Titel: | Positive Ventilsteuerung von L. A. Riedinger. |
Autor: | Müller-Melchiors |
Fundstelle: | Band 235, Jahrgang 1880, S. 89 |
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Positive Ventilsteuerung von L. A. Riedinger.
Mit einer Abbildung.
Müller-Melchiors, über Riedinger's Ventilsteurerung.
Die schon lange in fachmännischen Kreisen gehegte und wiederholt öffentlich
ausgesprochene Ansicht, daſs sich mit positiven,
selbstthätig regulirten Steuerungen genau ebenso günstige Durchschnittsresultate
erzielen lassen wie mit den von der Instandhaltung so sehr abhängigen Präcisionssteuerungen ist endlich, vielleicht
hauptsächlich durch die Ausstellungsmaschinen von Ch.
Brown in Winterthur und A. Collmann in Wien,
populär geworden und das gegen Auslösemechanismen abgestumpfte Genie der Erfinder
wendet sich wieder der Ausbildung positiver Steuerungen zu. Zwei Postulate sind uns
jedoch als Haupterforderniſs jeder neuen Construction aus der Blüthezeit der
Präcisionssteuerungen geblieben: die selbstthätige
Regulirung des Füllungsgrades durch den Regulator und die Vermeidung des schleichenden Oeffnens und Schlieſsens
der Dampfvertheilungsorgane.
Die selbstthätige Regulirung, verbunden mit den bei den Original-Corliſssteuerungen
nicht überschreitbaren niederen Füllungsgraden sind jedenfalls die Hauptursache der
glänzenden Erfolge von Corliſs und muſsten seiner Zeit
um so mehr zur Verbreitung der Präcisionssteuerungen beitragen, als die
selbstthätige Regulirung der damals fast allgemein bei Betriebsmaschinen
angewendeten Schiebersteuerungen groſse Schwierigkeiten bereitet. Die hier
auftretende gleitende Reibung bedingt entweder eine vollkommene und verläſsliche Schieberentlastung, oder einen vom Regulator
gesteuerten Kraftübertrager – beides Aufgaben, welche
vor zwei Jahrzehnten in allgemein anwendbarer Weise nicht gelöst waren und es
vielleicht heute noch nicht sind. Neben dem Schieber war in der Entwicklungsperiode
der Präcisionssteuerungen das Ventil als Steuerungsorgan fast nur bei Förder- und
Wasserhaltungsmaschinen vertreten, welche der Natur der Sache nach keine
selbstthätige Regulirung erfordern; nach dem epochemachenden Vorgehen von Sulzer wurde jedoch auch das Ventil in den Bereich der
Präcisionssteuerungen gezogen, dessen allgemeine Anwendbarkeit nachgewiesen und in
Paris 1878 arbeiteten die neueren Präcisionssteuerungen ausschlieſslich mit Ventilen
(vgl. * 1879 233 1).
Erst spät beachtete man, wie sehr sich das Ventil auch zu positiven Steuerungen mit
selbstthätiger Regulirung eignet, da es beim Anheben durch entsprechende
Doppelsitzconstructionen zum groſsen Theil, nach erfolgtem Oeffnen jedoch unter
allen Umständen, vollständig entlastet wird und so dem Eingriffe des Regulators
leichtes Spiel gewährt, ohne die stets complicirten Kraftvermittler indirect
wirkender Regulatoren zu erfordern, so daſs sich diesen einen und hauptsächlichsten
Vorzug der Präcisionssteuerung im vollen Maſse auch die positive Steuerung aneignen
kann.
Was den zweiten Punkt, das rasche Oeffnen und Schlieſsen der Einströmung und
Ausströmung, betrifft, so findet die Oeffnungsbewegung ohnedies bei den
Schiebersteuerungen rascher statt als bei den meisten Präcisionssteuerungen; der
rasche Schluſs der Ausströmung ist unseres Wissens nur bei einer Präcisionssteuerung erreicht (vgl. Walschaerts * 1879 233 13) und wird im Allgemeinen als nebensächlich
betrachtet; es bleibt somit nur der rasche Schluſs der
Einströmung, den die Präcisionssteuerung gegenüber der positiven Steuerung
voraus hat und welcher – der Natur der Sache nach eigenstes Kriterium der
Präcisionssteuerung – der positiven Steuerung, soll sie
diesen Namen verdienen, stets unerreichbar bleiben muſs.
Obwohl wir nun jenen Behauptungen, welche den raschen Schluſs der Einströmung als
etwas Nebensächliches hinstellen und gerade die von gewissen Erfindern jeweilig
erreichten Aufschlaggeschwindigkeiten als das zulässige Maximum erklären, durchaus
nicht beizustimmen vermögen und vielmehr der Ansicht bleiben, daſs eine vollkommene Steuerung nur in der vollen Entwicklung der
Präcisionssteuerung gefunden werden kann, so darf
doch andererseits nicht geleugnet werden, daſs die bei der Präcisionssteuerung erreichbare Absperrgeschwindigkeit in sehr vielen
Fällen thatsächlich nicht erreicht wird, und daſs ganz allgemein der gute Effect der
Präcisionssteuerung in bedeutend höherem Grade durch die Vollkommenheit der Wartung
bedingt wird, als dies bei irgend einer positiven Steuerung der Fall ist. Es kann
daher mit vollem Rechte behauptet werden, daſs bei der durchschnittlich und speciell
bei kleineren Maschinen angetroffenen Instandhaltung der Präcisionsmechanismus kaum
etwas voraus hat vor einer gut construirten, selbstthätig regulirten positiven
Steuerung. Aus diesem Gesichtspunkte erscheinen die neueren Ausbildungen positiver
Steuerungsmechanismen zu selbstthätig regulirten Ventilsteuerungen als eine richtige
und naturgemäſse Entwicklung, und wenn hierbei theilweise auf ältere und längst
bekannte Anordnungen zurückgegriffen wird, so ist die neuartige Weise ihrer
Anwendung ein darum nicht geringeres Verdienst.
