Titel: | Bedeutung der technischen Rohstofflehre (techn. Waarenkunde) als selbstständiger Disciplin und über deren Behandlung als Lehrgegenstand an techn. Hochschulen; von Dr. Julius Wiesner, o. ö. Prof. an der Wiener Universität. |
Autor: | Julius Wiesner [GND] |
Fundstelle: | Band 237, Jahrgang 1880, S. 401 |
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Bedeutung der technischen Rohstofflehre (techn.
Waarenkunde) als selbstständiger Disciplin und über deren Behandlung als Lehrgegenstand
an techn. Hochschulen; von Dr. Julius
Wiesner, o. ö. Prof. an der Wiener
Universität.
(Fortsetzung der Abhandlung S. 319 dieses
Bandes.)
Wiesner, über die technische Rohstofflehre.
Nach diesem Excurse nehme ich den früher fallen gelassenen Faden wieder auf und gehe
an die Beantwortung der Frage, ob nicht besondere Kategorien von organischen Rohstoffen existiren,
welche in der technischen Rohstofflehre eine besondere Berücksichtigung
verdienen.
Es ist unschwer, die structurbesitzenden als solche
sofort zu erkennen. Diesen gegenüber ist der Techniker, wie wir ihn uns heute noch
zu denken haben, meist ganz machtlos. Welche Mittel stehen ihm zu Gebote, um die in
chemischer Beziehung fast gänzlich übereinstimmenden Stärkearten und Pflanzen- oder
Thierfasern zu erkennen oder zu unterscheiden? Für die ersteren gibt es keine
chemischen Reactionen, durch welche man sie aus einander halten könnte. In Betreff
der vegetabilischen Fasern gilt fast dasselbe. Wohl kann man, wie ich es ja selbst
zuerst vorschlug, rohe Jute in Folge ihrer starken
Verholzung durch schwefelsaures Anilin und durch Phloroglucin (und nachträgliche
Anwendung von Salzsäure) von rohem Flachs und bei einiger Sorgfalt von rohem Hanf
unterscheiden. Aber wie viele Pflanzenfasern sind verholzt. Nun zerstört der
Bleichproceſs die Holzsubstanz und alle gebleichten Pflanzenfasern sind chemisch
reine Cellulose. Es gibt also für die gebleichten vegetabilischen Fasern keine
chemischen Unterscheidungsmittel. Nicht viel anders ist es in Betreff der
animalischen Fasern. Doch will ich, um mich kurz zu fassen, auf diese Rohstoffe hier
nicht näher eingehen, sondern auf einige andere charakteristische Beispiele
übergehen.
Für die Unterscheidung der Holzarten bildet die histologische Prüfung geradezu den
wichtigsten Behelf. Wohl kann man einzelne der Farbhölzer auf Grund chemischer
Reactionen aus einander halten; doch führt selbst bei diesen Hölzern die chemische
Prüfung nicht immer aus Ziel. Man denke an die nicht unbeträchtliche Zahl von
„Rothhölzern“, denen allen als färbendes Princip des Brasilin zu Grunde
liegt, die also alle die gleichen Farbenreactionen geben. Und doch wünscht man aus
rein praktischen Gründen die Arten dieser Farbhölzer: Fernambuk-, St. Martha-,
Sapanholz u. dgl. zu kennen. Hier kann nur die mit Zuhilfenahme des Mikroskopes
ausgeführte morphologische Untersuchung zum Ziele führen. Und nur auf diesem Wege
lassen sich fremde und zur Verfälschung dienende Beimengungen im geschnittenen oder
geraspelten Farbholz ausfindig machen.
Nun gibt es eine groſse Zahl von Hölzern, die keine charakteristischen
Farbenreactionen geben und auch genau gekannt sein sollen. Auch hier muſs zur
mikroskopischen Untersuchung gegriffen werden, Nur auf diese Weise läſst sich
beispielsweise echtes Ebenholz von den Imitationen, Fichten- von Tannenholz, Föhren-
von Lärchenholz, echtes Mahagoni- von Cailcedraholz u.s.w. unterscheiden.
