Titel: | Ueber die Ausnutzung und Unschädlichmachung der städtischen Kanalwässer durch Berieselung. |
Autor: | F. |
Fundstelle: | Band 228, Jahrgang 1878, S. 271 |
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Ueber die Ausnutzung und Unschädlichmachung der
städtischen Kanalwässer durch Berieselung.
Ueber Behandlung der städtischen Kanalwässer.
Durch die bereits (1878 227 401) mitgetheilte ministerielle Entscheidung tritt an die
Städte die Nothwendigkeit heran, ihr Kanalwasser zu reinigen, bevor sie dasselbe in den Fluſs ablassen. Es möge daher
ein kurzer Ueberblick über die neuesten Beobachtungen und Erfahrungen auf diesem
Gebiete folgen.
Paris, Ueber die Verunreinigung der Seine durch das
Pariser Kanalwasser liegen einige BerichteBulletin de la Société d'Encouragement, October
1874 S. 539. September 1875 S. 510. October 1875 S. 567. Januar 1878 S. 61.
Comptes rendus, 1876 Bd. 82 S. 1087. 1877
Bd. 84 S. 617. Scientific American, 1877 Bd. 36
S. 367. vor, denen wir Folgendes entnehmen.
Bekanntlich wurde zur Zeit des Kaiserreiches in allen amtlichen Organen erklärt, die
Abfuhr sei die einzige Methode, die überhaupt nur billiger Weise vom
gesundheitlichen und volkswirthschaftlichen Standpunkte aus annehmbar sei; es sind
die weitgehendsten Behauptungen, wonach jedes andere Verfahren verwerflich, ja
verbrecherisch sei, gerade in Paris aufgestellt und ausgesprochen worden. So ist
auch in Paris keine geregelte, systematische Kanalisation entstanden, sondern
heimlich, unvollständig haben die Techniker der absoluten Nothwendigkeit Rechnung
tragen müssen und für die flüssigen Abfallstoffe, deren Beseitigung durch Abfuhr
unausführbar ist, unterirdische Abzugsleitungen angelegt. Paris hatte i. J. 1837
67km, 1850 130km Kanäle und besitzt jetzt über 800km.
Diese Kanäle nehmen das Regen – und Hauswasser, einen Theil des Straſsenschmutzes
und die flüssigen Abgänge der DiviseursNach Bürkli-Ziegler's Bericht an den Stadtrath von
Zürich über den Besuch von Rieselanlagen (Zürich 1875) hat Paris
123938 Abtritteinrichtungen, und zwarAeltere feste Abtrittgruben85775Abtrittkübel ohne Ablauf19203Diviseurs mit Gruben für die Flüssigkeiten12520Abtrittkübel mit Ablauf der Flüssigkeit in die
Kanäle 6440. auf.
Die Mündung des Hauptkanales bei Clichy führt der Seine in jeder Secunde etwa 2,5,
die des kleineren Kanales bei Saint-Denis 0,5, beide also 3cbm, oder im Jahre etwa 100000000cbm Schmutzflüssigkeiten zu. Diese Massen führen
125000t suspendirte Stoffe mit sich, welche
den Fluſs verschlammen, und, da sie 10 bis 25 Proc. organische Stoffe mit 0,4 bis
0,6 Proc. Stickstoff enthalten, stark fäulniſsfähig sind. Auſserdem enthält 1cbm der beiden Kanalwasser im Durchschnitt:
Clichy
Saint-Denis
Stickstoff
40g
140g
Flüchtige oder brennbare Stoffe
660
1380
Unorganische Stoffe
1400
1940
–––––
––––––
2100
3460.
