Titel: | Ueber elektrische Kraftübertragung. |
Autor: | Gustav Schmidt |
Fundstelle: | Band 244, Jahrgang 1882, S. 337 |
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Ueber elektrische Kraftübertragung.
Lévy und G. Schmidt, über elektrische Kraftübertragung.
Maurice
Lévy, Brückenbau-Oberingenieur in
Paris, behandelt in den Annales des Ponts
et Chaussées, 1882 S. 225 die wichtige Frage über
die elektrische Kraftübertragung auf groſse Distanz mit
gutem Wirkungsgrad. Der unterzeichnete Berichterstatter ist nicht Physiker vom Fach;
letztere dürften der vorliegenden Arbeit kaum eine wissenschaftliche Bedeutung
beilegen und das darin Enthaltene als bekannt betrachten; allein die Laien werden
derselben sicher einen bedeutenden Werth zuerkennen, weil sie die von der
Wissenschaft erkannten Wahrheiten in sehr einfacher und klarer Weise behandelt und
dieselben hierdurch popularisirt, ein Verdienst, welches auch von den Physikern
nicht in Abrede gestellt werden wird. Da die Frage der elektrischen Kraftübertragung
auf groſse Distanz auch für alle Laien in der Physik von gröſstem Interesse ist, so
halten wir einen ziemlich umfassenden Bericht hierüber für gerechtfertigt.
Um den Leitungswiderstand bei groſser Entfernung zu bewältigen, kann entweder die
elektromotorische Kraft gesteigert werden, wobei aber sehr bald jede Isolirung
unmöglich würde, oder man begnügt sich mit einer übertragenen Arbeitsmenge, welche
in dem Maſse kleiner wird, als die Entfernung gröſser geworden ist, welcher Vorgang
aber zwecklos wäre. Die Aufgabe kann jedoch für eine gegebene beliebig groſse
Arbeitsmenge gelöst werden, theoretisch ohne Grenzen, praktisch mit dem Rückhalt der
Beeinträchtigung des Ergebnisses durch störende Ströme. Ein solcher störender Strom
ist der Extrastrom, welcher aus der Periodicität des Hauptstromes entsteht; andere
störende Ströme entstehen in den weichen Eisenkernen der Maschinen. Von diesen
beiden Nebenhindernissen abgesehen, braucht man nur je nach der zu übertragenden
Pferdestärke eine gröſsere oder kleinere Zahl von magneto- oder dynamo-elektrischen
Maschinen oder von Elementen neben einander, nämlich auf Menge, nicht auf Spannung,
zu verbinden und hiermit die entfernten elektrischen Motoren, Lichtmaschinen oder
galvanoplastischen Apparate zu bethätigen, wobei für mehrere Maschinen zusammen nur
eine Leitung von entsprechendem Querschnitt angelegt werden kann.
Sobald dieser Satz ausgesprochen ist, so fällt Jedermann bei, daſs, um eine Maschine
von 300e zu betreiben, nicht ein Kessel von 300e, sondern etwa 6 Kessel zu 50e neben einander aufgestellt werden, welche
gemeinschaftliche Dampfleitung erhalten. Man arbeitet bei 300e nicht mit 15at
Spannung, wenn man bei 100e mit 5at arbeitet, weil die Erhöhung der Spannung die
Erhaltung der Dichtheit, „die Isolirung“ so sehr erschwert, sondern man
behält die 5at bei und paſst nur die Kesselzahl
der Arbeitsmenge an.
So selbstverständlich diese Sache ist, wurde sie bisher nicht erkannt oder wenigstens
nicht so unzweifelhaft deutlich ausgesprochen und ging dieselbe aus der folgenden
theoretischen Betrachtung Lévy's hervor.
Berichterstatter verwendet bei Mittheilung derselben genau die von Lévy benutzte Bezeichnung.