Die Gerberrinden haben an Zahl schon so zugenommen, daſs man sie nach äuſseren
Kennzeichen nicht mehr unterscheiden kann, und da die chemischen Reactionen auf die
in ihnen enthaltenen Gerbstoffe nicht specifischer Art, sondern Klassenreactionen
sind – man denke nur an
deren Verhalten gegen Eisensalze – so muſs auch hier die mikroskopische Prüfung
eintreten. Wie viele dieser Rinden finden sich im Handel in so zerkleinertem
Zustande vor, daſs sie nur durch das Mikroskop auf ihre Herkunft und bezüglich ihrer
Reinheit geprüft werden können.
Ich glaube, daſs diese Beispiele genügen werden, um die groſse Rolle zu kennzeichnen,
welche die structurbesitzenden organischen Rohstoffe in der technischen
Rohstofflehre spielen.
Aber auch die structurlosen Pflanzen- und Thierstoffe
müssen, wenigstens zum Theile, eine aufmerksame Berücksichtigung finden.
Structurlose organische Stoffe, welche ausschlieſslich oder vorwiegend aus einem
bestimmten chemischen Individuum bestehen, wie z.B. Rohzucker, Terpentinöl und
andere ätherische Oele u. dgl., gehören ganz in den Bereich des analytischen
Chemikers. Es hieſse Wasser ins Meer tragen, wenn man der Rohstofflehre zumuthete,
sich mit solchen Rohstoffen zu beschäftigen. Gehören dem Sinne nach auch alle
Rohstoffe in ihr Gebiet, so müssen in ihr doch viele aus Gründen, die schon oben aus
einander gesetzt wurden, ganz bei Seite gelassen werden. Die Rohstofflehre ist eine
spätgeborene Disciplin, welche manche der Probleme, die ihr naturgemäſs zugehören,
bereits gelöst vorfindet. Zu solcher Aufgabe gehört die Prüfung all derjenigen
Rohstoffe, die auf ihren Werth nur durch die chemische Untersuchung zurückgeführt
werden können. Hingegen existiren zahlreiche structurlose Pflanzen- und Thierstoffe,
die ganz eigenartige, mit charakteristischen Eigentümlichkeiten ausgerüstete
Naturkörper sind, die aber doch so verwickelte und dabei oft noch sehr wechselvolle
zusammengesetzte Stoffgemenge repräsentiren, daſs sich der Chemiker, wenigstens
bezüglich ihrer Unterscheidung, ganz machtlos fühlt. Ich erinnere hier nur an die
Harze, oder, um ein ganz concretes Beispiel vorzuführen, an jene Gruppe von Harzen,
die im deutschen und französischen Handel unter dem Namen Copal vorkommen. Man weiſs, welchen verschiedenen technischen Werth die
einzelnen Sorten dieser Harze haben; wie sollen sie nun mit Sicherheit unterschieden
werden? Der Chemiker vermag es nicht, der Botaniker ebenso wenig. Sie liegen, wie
schon erwähnt, seinem Interesse ganz fern. Soll man hier die rohe Empirie walten
lassen, oder ist es nicht Aufgabe der technischen Wissenschaften, sich dieses
Kapitels zu bemächtigen, um die Gewerbe auch in Bezug auf diese Stoffe belehren zu
können? Eine Physiographie dieser Körper gelingt ebenso sicher wie die eines
Minerals. Daſs nun gerade der Rohstofflehre die Aufgabe zufällt, solche structurlose
organische Rohstoffe zu charakterisiren, wird wohl nunmehr von selbst
einleuchten.
Ein Rückblick auf unsere der Abgrenzung des Gebietes der technischen Rohstofflehre
gewidmeten Betrachtungen führt zu folgendem Resultate: Die technische
Rohstofflehre hat sich in erster Linie mit den structurbesitzenden Rohstoffen
des Pflanzen- und Thierreiches, ferner mit all denjenigen structurlosen
organischen Rohstoffen zu beschäftigen, welche einer chemischen Charakteristik
unzugänglich, auf ihre Herkunft nur nach naturhistorischen Methoden geprüft
werden können. In ihr Gebiet gehört auch die Prüfung solcher Fabrikate auf ihre
Herkunft, welche ihrer Substanz nach noch die Eigentümlichkeiten des Rohstoffes
an sich tragen.
