Titel: | Eine neue Construction der Zeuner'schen Schieberdiagramme mit Berücksichtigung der Excenter- und Kurbelstangenlängen; von Ingen. A. Brandt in St. Petersburg. |
Fundstelle: | Band 239, Jahrgang 1881, S. 249 |
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Eine neue Construction der Zeuner'schen
Schieberdiagramme mit Berücksichtigung der Excenter- und Kurbelstangenlängen; von Ingen.
A. Brandt in St. Petersburg.
Mit Abbildungen auf Tafel 22.
A. Brandt's neue Construction der Zeuner'schen
Schieberdiagramme.
Wie bekannt, hat der Ausdruck für ξ die Entfernung des
Schiebermittels vom Schwingungsmittelpunkt bei einfacher Steuerung folgende
Form:
\xi=r\ sin\
(\delta+w)+\frac{r^2}{2\,l}\,[cos^2\delta-cos^2\,(w+\delta)]=
=r\ sin\ \delta\ cos\ w+r\ cos\ \delta\ sin\
w+\frac{r^2}{2\,l}\,sin\,(2\,\delta+w)\,sin\,w,
wo r die Excentricität, l die Excenterstangenlänge, w den beliebigen Drehwinkel, δ den
Voreilwinkel bezeichnen, und bei den Coulissensteuerungen von Gooch, Stephenson und Allan-Trick die Form:
\xi=r\,\left(sin\ \delta+\frac{c^2-u^2}{cl}\,\cos\
\delta\right)\, cos\ w+\frac{ur}{c}\,cos\ \delta\ sin\ w +
\frac{r^2}{2\,l}\,\left(\frac{u}{c}\,sin\,2\,\delta\
cos\,w+cos\,2\,\delta\ sin\,w\right)\,sin\,w,
wobei c die halbe Coulissenlänge,
u die Entfernung des Gleitbackens der
Schieberstange vom Coulissenmittel ausdrücken, oder allgemein
\xi=A\,cos\,w+B\,sin\,w+F.
Zeuner hat für einfache sowie für Coulissen-Steuerungen
unter Vernachlässigung des Gliedes F seine bekannten
Polar-Schieberdiagramme vorgeschlagen, welche sich durch Einfachheit und
Uebersichtlichkeit auszeichnen und daher unbestrittene Vorzüge vor den elliptischen
und den Diagrammen von Reuleaux, Müller, Deprez u.a.
haben. Nun ist jedoch bei Locomotiven und auch bei Schiffsmaschinen das Verhältniſs
r:l der Excentricität zur Excenterstangenlänge selten so
klein, daſs das Glied F ohne weiteres vernachlässigt
werden könnte (vgl. z.B. Couche: Voie et matériel
roulant, Bd. 3 S. 323 bis 343). Das Fehlerglied F wird = 0 bei w = 0 und einem anderen je
nach der Coulissenstellung variablen Drehwinkel; doch ist es bei den
zwischenliegenden Kurbelstellungen von einigem Einfluſs. Zeuner bemerkt (in seinem Buche Schiebersteuerungen, 4. Auflage S. 49), daſs dieser Einfluſs um so
beträchtlicher wird, je kleiner die Deckungen im Verhältniſs zur Excentricität sind, und räth bei
kurzen Excenterstangen die innere Deckung möglichst groſs zu halten.
Noch ein Umstand bewirkt eine gewisse Ungenauigkeit der Zeuner'schen ebenso wie aller
anderen Diagramme. Dieselben werden gewöhnlich unter der Annahme unendlich langer
Kurbelstangen nach der Formel s=R\,(1-cos\,w) construirt. Die
genaue Formel ist: s=R\,(1-cos\,w)\pm\frac{R^2}{2\,L}\,sin^2\,w,
wobei s der einem beliebigen Drehwinkel w entsprechende Kolbenweg, R der Kurbelradius und L die Kurbel
stangenlange. Die bezügliche Correction kann nach verschiedenen Methoden vorgenommen
werden.
