Titel: Indicatorversuche an der Betriebsdampfmaschine von 50 bis 70e in der Spinnerei von J. J. Marx in Lambrecht.
Fundstelle: Band 239, Jahrgang 1881, S. 417
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Indicatorversuche an der Betriebsdampfmaschine von 50 bis 70e in der Spinnerei von J. J. Marx in Lambrecht. Mit Abbildungen. Indicatorversuche mit Ehrhardt und Sehmer's Compoundmaschine. Die Maschine ist eine liegende Zweicylinder-Compound-Receiver-Dampfmaschine von der äuſseren Anordnung einer Zwillingsdampfmaschine mit winkelrecht verstellten Kurbeln. Das guſseiserne Bajonnetgestelle jedes Cylinders enthält das Kurbelachslager und die gebohrte Kreuzkopfführung. Die Cylinder sind mit ihrer Stirnseite direct gegen die Anschluſsfläche der Gestelle geschraubt. Die Schieberkasten sind seitlich abwärts geneigt, wodurch die Wasserablaſshähne in Wegfall kommen. Quer unter beiden Cylindern liegt der Receiver in guter Umhüllung. Der Condensator steht in der Achse des Niederdruckcylinders und sind die beiderseitigen Kolbenstangen direct verkuppelt. Der frische Dampf tritt mit voller Spannung in den Mantel des Hochdruckcylinders und in den Schieberkasten desselben. Die Füllungsgrade des Hochdruckcylinders sind veränderlich von 3 bis 60 Proc., normal = 15 bis 20 Proc. Aus dem Hochdruckcylinder strömt der Dampf mit einer mittleren Spannung von 0,25 bis 0at,5 Ueberdruck in den Receiver, welcher im Inneren ein System von Heizrohren enthält, wodurch Bildung von Condensationswasser verhütet und bewirkt wird, daſs der Receiver-Dampf in trockenem Zustande in den Mantel des Niederdruckcylinders eintritt. Der Niederdruckcylinder arbeitet constant mit 45 Proc. Füllung. Die Heizung desselben mit trockenem Receiver-Dampf genügt, um das Niederschlagen des Dampfes während der Admission im Inneren des Cylinders zu verhüten. Schieber und Kolben des Niederdruckcylinders arbeiten unter sehr günstigen, niederen Druck und Temperaturverhältnissen. Beide Cylinder sind ausgestattet mit Kanalschleppschiebern (Patent Ehrhardt und Sehmer, 1880 235 * 93), welche für jeden Cylinder nur ein einfaches Kreisexcenter, eine Schieberstange und eine Stopfbüchse verlangen. Die Veränderungen der Füllungsgrade des Hochdruckcylinders geschehen mittels directer Verschiebung des Kreisexcenters durch einen eigentümlichen Regulator (Patent Ehrhardt und Sehmer); derselbe ist sehr dauerhaft und kräftig und läſst sich auf jeden Grad von Empfindlichkeit einstellen. Der Condensator hat einen eigens eingesetzten, leicht auswechselbaren Kolbencylinder. In Fällen, wo das Wasser Sand mit sich führt, ist nämlich sehr starke Ausnutzung desselben unvermeidlich und daher leichte und billige Auswechslung von Bedeutung. Die Gummiklappen legen sich auf rostförmige Gittersitze und sind sehr bequem zugänglich und leicht auswechselbar. Das Schwungrad ist als Riemenscheibe von 3m,000 Durchmesser und 370mm Breite behandelt und überträgt die Kraftleistung der Maschine auf die Transmission mittels eines Riemens von 350mm Breite. Die Dampfspannung im Kessel ist 6,5 bis 7at Ueberdruck. Es sind zwei von der Transmission getriebene Speisepumpen vorhanden, von denen die eine frisches Bachwasser ansaugt und dem Kessel zudrückt, während das Saugrohr der anderen mit einem höher liegenden