Ihrem rohen Wesen nach ist die Rohstofflehre die Vermittlerin
zwischen der organischen Naturgeschichte und der Technik, wie etwa die chemische
Technologie die Vermittlerin zwischen der Chemie und den Gewerben ist. Was
sie Nutzbringendes für die Praxis liefern kann, darf willkommen geheiſsen werden,
wenn es nur nach strenger Methode gewonnen ist. Dies muſs betont werden. Mit
dilettantischen Versuchen, die oftmals von in der Botanik und Zoologie ungenügend
unterrichteten Technikern, gewiſs in löblicher Absicht, unternommen wurden, wäre
weniger als nicht geholfen, da solche Versuche nur dazu dienen könnten, das
Vertrauen in die naturhistorisch-technische Untersuchung zu untergraben.
Ich gehe nach dieser Untersuchung über das in die technische Waarenkunde
einzubeziehende Material zu dem zweiten oben markirten Punkte, zu der Frage über:
Wie weit hat die Untersuchung der zu bearbeitenden Stoffe in unserer Disciplin zu
reichen?
Daſs die Prüfung der Stoffe zunächst auf ihre Unterscheidung abzielen soll, die
Rohstofflehre also vor allem eine exacte Charakteristik derselben zu geben habe,
wird man sofort einräumen. Wie weit sie die übrigen Eigenschaften der Rohstoffe zu
untersuchen habe, ist eine Frage, die sich nicht so leicht beantworten läſst und
über welche die Ansichten sehr getheilt sein dürften. Es dürfte in dieser Beziehung
am zweckmäſsigsten sein, sich stets vor Augen zu halten, daſs die Rohstofflehre als
spät geborene Disciplin manches Problem bereits gelöst findet und daſs sie sich nur
durch Lösung neuer, oder durch exacte Lösung bisher nur unvollkommen gelöster
Aufgaben nutzbar machen kann. Einige Beispiele dürften hier am Platze sein. Die
Prüfung der technischen Eigenschaften des Holzes in ihr Bereich ziehen zu wollen,
darf ihr wohl nicht in den Sinn kommen, da sich die mechanische Technologie dieses
wichtigen Gebietes bereits bemächtigt hat. Hingegen könnte sie nützliche Anregung
geben, wenn sie anschlieſsend an die Charakteristik neuer, in den Gewerben noch unbekannter Holzarten auch die wichtigsten
technischen Eigenschaften derselben feststellte und so auf die Verwendbarkeit dieser
Rohstoffe hinwiese. Die Verspinnbarkeit der Fasern praktisch feststellen zu wollen,
wäre gleichfalls ein der Rohstofflehre sehr inhomogenes Unternehmen; hingegen dürfte
es angemessen erscheinen, wenn sie es unternähme, aus den natürlichen Eigenschaften,
namentlich aus bestimmten morphologischen Eigenthümlichkeiten der Fasern ihre
Verspinnbarkeit abzuleiten. Bei der Charakterisirung vieler Rohstoffe ergeben sich häufig von
selbst Erfahrungen, die von technischem Werthe sind. So hat man beispielsweise bei
der Aufstellung der Diagnose von Harzen manchmal auf die Löslichkeitsverhältnisse
derselben Rücksicht zu nehmen; ja es kann nöthig sein, selbe geradezu zu ermitteln,
wobei Wahrnehmungen resultiren können, welche von praktischem Belange sind. Die
Prüfung der technischen Eigenschaften der Rohstoffe ist, wie man sieht, überhaupt
ein Gebiet, auf welchem sich Technologie und Rohstofflehre begegnen und wo es
unmöglich ist, eine natürliche Grenze zu ziehen.
Die Hauptaufgabe der technischen Rohstofflehre ist mithin in
der exacten Charakterisirung der organischen Rohstoffe zu suchen.
Indem man sich vergegenwärtigt, daſs die Rohstoffe im Handel im Zustande
verschiedener Reinheit, ferner oft verfälscht oder in Folge langer Aufbewahrung oder
aus anderen Versuchen verändert erscheinen, so erkennt man, daſs bezüglich der
Charakteristik der Rohstoffe die Sache nicht so einfach liegt wie in der
beschreibenden Naturgeschichte, daſs eben bei der Feststellung der Diagnose eines
Rohstoffes auch auf deren Verunreinigungen, Verfälschungen und Veränderungen
Rücksicht genommen werden müsse.