Am Punkte A werde mittels einer vorhandenen
Betriebsmaschine die Wassermenge von P Liter = P Kilogramm in der Secunde auf die Höhe H Meter gehoben. Hierdurch ist potentielle Energie Tm (travail moteur)
angehäuft:
T_m=P\,H . . . . (1)
Von dem Behälter, in welchen das Wasser einflieſst, geht eine
Rohrleitung zum Punkte B derart ab, daſs in der Secunde
auch die Menge Pk
ausflieſst, und zwar in einem Niveau H' über den
Anfangspunkt, so daſs das ausflieſsende Wasser noch die potentielle Energie Tu (travail utile):
T_u=P\,H' . . . . (2)
besitzt, so ist durch die Widerstände in der Leitung eine
Arbeitsmenge (in der Secunde) verloren gegangen =T_m-T_u und es
kann bei geringer Geschwindigkeit die Widerstandshöhe der Geschwindigkeit, also die
verlorene Arbeit dem Quadrat der Geschwindigkeit, somit auch dem Quadrat der Menge
P proportional angenommen werden, also:
T_m-T_u=S\,P^2 . . . . (3)
Setzen wir in den 3 Gleichungen die elektromotorische Kraft
E, E' statt der Höhe H,
H' und die Stromstärke J statt der Menge P ein, so lauten dieselben:
T_m=E\,J . . . . (1)
T_u=E'\,J . . . . (2)
T_m-T_u=S\,J^2 . . . . (3)
Dies sind die drei bekannten einfachen Gleichungen, deren man
zur Lösung der vorgelegten Aufgabe bedarf, und Levy hat
in seinen Mittheilungen in der Académie des Sciences am
7., 14. und 21. November 1881 schon gezeigt, daſs diese Gleichungen erlauben, alle
wichtigen Umstände des Problemes der Arbeitsübertragung zu studiren, die Art der
Arbeit und die Natur der Apparate oder der angewendeten Maschinen sei welche
immer.
Die 3 Gleichungen enthalten 6 Gröſsen Tm, Tu, E, E', J,
S und wenn man den Wirkungsgrad:
\alpha=\frac{T_u}{T_m}=\frac{E'}{E} . . . .
(4)
hinzufügt, so sind 4 Gleichungen mit 7 Gröſsen vorhanden, von
welcher 3 angenommen und 4 bestimmt werden können.
Nimmt man den Widerstand S des Stromes, die Nutzarbeit
Tu der secundären
Maschine in B und die elektromotorische Kraft E der primären Maschine am Punkte A als gegeben an, so folgt aus der Gleichung
E\,J-T_u=S\,J^2
:
J=\frac{E}{2\,S}\,[1\,\pm\,\sqrt{1-\frac{4\,S\,T_u}{E^2}}
\alpha=\frac{1}{2}\,[1\,\mp\,\sqrt{1-\frac{4\,S\,T_u}{E^2}}
T_m=\frac{E^2}{2\,S}\,[1\,\pm\,\sqrt{1-\frac{4\,S\,T_u}{E^2}}
E'=\frac{E}{2}\,[1\,\mp\,\sqrt{1-\frac{4\,S\,T_u}{E^2}}
. . . . (4)
Da der Wirkungsgrad α möglichst groſs sein soll, so ist
in allen 4 Gleichungen das untere Zeichen zu wählen. Dann würde α = ½, wenn \frac{4\,S\,T_u}{E^2}=1
ist, also:
S=\frac{E^2}{4\,T_u} . . . . (5)
Die elektromotorische Kraft E der primären Maschine kann
aber einen bestimmten erfahrungsgemäſsen Maximalwerth E0 nicht übersteigen, da man bei
Ueberschreitung desselben den Strom nicht isoliren könnte. Der Maximalwerth von S ist also:
S=\frac{{E_0}^2}{4\,T_u}.
Es besteht also ein bestimmter Maximalwerth des
Gesammtwiderstandes, gegen welchen man eine bestimmte Arbeit Tu in der Secunde übertragen kann, wie groſs auch
die Arbeitsmenge sei, über welche man verfügen kann und wie mächtig auch die
verwendeten elektrischen Maschinen sein mögen, gerade so wie die Zugkraft
einer Locomotive nicht von der Stärke der Maschine, sondern von dem Gewichte
abhängt, mit welchem die Triebräder belastet sind.
Aus Gleichung
\alpha=\frac{E'}{E}=\frac{1}{2}\,\left[1+\sqrt{1-\frac{4\,S\,T_u}{E^2}}\right]
. . . . (6)
sieht man, daſs der Wirkungsgrad α unverändert bleibt, wenn das Product STu constant bleibt, d.h. man kann Arbeit auf
beliebige Distanz mit gleichem Wirkungsgrad übertragen, wenn nur die übertragene
Arbeit Tu in demselben
Maſse abnimmt, als der Gesammtwiderstand S wächst.
