Titel: Selbstregistrirender Festigkeitsapparat von Wilh. Ritter, Professor am Polytechnicum zu Riga.
Fundstelle: Band 229, Jahrgang 1878, S. 518
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Selbstregistrirender Festigkeitsapparat von Wilh. Ritter, Professor am Polytechnicum zu Riga.Vom Verfasser gef. eingesendeter Abdruck aus der Riga'schen Industriezeitung, 1878 S. 123. Mit Abbildungen auf Tafel 42. Ritter's Festigkeitsapparat. Im Blick auf die wichtige Stellung, welche die Metalle gegenwärtig auf dem ganzen Gebiete der Technik und Industrie einnehmen, ist es nicht zu verwundern, daſs die Natur derselben – und hauptsächlich diejenige des Eisens – mit groſsem Eifer und mit vielem Scharfsinn studirt wird. Eine hervorragende Bedeutung besitzen in dieser Beziehung die von Wähler angestellten Versuche, welche die Bestimmung der Festigkeit von gespannten, gebogenen und gedrehten Metallstäben bei häufig wiederholter Beanspruchung zum Zweck haben. Doch auch das in letzter Zeit in umfassenderer Weise vorgenommene Studium der Elasticitätsverhältnisse ist von hohem Werthe und ertheilt manchen Aufschluſs über die innere Natur der Metalle. Bekanntlich hat Prof. Thurston eine längere Reihe von Versuchen über die Torsionsfestigkeit verschiedener Materialien angestellt (vgl. *1875 216 1. 218 185. 1876 220 193) und zu diesem Zweck einen Apparat benutzt, welcher den Zusammenhang zwischen dem Drehungsmoment und dem Drehungswinkel automatisch registrirt. Im Nachfolgenden soll ein Apparat beschrieben werden, welcher im Princip denselben Zweck verfolgt, indem er den Zusammenhang der spannenden Kraft mit der elastischen Verlängerung bei auf Zug beanspruchten Drähten selbstthätig verzeichnet. Der Apparat ist in Fig. 1 bis 3 Taf 42 in ⅔ n. Gr. dargestellt. Der zu untersuchende Draht wird in zwei Klemmen A und B eingespannt und durch Drehen des Handrädchens H, welches zugleich die Mutter zu der Schraube AA' enthält, angespannt. Damit letztere sich, nicht um ihre Längsachse drehe, ist sie der Länge nach mit einer Nuth versehen, in welche das Schräubchen Q eingreift.So weit ist der Apparat dem von Prof. E. Hoyer construirten (vgl. *1875 218 191) nachgebildet. Alles Uebrige ist indeſsen neu hinzugekommen, so namentlich die Messung der Spannkraft und die selbstthätige Registrirung. Um die ausgeübte Zugkraft zu messen, liegt die Klemme B mit einer Schneide an dem kurzen, eingekerbten Arm eines um C drehbaren Winkelhebels BCE an, an dessen längerem Arm eine feine Kette EF befestigt ist, welche in der Weise mit einem Gewichte in Verbindung steht, daſs ihre Spannung proportional der Drehung des Winkelhebels zunimmt. Im Punkte D ist (bei mittlerer Lage des Winkelhebels unter rechtem Winkel) ein Seitenstab befestigt, der in S den Schreibstift trägt; letzterer wird durch eine kleine Feder f an eine feste Bahn cc' angedrückt und bewegt sich daher stets in gerader Linie. Während man das Rädchen H dreht, wird mittels der Zahnräder Z1 bis Z3, von welchen das erstere mit H fest verbunden ist, die geradlinig geführte Zahnstange Z in Bewegung gesetzt und hierdurch die mit ihr vereinigte Platte P, auf welcher das Papier durch einen einfachen übergeschobenen Rahmen befestigt wird, in der Richtung des aufgezeichneten Pfeiles, d.h. senkrecht zu AB, verschoben. Es ist hiernach klar, daſs die vom Stifte S verzeichnete Linie die relative Bewegung desselben gegenüber der Platte P angibt, und die Verhältniſse sind nun so gewählt, daſs diese Curve in ihren Abscissen, zehnfach vergröſsert, die Ausdehnung des Drahtes und in ihren Ordinaten nach einem bestimmten Maſsstabe die spannende Kraft darstellt. (Die Abscissen sind hierbei parallel der Bewegungsrichtung