht auf die consumirenden Industrien auch im höchsten Grade unerwünscht wäre. Die letztern sind in England ebenfalls meistens an denselben wenigen Orten, oder doch ganz in der Nähe derselben, wie die chemischen Fabriken concentrirt, und diese haben, wegen ihrer Nachbarschaft mit der See, die ganze Welt als Kunden für den Export nebenbei vor sich liegen; in Deutschland dagegen ist die Soda, Schwefelsäure, Salzsäure etc. consumirende Industrie über das ganze Land zerstreut, und wird sich auch das für den Export ungünstige Verhältniß nie ändern können, da wir eben kein insulares, sondern ein continentales Volk sind, welchem grade da, wo es Seebord hat, die Kohlen zur kräftigen Entwickelung seiner Industrie fehlen. Es ist also völlig den reellen Verhältnissen entsprechend, daß eine größere Anzahl kleiner Fabriken über das Land zerstreut sind, weniger noch wegen der leichter transportablen Soda, oder selbst des Chlorkalkes, als wegen der Säuren, deren Transport auf längere Strecken sie so vertheuern würde, daß die auf sie angewiesenen Industrien dann einfach aufhören müßten. Es ist meiner Ansicht nach in wirthschaftlicher Beziehung von viel größerer Bedeutung, daß dieser Fall nicht eintrete, als daß die Consumenten etwas billigere Soda erhielten; sie selbst würden das wahrscheinlich zugeben. Dann ist es auch gar nicht mit irgend welcher Bestimmtheit anzunehmen, daß die Aufhebung des Schutzzolles von 0,75 M. pro Centner den Consumenten zu Gute kommen würde; die Engländer, die Commissionäre u. A. wollen und werden daran auch ihren Antheil nehmen, und dies um so sicherer, je mehr die einheimische Sodaindustrie ihre Concurrenzfähigkeit einbüßt. Ich fühle mich nicht competent zu beurtheilen, ob der deutschen Sodaindustrie mehr durch Beibehaltung des Schutzzolles oder durch eine sehr gründliche Ermäßigung der Frachten für Rohmaterialien besser geholfen werden kann; dies kann nur derjenige, welcher mitten in den Verhältnissen steht und das nöthige umfangreiche Zahlenmaterial vor sich hat. Aber es scheint mir unläugbar, daß, wenn nicht auf eine oder die andere Weise geholfen wird, die schon jetzt trostlose Lage vieler deutschen Sodafabriken nach Aufhören des Schutzzolles zu deren gänzlichem Eingehen führen wird, und daß damit eine große Calamität namentlich für die Consumenten von Salzsäure eintreten wird. Der in dem Wagner'schen Aufsatze dafür gespendete Trost ist doch nur ein sehr leidiger. Er sagt, die technische Chemie würde in dem eben erwähnten Falle in kürzester Frist Mittel an die Hand geben, nach neuen Principien Salzsäure herzustellen. Ja, aber mit welchen Kosten! Sind doch bis jetzt alle Versuche, z. B. aus Chlormagnesium Salzsäure in lohnender Weise darzustellen, selbst da völlig gescheitert, wo man ihrer in der That bedürfte, und schon die unter allen Umständen bis zur Entwicklung eines neuen Verfahrens nöthige Zwischenperiode einer enormen Preissteigerung der Salzsäure würde den betreffenden Industrien unheilbare Wunden schlagen. Am wenigsten kann ich mich mit der Anschauung befreunden, die Salzsäure-Calamität müsse ohnehin darum bald eintreten, weil das Leblanc'sche Sodaverfahren einmal bestimmt sei, dem Ammoniakverfahren seinen Platz zu räumen. Man könnte den Satz direct umkehren und sagen: grade darum wird das Ammoniakverfahren das Leblanc'sche nicht in umfangreicherem Maßstabe verdrängen können, weil eben Salzsäure absolut nöthig ist und doch Niemand gezwungen werden kann, sich lieber auf Ausstudirung eines neuen Salzsäure-Gewinnungsverfahrens zu verlegen, als einfach die lohnende Salzsäure neben Leblanc'scher Soda zu produciren, selbst wenn letztere an sich theurer als Ammoniaksoda wäre. Ist es ja doch ein offenes Geheimniß, sowohl in Deutschland als in England, daß schon längst der Profit der Sodafabriken wesentlich von der Salzsäure, resp. ihren Abkömmlingen (Chlorkalk etc.) abhängt, während das Sodaconto häufig gradezu mit einem Verlust abschließt. Aber bis jetzt ist auch der Beweis, daß das Ammoniakverfahren billiger arbeite als das alte, durchaus nicht erbracht worden. Schon