Hiermit stimmt die von Marcel Deprez besprochene
Erfahrung Faraday's überein, daſs, wie groſs auch der
Widerstand sei, welcher zwischen einer Batterie und einem Voltameter eingeschaltet
ist, dennoch einer bestimmten Menge aufgelösten Zinkes immer eine gleiche Menge
zersetzten Wassers entspricht; nur wird die Zeit, in welcher eine bestimmte Menge
Wasser zerlegt wird, 10mal so groſs, also die Nutzarbeit in der Secunde 10mal so
klein, wenn der
Widerstand 10mal so groſs ist. Augenscheinlich entspricht dies aber nicht dem
industriellen Bedürfniſs eine gegebene Arbeit Tu auf groſse
Entfernung zu übertragen.
Auch das zweite Gesetz Deprez's ist aus Gleichung (6)
unmittelbar ersichtlich: „Die Nutzarbeit und der Wirkungsgrad bleibt constant, wie groſs auch die
Entfernung der Punkte A und B sei, wenn die elektromotorischen Kräfte E, E'
der Quadratwurzel aus dem Widerstand proportional sind“; denn dann
ist \frac{S}{E^2} und \frac{E'}{E} constant.
Lévy beansprucht die Priorität für dieses Gesetz,
weil er die Formel (6) früher (7. November 1881) der Akademie vorgelegt hat als Deprez seine Abhandlung (3. December 1881). – Auch
dieses Gesetz hat aber keine praktische Verwendung, weil sich E nicht beliebig steigern läſst.
Lévy fügt noch ein drittes paradox erscheinendes Gesetz
hinzu: Bei der elektrischen Transmission einer beliebigen
Arbeitsmenge ist der Wirkungsgrad desto gröſser, je gröſser die Entfernung ist,
wenn die elektromotorische Kraft des Generators dem Widerstände proportional
ist; denn für E = kS wird:
\alpha=\frac{1}{2}\,\left[1+\sqrt{1-\frac{4\,T_u}{k^2\,S}}\right],
also für S = ∞ ist α = 1. – Natürlich ist auch dieses Gesetz nicht
praktisch verwendbar, weil E an die Grenze E0 gebunden ist.
Lévy kommt daher zu folgendem Schluſs. In Gleichung (6)
ist E = E0 zu setzen, womit:
(2\,\alpha-1)^2=1-\frac{4\,S\,T_u}{{E_0}^2}
oder \alpha^2-\alpha=\frac{S\,T_u}{{E_0}^2}
also
S=\frac{{E_0}^2}{T_u}},\alpha(1-\alpha), . . .
. (7)
worin
S=\varrho+\varrho'+R, . . . . (8)
wenn ρ und ρ' die Widerstände der primären Maschine in A und des Empfängers in B
bedeuten und R der Widerstand in der Leitung ist. Die
Gröſsen ρ, ρ' können nicht beliebig herabgesetzt
werden; sonst würde die primäre Maschine nicht die elektromotorische Kraft E0 besitzen, welche man
verlangt, und die secundäre Maschine könnte nicht die elektromotorische Kraft E' = αE0 liefern, die dem Wirkungsgrad α entspricht, auſser man würde für die geringfügigste
Transmission Maschinen von übermäſsigen Abmessungen construiren.
Nur R kann durch hinreichende Dicke des Leitungsdrahtes
beliebig herabgesetzt werden; – dies ist nur ein Kostenpunkt.
