Titel: Verwendung des Compoundsystemes bei Locomotiven.
Autor: Wilman
Fundstelle: Band 238, Jahrgang 1880, S. 373
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Verwendung des Compoundsystemes bei Locomotiven. Mit Abbildungen auf Tafel 27. Verwendung des Compoundsystemes bei Locomotiven. Unter diesem Titel veröffentlicht Maschinenmeister v. Borries in der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure, 1880 S. 447 einen interessanten Vorschlag zur Weiterbildung des Mallet'schen Locomotivsystemes (vgl. 1876 222 187 und 394), über dessen praktischen Werth nun wohl bald endgültige Resultate vorliegen werden, da in der Maschinenbau-Anstalt von Schichau in Elbing zwei kleine Maschinen nach System Borries für die Hannoversche Staatsbahn gebaut werden. Gelegentlich der Besprechung dieses Vorschlages möge die Entwickelung des von Mallet zuerst vorgeschlagenen Compoundsystemes für Locomotiven etwas eingehender besprochen werden. Bekanntlich besteht die Wesenheit der Manschen Construction darin, daſs die Locomotive an Stelle der gewöhnlich gleich groſsen Cylinder je einen Hochdruck- und einen Niederdruckcylinder erhält, während die Anordnung der unter 90° gegen einander versetzten Kurbeln, sowie der übrige Mechanismus unverändert bleibt. Der frische Kesseldampf tritt nur in den Hochdruckcylinder, expandirt dort bis zu einem gewissen Grade und tritt dann zum Niederdruckcylinder über, um von hier aus völlig ausgenutzt durch das Blasrohr zu entweichen. Die Stellung der Kurbeln unter 90° nöthigt selbstverständlich zur Anordnung eines „Receiver“, zu welchem die Rauchkammer den günstigsten Platz bietet, um einen Spannungsabfall des übertretenden Dampfes zu verhindern. Endlich bedarf es einer Vorkehrung zum Einlassen directen Dampfes in den groſsen Cylinder, um bei einer für den kleinen Cylinder ungünstigen Kurbel Stellung das Anfahren zu ermöglichen. Zu diesem Zweck verwendet Mallet einen Schieber (tiroir de demarrage), Reicher, wie der Name besagt, zunächst lediglich für das Anfahren bestimmt ist, weiterhin aber auch dazu benutzbar gemacht wird, um nicht allein das Anfahren, sondern auch das Fahren mit directem Dampf in beiden Cylindern zu ermöglichen und so für auſsergewöhnliche Fälle der Beanspruchung eine Kraftreserve verfügbar zu haben. Dieser „tiroir de demarrage“, welcher sich in seiner erweiterten Function passend mit „Volldruckschieber“ übersetzen läſst, ist, nach der aus Fig. 3 Taf. 27 im Horizontalschnitt ersichtlichen – übrigens durchaus nicht mustergültigen Anordnung – auſsen an die Rauchkammer der Locomotive angesetzt und steht durch die aus der Skizze ersichtlichen Rohre einerseits mit dem Blasrohr, andererseits mit dem Schieberkasten des groſsen Cylinders in Verbindung. Der Schieberkasten des Volldruckschiebers selbst ist durch eine directe Verbindung mit dem Regulator stets mit frischem Kesseldampf erfüllt und entläſst denselben, durch das Rohr e, beständig zum Schieberkasten des kleinen Cylinders. Der aus dem kleinen Cylinder austretende Dampf entweicht durch das Rohr a und gelangt, für die in Fig. 3 gezeichnete Stellung des Volldruckschiebers, unter die Schiebermuschel hindurch zu dem Einströmungsrohr des groſsen Cylinders, welches gleichzeitig den Receiver bildet. Die für den kleinen Cylinder dienende Blasrohrleitung ist verschlossen und die Locomotive arbeitet als Compoundmaschine. Soll dagegen in beiden Cylindern directer Dampf gegeben werden, so wird der Volldruckschieber so weit nach links verschoben, daſs die Einströmung zum groſsen Cylinder dem directen Dampf eröffnet wird, während die durch a austretenden Dampfmengen des kleinen Cylinders