der Platte P, die Ordinaten senkrecht dazu gemessen.) Um dies zu erkennen, denken wir uns, das Rädchen H mache n Umdrehungen. Dann verschiebt sich die Klemme A., wenn die Schraube AA' emm Ganghöhe hat, um a = nemm nach rechts. Da das Zahnrad Zl 24, das Rad Z2 72 Zähne hat, so macht letzteres in derselben Zeit ⅓n Umdrehungen. Nennt man u den Umfang des Zahnrades Z3, so verschiebt sich demnach die Platte um p=\frac{nu}{3}, oder da n=\frac{a}{e} ist, um p=\frac{au}{3e}. Das Zahnrad Z3 hat nun 15 Zähne, und die Zahndistanz auf der Zahnstange Z beträgt 2mm; folglich ist u=30^{mm}. Ferner ist der Schraubengang e=1^{mm}; somit ergibt sich p=10^a. In derselben Zeit dreht sich der in der Zeichnung in mittlerer Lage dargestellte Winkelhebel BCD um δ in der durch einen Pfeil angegebenen Richtung. Dann bewegt sich die Klemme B in der Richtung gegen A hin um b=BC \times sin\,\,\delta, der Stift S gleitet längs der Bahn cc' um s=CD \times sin\,\,\delta gegen D hinGenau genommen ist s etwas gröſser, da D sich in einem Kreisbogen bewegt, S aber längs einer Geraden gleitet; der begangene Fehler ist indeſsen, da der Winkel δ höchstens zwischen + 7° und – 7° schwankt, verschwindend klein.; es ist demnach s=\frac{CD}{BC}\,b. Die Linie, welche der Stift S beschreibt, finden wir nun folgendermaſsen. Während sich S nach S' (Fig. 2) bewegt, gleitet die Platte P um die Strecke S'S''=p unter dem Stift weg; letzterer gelangt also auf dem Papier nach S''. Bezieht man nun den Punkt S'' durch die Coordinaten x und y auf den Ausgangspunkt S, bezeichnet den Winkel JCD mit φ und berücksichtigt, daſs DS auf CD senkrecht steht, so wird x=p-s\,sin\,\varphi. oder nach Einführung der für p und s gefundenen Werthe x=10\,a-\frac{CD}{BC}\,b\,sin\,\,\varphi. Nun ist aber CD\,sin\,\,\varphi=DJ, folglich x=10\,a-\frac{DJ}{BC}\,b. Da DJ=80^{mm}, BC=8^{mm} ist, so folgt endlich: x=10\,(a-b); . . . . . . . . (1) a-b ist aber die wirkliche Ausdehnung des Drahtes; folglich gibt x, wie behauptet wurde, die zehnfache Ausdehnung an. Zweitens wird die Ordinate der Curve y=s\,cos\,\varphi; bezeichnet man die Verschiebung des Punktes E in der Richtung FE mit e, so verhält sich s:e=CD:CE, oder es ist y-\frac{CD}{CE}\,e\,cos\,\varphi, oder, da CD\,cos\,\varphi=CJ: y=\frac{CJ}{CE}\,e . . . . . . . . (2) Die Ordinate y ist somit der Verschiebung des Punktes E proportional, und damit sie die im Drahte wirkende Kraft repräsentire, muſs die in der Kette EF herrschende Spannung so regulirt werden, daſs sie der Gröſse e proportional bleibt. Zu diesem Zweck ist die Kette um eine cylindrische Rolle R (Fig. 3) geschlungen, welche nebst einer (durchbrochenen) Spiralscheibe L auf einer kleinen Achse ii' (Fig. 2) befestigt ist. Ueber die Spiralscheibe ist eine Schnur gelegt, an deren unterem Ende ein Gewicht G hängt, welches offenbar der in der Kette herrschenden Zugkraft entgegenwirkt. Die Spirale ist eine Kreisevolvente, d.h. sie ist durch Abwicklung eines um einen Kreis geschlungenen Fadens entstanden; daraus folgt, daſs der Hebelarm, an welchem das Gewicht G wirkt, proportional der Drehung der Achse ii', also in der That proportional der Gröſse e zunimmt. Um den Maſsstab zu finden, in welchem der Schreibstift die im Drahte wirkende Kraft aufträgt, bezeichnen wir den Radius des Kreises, dessen Abwicklung die Spirale ergeben hat, mit r', den Radius der Rolle R mit r, den Drehungswinkel der Achse ii' (von der Nulllage aus gerechnet) mit y, die Spannung in der Kette mit K und die im Drahte wirkende Kraft mit T. Dann ist zunächst der Hebelarm des Gewichtes G gleich yr'; denn derselbe nimmt proportional der Drehung zu und ist nach einer Drehung um 360° gleich 2πr'; d.h. gleich