Die Feststellung der Verfälschungen ist ein sehr wichtiges, aber auch sehr
schwieriges Kapitel der technischen Rohstofflehre und gerade auf diesem Gebiete ist
noch auſserordentlich viel zu leisten. Die technische Literatur weist über diesen
Gegenstand wohl manches Werk auf; es ist aber zumeist darauf kein Verlaſs, weil der
Gegenstand in der Regel von ganz unberufenen Leuten bearbeitet wurde. Klenke's Bücher erfreuen sich in
wissenschaftlich-technischen Kreisen selbstverständlich keines Ansehens, und doch
wird oft genug aus denselben geschöpft, weil über viele Artikel eben nur in diesem
Buche Auskunft zu erhalten ist. Und derartiger Bücher gibt es noch mehrere. Mit
Ausnahme einiger Werke über Verfälschungen von Nahrungsmitteln – von welchen ich als
Beispiel nur das kleine, aber gediegene Buch von Prof. Dr. A. Vogl: Nahrungs- und Genuſsmittel aus dem Pflanzenreiche (Wien 1872),
nenne – ist fast Alles, was über die Verfälschung von technisch verwendeten
Rohstoffen Zusammenhängendes veröffentlicht wurde, noch unreif oder geradezu
schlecht und durchwegs einer erneuten streng wissenschaftlichen Bearbeitung
bedürftig. Der erfahrene Leser wird in manchen dieser Werke finden, daſs den
Rohstoffen Verfälschungen häufig angedichtet werden und daſs andere, die
thatsächlich häufig vorkommen, gar nicht berührt werden, und daſs die Art und Weise,
die Verfälschungen aufzufinden, eine meist sehr unsichere ist. Ich spreche da nur
von den besonderen Werken über Verfälschungen und bemerke gleich, daſs in einzelnen
Abhandlungen sich oft sehr werthvolle Angaben über Verfälschungen von Rohstoffen und
deren Aufdeckung vorfinden. Diese Daten zu sammeln, nochmals zu prüfen und den
Verfälschungen der Rohstoffe (und jener Fabrikate, welche bezüglich ihrer Substanz
selbst noch als Rohstoffe aufzufassen sind, wie die Gespinnstfasern) auf Grund
exacter Methoden nachzuspüren, gehört zu den dankenswerthesten Aufgaben, deren
Lösung der technischen Rohstofflehre zum gröſsten Theile noch vorbehalten
bleibt.
Ich will nun weiter erörtern, welcher wissenschaftlichen Methoden man sich zur
Charakteristik in reinen, veränderten und verfälschten Rohstoffen zu bedienen habe.
Für die organisirten Pflanzen- und Thierstoffe kommt natürlich in erster Linie die
anatomische Methode in Betracht. Bei Technikern ist häufig die Ansicht verbreitet,
daſs man gewisse Objecte, z.B. Gespinnstfasern, nur unter das Mikroskop zu legen
braucht, um sie sofort zu erkennen. Und merkwürdiger Weise findet man selbst in
gröſseren technologischen Werken neueren Datums Abbildungen von Gespinnstfasern,
welche von dieser naiven Auffassung Zeugniſs ablegen. Bringt man je eine Rohfaser
von Flachs, Hanf oder Jute unter das Mikroskop, so ergeben sich gar keine
Anhaltspunkte zur Unterscheidung und erst, wenn man diese Rohfasern durch passende
Macerationsmittel in ihre Zellen zerlegt – am besten gelingt dies durch Anwendung
einer mit etwas Schwefelsäure versetzten Chromsäure –, dann ist man im Stande, aus
den morphologischen Eigenthümlichkeiten der nunmehr freigelegten Zellen auf die Art
der Faser zu schlieſsen. Was ich hier für die Fasern andeutete, gilt für alle
organisirten, d.h. structurbesitzenden Pflanzen- und Thierstoffe: dieselben können
nur nach der Methode der anatomischen Untersuchung mit Erfolg geprüft werden. Die mikroskopisch-anatomische Methode spielt in der
technischen Rohstofflehre geradezu die hervorragendste Rolle, Die
Werthlosigkeit vieler in technischen Werken vorkommender mikroskopischer Daten hat
in der Auſserachtlassung dieses Gesichtspunktes ihren Grund.