unter die Schiebermuschel zu der früher verschlossenen Blasrohrleitung entweichen. Die Stellung des Schiebers findet selbstverständlich vom Führerstand aus statt. Dem in dieser Gestalt vor etwa 6 Jahren ausgearbeiteten Mallet'schen Systeme glaubte, trotz allen Vorurtheiles, mit welchem gerade im modernen Locomotivbau alle Neuerungen betrachtet werden, Niemand eine wesentliche Oekonomie des Dampf-Verbrauches absprechen zu dürfen; dagegen fürchtete man andererseits durch den nur zweimaligen Auspuff für jede Umdrehung eine Verminderung der Dampf-Erzeugung und ferner durch die ungleich groſsen Cylinderdrücke sowohl beim directen, als beim combinirten Gang eine gefährliche Erhöhung der schlingernden Locomotivbewegungen. Daſs sich auch die Stimmen der so genannten „Praktiker“ gegen die Complication durch das Receiverrohr und den Volldruckschieber laut machten, ist ja selbstverständlich. Auffallend genug bewiesen sich die zumeist befürchteten Nachtheile des Mallet'schen Systemes bei den zahlreichen Ausführungen (auf der französischen Bahn Bayonne-Biarritz, auf der französischen Nordbahn, auf der österreichischen Nordbahn u.a.) als thatsächlich nicht vorhanden, wiewohl Jeder bestätigen muſs, der mit Mallet'schen Locomotiven gefahren ist, daſs die Dampferzeugung sowie die Ruhe des Ganges gegen die normalen Locomotiven keine bemerkenswerthen Unterschiede aufweisen. Dies ist auch ganz einleuchtend, wenn einerseits erwogen wird, daſs doch unter allen Umständen und mit nur wenig abweichenden Spannungen so viel Dampf durch das Blasrohr entweicht, als erzeugt wird, und andererseits berücksichtigt, daſs bei richtiger Balancirung der Massen der hauptsächlichste Grund des Schlingerns in den einseitig auftretenden Cylinderdrücken zu suchen ist. Dann ist es ohne weiteres klar, daſs eine Compoundmaschine, welche bei gleicher Leistung längere Admissionsperioden in beiden Cylindern hat als eine normale Locomotivmaschine, unter Umständen weniger schlingert, da sich hier die beiderseitigen Füllungsperioden theilweise überdecken, während bei einer hoch expandirenden direct wirkenden Maschine gewissermaſsen nur momentane Stöſse in allen vier Cylinderenden auftreten und so unvermeidlich schlingernde Bewegungen hervorrufen. Die effective Leistung der einen oder anderen Cylinderseite hat damit absolut nichts zu thun, wie ja eine Locomotive völlig ruhig gehen könnte, wenn beide Cylinder (selbstverständlich auf Kurbeln unter 180° wirkend wie bei der Duplexmaschine der österreichischen Staatsbahn auf der Londoner Ausstellung 1862) nur auf einer Seite angebracht wären und somit die ganze Kraftentwicklung einseitig stattfände. Aus diesem Grunde hält Verfasser auch den von Mallet nachträglich eingeführten Dampfdruckreductor für völlig überflüssig. Derselbe ist in bekannter Einrichtung mit einem selbstregulirenden Differentialkolben derartig im Volldruckschieber angeordnet, daſs der Dampf zum kleinen Cylinder ungehindert durchströmt, dagegen der für den groſsen Cylinder bestimmte directe Dampf im Verhältniſs der beiderseitigen Cylinderflächen reducirt wird, so daſs auch im groſsen Cylinder kein gröſserer Anfangsdruck auf das Gestänge stattfinden kann wie im kleinen. Diese Einrichtung hat allenfalls einige Bedeutung, um bei sehr leicht construirten Maschinen das Gestänge auf beiden Seiten möglichst schwach halten zu können; – in der gewöhnlichen Ausführung unserer Locomotiven, bei welchen die Dimensionen der Bewegungstheile mit Rücksicht auf die normalen Abnützungsdrücke weitaus groſser gewählt sind, als es für die Festigkeit erforderlich wäre, kann eine vorübergehende Mehrbelastung des auf Seite des