Die ungemein starke Verunreinigung des letzteren Kanalwassers erklärt sich durch die
Zuflüsse aus den Abfuhrdepots bei BondyBekanntlich werden die in dem städtischen Abladebehälter an der Route
d'Allemagne (Depotoir von La Villette) entleerten Pariser Abfuhrstoffe durch
ein Druckrohr in den Wald von Bondy geschafft, um dort landwirtschaftlich
verwerthet zu werden. Eine englische Gesellschaft übernahm 1872 die
Ausbeutung dieser Abladestelle, zog sich aber bald, nachdem sie 5 Millionen
Franken zugesetzt hatte, wieder zurück. An eine nutzbringende
Poudrettefabrikation ist eben nicht wohl zu denken. Vgl. Ferd. Fischer: Verwerthung der städtischen und
Industrie-Abfallstoffe (Leipzig 1876), S. 117., welche
der Kanal von Saint-Denis aufnimmt.
Da die Seine bei niedrigem Wasserstande selbst nur 45cbm Wasser in der Secunde führt, so ist es leicht begreiflich, daſs
dieselbe durch diese Zuflüsse hochgradig verunreinigt werden muſste. Nach dem
Bericht der am 22. August 1874 vom Minister ernannten Commission ist der Zustand des
Flusses vor Paris noch gut, ändert sich aber unterhalb der Brücke von Asnières
sofort. Am rechten Ufer ergieſst sich aus dem groſsen Kanal von Clichy ein Strom
schwärzlichen Wassers und setzt sich in der Seine in Gestalt einer parabolischen
Curve fort. Dieses Wasser ist bedeckt mit organischen Resten aller Art, mit
Gemüseabfällen, Pfropfen, Haaren, todten Hausthieren u.s.w., und meist mit einer
fettigen Schicht überzogen. Der abgesetzte Schlamm häuft sich trotz fortgesetzter
Baggerung, durch welche jährlich über 80000cbm
fortgeschafft werden, immer mehr an, geht in Fäulniſs über und entwickelt oft
mächtige Blasen von 1 bis 1m,5 Durchmesser, die
den faulen, schwarzen Schlamm mit an die Oberfläche ziehen. Das Gas einer solchen
Blase hatte folgende Zusammensetzung:
Sumpfgas
72,88
Kohlensäure
12,30
Kohlenoxyd
2,54
Schwefelwasserstoff
6,70
Verschiedenes
5,58
––––––
100,00.
Da ist es denn nicht zu verwundern, wenn die Fische absterben,
wenn II Seinewasser hier 7mg,3 Stickstoff enthält,
dagegen nur 1cc Sauerstoff, während das nicht
verunreinigte Fluſswasser 10cc,4 Sauerstoff
enthält.
Bezüglich der Mittel zur Abhilfe dieser Uebelstände kommt die erwähnte Commission zu
dem Schluſs, daſs eine Verlängerung der Sammelkanäle bis zum Seine-Busen oder dem
Meer sehr theuer wäre und die Verunreinigung doch nur an eine Stelle der Küste
verpflanzen würde. Auch eine Verlängerung der Kanäle bis zum Einfluſs der Olse würde
die Verunreinigung des Flusses nur weniger bemerkbar machen, sie aber nicht
verringern. Das Absetzenlassen in groſsen Behältern würde die Luft verunreinigen und
doch keinen genügenden Erfolg haben; noch weniger ist die Filtration des
Kanalwassers praktisch ausführbar.
Auf den Vorschlag von Le Chatelier wurden in groſsen
Behältern bei Clichy und bei Gennevilliers groſse Massen Kanalwasser mit
schwefelsaurem Aluminium gefällt. Das Wasser hatte vor (I) und nach (II) dieser
Behandlung folgende Zusammensetzung:
I
II
Flüchtige und brennbare Stoffe
729
240
Stickstoff
37
21
Mineralstoffe
2038
724
––––
––––
2804
985.
Von den 37g Stickstoff in
1cbm Kanalwasser waren also 21g nicht mit gefällt; die Reinigung war demnach
durchaus ungenügend (vgl. 1874 211 214), kostete aber für
100cbm über 1 Fr.