Die mikroskopisch-anatomische Untersuchung kann durch chemische Reactionen vielfach
unterstützt werden. Die Chemie hat der Anatomie schon viele Dienste geleistet und
die gemachten Erfahrungen lassen sich bei der Rohstoffuntersuchung häufig mit
Vortheil benutzen. So wird, um nur ein Beispiel zu geben, wie ich zuerst zeigte,
jede verholzte Zelle, deren Membran also neben der Cellulose noch Holzsubstanz
führt, durch schwefelsaures Anilin intensiv gelb gefärbt und nimmt, mit einer
Phloroglucinlösung befeuchtet, auf Zusatz von Salzsäure eine intensiv rothviolette
Farbe an. Dies gibt ein Mittel an die Hand, um stark verholzte Fasern (z.B. Jute)
von schwach verholzten (Hanf) und unverholzten (Flachs, Baumwolle) zu unterscheiden.
Die mikrochemische Untersuchung lehrt häufig mehr als die gewöhnliche chemische
Prüfung. Es werden z.B. manche Fasern, wie ich zuerst auffand, durch Jodlösung auf
weiteren Zusatz von Schwefelsäure grasgrün. Verfolgt man aber die ReactionReation unter dem Mikroskop, so findet man nichts an der Faser, was grün geworden
wäre; denn die Zellmembranen zeigen eine gelbe Farbe, die Inhalte mancher Zellen
(Bastmarkstrahlen) in Folge Stärkegehaltes eine blaue Färbung; das makroskopisch
erscheinende Grün kommt also blos durch die Mischung von Blau und Gelb zu Stande.
Diese Andeutungen mögen genügen, um darzuthun, daſs auch die mikrochemische Prüfung in der Rohstofflehre mit Vortheil angewendet wTerden kann.
Die mikroskopische Untersuchung ist häufig auch in der
Prüfung structurloser organischer Stoffe verwerthbar. Catechu und Gambir
lassen sich unter dem Mikroskop sofort von einander unterscheiden. Ersterer ist
amorph, letzterer besteht, unterm Mikroskop gesehen, aus einem Haufwerk an
Krystallnadeln. Die Güte der Colophonien kann mikroskopisch festgestellt werden. Der
Proceſs der Colophoniumbereitung besteht bekanntlich in der Verwandlung der
krystallisirten Abietinsäure in ihr amorphes Anhydrid. Je vollständiger dieser
Proceſs durchgeführt wurde, als desto besser wird die erzielte Colophoniumsorte
anzusehen sein. Ein gutes Colophonium erscheint im Mikroskope nicht nur frei von den
so charakteristisch geformten (wetzsteinförmigen) Abietinsäurekrystallen, es verhält
sich, zwischen den Nicol'schen Prismen des Polarisationsmikroskopes liegend, völlig
isotrop, indem es das dunkle Gesichtsfeld nicht aufhellt. Für das Gummigutt ist sein
mikroskopisches Verhalten sehr bezeichnend. Ein in Oel liegender Splitter zeigt eine
homogene Grundsubstanz (Gummi), in welche kleine kugelförmige Harzkörnchen
eingebettet sind. Bringt man einen Splitter dieses Gummiharzes in einen Tropfen
destillirten Wassers, so löst sich das Gummi auf und die kleinen Harzkügelchen
bieten nunmehr in der prachtvollsten Weise das Phänomen der Molecularbewegung dar.
Derartige mikroskopisch festzustellende Eigenthümlichkeiten lassen sich aber mit
Vortheil in der Charakteristik der Rohstoffe verwenden.