Wenden wir uns zunächst zu der Correction bezüglich des Fehlergliedes F. Zeuner räth, um sich ein recht deutliches Bild von
dem Einflüsse des Fehlergliedes auf die ganze Dampfvertheilung bei kurzen
Excenterstangen zu machen, die genauen Werthe von ξ
oder F für verschiedene Drehwinkel w zu berechnen und die genaue Curve nach
Polarcoordinaten zu zeichnen. Nun habe ich eine sehr einfache und leichte Methode
der graphischen Darstellung dieser genauen Curve gefunden. Schreiben wir den
Ausdruck: F=\frac{r^2}{2\,l}\,sin\,w\ sin\,(2\,\delta+w) in
folgender Form um:
F=\left(\frac{r^2}{2\,l}\,sin\,2\,\delta\
cos\,w+\frac{r^2}{2\,l}\,cos\,2\,\delta\
sin\,w\right)\,sin\,w=\eta\,sin\,w,
wobei
\eta=\frac{r^2}{2\,l}\,sin\,2\,\delta\
cos\,w+\frac{r^2}{2\,l}\,cos\,2\,\delta\ sin\,w, . . . . . . (1)
so ist leicht einzusehen, daſs Gleichung (1) dieselbe Form
hat, wie der Ausdruck für ξ bei Vernachlässigung des
Fehlergliedes: \xi=A\ cos\,w+B\ sin\,w, also die Polargleichung
von zwei sich im Pol berührenden Kreisen ist, deren Durchmesser
(r^2:2\,l) und deren Mittelpunkt auf einer zur Verticalen
unter dem Winkel 2 δ geneigten Geraden liegen. Man
sieht, mit welcher Leichtigkeit sich für einen gegebenen Winkel w das Fehlerglied findet; der Werth η ist einfach der diesem Winkel zugehörige
Radiusvector. F findet sich als Länge des aus dem
Durchschnittspunkte dieses Radiusvectors mit dem Fehlergliedkreise auf die
Horizontale gefällten Perpendikels.
In Fig.
1 Taf. 22 stellt der Kreis Nr. 1 den unter
den Voraussetzungen \delta=30^{\circ} und
r=60^{mm} gezeichneten Zeuner'schen Schieberkreis bei
einfacher Steuerung dar. Construiren wir den zugehörigen Fehlergliedkreis Nr. 1' bei l=0^m,9, tragen die z.B. um
30mal vergröſserten Werthe (r^2:4\,l)=1^{mm}, also 30mm, auf der um
2\,\delta=60^{\circ} zur Verticalen oy geneigten Geraden oK von o bis c4' ab, so ist der Punkt c4' das Centrum des Fehlerkreises. Um nun
z.B. auf dem Radiusvector oP einen der genauen
Schiebercurve angehörenden Punkt zu finden, verlängere man diesen Radiusvector unter
der Horizontalen, finde seinen Durchschnittspunkt Q mit dem Fehlergliedkreise
und trage die um 30mal verkleinerte Länge des Perpendikel QQ1 im Maſsstabe des Schieberkreises auf
der Verlängerung des Radiusvectors oP von P nach P1 hin ab. Der Punkt P1 gehört zur genauen Schiebercurve.
Für die Coulissensteuerung von Stephenson, Gooch und Allan-Trick ist das Fehlerglied
F=\left(\frac{r^2}{2\,l}\,\frac{u}{c}\ sin\,2\,\delta\
cos\,w+\frac{r^2}{2\,l}\ cos\,2\,\delta\ sin\,w\right)\,sin\,w.
Construiren wir also das Centrum des Fehlergliedkreises, indem wir die Abscisse
\frac{r^2}{4\,l}\,\frac{u}{c}\,sin\,2\,\delta auf der Achse
ox und die Ordinate
\frac{r^2}{4\,l}\,cos\,2\,\delta auf der Achse oy abtragen. Die Ordinaten der Fehlerkreismittelpunkte
sind von dem Werthe (u:c) unabhängig, liegen also für alle
möglichen Coulissenstellungen auf der der Achse ox
parallelen und von derselben um den Werth
\frac{r^2}{4\,l}\,cos\,2\,\delta abstehenden Geraden c5' c1
'.
Das Centrum c5
' des dem gröſsten Dampfeinlasse bei
(u:c)=1 entsprechenden Fehlergliedkreises findet sich wie bei
der einfachen Steuerung auf einer zur Achse unter dem Winkel 2 δ geneigten Geraden in der Entferung
(r^2:4\,l) vom Pol o. Die
Mittelpunkte der übrigen den verschiedenen Coulissenstellungen entsprechenden Fehler
kreise finden sich durch Theilung der Länge c5
' c1' im Verhältniſs
u:c. Natürlich wird man ebenso wie bei der einfachen
Schiebersteuerung die Fehlergliedkreise in sehr vergröſsertem Maſsstabe einzeichnen
müssen, um die erforderliche Schärfe in den Abmessungen zu erzielen. Sobald die
Fehlergliedkreise eingezeichnet sind, finden sich die Werthe für das Fehlerglied auf
höchst einfache Weise, wie bei Betrachtung der einfachen Steuerung dargelegt.