cylindrischen Blechbehälter in Verbindung steht. In diesen Blechbehälter münden alle Condensationswasserleitungen sowohl aus der Dampfzuleitung, als auch aus den Dampfheizungsrohren in der Spinnerei. Letztere waren während des Versuches abgesperrt, so daſs nur das Abwasser aus dem Condensationstopf, der am Ende der Dampfzuleitung am Kopfe des Receiver unmittelbar unter dem Hochdruckcylinder der Maschine sitzt, als heiſses Wasser in den vorerwähnten Blechbehälter der Speisepumpe abfloſs. Zum Versuche wurde die Speisepumpe für frisches Bachwasser abgesperrt und dem Blechbehälter der anderen Speisepumpe das wirklich zum Verbrauch gelangende Speisewasser zugemessen. Diese Wassermenge wurde einem besonderen Eichgefäſse jedesmal zugewogen, so daſs doppelte Controle durch Eichung und Wiegung stattfand. Das Wasser aus dem Condensationswasserfänger der Dampfzuleitung flofs ohne weitere Messung dem Blechbehälter wieder zu und wurde mit dem gemessenen und gewogenen Speisewasser zusammen wieder in den Kessel geschafft, so daſs der gemessene und gewogene Speisewasserverbrauch das Gewicht des Dampfes vorstellt, welcher während des Versuches wirklich in den Schieberkasten der Maschine eintrat und zur Kraftentwicklung verwendet wurde. Der Versuch fand am 30. December 1880 statt und dauerte von 8 Uhr 51 Min. Vormittags bis 4 Uhr 51 Minuten Nachmittags, also genau 8 Stunden oder 480 Minuten. Mittels zweier Eiliot'schen Indicatoren wurde an den correspondirenden Enden des Hochdruck- und des Niederdruckcylinders gleichzeitig jedesmal ein Diagrammpaar aufgenommen, und zwar im Ganzen 52 Paare oder 104 Einzeldiagramme, wovon 49 Paare der Berechnung zu Grunde gelegt wurden. Da sich beim Vorversuche, Tags vorher, ergeben hatte, daſs die Maschine durch den Spinnereibetrieb zu gering belastet war, wurde eine Turbine, welche sonst treibend mitwirkt, vom Oberwasser abgesperrt und durch die Dampfmaschine leer mitgeschleift. Da nicht zwei Diagrammpaare einander ganz gleich sind, während die Kesselspannung nahezu constant war und die Ganggeschwindigkeit der Maschine keine bemerkbaren Schwankungen zeigte, muſs auf beständige, ziemlich bedeutende Schwankungen im Kraftbedarf der Spinnerei geschlossen werden. Sämmtliche 98 Indicatordiagramme wurden mit dem Planimeter umfahren und danach deren mittlere Druckordinate berechnet. Die Maxima und Minima dieser Druckordinaten sowie die Diagrammnummern, welche diese Ordinaten zeigten, sind in nachstehender Tabelle verzeichnet: 1) Hochdruckcylinder VorderesEnde HinteresEnde Mittlere Druckordinate des Diagrammes Nr.   5 2,19at 29 1,72 38 1,54at 43 2,09 2) Niederdruckcylinder Mittlere Druckordinate des Diagrammes Nr. 11 0,70at 28 0,77 34 0,89 42 0,87 Die Summirung und Division der mittleren Druckordinaten sämmtlicher 49 Diagrammpaare ergab folgende Zahlen, als mittlere indicirte Drücke auf die Dampfkolben während der Versuchsdauer: Hochdruckcylinder vorn = 1,804, hinten = 1,894, Mittelspannung = 1at,849. Niederdruckcylinder vorn = 0,7607, hinten 0,834, Mittelspannung = 0at,7973. Diejenigen Diagramme, deren mittlere Ordinaten den vorgenannten Mittelspannungen am vorderen und am hinteren Cylinderende am nächsten kommen, sind in getreuer Nachbildung hier wiedergegeben. Textabbildung Bd. 239, S. 419 