Auf Veranlassung von Mille wurden in den J. 1867 und
1868 auf einem kleinen Felde bei Clichy Versuche gemacht, das Kanalwasser durch
Berieselung zu reinigen. Im Juni 1869 wurden diese Versuche ausgedehnt und wurde
mittels Centrifugalpumpen ein Theil des Kanalwassers von Clichy 11m hoch durch eiserne Leitungen in die Ebene von
Gennevilliers gepumpt. Anfangs wurde eine Dampfmaschine von 40e, seit 1873 eine von 150e und dann noch eine von 250e angewendet, die jede Secunde fast 1cbm Wasser fördern. Auſserdem wurde, von dem
Departement-Sammelkanal sich abzweigend, ein gemauerter Kanal von 1m,6 Höhe und 0m,9 Breite zwischen dem Thor de la Chapelle und der Brücke von Saint-Ouen
angelegt, der secundlich etwa 0cbm,5 Kanalwasser
durch natürliches Gefälle zuführt. Diese beiden Zuflüsse vereinigen sich in einem
gemauerten Graben von 2m Breite und 1500m Länge auf den Deichen von Asnières und
Gennevilliers. Von hier aus wird das Wasser durch gemauerte Gruben, dann durch
Erdgräben in die Furchen der Felder geleitet. Während so i. J. 1869 nur 650000, i.
J. 1872 1500000, 1874 schon 8000000cbm zugeführt
wurden, betrug die i. J. 1876 zur Berieselung verwendete Menge bereits 10653420cbm Kanalwasser. Die Gröſse der berieselten Fläche
betrug i. J. 1869 6ha,4, trotz der Unterbrechung
durch Krieg und Commune im November 1872 schon 51,2, im August 1874 115,5 und Ende
1876 bereits über 300ha. Die Länge der Leitungen
und des Vertheilungsnetzes betrug i. J. 1875 erst 5700m, Ende 1876 bereits 26400m. Anfangs
wurden diese Leitungen aus Ziegelmauerwerk, jetzt werden sie groſstentheils aus
Beton hergestellt, welcher über einen beweglichen Kern gegossen ist.
Die Vertheilung des Kanalwassers geschieht nur mit Zustimmung der betreffenden
Pächter oder Eigenthümer der berieselten Fläche. In der irrigen Meinung, die
Fruchtbarkeit ins Ungemessene steigern zu können, nahmen diese anfangs
durchschnittlich etwa 12cbm auf 1qm Fläche; i. J. 1876 betrug die durchschnittliche
Rieselhöhe nur noch 4m,8 (für 220ha). Trotz dieser groſsen Rieselhöhe – dieselhe
sollte 2m,5 nicht überschreiten, auf 1ha also nicht mehr als 25000cbm betragen – wird das Wasser vollkommen
gereinigt. Das aus einer Drainröhre des Rieselfeldes abflieſsende Wasser enthielt in
11 nur noch 0mg,35 Gesammtstickstoff, das Wasser
aus einem inmitten in den Rieselfeldern stehenden Brunnen nur 0mg,3. Es erklärt sich dieses ungemein günstige
Resultat aus der Bodenbeschaffenheit der Ebene von Gennevilliers. Dieselbe bildet
eine ausgedehnte, sandige und kiesige Anschwemmung von 7 bis 10m Mächtigkeit, die auf einer undurchlässigen
Schicht ruht.
Sehr befriedigend ist auch das landwirtschaftliche Erträgniſs. Während 1ha der nicht berieselten Fläche 90 bis 100 Fr.
Pacht bringt, werden für 1ha Rieselfläche 400 bis
500 Fr. bezahlt, 1ha bringt 60 bis 120t Luzerne, 100 bis 130t Gras, 100t Rüben, 90t Kohl, 50 bis 100t Carotten, 250 bis 300hl Kartoffeln,
60000 Köpfe Artischocken, 75t Wermuth oder 40t Pfefferminze u.s.w. Die Gemüse werden auf
Märkten, von Gasthöfen und Krankenhäusern gern gekauft, Pfefferminze und Wermuth von
Destillateuren verarbeitet. Der Werth der auf 1ha
gewonnenen Producte beläuft sich auf 1500 bis 3000, in einzelnen Fällen selbst 10000
Fr.