dem Umfang des abgewickelten Kreises. Es besteht somit, da K beständig am Hebelarm r angreift, die Gleichheit der statischen Momente G\,\gamma \,r'=R\,r, woraus R=\frac{G\,\gamma \,r'}{r}. Da ferner R und T (mit verschwindendem Fehler) an den Hebelarmen CE \times cos\,\delta, bezieh. BC \times cos\,\delta angreifen, so ist weiter: R \times CE \times cos\,\delta = T \times BC\,cos\,\delta, oder T=\frac{CE}{BC}\,R = \frac{CE \times G\,\gamma\,r'}{BC \times r}, woraus \gamma=\frac{BC \times rT}{CE \times r'G}. Während sich die Achse ii' um den Winkel y dreht, wickelt sich aber die Kette um die Strecke e=\gamma r ab: wir können somit an Stelle von Gleichung (2) setzen: y=\frac{CJ}{CE}\,\gamma\,r, oder nach Einsetzung obigen Ausdruckes für γ: y=\frac{CJ \times BC \times r^2}{CE^2 \times r'G}\,T. . . . . . . . . . . (3) Diese Gleichung stellt das Verhältniſs der Ordinate y zu der Drahtspannung T dar. Durch zweckmäſsige Wahl des Gewichtes G kann man dieses Verhältniſs nach Belieben gestalten. Soll z.B. jedes Millimeter von y ein Kilogramm darstellen, so muſs der Factor von T = 1 sein, oder es ist: G=\frac{CJ \times BC \times r^2}{CE^2 \times r'} . . . . . . . . . . (4) zu machen. In der Ausführung ist CJ=150^{mm},\ BC=8^{mm},\ r=8^{mm},\ CE=190^{mm} und r'=4^{mm},61; folglich muſs in diesem Fall G=0^k,461 sein. Da der Papierstreifen bis zu einer Breite von 35mm befahren werden kann, so ermöglicht dieses Gewicht das Messen von Spannungen bis zu 35k. Doch läſst sich bei so groſsen Kräften der Draht nicht mehr sicher einspannen; auch wird es sehr schwierig, das Handrädchen R zu drehen. Die Versuche sind deshalb stets mit geringern Spannungen ausgeführt worden, und stehen zu diesem Behufe Gewichte von ⅘, ⅖ und ⅕ des obigen Werthes zur Verfügung, so daſs dann in dem verzeichneten Diagramme jedes Millimeter der Ordinate 0,8, 0,4, bezieh. 0k,2 repräsentiert. Die Papiere, auf welchen die Curve (Fig. 4 bis 6) verzeichnet wird, sind durch Quer- und Längslinien in Quadrate von 5mm Seite eingetheilt, so daſs sowohl die Verlängerung des Drahtes, als auch die spannende Kraft leicht abgelesen werden kann. Bezüglich der letzteren stellt ein Theilstrich je nach dem angehängten Gewichte 1, 2, 4 oder 5k dar. Es ist noch darauf aufmerksam zu machen, daſs beim Einspannen eines neuen Drahtes der Zusammenhang zwischen dem Handrädchen H und der Platte P gelöst werden muſs, was durch leichtes Drehen des Schraubenknopfes N, welcher sonst das lose aufgesteckte Zahnrad Z2 anpreſst, rasch geschehen kann. Ferner ist noch zu bemerken, daſs sich an dem hintern Ende der Achse ii' ein kleines auslösbares Sperrrädchen q befindet, wodurch ein schädliches Herunterfallen des Gewichtes G vermieden wird. Endlich sei noch erwähnt, daſs die Spiralscheibe, damit sie nicht in Folge ihrer unsymmetrischen Gestalt ein schädliches Drehmoment auf die Achse ii' ausübe, mit einem kleinen verstellbaren Gegengewicht g versehen ist, welches ihrem Schwerpunkt gegenüber liegt. Der vom Verfasser benutzte Apparat ist vom Mechaniker Franz in Riga ausgeführt worden und arbeitet, abgesehen von kleinen Störungen, die sich nach einiger Uebung leicht beseitigen lassen, mit überraschender Regelmäſsigkeit. Indessen wäre zu wünschen, daſs derselbe von vornherein in gröſserem Maisstabe angefertigt worden wäre, damit die unvermeidlichen Reibungseinflüsse weniger ins Gewicht fallen und stärkere Drähte als blos solche von 0,5 bis 0mm,7 Dicke geprüft werden könnten. Auch erfüllen die Klemmen ihren Dienst bei stärkeren Spannungen nur unvollkommen, indem sie bei glatter Oberfläche den Draht leicht rutschen lassen, bei rauher Oberfläche dagegen denselben zuweilen an der Einspannstelle zu