Hinten; Hochdruckcylinder; Vorn; Niederdruckcylinder Es sind dies die Diagrammpaare Nr. 26 und 49, welchen jene von Nr. 17 und 31 sehr nahe kommen. Die der Berechnung zu Grunde zu legenden indicirten Drücke sind nun: Auf den Hochdruckkolben = 1,849at = 1,91 k/qc. Auf den Niederdruckkolben = 0,7973at = 0,823 k/qc. Die Dampfspannung zu Anfang und zu Ende des Versuches, am Kesselmanometer abgelesen, war = 6⅝at Ueberdruck. Während der Versuchsdauer schwankte die Spannung zwischen 64/8 und 6⅞at. Da der Kessel Gasfeuerung nach Haupt und Mendheim hat, mit groſsem Generator, konnte die Menge Kohlen, welche zum Versuche verbrannt wurde, nicht festgestellt werden. Die Heizgase verlieſsen den eigentlichen Kessel mit 120°, durchzogen dann ein System von Guſsröhren zum Vorwärmen des Speisewassers und verlieſsen dasselbe mit 80°. Die Lufttemperatur am Versuchstage war 15°, im Maschinenlocale herrschten 21°. Das zur Condensation dienende Bachwasser hatte 9°, das Abwasser des Condensators zeigte 24°. Die Luftleere des Condensators schwankte beständig zwischen 70 und 73cm Quecksilbersäule. Der Speisepumpe, bezieh. dem vorbesprochenen Blechbehälter derselben, wurden in den 8 Versuchsstunden zugewogen 3130k Speisewasser. Davon wurden an einem undichten Schlammhahn des Kessels und an einer Stopfbüchse wieder aufgefangen 81k, so daſs 3049k Dampf in 8 Stunden von der Maschine verbraucht wurden. Der Hubzähler zeigte bei Beginn des Versuches 1884, beim Ende desselben 49580, so daſs die Maschine in 480 Minuten 47696 Umdrehungen oder für die Minute 99,366 Umdrehungen machte, während sie planmäſsig 100 Umdrehungen minutlich machen sollte. Die beiden Dampfkolben haben 600mm Hub, so daſs ihre mittlere Geschwindigkeit in 1 Secunde v = 1m,9873 war. Durchmesser des Hochdruckkolbens =   260mm          „             „   Niederdruckkolbens =   400mm          „            aller Kolbenstangen =     52mm Nutzflache des Hochdruckkolbens =   510qc          „         „   Niederdruckkolbens = 1236qc. Mittlerer indicirter Druck auf den Hochdruckkolben =   510 ×   1,91 =  974k Desgleichen auf den Niederdruckkolben = 1236 × 0,823 = 1017k ––––––– Summe der Kolbendrücke = 1991k. Daher die indicirte Leistung der Maschine Ni = (1,9873 × 1991) : 75 = 52e,7. Während des Versuches verbrauchte also diese Maschine für 1 Stunde und 1e = 3049 : (8 × 52,7) = 7k,23 Dampf. Die relativen Leistungen der beiden Dampfcylinder waren: Hochdruckcylinder = 25e,8, Niederdruckcylinder = 26e,9. Der Receiver ist ein Rohr von 215mm Lichtweite und 2m,500 lichter Länge. In demselben sitzen 7 Heizrohre von 52mm äuſserem Durchmesser und 2m,400 Länge. Der nutzbare Gesammtinhalt der Räume, welche als Receiver-Räume zu betrachten sind, beträgt etwa 0cbm,95, also rund 128 Procent vom Volumen des groſsen Cylinders. Der Versuch liefert den Beweis, daſs man auch mit ganz einfachen und dauerhaften Maschinen und Steuerungen sehr hohe ökonomische Effecte erreichen kann, was ganz besonders bei einem Maschinensystem wie das vorbeschriebene deshalb von groſser Bedeutung ist, weil die Einfachheit desselben, die derben und dauerhaften Steuerorgane, welche kaum jemals in Unordnung gerathen können, erwarten lassen, daſs dieser hohe ökonomische Effect nicht vorübergehend ist, sondern auf die Dauer bestehen bleibt.