Titel: | Bildung von Naphtalin und damit zusammenhängende Fragen; von Dr. F. Tieftrunk. |
Autor: | F. Tieftrunk |
Fundstelle: | Band 228, Jahrgang 1878, S. 459 |
Download: | XML |
Bildung von Naphtalin und damit zusammenhängende
Fragen; von Dr. F.
Tieftrunk.
(Schluſs von S. 363 dieses Bandes.)
Tieftrunk, über Bildung von Naphtalin.
Bei einer früheren Gelegenheit habe ich schon darauf hingewiesen, daſs das aus den
Elementarbestandtheilen der Steinkohle sich bildende kohlensaure Ammoniak, wie es
als wesentlichster Bestandtheil des Gaswassers bekannt ist, nicht als solches in der
Retorte auftritt, sondern nur seine näheren Bestandtheile Kohlensäure, Ammoniak und
Wasser, und daſs die allmälige Vereinigung dieser Körper eine Function der Kühl- und
Absorptionsapparate bildet. Der Grund dieser Erscheinung fuſst in dem chemischen
Verhalten fast aller Ammoniumverbindungen bei der Kochhitze des Wassers ganz oder
theilweise in die näheren Bestandtheile zerlegt zu werden. Sind die Bestandtheile
beide gasförmig, so verdampft die Verbindung unter Zersetzung vollkommen; ist die
Säure nicht flüchtig, so nimmt nur Ammoniak Gasform an. Nach den von Dibitts hierüber angestellten Versuchen ist diese
Dissocitation der Ammonium Verbindungen mit starken Säuren allgemein am schwächsten,
mit schwachen Säuren aber am stärksten.
Diese Vorgänge finden für Ammoniumverbindungen schwacher Säuren auch bei gewöhnlicher
Temperatur, ja selbst bei 0° statt, namentlich wenn Wasserstoffgas, also ein
gasförmiges Verdünnungsmittel, der Träger der Zersetzungsproducte ist und wenn
gleichzeitig Wasser mit verdampft.Vgl. Berichte der deutschen chemischen
Gesellschaft, 1872 S. 820. Da das Zerfallen der
Ammoniumverbindungen für gleiche Temperaturintervalle zunehmend bis zu dem Punkt steigt, wo 50 Procent
der Verbindung zerlegt sind, um von nun an für gleiche Temperaturgröſsen stetig
abzunehmen, so folgt hieraus, daſs bei eintretender Abkühlung die Wiedervereinigung
der Spaltungsproducte von einer angenommen vollkommen dissociirten Verbindung rasch
erfolgt für die ersten 50 und wesentlich langsamer für die zweiten 50 Procent; ja
die Vollkommenheit dieser Rückbildung hängt überhaupt von der Art der Kühlung des
Gasgemisches ab und wird besser erreicht, wenn den Componenten eine gewisse Zeit zu
ihrer Wiedervereinigung gegeben wird.Bei Rückbildung des dissociirten Dampfes von Bromwasserstoffamylen C5H11J
resultirt Bromwasserstoff als Zeuge der Zersetzung (Liebig's Jahresbericht, 1865 S. 36), von Chlorwasserstoffamylen
C5H11Cl
aber Chlorwasserstoff (daselbst, 1864 S. 13), wenn schnelle Kühlung
erfolgt. Der Repräsentant dieser Verbindungen ist das auch im
Rohgase auftretende Cyanammonium, welches in Gasform überhaupt nicht auftritt,
sondern ein loses Gemenge von Blausäure und Ammoniak bildet.Wie alle dissociirten Körper macht Cyanammonium eine Ausnahme vom
Volumgesetz: 1 Mol. bildet nicht 2 sondern 4 Vol. Dampf. Aber
auch vom carbaminsauren Ammonium hat A. Naumann
nachgewiesen, daſs seine Dämpfe schon bei –15° 2mm,6 Dissociationsspannung besitzen, welche bei 10° bereits 29mm,8 beträgt und bei 60° Barometerhöhe erreicht
hat.Vgl. Berichte der deutschen chemischen
Gesellschaft 1871 S. 783. Dieser Körper ist wasserfreies
kohlensaures Ammoniak und geht bei Berührung mit Wasser in neutrales kohlensaures
Ammoniak über. Da nun das die Dissociation begünstigende Wasserstoffgas im Leuchtgas
einen Hauptbestandtheil bildet, das Gas mit Wasserdampf fast gesättigt ist, die
Vereinigung des namentlich hier in Betracht kommenden Theiles von Kohlensäure und
Ammoniak gesetzlich eine langsame und überdies von der Art des Kühlens mit abhängig
ist, so erleiden die Folgerungen der Dissociationslehre für das Ammoniak des
Leuchtgases unmittelbare Anwendung.