Es liegt natürlich durchaus keine Nothwendigkeit vor, die genaue Schiebercurve ganz
zu zeichnen; es genügt nur die Theile derselben zu constuiren, welche von Einfluſs
auf die Dampfvertheilung sind.
Nehmen wir als Beispiel die Correction des Diagrammes einer Stephenson'schen
Coulissensteuerung mit offenen Excenterstangen. Es sei
\delta=30^{\circ},\ r=60^{mm},\ l=0^m,9,\ c=0^m,15; die
äuſsere Deckung e=0^m,024, die innere Deckung
i=0^m,007 und (R:L)=⅛.
In Fig.
1 sind die mit 1 bis 5 bezeichneten Zeuner'schen Kreise auf bekannte Art nach dem Ausdruck
\xi=r\,\left(sin\,\delta+\frac{c^2-u^2}{c\,l}\,cos\,\delta\right)\,cos\,w+\frac{u\,r}{c}\,cos\,\delta\
sin\,w eingezeichnet. Sie entsprechen den Coulissenstellungen bei (u : c) = 1, ¾, ½, 1/4, 0. Den Kreisen 1 bis 5 entsprechend sind
die Fehlergliedkreise 1' bis 5' gezeichnet. Der Zeuner'sche Kreis Nr. 4 z.B. schneidet den Kreis der
äuſseren Deckung im Punkte m. Die Expansion würde also,
wenn LL' den Kolbenhub vorstellt, in der Entfernung Lk vom Anfang des Kolbenhubes beginnnen. Nehmen wir nun
die Correction vor,
d.h. zeichnen wir, wie erläutert, mit Hilfe des Fehlergliedkreises 1' das Stück ss' der
genauen Schiebercurve, die sich im Punkte m' mit dem
Kreise der äuſseren Deckung schneidet. Der Punkt k wird
nun nach der Correction in den Punkt k' fallen. Es ist
jedoch, wie bemerkt, noch die Correction der aus der Annahme unendlich langer
Kurbelstangen resultirenden Ungenauigkeit vorzunehmen. Der Fehler beträgt
\frac{R^2}{2\,L}\,sin^2\,w oder in Theilen des Kolbenhubes
\frac{R^2}{2\,L}\,\frac{1}{2}\,R\
sin^2\,w=\frac{1}{4}\,\frac{R}{L}\,sin^2\,w. Da der Kolbenhub durch
die Gerade LL'=200^{mm} dargestellt ist, so werden wir vom Punkte
k' die Länge
\frac{1}{4}\,\frac{R}{L}\,sin^2\,w\times 200=1/4\times 1/8\times
200\,sin^2\,w=6,25\,sin^2\,w abzutragen haben. Um dieselbe graphisch
zu finden, schlagen wir auf der Geraden RR1 mit dem Radius 6,25\times
10=62^{mm},5 einen Kreis und führen aus dem Punkte o1 eine der Linie om parallele Gerade o1
v. Wir haben nun vv'=62,5\ sin\,w
und vv''=(62,5\ sin\,w)\,sin\,w=62,5\ sin^2\,w. Wenn wir nun vom
Punkte k' nach links die um 10mal verminderte Länge vv'' abtragen, so findet sich der Punkt k'', die genaue Lage des Kolbens bei Beginn der
Expansion.
Um die genaue Stellung des Kolbens bei Beginn der Compression zu finden, erscheint
der Maſsstab der Fig. 1 zu
klein. Daher sind in Fig. 2 Taf.
22 noch einmal der Kreis 4 und der Fehlergliedkreis 4' nebst den Kreisen der äuſseren und inneren Deckung
in vergröſsertem Maſsstabe eingezeichnet, ebenso das Stück tt' der genauen Schiebercurve, welche sich im Punkte n' mit dem Kreise der inneren Deckung schneidet.
Schlagen wir noch den Kreis I mit dem der Fig.
1 entnommenen Radius oL' und führen wir die
Schnittpunkte o' und o''
dieses Kreises mit den Linien on und on' auf Fig. 1 über.
Aus den Punkten o' und o''
in Fig. 1 fällen wir die Senkrechten o'a und
o''a' auf die Linie LL'. Der Punkt a ist die Kolbenstellung zu
Beginn der Compression nach dem Zeuner'schen Diagramm, der Punkt a' die berichtigte Kolbenlage. Der Punkt a'' findet sich nach dem oben beschriebenen Verfahren
bezüglich der Kurbelstangenlänge.
Ebenso können genauere Kolbenstellungen bei Beginn des Dampfeinlasses und
Dampfaustrittes bestimmt werden.