Titel: | Russische Frucht- und Waldbeerenweine; von C. O. Cech. |
Autor: | C. O. Cech |
Fundstelle: | Band 237, Jahrgang 1880, S. 248 |
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Russische Frucht- und Waldbeerenweine; von
C. O. Cech.
Cech, über russische Frucht- und Waldbeerenweine.
Der Mangel, an welchem Rufsland in Folge seiner klimatischen Verhältnisse im Norden
und Westen an einheimischen Traubenweinen leidet, wird theilweise durch die im
steten Wachsen begriffene Weinkultur des Kaukasus und der Krim gedeckt. Die
eigentümlichen klimatischen Verhältnisse von Nord- und Mittelruſsland sind aber der
massenhaften Production von Waldbeeren derart günstig, daſs man trotz der Verwendung
derselben zur Fabrikation von Fruchtconserven, Muſs und Eingesottenem, sowie zur
Branntweinfabrikation, die zur Verfügung stehenden ungeheuren Mengen von Waldbeeren
nicht aufzubrauchen im Stande wäre, wenn dieselben nicht zur Herstellung von
Fruchtwein Verwendung fänden. Sowohl diese Weine selbst, als die Kenntniſs über das
massenhafte Vorkommen und Verwenden von Waldbeeren zur Weinfabrikation ist in
Deutschland vollkommen unbekannt.
Ich habe im Auftrage der kais. freien ökonomischen Gesellschaft in St. Petersburg die
in Rufsland gebräuchlichen Frucht- und Waldbeerenweine einer eingehenden
Untersuchung unterworfen, über deren Resultate ich andern Orts ausführlich berichten
werde. In dieser Mittheilung soll nur eine allgemeine Charakterisirung dieser
russischen Specialitäten – die daselbst keine unbedeutende wirthschaftliche Rolle
spielen könnten – gegeben werden.
Es werden in Rufsland im Ganzen 15 Sorten von Fruchtweinen erzeugt. Das Material
hierzu bietet aus der Reihe der Obstarten nur der Apfel; auſserdem verwendet man 13
Arten von Wald- und Gartenbeeren, welche theils für sich, theils gemischt zur
Darstellung des sogen. „Mischweines“ (russischen Smjes) verarbeitet werden. Als Zugaben für die gepreſsten und gegohrenen
Fruchtsäfte wird nur reinster Kornsprit, Sandzucker und Honig verwendet.
Die zur Fabrikation der Fruchtweine dienenden Apparate beschränken sich nur auf
Pressen, Filter und Gährbottiche, aus denen der Wein sogleich in Fässern und
Flaschen gefüllt wird. Läſst man den zugegebenen Zucker und Alkohol mit den
Fruchtsäften vergähren und ist die Fabrikation eine rationelle, so erzielt man in
Farbe, Geschmack und Bouquet ein Product, welches vielen Rebenweinen gleichkommt.
Durch die Anwendung von Honig statt des Zuckers erzielt man ein eigentümliches
reiches und angenehmes Bouquet, das an den „Methwein“ (vgl. 1878 227 395) erinnert.
In einem Staate, wo die Rebenwein-Erzeugung noch nicht jene Entfaltung erreicht hat,
welche von den vorzüglichen Weingegenden des Kaukasus und der Krim mit Bestimmtheit
zu erwarten ist, verdient die Verwendung von Waldbeeren zur Fabrikation eines
wohlschmeckenden und gesunden Getränkes, von welchem die Darstellung eines Liter nur
16 Kopeken (52 Pf.) beträgt, vom volkswirthschaftlichen Standpunkte und als
Verdrängungsmittel des Branntweins immerhin Beachtung.
Aus der Reihe der genieſsbaren Früchte und Waldbeeren finden folgende Pflanzenarten
fabriksmäſsige Verwendung zur Darstellung der Fruchtweine: Pyrus malus, Pyrus aucuparia, Ribes album, Ribes rubrum, Ribes nigrum, Ribes
granularia, Rubus idaeus, Rubus Chamaemorus, Rubus fructicosus, Fragaria vesca,
Vaccinium myrtillus, Vaccinium uliginosum, Vaccinium vitis idaea, Oxycoccos
palustris. Die aus Aepfeln, Stachelbeeren, Johannisbeeren und Himbeeren
dargestellten Weine sind nach ihren Eigenschaften auch im Westen bekanntlich erwähne
demnach hier nur derjenigen Fruchtarten, die im europäischen Westen entweder gar
nicht oder nur sporadisch vorkommen, oder deren Verwendung zur Weinfabrikation eine
in Rufsland übliche Specialität darstellt. Es sind dies:
Der Moosbeerenwein aus den Früchten des Oxycoccos palustris. Der Most dieser Beere wird in Folge
seines Gehaltes an Citronensäure als kühlendes Getränke bei Fieberkranken
angewendet.
Der Sumpfbrombeerenwein aus den Beeren des Rubus Chamaemorus. Diese niedrig wachsende Pflanze ist
charakteristisch für die im Norden vorkommenden mit Moos bewachsenen Sümpfe. Sie hat
einfache, nierenförmige Blätter, groſse weiſse Blüthen und orangegelbe, Beeren. Die
Beeren werden theils roh, theils eingelegt und eingekocht, sowie zur Weinfabrikation
verwendet, während die Blätter der Sumpfbrombeere als Heilmittel gegen die
Wassersucht Anwendung finden.
Der Blaubeerenwein aus den Früchten des Vaccinium uliginosum. Die Blaubeere unterscheidet sich
von der ebenfalls zur Weindarstellung verwendeten Schwarzbeere durch runde Aeste,
ganzrandige, unten schwarzblaue, umgekehrt eiförmige Blätter. Sie hat weiſse
Blüthen, die Beeren sind länglich und schwarz, mit schwarzblauem Anfluge. Die Beeren
werden frisch und zur Weinbereitung, in Sibirien sogar zur Branntweinfabrikation
verwendet.
Der Preiselbeerwein aus den Beeren des Vaccinium vitis idaea. Die Preiselbeere wächst in
Rufsland in sandigen Kiefer- und Nadelholzwäldern in groſsen Mengen. Sie wird auſser
zu Eingesottenem in groſsem Maſsstabe zur Weinbereitung verwendet.
Der Ebereschenwein aus den Früchten des Pyrus Aucuparia. Die Eberesche ist der häufigste Baum
des nördlichen Rufslands. Die Beeren desselben werden zur Darstellung von Muſs,
Liqueuren, sowie zur Weinfabrikation verwendet. Diesem Weine kommt eine
stuhltreibende Wirkung bei. Die aus der Eberesche dargestellten Weine enthalten
Sorbin, Sorbinsäure und den nichtgährungsfähigen, mit dem Mannit und Dulcit isomeren
Sorbit.
St. Petersburg, Mai 1880.