Es ist also die vollkommene Vereinigung von Kohlensäure und Ammoniak in der
Leuchtgasfabrikation überhaupt nicht annzunehmen. Schon Dr. Gerlach hat vor einiger Zeit freies Ammoniak in den Gaswässern
nachgewiesen; ich habe dies sowohl bestätigt gefunden, als auch beobachtet, daſs die
Menge freien Ammoniaks in dem Gaswasser der Vorlage bedeutender ist als in dem der
ersten Condensatoren, was für die nur schrittweise Vereinigung des Ammoniaks und der
Kohlensäure Zeugniſs ablegt. Da die Dissociationsspannungen des kohlensauren
Ammoniaks von denen des carbaminsauren Ammoniums nicht fern liegen können, sind eben
die Ammoniakmengen des Straſsengases nicht an Kohlensäure gebunden, sondern frei in
demselben vorhanden und geben nun die Brücke zu einer weiteren Klärung der
Naphtalinfrage.
Ich habe gefunden, daſs Naphtalin von wässeriger Ammoniakflüssigkeit in geringer
Menge aufgelöst wird, daſs gleichfalls gasförmiges Ammoniak Naphtalin in höherem
Maſse verdampft als Luft oder Wasserstoffgas. Schüttelt man Naphtalin mit
Ammoniakflüssigkeit und filtrirt, so läſst sich nach dem Uebersättigen mit Salzsäure
bald Trübung erkennen, die nach der Kühlung des Gemisches sich in glänzende
Naphtalinblättchen verwandelt.
Wenn Ammoniakflüssigkeit mit Naphtalin bei 50° digerirt und warm filtrirt wird, so
scheidet sich beim blosen Erkalten des Filtrates nicht wenig Naphtalin in äuſserst
zarten Blättchen aus. Diese Reactionen sind dem ungebundenen Ammoniak
charakteristisch; weder Lösungen von kohlensaurem Ammoniak noch – soweit sie sich
herstellen läſst – zweifach kohlensaurem Ammoniak lösen kalt, noch warm nachweisbare
Mengen Naphtalin.
Von verschiedenen Stoffen werden bei 38° für 100cbm
folgende Mengen Naphtalin dampfförmig fortgeführt:
g
1) Wassergesättigte Luft
191,0
2) Wasserfreie Luft
192,5
3) Wasserstoffgas, wassergesättigt
193,0
4) Luft mit kohlensaurem Ammoniak beladen
195,6
5) Straſsengas
196,0
6) Wasserstoff, mit Schwefelammoniak beladen
200,5
7) Ammoniakgas
204,5
8) Luft, mit dem Dampf der Oele beladen, die dem
Straſsengas bei –20° entzogen sind
205,9.Bei Wiederholung dieser Versuche und jedesmaliger Wiedercondensation
des verdampften Naphtalins bei 19° fand sich, 1) daſs trockene oder
feuchte oder Ammoniak-gesättigte Luft oder feuchtes Wasserstoffgas
oder Steinkohlengas, dem die Leuchtkraft durch Einleiten in
rauchende Schwefelsäure und in Kalilauge vollkommen entzogen war
(mithin nur aus CO, CH4 und H
bestand), das Naphtalin in sehr kleinen, sternförmig gruppirten
Nadeln absetzen, die platt an der Rohrwandung anliegen; 2) daſs
Luft, mit kohlensaurem Ammoniak, Wasserstoff, mit Schwefelammonium
gesättigt, getrocknetes Straſsenleuchtgas oder solches, dem die
leuchtenden Bestandtheile (bei einleitenden Versuchen) nur
unvollkommen entzogen waren, das Naphtalin theils in concentrischen
Nadeln, theils in sehr kleinen Blättchen absetzen; 3) daſs Luft, mit
den Oelen des Straſsenleuchtgases gesättigt oder dieses im
unveränderten Zustand angewendet, die Bedingung für groſsblätterige
Naphtalinabsätze bilden, welche centrisch der Rohrachse zu gerichtet
sind und einer Rohrverstopfung täuschend ähneln.
Hieraus ergibt sich, daſs neben den Oeldämpfen des Leuchtgases
Ammoniakgas lösend auf Naphtalin wirkt. Aus dem Verhalten der Versuche 4 und 6
folgt, daſs diese Körper bei ihrer Verdampfung in der Luft bezieh. dem Wasserstoff
in Ammoniak einerseits und Kohlensäure wie Schwefelwasserstoff zerfallen und
proportional ihrem Ammoniakgehalt an der lösenden Wirkung für Naphtalin sich
betheiligen.