Es wird nun beabsichtigt, einen neuen, 16km langen
Kanal nach dem Walde von Saint-Germain zu bauen, mit Abzweigungen nach
Gennevilliers, Nanterre, Argenteuil, Bezons, Sartrouville, Achères und damit eine
Fläche von 6654ha, wovon 1423ha Stadteigenthum sind, der Berieselung zugänglich
zu machen.
Selbstverständlich ist auch diese Anlage vielfach angegriffen und wurde namentlich
behauptet, daſs das Wechselfieber in Gennevilliers zugenommen habe. Falls
thatsächlich in Folge der mangelhaften AnlageDeutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche
Gesundheitspflege, 1877 S. 448. eine derartige
schädliche Wirkung hervorgebracht sein sollte, so ist doch hervorzuheben, daſs
dieser Vorwurf eben nur die übermäſsig zugeführte Wassermasse, für deren Abfluſs nur sehr unvollkommen
gesorgt ist, nicht aber die Kanalflüssigkeit als solche
trifft. Dem entsprechend spricht sich auch das bekannte Mitglied des deutschen
Reichsgesundheitsamtes Finkeinburg (in Eulenberg's Zeitschrift, 1878 S. 167), welcher selbst
in Gennevilliers war, dahin aus, daſs für ihn die
Berieselung die rationellste und vielversprechendste Lösung der groſsen Frage
der Stadtreinigung sei 5 und daſs er aus dem Berichte der
Untersuchungscommission für Gennevilliers die Ueberzeugung geschöpft habe, daſs die
dortigen Uebelstände in gar keiner Weise mit dem Berieselungssysteme selbst, sondern nur mit den daselbst begangenen Ausführungsfehlern zusammenhänge.Vgl. Project für eine Berieselungsanlage bei
Zürich (Zürich 1876), S. 29 und Anhang. Friedr. Sander: Handbuch der öffentlichen Gesundheitspflege
(Leipzig 1877), S. 403.
Der letzte französische Bericht hebt noch hervor, daſs
Berieselung eingeführt wird auſser in England in Reims, Brüssel (4000ha), Florenz, Pest und Madrid. In BostonReport of the Board of health of the city of
Boston (Boston 1875). The severage of
Boston (Boston 1876). A special report on
the pollution of rivers (Boston 1876). The
pollution of streams (Boston 1877). Referent verdankt diese
interessanten Berichte der Güte des Hrn. Ripl.
Nichols, der sich an diesen Versuchen in hervorragender Weise
betheiligt hat. hat man umfassende Vorarbeiten zur Berieselung
gemacht. Für Zürich richtet Bürkli-ZieglerBürkli-Ziegler und Haster: Bericht über den Besuch einer Anzahl
Berieselungsanlagen (Zürich 1875). 122ha Rieselfläche ein. Von den 50000 Einwohnern,
deren Abwasser in die Züricher Kanäle gelangt, haben 21000 etwa 1500 Abtrittkübel
mit Ablauf, aus denen das Flüssige in die Kanäle abflieſst, die festen Stoffe aber
abgefahren werden; von der übrigen Bevölkerung gelangt nur das Hauswasser in die
Kanäle. Der Wasserverbrauch in Zürich beträgt für den Kopf 2201, die Abfluſsmenge aber durchschnittlich 4001, da in die Kanäle viel Grundwasser eintritt.
Trotz dieser groſsen Wassermenge und obgleich Zürich keine Wasserclosets hat, ist
das Kanalwasser stark fäulniſsfähig (vgl. 1878 221
404). Nach Abeljanz enthält 11 im Durchschnitt:
Groſse Stadt
Kleine Stadt
Gelöst
GesammtmengeOrganische StoffeUnorganische
StoffeStickstoffChlor
485mg190305133 25
822mg424398 82 13
Suspendirt
GesammtmengeOrganische StoffeUnorganische
StoffeStickstoff
149103 46 16
100 91 9 13
Gesammtstickstoff
149
95.