Niederdruckcylinders befindlichen Mechanismus unbesorgt gestattet werden. Thatsächlich wird versichert, daſs die nach Mallet'schem Compoundsystem reconstruirte Locomotive der österreichischen Nordbahn ohne Reductionsapparat arbeitet, dabei ihr früheres Gestänge auf beiden Seiten unverändert beibehalten hat, ohne daſs sich, selbst bei lange andauerndem directem Gang unruhige Bewegungen oder schädliche Beeinflussungen des Mechanismus gezeigt hätten. Während derart die einzig rationell erscheinenden Einwände gegen das Mallet'sche System durch die Erfahrung ganz oder zum groſsen Theil widerlegt wurden, stellte sich merkwürdiger Weise auch heraus, daſs die erwartete Dampf- und Kohlenersparniſs nur in geringem Maſse eintrat, ja in manchen Fällen gar nicht festgestellt werden konnte. Dies muſste um so mehr überraschen, als doch die bedeutenden Vorzüge der Compoundmaschinen vor der gewöhnlichen Zwillingsmaschine durch unwiderlegliche Beweise festgestellt sind, wenn auch über den relativen Werth der verschiedenen hier Einfluſs nehmenden Faktoren noch keine Einigung erzielt ist. Diese Faktoren sind: 1) gleichmäſsigere Arbeitsabgabe auf die Kurbelwelle als bei gleich weit getriebener Expansion in zwei einzeln wirkenden, wenn auch unter 90° gekuppelten Cylindern; 2) die Ermöglichung einer bei den einfachen Steuerungssystemen unerreichbaren Gesammtexpansion; 3) die Verminderung des Dampfverlustes durch Undichtheit der Schieber und Kolben in Folge Vertheilung der Druckdifferenz; 4) als wesentlichstes Moment die Vertheilung der totalen Temperaturdifferenz auf zwei Cylinder und endlich 5) die Möglichkeit der Wiederbelebung des zum groſsen Cylinder übertretenden Dampfes durch Heizung des Receiver. Wenn es nun auch aus all diesen Gründen wohl begreiflich erscheint, warum das Compoundsystem die höchste bis jetzt erreichbare Dampfökonomie erzielen läſst, so ist damit doch nicht gesagt, daſs sie auch unter allen Umständen erreicht werden muſs; im Gegentheil lehrt die Rankinisirung so manchen Compounddiagrammes, welch ungeheure Verluste auch hier gegenüber dem idealen Diagramme vorkommen können. Am wenigsten aber von allen bestehenden Maschinensystemen hat die Locomotivmaschine die Vorbedingung zur Geltendmachung der Vorzüge des Compoundsystemes. Vor allen Dingen: sie condensirt nicht, die Temperaturen des Kesseldampfes und des Abdampfes wechseln höchstens zwischen 180 und 105°, also um etwa 70 Proc., während sie bei condensirenden Compoundmaschinen mit normalem Anfangsdruck von 5at effectiv zwischen 160 und etwa 45°, also um mehr als 250 Proc. schwanken; zudem vermag sich der schädliche Einfluſs der Cylinderwandungen beibai der hohen Kolbengeschwindigkeit der Locomotiven bei weitem weniger geltend zu machen und endlich ist auch jene Ansicht nicht ohne Berechtigung, welche nicht allein die relativen Temperaturverhältnisse, sondern auch die absoluten Höhen derselben zu berücksichtigen verlangt. Verliert somit dieser Umstand für die Locomotivmaschine viel von seinen bei anderen Systemen Ausschlag gebenden Bedeutung, so gilt auch das gleiche von dem weiteren Vorzug der Compoundmaschinen, der Verminderung der Dampfverluste durch Schieber und Kolben. Dagegen bleibt auch für Locomotivmaschinen bestehen der Vorzug einer weit getriebenen Expansion mit einfachen Steuerungen, die gröſsere Regelmäſsigkeit des Ganges und geringeren Reibungsverlust bedingende gleichmäſsige Kraftabgabe und das Nachwärmen des theilweise expandirten Dampfes im Receiver. Alle diese Umstände vermögen, wenn sie auch theilweise gerade bei Locomotivmaschinen verminderte Bedeutung erhalten, doch ganz zweifellos eine erhöhte