Die hier vorliegende Steuerung der bekannten Maschinenfabrik L. A. Riedinger in Augsburg (* D. R. P. Nr. 8155
vom 29. Juni 1879) unterscheidet sich principiell nicht von einer Coulissensteuerung
und ist speciell der
Fink'schen Coulisse ziemlich nahestehend; ihre Verbindung mit den Ventilen, die
Durchführung der selbstthätigen Regulirung und endlich eine besondere Construction
zur Erzielung raschen Oeffnens und Schlieſsens der Einströmventile ist durchaus neu
und originell.
Textabbildung Bd. 235, S. 91
Von je einem gemeinsamen Excenter, welche auf der längs des Cylinders gleich schnell
mit der Schwungradwelle rotirenden Steuerwelle aufgekeilt sind, empfangen Ausström-
und Einströmventile jedes Cylinderendes ihre Bewegung, das Ausströmventil in fester
Verbindung, das Einströmventil durch Vermittlung einer Coulisse, in welcher das
untere Ende der Ventilzugstange vom Regulator verschoben wird. Die Steuerwelle ist
in der beigegebenen Figur mit s, die Regulatorwelle mit
r bezeichnet; ein dritter unter r gelagerter Fixpunkt f
führt das eine Ende eines abgekröpften Hebels (in der Figur horizontal schraffirt),
der in einem mittleren Punkte mit dem Excenterbügel verbunden ist und an seinem
unteren Ende die zum Ausströmventil führende Zugstange angelenkt hat. Im
Scheitelpunkte dieses ausgekröpften Hebels ist das eine Ende einer gekrümmten Coulisse gelagert,
deren anderes Ende durch eine Lenkstange mit einem zweiten Punkte des Excenterbügels
verbunden ist. Das Excenter ist in der Figur knapp vor dem todten Punkt der Maschine
gezeichnet; es bewegt sich nach dem Pfeile 1 und setzt
damit den Angriffspunkt des abgekröpften Hebels – um den Fixpunkt f schwingend – nach dem Pfeil 2 in Bewegung, den anderen Angriffspunkt im Excenterbügel in einer
elliptischen Curve nach dem Pfeil 3. Dem entsprechend
bewegt sich der eine Endpunkt der Coulisse in der Richtung 4, der andere nach 5; die Richtung 4 bleibt bis zum halben Kolbenhub beibehalten und geht
dann zurück, während das andere Coulissenende während des ganzen Hubes in der
Richtung 5 fortschreitet. Wird somit die Zugstange des
Einströmventiles vom Regulator nach rechts geschoben, so findet während des halben
Kolbenhubes Anhub, während der zweiten Hubhälfte Rückgang des Ventiles und dem
entsprechend volle Füllung statt; nach dem Pfeile 5
dagegen wird überhaupt das Ventil nicht gehoben und herrscht die Füllung Null.
Es wird demnach hier wie bei allen Coulissensteuerungen derselbe Effect erzielt wie
durch ein in Voreilung und Hub variables Excenter; am rechten Coulissenende lieſse
sich hier ein Excenter von der Voreilung Null, für links ein Excenter mit 90°
Voreilung – diametral gegenüber der Kurbel – substituiren; Zwischenstellungen der
Coulisse entsprechen selbstverständlich mittlere Füllungsgrade. Der Anhub beginnt,
bei passender Krümmung der Coulisse, für alle Füllungsgrade im gleichen
Zeitpunkt.
Diese geistreiche Construction erreicht somit in einfacher Weise das eine
Erforderniſs einer modernen positiven Steuerung: die selbstthätige Regulirung auf
alle Füllungsgrade; der schnelle Anhub würde jedoch hier, bei directer Hebel
Verbindung der Zugstange mit dem Ventil, nicht erreicht, besonders bei niederen
Füllungsgraden, denen ein groſser Voreilungswinkel entspricht. Es wurde darum die
eigenthümliche, aus der Figur ersichtliche Anordnung des Ventilhebels gewählt;
derselbe hat keinen festen Drehpunkt, sondern liegt, durch eine Feder angepreſst,
auf einer schwach gekrümmten Bahn, nur am Ende mit einer Zahncurve eingreifend. Beim
Anhub der Stange in der Richtung des Pfeiles 6 ruht der
Hebel auf der dem Ventil zunächst liegenden Kante seiner Bahn und bewirkt demnach
mit einem zur Kraftäuſserung günstigen Hebelarm das erste Anheben des Ventiles; nach
kurzem Weg jedoch hat sich der Hebel über die ganze Bahn abgewälzt und dreht sich
nun um das verzahnte Ende, den Weg der Ventilstange mehrfach übersetzend, und
bewirkt derart die weitere Oeffnung des nunmehr völlig entlasteten Ventiles mit
groſser Beschleunigung.
In dieser Weise geschieht das Oeffnen des Ventiles mit groſser Kraftübertragung, der
Schluſs im letzten Momente langsam genug, um rasche Abnutzung zu vermeiden, während unmittelbar vorher
das Ventil mit voller Geschwindigkeit niederging und so ein Abdrosseln des
Admissionsdampfes thunlichst beseitigt.
Müller-Melchiors.