Die Abtrittkübel will man beibehalten, also, wie in Paris,
sogen. Abfuhr und Berieselung. Die Stadt Bern (Die Eisenbahn, *1878 S. 17) führt dagegen das Schwemmsystem ein, läſst aber
das Kanalwasser in die Aar abflieſsen.
Die Rieselanlagen von Berlin und Danzig sollen später besprochen
werden;, jetzt möge nur erwähnt werden, daſs A. RufinA. Rufin: Die Rieselwirthschaften groſser
Städte (Berlin 1878). für die Rieselfelder bei
Osdorf namentlich den Flachsbau empfiehlt.
Besonders bemerkenswert!! sind noch die neuesten Versuche über
die Unschädlichmachung des Kanalwassers durch Berieselung. Nach Ch. Lauth (Comptes rendus,
1877 Bd. 84 S. 617) enthielt 11 des Pariser Kanalwassers im Februar 1877:
mg
Schwebende Stoffe
1242,0
Gelöste Stoffe
682,0
Stickstoff als Ammoniak
6,9
„ „ Salpetersäure
1,9
mg
Stickstoff der unlöslichen Stoffe
14,0
„ der löslichen Stoffe
18,6
Gesammtstickstoff (nach Dumas)
35,0
Organische Stoffe
660,0.
Sich selbst überlassen, geht dieses Wasser bald in Fäulniſs
über; wird es aber mit atmosphärischer Luft gesättigt, so fault es nicht. Ein
solches Wasser enthielt in 11 vor (I) und nach der
Behandlung mit Luft (II) folgende Stickstoffmengen:
I
II
Unlöslicher Stickstoff
14,70
8,05
Löslicher Stickstoff
20,65
26,95
Stickstoff als Nitrat
1,17
1,12
„ „ Ammoniak
8,40
14,00
Gesammtstickstoff
38
38.
Diese Löslichmachung des Stickstoffes und Ueberführung in
Ammoniak, ohne Nitrirung, wird noch durch Kalk beschleunigt. Die Entwicklung der im
Kanalwasser enthaltenen Algen, Pilze (Penicillium) und
Infusorien (Euglena, Paramecium) wird durch das
Einleiten von Luft ungemein begünstigt; stinkende Gase treten hierbei nicht auf.
Fäulniſs tritt nur ein, wenn das Kloakenwasser von der Luft abgeschlossen
bleibt.
Th. Schlösing und A. Müntz
(Comptes rendus, 1877 Bd. 84 S. 301. Bd. 85 S.
1018) brachten in ein weites Glasrohr von 1m Länge
5k Quarzsand gemischt mit 100g Kalkpulver und auf dieses jeden Tag so viel
Pariser Kanalwasser, daſs die Flüssigkeit 8 Tage gebrauchte, um durch diese
Sandschicht hindurch zu sickern. Das abfiltrirte Wasser enthielt keine Nitrate, und
der Ammoniakgehalt desselben blieb unverändert. Erst am 20. Tage trat Salpeter auf,
die Menge desselben nahm schnell zu, während der Ammoniakgehalt entsprechend
vermindert wurde. Diese Erscheinung spricht gegen die bisherige Annahme, daſs die
Umwandlung des Ammoniaks zu Nitraten lediglich eine Oxydation durch den Sauerstoff
der Atmosphäre sei; sie wird aber sofort erklärlich durch die Annahme organisirter
Fermente, welche offenbar erst nach der zufälligen Aussaat und Entwicklung ihrer
Keime wirken konnten.