Oekonomie der Compoundlocomotiven zu erzielen; ebenso zweifellos ist aber auch, daſs diese an und für sich nicht allzu bedeutend erwartete Oekonomie durch ungünstige Führung des Compoundprocesses wieder völlig verloren gehen kann. Und da bei den wechselnden Arbeitsverhältnissen der Locomotive eine allgemein passende Cylinderdimension unter keinen Umständen erzielt werden kann, liegt es lediglich in der richtigen Führung der Steuerung, um die Compoundlocomotive zu einem ökonomischen Erfolg zu gestalten. Aus diesem Grunde ist Maltet bei seiner neueren Maschine (so auch bei der von Schaltenbrand in der oben genannten Zeitschrift 1879 * S. 119 eingehend und gründlich behandelten Ausstellungsmaschine) von dem System gemeinschaftlicher Steuerung abgegangen, obwohl der Theorie nach bei entsprechender Wahl der Durchmesser beide Cylinder unter allen Umständen bei gleichen Mllungsgraden gleiche Leistungen entwickeln. Es fällt aber dieser Zustand gleicher Arbeitsleistung in beiden Cylindern nicht nothwendig mit gröſster Dampfökonomie zusammen und läſst sich daher mit getrennter Steuerung für beide Cylinder günstiger arbeiten. Zudem ist die Steuerung des Hochdruckcylinders speciell mit Rücksicht auf möglichst kleine Compressionen zu construiren, da sonst bei der hier als Gegendampf auftretenden Receiverspannung enorme Compressionen entstehen; beim Niederdruckcylinder dagegen sind, für die Ruhe des Ganges in den Hubwechseln, hohe Compressionen erwünscht. Aus allen diesen Gründen versieht nunmehr Mallet jeden Cylinder mit einer besonderen Steuerung, welche durch einen besonderen Hebel regulirbar ist, und nur zum rascheren Umsteuern ist es möglich, beide Hebel zu kuppeln. Welche Resultate Mallet thatsächlich mit dieser Anordnung im regelmäſsigen Betrieb erzielt hat, ist bis jetzt noch nicht authentisch bekannt geworden. Auf Grund der vorausgegangenen Uebersicht haben wir den richtigen Standpunkt zur Beurtheilung der vom Maschinenmeister v. Borries vorgeschlagenen Verbesserungen des Mallet'schen Compoundsystemes gewonnen. Es werden zwei Abänderungen vorgeschlagen und zwar in dem Volldruckschieber und in der Steuerung: erstere, wie wir glauben, von nur nebensächlicher Bedeutung, letztere dagegen ausschlaggebend für die Existenzfähigkeit der Compoundlocomotive überhaupt. Was den Volldruckschieber betrifft, so erachtet v. Bornes denselben sowohl überflüssig, als schädlich; – überflüssig deshalb, weil durch eine viel einfachere Vorrichtung das Anfahren ermöglicht werden kann; schädlich, da er gerade bei der gröſsten Leistung, wo eine Oekonomie am ausgiebigsten wäre, die Compoundwirkung mit der directen Arbeit vertauschen läſst. Darum läſst v. Borries den Volldruckschieber ganz fort und bringt dafür am Regulator im Dampfdom die aus Fig. 4 Taf. 27 ersichtliche Abänderung an. Das Regulatorrohr, welches nunmehr direct mit dem Hochdruckcylinder in Verbindung steht, ist in gewöhnlicher Weise durch einen Schieber verschlossen, auf welchem, wie vielfach gebräuchlich, ein Entlastungsschieber zur Erleichterung des Oeffnens sitzt. An letzterem greift die Zugstange an und bewirkt, falls der in Fig. 4 geschlossen gezeichnete Regulator geöffnet werden soll, zunächst eine Aufwärtsbewegung des Entlastungsschiebers, durch welchen der enge Schlitz des Grundschiebers eröffnet und ein vorläufiger Dampfweg zum Hochdruckcylinder gewonnen wird. Gleichzeitig damit wurde aber auch ein zweiter oberhalb des Regulatorrohres angebrachter Schlitz eröffnet, durch welchen mittels einer besonderen Rohrleitung directer Dampf zu dem den groſsen Cylinder versorgenden Receiver geleitet wird. So erhalten beide Cylinder