das merkwürdige, seit Jahren um dieses Verfahren verbreitete Geheimniß — die spärlichen Nachrichten, welche darüber in die Oeffentlichkeit dringen, deuten auf noch nicht überwundene Schwierigkeiten. Ich habe mir alle Mühe gegeben, durch Erkundigungen an sehr competenten Stellen etwas Näheres darüber zu ersahren, und muß zunächst daran erinnern, daß sehr werthvolle Notizen über den jetzigen Stand des Ammoniakverfahrens in Deutschland auch von R. v. Wagner selbst neuerdings (1876 222 77) 370) gegeben worden sind. Es scheint, daß keine einzige Fabrik, außer den Solvay'schen und vielleicht der englischen, je nach Solvay's Methode gearbeitet hat; da nun dieselbe überhaupt das Princip des Verfahrens gar nicht berührt und sich nur auf Apparate bezieht, welche, soweit sie bekannt wurden, schon zum Theil wenigstens als unbrauchbar erkannt worden sind, und da ferner factisch gute Ammoniaksoda mit andern von Solvay's ganz verschiedenen Apparaten bereitet wird, so dürfte wohl v. Wagner's Vorschlag, den Ammoniakproceß als „Solvayproceß“ zu bezeichnen, nicht viel Anklang finden. Namentlich hat man statt des complicirten und sich leicht verstopfenden Solvay'schen Thurmes die einfache und viel näher liegende Einrichtung angewendet, das Kohlensäuregas successiv durch mehrere geschlossene Kästen mit Chlornatrium-Ammoniaklaugen zu leiten und dieselben in systematischer Weise wie Soda-Auslaugekästen ein- und auszuschalten. Aber so wie so scheint es einen Haken zu haben; sonst könnte man es sich absolut nicht erklären, warum die deutschen, französischen und englischen Sodafabrikanten sämmtlich mit solcher Blindheit geschlagen sein sollten, daß nicht nur die meisten derselben von dem Ammoniakverfahren überhaupt gar nichts wissen wollen, sondern auch die Mehrzahl derjenigen, welche es eingeführt haben, wieder davon abgegangen sind. Man vergleiche damit z. B. die rasche Ausbreitung des Gloverthurmes wenige Jahre nach seinem Bekanntwerden, obwohl Niemand für dieselben in geschäftlicher Weise thätig war, wie es bei dem Ammoniakverfahren der Fall ist. Auch handelt es sich hier nicht um eine Einrichtung, deren Nachahmung aus speciellen Gründen nur ganz wenigen Fabriken offen steht, wie z. B. die Cylinder-Sodaöfen, welche zu groß für den Umfang deutscher Sodafabriken sind. Ferner hört man, daß im besten Falle noch 5 Proc. Ammoniak verloren gehen, — ein Betrag, von dem ich schon in einer frühern Publication (1875 215 66) erwähnt habe, daß er die umfassende Ausbreitung des Ammoniakverfahrens an sich unbedingt hindern müsse, weil das ohnehin schon immer theurer werdende Ammoniak aus Gaswasser dann einfach nicht mehr ausreicht. Wenn man etwa darauf antworten wollte, daß sich bei Bedarf danach schon weitere Ammoniakquellen ausfinden lassen werden, so besagt diese Antwort gar nichts, so lange nicht nachgewiesen (nicht etwa nur behauptet) wird, daß diese neuen Quellen ebenso billig als das Gaswasser sind; wenn sie zu theures Ammoniak liefern, so genügen schon die 5 Procent Verlust, um die Ammoniaksoda theurer als die Leblancsoda zu machen. Man darf auch nicht vergessen, daß prakticable neue Ammoniakquellen, trotz dem seit einigen Jahren auf das doppelte früherer Jahre gestiegenen Preise des schwefelsauren Ammoniaks, noch nirgends angegeben worden sind. Kurzum, so lange nicht das über dem Ammoniakverfahren schwebende Geheimniß gelüftet und die oben angeführten Thatsachen wirklich ausreichend erklärt worden sind, wird man es der technischen Welt nicht verdenken können, wenn sie ihre reservirte Haltung in dieser Beziehung noch nicht aufgeben will. Vor allem aber kann man es wahrlich den deutschen Sodafabrikanten nicht zumuthen, der Concurrenz der übrigens nicht mit dem Ammoniakverfahren arbeitenden Engländer dadurch zu begegnen, daß sie mit Aufopferung ihrer sämmtlichen jetzigen Fabrikationsanlagen zu dem letztern übergehen, ehe es seine Berechtigung in andern als localen Verhältnissen mit größerer Bestimmtheit als bis jetzt bewiesen hat. (S. 199 Z. 2 v. u. ist zu lesen Aetzkalk statt „Aetzkali“.) Zürich, 7. März 1877.