Nachdem diese Salpeterbildung 4 Monate gedauert hatte, lieſs man Chloroformdämpfe auf
das Rohr einwirken. Das abflieſsende Wasser enthielt bald keine Spur von Nitrat
mehr, wohl aber wieder ebenso viel Ammoniak als das aufgegebene Kanalwasser; die
Schmutzflüssigkeit war durch die Sandschicht filtrirt,
aber nicht gereinigt. Das Chloroform, welches auf die
nicht organisirten Fermente ohne Wirkung ist, wohl aber die organisirten tödtet
(vgl. 1875 218 279) hatte offenbar die Salpeter-bildenden
Organismen sämmtlich getödtet, und so trat auch in den folgenden Wochen keine
Salpeterbildung ein trotz reichlichen Luftzutrittes und gleichmäſsiger Temperatur
von etwa 15°. Nun wurden 10g einer Erde, deren
Salpeter-bildende Eigenschaft bekannt war, auf die Versuchsröhre gebracht. Genau
nach 8 Tagen enthielt das abflieſsende Wasser wieder Nitrate, deren Menge rasch
zunahm, während das Ammoniak und die organischen Stoffe verschwanden; das
Kanalwasser wurde jetzt wieder vollkommen gereinigt. Auch durch Glühen, selbst durch
Erhitzen auf 100°, verlor der Versuchsboden seine Salpeter-bildende Eigenschaft,
erhielt dieselbe aber sofort wieder durch Zusatz einer geringen Menge nicht
erhitzter Erde.
In entsprechender Weise wurden von R. Warrington (Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft, 1877 S.
2241) vier Glasröhren jede mit 100g feuchter
Gartenerde gefüllt; durch die erste Röhre wurde nur Luft angesaugt, durch die zweite
Luft, welche mit Carbolsäure geschwängert war, durch die dritte solche, welche
Dämpfe von Schwefelkohlenstoff enthielt und durch die vierte mit Chloroformdunst
vermengte Luft. Zwei Reihen von Experimenten, bezüglich 39 und 46 Tage dauernd,
wurden angestellt; am Ende einer jeden wurden die vorhandenen Nitrate bestimmt und
mit dem in der ursprünglichen Bodenart gegenwärtigen verglichen. Das Ergebniſs der
Parallelversuche war der folgende Gehalt von Stickstoff in Gestalt von Nitrat und
Nitrit in 1l lufttrocknen Bodens:
mg
mg
Ursprüngliche Bodenart
6,12
8,91
Boden durchzogen von Luft
40,87
50,86
„ „ „ „ und Carbolsäure
17,20
40,77
„ „ „ „ „
Schwefelkohlenstoff
6,70
9,75
„ „ „ „ „ Chloroform
9,48
7,86.
Die Beobachtung von Schlösing und Müntz mit Bezug auf Chloroform ist somit richtig.
Schwefelkohlenstoff ist ebenso wirksam, während Carbolsäure scheinbar nur geringe
Wirkung besitzt; allein diese sonderbare Erscheinung erklärte sich durch den
Umstand, daſs die Säure in dem obern Theile der Erdschicht zurückgehalten wird, so
daſs die Nitrification im untern Theile vorwärts geht.
Um auch die positive Seite zu prüfen, d.h. um zu erfahren, ob Ammoniakhaltige
Flüssigkeiten durch Einführung von Fermentsamen nitrificirt würden, hat Verfasser
vier Fläschchen je mit 500cc einer dünnen, 20mg Stickstoff auf 1l Flüssigkeit enthaltenden Salmiaklösung, der etwas Kaliphosphat und
Kalkcarbonat zugesetzt werden, gefüllt und zwei derselben im Lichte stehen gelassen,
die übrigen zwei in einem dunklen Kasten gesperrt. Zu einer Flasche des ersten und
einer des zweiten Flaschenpaares wurde eine kleine Menge einer etwas Mycelium
enthaltenden Bodenart zugefügt; nach kurzer Zeit schon war alles Ammoniak in der
dunkel gehaltenen Flasche verschwunden, während der Inhalt der im Lichte
verbliebenen sich unverändert zeigte. Die nitrificirte Flüssigkeit wurde demnächst
zum Befruchten der andern zwei Flaschen – eine im Dunkeln, eine im Licht – welche
den ganzen Sommer über unverändert geblieben waren, benutzt*, hier trat ebenfalls
Nitrification in der dunkel gehaltenen Flasche ein, nicht aber in der andern.