directen Dampf, der groſse Cylinder dagegen, wie v. Borries annimmt, mit geringerer Spannung, da der durch das enge Hilfsrohr zuströmende Dampf durch die Ausbreitung in den groſsen Räumen des Receiver und des groſsen Cylinders momentan einen Theil seiner Spannung verliert. So erfolge denn das Anfahren in gleicher Weise, als ob beide Cylinder denselben Gesammtdruck hätten; der Regulator wird nach eingetretener Bewegung völlig geöffnet und die Maschine wirkt, da nunmehr das Hilfsrohr zum groſsen Cylinder wieder abgeschlossen ist, lediglich als Compoundmaschine. Selbstverständlich läſst sich eine ähnliche Wirkungsweise auch durch einen einfachen Regulator erzielen. Es unterliegt keinem Zweifel, daſs diese Anordnung einfacher ist wie der von Mallet angewendete Volldruckschieber, – aber auch geringwertiger. Die Möglichkeit, mit beiden Cylindern direct arbeiten zu können, ist unter allen Umständen ein Vortheil, den man nicht ohne zwingenden Grund aufgeben sollte; ja Verfasser betrachtet die hierdurch innerhalb so weiter Grenzen mögliche Veränderung der Leistung als einen der allerwesentlichsten Vorzüge des Mallet'schen Systemes, wodurch dasselbe sich ganz speciell für Secundär – und Straſsenbahnen eignen wird. Wenn v. Borries seinen Niederdruckcylinder so groſs construiren kann, daſs damit die durch directen Gang nach Mallet erzielte Maximalwirkung auch beim Compoundgang geleistet wird, schädigt er unzweifelhaft den Nutzeffect bei geringeren Füllungsgraden; überdies ist aber bei groſsen Maschinen die Erzielung eines entsprechenden Cylinderdurchmessers fast immer unmöglich. Was aber die Einfachheit der Handhabung betrifft, so ist es wohl recht gut möglich, den Regulatorhebel derart mit dem Volldruckschieber zu verbinden, daſs er bei einer bestimmten Stellung des Regulators etwas weniges geöffnet wird, um das Anfahren ohne weiteren Handgriff zu gestatten, auſserdem aber seine besondere Bewegung behält, um für den directen Gang völlig geöffnet zu werden. Doch ist zu bemerken, daſs sowohl hier, wie bei v. Borries' Anordnung der Fall nicht ausgeschlossen ist, daſs dennoch auf den Kolben des groſsen Zylinders der volle Dampfdruck wirkt. Es tritt dies dann ein, wenn die beiden Kurbeln so ungünstig stehen, daſs überhaupt kein Anfahren in dieser Richtung möglich ist, sondern reversirt werden muſs. In diesem Falle, wo somit beim Oeffnen des Regulators keine Bewegung eintritt, hat der Dampf Zeit, auch durch die kleine Oeffnung seinen ganzen Druck geltend zu machen. Will man somit das Gestänge des Niederdruckcylinders auch gegen diesen Fall ungewöhnlicher Inanspruchnahme schützen, so bleibt kein anderer Ausweg übrig als den Malle'schen Druckreductor einzuführen. Neben dem vorstehend beschriebenen Hilfsrohr am Regulator hat v. Borries bei seiner Compoundlocomotive noch eine eigenthümliche Construction des Reversirhebels angewendet, welche in Fig. 5 Taf. 27 argestellt ist. Der eigentliche, mit dem Handgriff versehene Reversirhebel ist durch eine Zugstange mit dem Bewegungshebel für die Reversirwelle des groſsen Cylinders verbunden, während die Reversirwelle des kleinen Cylinders – in gleicher Achse mit der ersteren, aber selbstverständlich getrennt gelagert – durch einen zweiten neben dem Reversirhebel aufgesteckten Hebel bewegt wird. Letzterer ist mit dem Reversirhebel durch eine Knagge verbunden, so daſs er der Rückwärtsbewegung desselben folgen muſs. Dabei wird jedoch bei gleichen Bogenausschlägen der Reversirhebel der kürzere Hebel der Reversirwelle des kleinen Cylinders rascher zurückgezogen wie der längere Hebel auf der Steuerwelle des groſsen Cylinders und nähert sich somit