Wenden wir aber n primäre Maschinen mit E ⋜ E0 und n' secundäre
Maschinen an, welche den Hauptstrom von der Intensität J erzeugen sollen, so ist in jeder der n
Verbindungen der primären Maschinen die Stromstärke = 1/nJ und die producirte
Arbeit für eine primäre Maschine = 1/n
EJ, also für alle n
Maschinen:
T_m=E\,J . . . . (1')
Ebenso die aufgenommene Arbeit für die n' secundären Maschinen:
T_u=E'\,J, . . . . (2')
also nach dem Ohm'schen Gesetz:
E-E'=\left(\frac{\varrho}{n}+\frac{\varrho'}{n'}+R\right)\,J
E-E'=S'\,J, wenn
S'=\frac{\varrho}{n}+\frac{\varrho'}{n}+R
somit
T_m-T_u=(E-E')\,J=S'\,J^2 . . . . (3')
Die drei Gleichungen (1') bis (3') unterscheiden sich von jenen (1) bis (3) nur
dadurch, daſs der Widerstand S durch S' ersetzt ist; es gelten also alle Folgerungen wie
früher; nur ist es jetzt möglich, die drei Bestandtheile von S' so klein zu machen, als man will, indem man n,
n' und die Stärke des Leitungsdrahtes hinreichend groſs wählt.
Hiermit ist die Aufgabe gelöst und, wenn E < E0. war, so wird man
selbst bei dem zufälligen Versagen einer einzelnen Maschine dennoch mit den übrigen
die gewünschte Arbeit Tu in der Secunde erhalten können, weil E
bis E0 gesteigert
werden darf.
Der Berichterstatter fügt bei, daſs Lévy durch seine
Arbeit ihm zuvorgekommen sei, – nicht in Bezug auf die Hauptsache, sondern nur in
Bezug auf die Analogie mit der Wasserleitung. Ich habe schon am 1. April d. J. Hrn.
Prof. A. v. Waltenhofen eine Arbeit zur Beurtheilung
vorgelegt, worin die Analogie zwischen den Gröſsen, welche hier mit E, E', J und H, H', P
bezeichnet sind, durchgeführt ist und worin ich zu dem Resultate gelangte:
1 Volt
=
106 Meter,
1 Ampère
=
1/g 10–6 Kilogramm für 1
Secunde,
1 Ohm
=
g 1012
Meter für 1k Stromstärke,
worin g = 9m,808 die Pariser Beschleunigung der Schwere
bedeutet.
Ist z.B. die elektromotorische Kraft E = 60 Volt, der
Widerstand R = 5 Ohm, also die Stromstärke J = (E : R) = 12 Ampère, so ist bekanntlich die Arbeit in der
Secunde oder der Effect:
A=\frac{J^2\,R}{g}=\frac{144\,\times\,5}{9,808}=73^{mk},4,
was sich auch aus der Multiplication der elektromotorischen
Kraft E=60\,\times\,10^6 Meter mit der Stromstärke
J=\frac{12}{g}\,\times\,10^{-6} Kilogramm für eine Secunde
ergibt: A=E\,J=\frac{60\,\times\,12}{g}=\frac{720}{g}=73,4.
Eben beschäftigt, auf Einwendungen v. Waltenhofen's eine
denselben befriedigende Antwort zu suchen und eine gemeinschaftliche Arbeit
anzubahnen, kam mir am 28. April der Artikel Levy's zu,
welcher genau dieselbe
Analogie aufstellt, welche übrigens, wenigstens theil-weise, bereits erkannt war,
indem man schon früher die Analogie von elektromotorischer Kraft und von Temperatur
mit einem Gefälle und jene von Stromstärke und Entropie mit einem Gewichte (Briot und Zeuner) nachwies
und Mach sogar das abwechselnde Fallen und Steigen des
Potentialniveau bei verzweigten Strömen durch den verzweigten Strom einer gefärbten
Flüssigkeit mittels Piezometer nachweist.
Ich setzte für Wasser von geringer Geschwindigkeit u die
Widerstandshöhe z=\alpha\,L\,u , worin α ein Erfahrungscoefficient, L die Länge und
u=\frac{V}{f} ist, unter f den
Querschnitt und V das Volumen in der Secunde
verstanden, so daſs P=V\,\gamma ist (γ = Gewicht für 1cbm), also
z=\alpha\,L\,\frac{P}{f\,\gamma} oder, wenn man
k=\frac{\gamma}{\alpha} setzt:
z=\frac{P\,L}{k\,f} folglich die Widerstandshöhe für
1^k=\lambda=\frac{z}{P}=\frac{L}{k\,f}.
Dies ist genau der Typus des Widerstandes λ eines
elektrischen Stromes in einer Leitung von der Länge L,
dem Querschnitt f und dem Leitungsvermögen k.
Gustav
Schmidt.