Daſs man bei derartigen mikroskopischen Prüfungen methodisch zu Werke gehen muſs,
soll durch ein einfaches Beispiel anschaulich gemacht werden. Elemi ist ein
werthvolles Harz, welches mit billigeren Harzen, z.B. mit gemeinem Fichtenharz, oft
verfälscht vorkommt. Mikroskopisch ist diese Verfälschung leicht festzustellen. Ein
Splitter Elemiharz erscheint im Mikroskope völlig amorph und doch besteht es seiner
überwiegenden Hauptmasse nach aus nadelförmigen Krystallen. Dieselben stimmen aber
im Lichtbrechungsvermögen mit der amorphen Grundsubstanz so vollkommen überein, daſs
es zu keiner optischen Differenzirung kommt. Fügt man aber zum Präparate einen
Tropfen Alkohol hinzu, wodurch die amorphe Grundsubstanz in Lösung geht, so erblickt
man im Gesichtsfeld nichts als feine Krystallnadeln. Das Fichtenharz läſst bei
dieser Behandlung die groſsen Wetzsteinformen der Abietinsäure und die amorphe
Grundmasse erkennen, die beide durch den Alkohol corrodirt werden.
Für die Charakteristik organischer, structurloser Waaren müssen zumeist physikalische Eigenschaften herangezogen werden und in
erster Linie diejenigen, welche in der Naturgeschichte zur Charakteristik der
Minerale dienen, wie Form, Härte, specifisches Gewicht, Tenacität, Löslichkeit,
Farbe, Strich, Geruch, Geschmack, Verhalten im gemeinen und polarisirten Lichte u.
dgl., ferner chemische Reactionen. Man braucht nur an
Körper wie die natürlichen Gummiarten und Harze zu denken, um zu erkennen, daſs
deren Charakteristik auf keine andere Weise möglich ist.
Physikalische Eigenthümlichkeiten, welche in der Physiologie studirt werden, lassen
sich oft mit Vortheil auch in der Rohstofflehre verwerthen. So die Lichtabsorption
in Lösungen organischer Farbstoffe. Man beschäftigt sich beispielsweise in der
Pflanzenphysiologie in sehr eingehender Weise mit dem Absorptionsspectrum des
Chlorophylls und trachtet nicht nur die Zahl und Lage der Absorptionsbänder im
Spectrum sowie Stärke der Extinction festzustellen, sondern ist auch bestrebt, die
physiologische Leistung der Lichtabsorption aufzudecken. Nun läſst sich die
Lichtabsorpsion der in manchen Rohstoffen auftretenden Farbstoffe zur Unterscheidung
der ersteren und unter Umständen auch zum Nachweis von Verfälschungen heranziehen,
wie aus folgendem Beispiele hervorgeht.
Im Handel kommt unter dem Namen „Tunisöl“ ein aus noch lebhaft grün gefärbten
Oliven gepreſstes intensiv grünes Oel vor.
Jüngsthin erschien unter demselben Namen ein Oel von ebenso stark grüner Färbung,
welches mit dem ersteren auch in der Dichte vollkommen übereinstimmt. Die
spectroskopische Untersuchung ergab sofort, daſs das letztere gar nicht
chlorophyllgrün ist, indem es eine von dem charakteristischen Chlorophyllspectrum
völlig abweichende Lichtabsorption darbot. Dieses falsche Tunisöl ist offenbar ein
sehr arges, freilich auch in sehr raffinirter Weise hergestelltes Falsificat. Es
wird aus Rüböl, angeblich durch Kochen mit Mennige, dargestellt, wobei es die grüne
Farbe annimmt und dann durch Zufügung von Talg auf die Dichte des Olivenöles
gebracht.
Es scheint auf den ersten Blick befremdlich, daſs in der Rohstoff-Untersuchung
manchmal sogar entwicklungsgeschichtliche
Prüfungsmethoden platzgreifen müssen und selbst physiologische Momente in Betracht zu ziehen sind. Ich will dies durch je
ein bezeichnendes Beispiel belegen.