Wenn nun die Scrubber die Ammoniakverbindungen nicht genügend dem Rohgase entziehen,
so gelangen in die Reinigungsmasse bald solche Mengen, daſs sie in der Zeit der
Regeneration nicht völlig verdampfen, mithin, wenn die Reiniger neu beschickt
werden, auch dem darüber hinströmenden Gase wiederholt dargeboten werden und dieses
ammoniakhaltig nach den Gasbehältern strömen lassen. Zu diesen Ammoniakmengen kommt zum Theil
diejenige hinzu, welche als Schwefelammonium im Rohgase vorhanden ist; da nach Buhe's und Henning's
klärenden Untersuchungen über die Schwefelammonium-Aufnahme der Reinigungsmasse dies
sowohl das Eisenoxyd, als auch der in der Reinigungsmasse enthaltene Schwefel thut,
so muſs derjenige Theil Schwefelammonium, welcher vom Raseneisen zersetzt wird,
freies Ammoniak erzeugen, das im Gase enthalten bleibt. Beide Ammoniakquellen sind
im Stande, sowohl auf das in der Reinigungsmasse enthaltene Naphtalin lösend zu
wirken, als auch im Gase bereits vorhandenes Naphtalin an seiner Abscheidung zu
verhindern. Wenn dann in den Stationsgas Zählern durch das zuflieſsende kalte
Brunnenwasser das Gas eine Kühlung erfährt, ist ein neuer Anlaſs gegeben, die
Dissociationsspannung zwischen dem Kohlensäure- und Ammoniakgehalt zu verringern;
mit der Entstehung kohlensauren Ammoniaks fällt aber der Grund für Aufgelösterhalten
von Naphtalin. Man findet es entweder am Boden des Stationsgasmessergehäuses, die
Bewegung der Trommel unter Umständen hemmend; ein anderer Theil wird von dem
Gasstrom noch fortgeweht, aber bald in den Betriebsröhren zwischen Stationsgaszähler
und Behälter-Eingangsrohren in mitunter groſser Menge abgelagert. Weitere Kühlung in
den Straſsenrohren, ja schon Reibung in engen oder gebogenen Rohrleitungen werden
erneute Veranlassung der Vereinigung von Kohlensäure mit Ammoniak, womit
Naphtalinausscheidung eng zusammenhängt. Je weiter die Rohre, desto weniger wird
Winterkälte in das Gas, welches an und für sich die Temperatur schlecht überträgt,
vorschreiten können; in den engen Zuleitungen zu den Häusern aber werden obige
Erscheinungen sich am ersten und am energischsten zeigen. Diese Erörterungen führen
dazu, daſs man darauf Bedacht nimmt, das Naphtalin nach Möglichkeit in der Anstalt
zurückzuhalten. Dazu ist erforderlich, das Gas zur nur immer erreichbaren
Vereinigung von Ammoniak und Kohlensäure möglichst langsam zu kühlen, wie es in
England für diese Zwecke auch geschieht, das Kühlen aber auch bis zur
durchschnittlichen Bodentemperatur von 10° fortzusetzen, wozu endlich stets
Wassercondensation nöthig ist. Man wende der Regeneration der Reinigungsmasse die
gröſste Aufmerksamkeit zu, bringe sie nach luftigen Räumen, welche für den
Winterbetrieb heizbar sind, schaufele die Masse fleiſsig durch einander, lagere sie
in nicht zu hohen Schichten und werfe sie durch Siebe, vereinige sie namentlich
nicht mit den auf der Bodenfläche der Reiniger oft liegenden feuchten Antheilen und
suche für solche Masse, welche zu ⅓ aus Schwefel besteht und gröſsere Mengen
Ammoniaksalze enthält, irgend andere Verwendung, um mit neuer Masse Besseres zu
leisten. Man lüfte bei den ersten Nachtfrösten ununterbrochen die Reinigung, um auf
die Gefäſse und ihren Inhalt nach Möglichkeit die Temperatur abnähme zu übertragen
und dem entsprechend die Dampfspannung des Naphtalins herabzudrücken. Man suche den Ammoniakgehalt
des Straſsengases so niedrig zu bringen als nur irgend möglich; die in England
übliche Grenze von 11g in 100cbm (5 Grains in 100 Cubikfuſs) erachte ich für
viel zu hoch für vorliegende Zwecke; sie sollte nie 2g in 100cbm erreichen.
Um sich stets Gewiſsheit darüber zu verschaffen, daſs die Reinigungsmasse so weit als
irgend thunlich entlastet wird und möglichst lange brauchbar bleibt, sollte man
nicht versäumen, zeitweise den Ammoniakgehalt im Gase hinter den Scrubbern zu
bestimmen. Es ist für praktische Versuche schon genügend, das Gas hinter den
Exhaustoren mit einer Geschwindigkeit von 30l die
Stunde durch eine Waschflasche zu leiten, die 4cc
Zehntelnormal-Schwefelsäure, sowie etwa die dreifache Menge Wasser enthält und mit
Rosolsäure gelb gefärbt ist. Hinter dieser Flasche bringt man eine Waschflasche für
Bleizuckerlösung und läſst dann den Gaszähler folgen. Wenn nach 20l Gasdurchgang die Flüssigkeit ihre gelbe Farbe
noch besitzt, also nicht roth geworden ist, sind in 100cbm des untersuchten Gases weniger als 34g Ammoniak – eine Menge, die auf günstige Wirkung der Scrubber schlieſsen
läſst. Findet man aber mehr Ammoniak, so ist auf bessere Wirkung dieser Apparate
wohl Bedacht zu nehmen.
So lange der Chemie ein Körper fehlt, der das Naphtalin quantitativ zu bestimmen
erlaubt, behaupte ich für das Leuchtgas: Ammoniakbestimmung bedeutet
Naphtalinbestimmung und Ammoniakentfernung ist Naphtalinentfernung.