F. Falk (Vierteljahrschrift für
öffentliche Gesundheitspflege, 1877 S. 677) hat auf 300cc in einer ähnlichen Röhre befindlichen Sand
täglich 6cc Versuchsflüssigkeit getröpfelt, so
daſs nach 8 Tagen das erste Filtrat in das untergesetzte Becherglas abtropfte. Eine
Lösung von Emulsin aus süſsen Mandeln, in dieser Weise durch Sand filtrirt, hatte
seine Fermentwirkung auf Amygdalin völlig verloren, während eine ebenso alte Lösung,
in einem Reagenzgläschen aufbewahrt, dieselbe behalten hatte. Die gleiche
Ferment-zerstörende Wirkung zeigte sich beim Filtriren von einer Myrosinlösung, von
Mundspeichel und von tuberculösem Sputum. Ferner wurde Blut eines wegen Milzbrand
(vgl. 1877 226 215) getödteten Pferdes, mit 25 Th. Wasser verdünnt, durch den Sand
filtrirt. Während von der nicht filtrirten Flüssigkeit 4 Tropfen genügten, ein
Kaninchen innerhalb weniger Stunden zu tödten, erwies sich das Filtrat vollkommen
unschädlich.
Nun wurden vom Berliner Kanalwasser, wie es auf die Rieselfelder gepumpt wird, und
von welchem einige Cubikcentimeter genügten, bei einem Meerschweinchen eine
septische Blutvergiftung zu erzeugen, täglich 6cc
auf den Sand gegossen; das Filtrat war ebenfalls vollkommen unschädlich. Ebenso
verhielt sich eine faulende Pferdefleischlösung, von der 2cc ein Meerschweinchen durch Septicämie tödteten,
sowie ein Glycerinextract septischen Charakters. Es wurden also durch 8tägiges
Verweilen im Sandboden nicht nur die sogen, ungeformten Fermente, sondern auch die
organisirten vollkommen unschädlich gemacht. Selbst Strychnin und Nicotin wurden
hierdurch zerstört. Wurde jedoch vorher ausgeglühter Boden verwendet, so filtrirten
die meisten Lösungen unverändert hindurch; nur Emulsin und das faulende Fleischinfus
wurden unschädlich gemacht.
Jeannel (Comptes rendus,
1875 Bd. 80 S. 796. Annales de Chimie et de Physique,
1875 Bd. 5 S. 571) hat eine Reihe Versuche über die Wirkung lebender Pflanzenwurzeln
auf faulende Flüssigkeiten gemacht, die ihn zu folgenden Schlüssen geführt haben:
Die Wurzeln vegetirender Pflanzen bewirken den Stillstand der Fäulniſs der
organischen Stoffe, welche sich in suspendirtem oder gelöstem Zustande im Wasser
befinden. Die Wurzeln lebender Pflanzen wirken als Sauerstoffquellen, da unter ihrem
Einfluſs Bakterien, Monaden, die unter Luftabschluſs bestehenden Fermente der
Fäulniſs, verschwinden und an deren Stelle die luftlebenden Infusorien treten, welche in den
verhältniſsmäſsig gesunden Gewässern leben. Der directe Versuch bestätigt demnach
die allgemein giltige Ansicht, welche den Gewächsen die Eigenschaft zuschreibt, den
mit thierischen, in Verwesung begriffenen Stoffen durchtränkten Boden zu reinigen.
–
Wenn somit schon der unbewachsene Boden vermöge der darin enthaltenen
Verwesungsorganismen nicht nur den Stickstoff in Nitrate überführt, sondern auch die
dem thierischen Organismus direct schädlichen Stoffe zerstört, so geschieht dies
noch mehr durch den mit Pflanzen bestandenen Boden der Rieselfelder. Die Berieselung
ist demnach nicht nur das einzige, praktisch
ausführbare Verfahren, die düngenden Stoffe der städtischen Kanalwasser
landwirthschaftlich auszunutzen, sie genügt auch den Anforderungen der
Gesundheitspflege, indem sie in Verbindung mit Kanalisation und Wassercloset die sämmtlichen menschlichen Abfallstoffe in kürzester Zeit
beseitigt und unschädlich macht.
F.