Ich habe mich davon überzeugt, daſs die Preſshefe im Handel auch mit Bierhefe
verfälscht vorkommt. Der Zusatz rentirt offenbar nur bei Anwendung gröſserer Mengen
des Verfälschungsmittels. Dadurch nimmt die Preſshefe aber eine bräunliche Farbe an
und diese muſs durch Stärke wieder zum Verschwinden gebracht werden. Man sieht,
diese Verfälschung bedingt eine starke Schädigung des Käufers. Da nun die Zellen der
Preſshefe (Branntweinhefe) von denen der Bierhefe direct nicht zu unterscheiden sind und
ferner nur sehr reine Bierhefe zu dieser Sophistication sich eignet, welche ziemlich
frei von Hopfenbestandtheilen igt – an denen man den betrügerischen Zusatz erkennen
könnte – so steht man, trotz Mikroskop, diesem Problem ziemlich machtlos gegenüber.
Ich habe nun einen Weg ausfindig gemacht, welcher zur Aufdeckung dieser Verfäschung
führt. Es ist vor nicht langer Zeit von M. Rees gezeigt
worden, daſs die Hefezelle unter den Vegetationsbedingungen der Schimmelbildung in
ihrem Inneren mehrere, gewöhnlich vier, tetraederartig angeordnete Zellen, sogen.
Askosporen bildet. Ich habe nun zuerst die Beobachtung gemacht, daſs dieses
Verhalten an den Zellen der Preſshefe nicht wahrzunehmen ist, und es wurde später in
meinem Laboratorium von E. Schumacher und sodann von
dem ausgezeichneten Mykologen Brefeld der Nachweis
geliefert, daſs die Askosporenbildung bei Branntweinhefe gar nicht vorkommt und
deren Vermehrung ausschlieſslich durch Sproſsung erfolgt, wohl aber bei der
Bierhefe. Dies gibt nun ein Mittel an die Hand, die Bierhefe neben der Preſshefe
nachzuweisen. Man streicht die zu untersuchende Hefe auf Schwarzbrot, gekochte
Kartoffel oder Mohrrüben auf und hält das Ganze im absolut feuchten Räume bei
mäſsiger Wärme. Nach einigen Tagen findet man bei Anwesenheit von Bierhefe mittels
des Mikroskopes die Askosporen.
Es ist eine merkwürdige Eigenschaft der lebenden Hefe,
die Verbindung des Jods mit Stärke zu blauer Jodstärke zu verhindern, welche
Eigenschaft den Nachweis der bekanntlich auſserordentlich häufig vorkommenden
Verfälschung der Hefe mit Stärke sehr erschwert. Bei Gegenwart von 50 Proc. Stärke
in einer Hefe erhält man durch im groſsen Ueberschuſs zugesetzte wässerige Jodlösung
vorübergehende schwache Färbungen, die aber rasch wieder verschwinden, was zu dem
Glauben Veranlassung geben könnte, daſs nur sehr kleine Mengen von Stärke neben der
Hefe auftreten. Aber selbst ein blos 5 Procent betragender Zusatz von Hefe zu Stärke
beeinträchtigt schon im hohen Maſse die Jodreaction auf die letztere. Würde die Hefe
eine alkalische Substanz ausscheiden, so würde die Sache leicht erklärlich; sie
scheidet aber, wie meine Untersuchungen lehrtenHiervon kann man sich am besten dadurch überzeugen, daſs man eine schwach
alkalische Flüssigkeit, welche durch etwas Phenol-Phtalein geröthet wurde,
der Hefe zusetzt. Die Flüssigkeit wird alsbald entfärbt. Fügt man etwas
Ammoniak zu, so wird die Flüssigkeit wieder roth, aber rasch tritt wieder
eine Entfärbung ein, zum Beweise, daſs die Hefezellen ununterbrochen eine
Säure ausscheiden., so lange sie lebt, continuirlich eine saure
Verbindung aus. Auf die Erklärung dieser Thatsache gehe ich hier nicht ein und
bemerke nur, daſs todte Hefe der Stärke gegenüber sich fast vollkommen indifferent
verhält. Das Factum selbst zeigt aber, daſs man, um die Stärke in der Hefe
nachweisen zu können, die letztere tödten muſs, was am
besten durch länger andauerndes Kochen der Probe zu bewerkstelligen ist. Am raschesten findet man
die Stärke in der Hefe durch das Mikroskop auf.
Diese Andeutungen werden genügen, um zu zeigen, welche Methoden zur Lösung der
Hauptprobleme der technischen Rohstofflehre heranzuziehen sind.
(Schluſs folgt.)