Titel: | Federmotor von Schreiber, Salomon und Comp. in Wien. |
Autor: | Pichler |
Fundstelle: | Band 228, Jahrgang 1878, S. 9 |
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Federmotor von Schreiber, Salomon und Comp. in
Wien.
Mit Abbildungen.
Schreiber und Salomon's Federmotor.
Die Anwendung der Elasticität gespannter Federn zur Ansammlung einer gewissen
mechanischen Arbeit bietet wohl nichts Neues; alle unsere Taschenuhren beruhen ja
darauf, in eine Feder so viel Arbeit durch das Aufziehen zu legen, als in 36 oder 48
Stunden durch den regelmäſsigen Gang der Uhr aufgezehrt wird. Da, wo man es so zu
sagen nur mit Bewegung, weniger mit Kräften zu thun hatte, entsprach die Feder
vollkommen; nur wenn es sich darum handelte, auch eine gewisse Kraft nebst der
Bewegung zu übertragen, wo es sich somit um eine nicht mehr verschwindend kleine
Arbeitsgröſse handelte, da scheiterte dieses Vorhaben einerseits an der geringen
Arbeitsmenge, welche man durch Federmechanismen aufzuspeichern und rationell zu
übertragen im Stande war, andererseits an der starken Veränderlichkeit der
Elasticität gespannter Federn; überdies hatte sich ein ziemlich ausgesprochenes,
mehr oder weniger wohl auch begründetes Vorurtheil gegen die Verwendung der Feder im
motorischen Sinne geltend gemacht. In neuester Zeit haben Schreiber, Salomon und Comp. in Wien einen compendiösen Federmotor
entworfen und zum Betriebe von Nähmaschinen sowie anderer wenig Kraft
beanspruchenden Maschinen (Schmirgelscheiben, Bohrmaschinen für Zahnärzte u.s.w.)
mit Erfolg verwendet.
In diesem Journal (1870 195 471) wird angeführt, daſs ein Amerikaner, Namens Babcock, nach eingehenden Versuchen und Untersuchungen
über die Verwendung der Feder zum Betriebe von Nähmaschinen zu dem negativen
Resultate gelangte, daſs es überhaupt unmöglich ist, Nähmaschinen auf diese Weise zu
betreiben, indem die Feder für einstündigen Betrieb ein Gewicht von etwa 410k erhalten muſste. Wenn wir auch zugeben, daſs die
Nähmaschinen in jener Zeit viel schwerfälliger construirt wurden, somit viel mehr
Kraft zu deren Betriebe erforderlich war, so dürfte dieses auffallende Resultat Babcock's doch nur auf eine etwas ungenaue Bestimmung
der erforderlichen Betriebskraft zurückzuführen sein. Die neueren Nähmaschinen
brauchen eben nicht, wie es dort heiſst, 0,017, sondern nur etwa 0,0020 bis 0e,0025. Es ist natürlich, daſs die Annahme einer 7
bis 8 mal so groſsen Leistung auf das obige Resultat führen muſste. Thatsache ist es
ja, daſs die hier zu besprechenden Federmotoren mit zwei nur 12m langen Federn vollkommen zum Betriebe der
Nähmaschinen, wenngleich freilich nur auf verhältniſsmäſsig kurze Zeit,
ausreichen.
Textabbildung Bd. 228, S. 10
Textabbildung Bd. 228, S. 11
In den Figuren ist eine schematische Skizze des Motors und eine mittels des
Federmotors betriebene Nähmaschine dargestellt. In einem cylindrischen Gehäuse T befinden sich zwei etwa 12m lange, 3mm
dicke und 80mm breite Spiralfedern, welche derart
eingelegt sind, daſs die inneren Federenden an der durch das Gehäuse lose gesteckten
Welle, die äuſseren Enden hingegen an dem Umfang des Gehäuses T befestigt sind. Durch Drehung des Gehäuses nach links
kann die Doppelfeder gespannt (aufgezogen) werden, und diese sucht nun die Welle,
insofern dieselbe nicht durch äuſsere Kräfte festgestellt ist, im selben Sinne zu
drehen. Das Spannen der Feder erfolgt durch Drehung des mit der Handhabe A versehenen Kurbelrades K. Mittels der Zahnräder a (22 Zähne) und b (100 Zähne), eines zweigängigen Stahlwurmes W und dessen an das Federgehäuse geschraubten Wurmrades
C (22 Zähne) wird das Gehäuse gedreht, bezieh. die
Feder aufgezogen. Das gesammte Uebersetzungsverhältniſs für die Aufziehvorrichtung
beträgt somit \frac{2}{22}\times \frac{22}{100}=\frac{1}{50};
nachdem zum vollständigen Anspannen der Feder 12 Umdrehungen des Gehäuses
erforderlich sind, entsprechen diesem 50\times 12=600 Umdrehungen
des Handrades, welche der Praxis entsprechend in beiläufig 3 Minuten, also mit
minutlich 200 Umdrehungen vollzogen werden können. Die an der Kurbel hierbei zu
äuſsernde Kraft schwankt zwischen 1 bis 5k.
Die eigentliche motorische Wirkung der Feder überträgt sich auf die Welle S, an welcher die inneren Federenden befestigt sind.