stark quetschen. Gegenwärtig besitzen sie eine kleine Längsrille und wirken befriedigend. Der Apparat ist zunächst zu Demonstrationen in Vorlesungen bestimmt; in welcher Weise und in welchem Umfange er zu praktischen Versuchen (sei es auf dem Gebiete der Metall- oder der Textilindustrie) benutzt werden kann, mag die Zukunft lehren. Jedenfalls besitzt derselbe zwei wesentliche Vorzüge: er ermöglicht ein sehr rasches Experimentiren und liefert die Resultate vollständig unabhängig von jeglichen Beobachtungsfehlern. Um die Wirksamkeit des Apparates zu illustriren, sind in Fig. 4 bis 6 einige Proben von Diagrammen, genau nach den Originalen copirt, aufgenommen worden, und zwar in natürlicher Gröſse. Die (nach links positiven) Horizontalen stellen die zehnfachen Verlängerungen, die Ordinaten die Spannungen (im Maſsstab 1mm = 0k,4) dar. Fig. 4 zeigt zunächst das Diagramm für einen Eisendraht von 0mm,46 Durchmesser und 80mm Länge. Die Curve beginnt mit einer schwachen Concaven, welche wahrscheinlich gröſstentheils der ersten Geradstreckung zuzuschreiben ist.Nach den von Prof. Bauschinger angestellten Experimenten zeigen die Diagramme auch bei der gröſsten Genauigkeit stets eine anfängliche Concavität, und findet dieselbe offenbar in der Natur der Metalle ihren Grund; bei den vorliegenden Curven haben indeſsen jedenfalls beide Factoren mitgewirkt und dürfte es schwierig sein, zu entscheiden, wie viel auf Rechnung des einen und 'wie viel auf Rechnung des andern zu setzen ist. Dann steigt sie ziemlich geradlinig und steil an, biegt sich hierauf langsam herum, wird flacher und endigt im Punkte B, welcher die Bruchstelle bezeichnet. (Der Stift springt an der Bruchstelle stets ein wenig zurück, wodurch der kleine, abwärts gerichtete Strich entsteht, der natürlich mit dem Wesen der Curve nichts zu thun hat.) Die Festigkeit des Drahtes findet sich gleich 11k,8, die Verlängerung bis zum Bruch gleich 1mm,7. Die Elasticitätsgrenze liegt da, wo die Linie sich zu krümmen anfängt, ist indeſsen im vorliegenden Beispiel nicht genau erkennbar. Der Elasticitätsmodul lieſse sich aus der anfänglichen Neigung der Curve berechnen, jedoch nur angenähert. Um den Einfluſs zu zeigen, welchen das Ausglühen eines Drahtes auf seine Festigkeit und Elasticität ausübt, wurden in Fig. 5 zwei Eisendrähte von gleichem Durchmesser und gleicher Länge, jedoch der eine in geglühtem. der andere in ungeglühtem Zustande, behandelt. Der Unterschied bezüglich der Festigkeit sowohl, als bezüglich der Dehnbarkeit ist überraschend groſs; erstere ist durch das Ausglühen ungefähr auf die Hälfte herabgesunken, letztere dagegen beinahe auf das Fünffache gestiegen. Die Elasticitätsgrenze ist hier besser erkennbar- sie befindet sich ungefähr da, wo der Buchstabe E steht. In Fig. 6 ist ein etwas dickerer, ausgeglühter Draht wiederholt angespannt worden. Es entsteht hierbei der schon von Thurston construirte Linienzug. Der zurückgehende Stift beschreibt stets eine Gerade, aus deren unterem Ende die bleibende Verlängerung des Drahtes zu ersehen ist. Bei der Neuanspannung verfolgt der Stift dieselbe Gerade bis fast an ihr oberes Ende und lenkt dann mit schwacher Abbiegung wieder in die alte Bahn ein. Die Elasticitätsgrenze (welche, wie gesagt, da anzunehmen ist, wo die Curve aus der geraden Richtung in die krumme überzugehen beginnt) rückt, wie aus diesem Diagramme zu ersehen ist, bei jeder neuen Anspannung etwas höher hinauf. Aus dem Umstände, daſs sich der Stift auf den verschiedenen Zwischenbewegungen in paralleler Richtung bewegt, ist zu schlieſsen, daſs sich der Elasticitätsmodul während dieser Behandlung nicht wesentlich geändert hat.

Tafeln

Tafel Tafel 42
Tafel 42