entsprechend rascher seiner Mittelstellung. In Folge dessen haben die beiden Cylinder die volle Füllung, für welche v. Borries hier 70 Proc. angibt, gemeinsam; dagegen entspricht 50 Proc. im groſsen Cylinder nur 40 Proc. im kleinen, 35 Proc. im groſsen Cylinder 20 Proc. im kleinen – Ziffern, welche v. Borries für ein Cylinderverhältniſs von 1 : 1,9 als die vortheilhaftesten ausgemittelt hat. Für das Rückwärtsfahren ist selbstverständlich eine umgekehrte Stellung der beiden Reversirhebel zu einander erforderlich, welche durch den zweiten Zahn in dem Seitenhebel ermöglicht wird. Zum Rangiren, bei welchem nur die Endstellungen verlangt werden, wird die Knagge überhaupt ausgelöst und der Seitenhebel vom Handhebel dadurch mitgenommen, daſs letzterer abwechselnd an die Anschläge stöſst, welche an beiden Enden des Bogenstückes, in welches der Seitenhebel ausgeht, angebracht sind. Dem entsprechend bewegt sich beim Reversiren mit ausgeklinktem Zahn der Handhebel zunächst eine Strecke allein, bis er an den Seitenhebel anschlägt und denselben nach rückwärts mitnimmt. In der hinteren Endstellung liegen dann beide Hebel gleichzeitig in den Futterstücken ihrer betreffenden Führungsbögen an, ebenso wie dies für den Vorwärtsgang in Fig. 4 gezeichnet ist. Die Hantirung mit v. Borries' Reversirhebel ist somit kaum complicirter wie die eines gewöhnlichen Reversirhebels und die selbstthätige Einstellung der Füllungsgrade gegenüber der Anordnung Mallet's ein auſserordentlicher Vortheil. Denn abgesehen von der complicirteren Handhabung der doppelten Hebel hieſse es doch allzuviel von dem Führer verlangt, daſs er auch noch die günstigsten zusammengehörigen Expansionsgrade von Hoch- und Niederdruckcylinder ausstudiren solle. Daſs dies aber absolut nöthig ist, um mit der Compoundlocomotive überhaupt eine nennenswerthe Ersparniſs erreichen zu können, glauben wir oben nachgewiesen zu haben. Darum betrachtet Verfasser die vorliegende Verbesserung, welche selbstverständlich nach praktischem Erforderniſs noch mannigfach variirt werden kann, als ausschlaggebenden Versuch für die Compoundlocomotive überhaupt und sieht dem von v. Borries in Aussicht gestellten Bericht über seine vergleichenden Untersuchungen mit höchstem Interesse entgegen. Hiermit wird auch der Beweis erbracht sein, ob überhaupt das Compoundsystem für nichtcondensirende Maschinen mit sehr variablen Leistungen irgend eine Berechtigung hat; sind doch die vortrefflichen Leistungen des Compoundsystemes lediglich bei den so besonders günstig und regelmäſsig arbeitenden Schiffsmaschinen und bei sonstigen groſsen Motoren für nahezu constanten Kraftbedarf erzielt worden. Sollten sich aber, wie Verfasser fast fürchtet, die thatsächlich erreichbaren Vortheile der Compoundlocomotive als allzu klein herausstellen, um deren allgemeinen Verbreitung zu rechtfertigen, so bleibt doch noch ein Mittel, um auf einfache Weise eine wesentliche Oekonomie der Locomotivmaschine zu erzielen: die Steuerung. Der bedeutende Einfluſs einer richtigen Functionirung der Steuerung auf den guten und ökonomischen Gang der Locomotive ist allgemein anerkannt und das Bestreben zur thunlichsten Verbesserung der Coulissensteuerung, um rasche und volle Oeffnung, möglichst späten Voraustritt und späte Compression zu erhalten, so alt wie die Locomotive selbst. Warum soll nicht, wie so vieles, das beim ersten Versuche verworfen worden, die Doppelschiebersteuerung neuerdings aufleben, da wir selbst Ventilmaschinen mit 200 Touren arbeiten sehen. Wilman.

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Tafel Tafel 27
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