Auf dieser Welle sitzt
das Zahnrad m (96 Zähne), welches in das Rad n (21 Zähne) eingreift; auf der gleichen Welle mit n ist das Rad o (130
Zähne) angebracht, welches wieder mit dem Rade p (22
Zähne) im Eingriffe steht. Mit dem Rade p auf gleicher
Achse ist schlieſslich das Schraubenrad q (96 Zähne)
befestigt, welches in die zehngängige Schraube r greift
und somit die Schnurrolle t von 170mm Durchmesser und mittels der Lederschnur L die Rolle u von 68mm Durchmesser dreht. Von der verticalen Spindel
der Schnurrolle u wird durch ein Winkelräderpaar z, z die horizontale Nähmaschinenwelle bewegt. Für eine
Umdrehung es Gehäuses T resultiren daher
\frac{96}{21}\times \frac{130}{22}\times \frac{96}{10}=260
Touren der Schnurrolle t und
260\,\frac{170}{68}=650 Touren der Rolle u und der Nähmaschinenwelle. Einem einmaligen Aufziehen
der Feder (12 Drehungen des Gehäuses T) entsprechen
somit 650\times 12=7800 einzelne Stiche der Nähnadel. Macht also
die Maschine, wie dies bei gewöhnlichem Betriebe der Fall ist, etwa 500 Stiche in
einer Minute, so wird nach Verlauf einer Viertelstunde die Feder vollkommen
abgelaufen sein und muſs von Neuem aufgezogen werden.
Bei dem raschesten Nähen, etwa 1200 Stiche in der Minute, wird schon nach 6 Minuten
das Neuaufziehen erfolgen müſsen.So viel uns bekannt geworden ist, sind die Erfinder gegenwärtig bemüht, durch
Anbringung einer zweiten Federtrommel diese freilich etwas kurze Arbeitszeit
beträchtlich zu verlängern; man muſs hier wohl auch berücksichtigen, daſs
nur in Ausnahmefällen ununterbrochen während 15 Minuten genäht werden wird,
so daſs im groſsen Durchschnitte, mit Einschluſs der Pausen, erst nach
Ablauf etwa einer Stunde ein Neuaufziehen erforderlich werden
dürfte.
Zur Regulirung der Stichzahl, d.h. zum rascher oder langsamer Nähen, dient eine sehr
handliche Bremsvorrichtung, welche aus der allgemeinen Skizze ersehen werden kann.
An die Schnurrolle t ist eine kleine, blank polirte
Bremsscheibe gegossen, gegen welche, mit Hilfe des auf dem Nähtische angebrachten
Hebels H durch das Excenter E und eine Doppelfeder, das Hartgummi-Klötzchen 13 derart angepreſst werden kann, daſs einerseits die feinste Regulirung
eingeleitet, andererseits aber auch die ganze Kraft abgebremst, also die Maschine
zum Stillstande gebracht werden kann. Der Hebel H liegt
mit federnder Schneide in einem gezahnten Segmente, um das Excenter E in jeder beliebigen Stellung festhalten zu
können.
Einem von Prof. Joh. Radinger im Niederösterreichischen Gewerbeverein zu Wien gehaltenen Vortrage über
diesen Federmotor entnehmen wir die folgende Bestimmung des Effectes und des
Güteverhältniſses des Motors.
Wird das Kurbelrad mit 200 Umdrehungen in der Minute gedreht, so
beschreibt die Hand des Aufziehenden secundlich einen Weg von 2m,5; beträgt ferner der mittlere Druck der Hand
auf die Kurbel 3k, so ist die von der Hand
geleistete Arbeit 7mk,5 oder 0e,1.
Bei einem Kurbeldruck von 4k,5
resultirt für den Umfang des Wurmrades C eine Kraft von
384k,7 oder auf den Umfang des Federgehäuses
von dem Durchmesser 300mm reducirt der Druck von
179k,5; berücksichtigt man nun, daſs etwa 55
Proc. dieser Kraft zur Ueberwindung der Reibung von Zapfen, Zähnen und Schrauben
aufgewendet werden, so verbleibt am Umfange der Trommel eine effective Umfangskraft
von 80k. Dieser Druck von 80k wird nun durch die Uebersetzung ins Schnelle bis
zur Schnurrolle t theoretisch reducirt auf 0k,54. Eine an dieser Rolle vorgenommene directe
Messung des Druckes ergab die thatsächlich übertragene Kraft 0k,15; somit beträgt der Wirkungsgrad der Ablauf
Vorrichtung =0,15:0,54=0,277, d.h. es wurden 28 Proc. der
Federkraft nur ausgenutzt. Die von der Schnurscheibe t
ausgeleitete Arbeit beträgt somit 0k,15 mittlerer
Kraft mit 1m,779 Geschwindigkeit, also 0mk,2668 oder 0e,0035.
Sieht man daher ganz von den Verlusten ab, welche einerseits durch
Reibung der Zahnräder z und des Riemens L, andererseits durch Gleiten dieses Riemens L bedingt werden, so beträgt der totale Wirkungsgrad
=0,0035:0,1=0,035, oder 3,5\mbox{ Proc.}
der hineingelegten menschlichen Kraft werden der Nähmaschine thatsächlich
zugeführt.
Es folgt hieraus, daſs der Federmotor, wissenschaftlich als Betriebsmaschine
aufgefaſst, sehr unvollkommen ist; die eigentlich motorische Kraft, die Muskelkraft
des Menschen, ist überhaupt auch die theuerste Kraftquelle, und nach dieser Richtung
hat der Federmotor keine Zukunft. Anders aber gestaltet sich die Beurtheilung des
Apparates bezüglich seiner Verwendbarkeit, wenn er nicht als Motor, sondern als
Magazin für eine Kraft betrachtet wird, welche einmal hineingelegt zu beliebigen
Zeiten und von beliebigen Personen aus demselben wieder gewonnen werden kann; von
diesem Gesichtspunkte verdient der Federmotor vollste Berücksichtigung und wird in
zahlreichen Fällen in der Praxis mit Erfolg Verwendung finden können.
Die eigentliche Frage der Betriebsmaschinen für das Kleingewerbe findet freilich auch
durch diesen Motor keine Lösung.
Pichler.