Titel: | Neuerungen an Sicherheitsschlössern; von A. Lüdicke, Professor an der technischen Hochschule in Braunschweig. |
Autor: | A. Lüdicke |
Fundstelle: | Band 247, Jahrgang 1883, S. 248 |
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Neuerungen an Sicherheitsschlössern; von
A. Lüdicke, Professor an der
technischen Hochschule in
Braunschweig.
(Fortsetzung der Abhandlung Bd. 241 S.
435.)
Patentklasse 68. Mit Abbildungen auf Tafel 19.
A. Lüdicke, über Neuerungen an Sicherheitsschlössern.
Bis zur Abfassung meines ersten Berichtes über Sicherheitsschlösser war im deutschen
Reiche noch keine Neuerung an Bramah- oder an Yale-Schlössern patentirt worden. Da
die letzteren in Deutschland nur in ganz geringem Umfange Verwendung finden, war
diese Thatsache nicht überraschend. Anders liegen die Verhältnisse bei dem
Bramahschloſs, welches sich noch immer und mit Recht groſser Beliebtheit erfreut.
Der gänzliche Mangel an Verbesserungsvorschlägen konnte zu dem Schlusse verleiten,
daſs das Bramahschloſs allen Anforderungen genüge, oder, wenn dies nicht der Fall,
der erfinderische Geist der Schloſsbauer sich bislang vergeblich abgemüht habe.
Bezüglich des ersten Punktes muſs angeführt werden, daſs ein Bedürfniſs nach höherer
Sicherheit, als das gewöhnliche Bramaheingerichte zu geben vermag, schon lange
vorhanden ist. Man suchte diese zu erzielen durch sehr sorgfältige Ausführung des
Bramah, durch Vereinigung mit einem anderen Sicherheitsschloſs, z.B. mit Chubb,
endlich durch Anbringung von Schlüssellochsicherungen oder durch Beigabe von
Rufapparaten, welche, sobald ein Unbefugter Sperrversuche unternimmt, den Besitzer
von der Gefahr in Kenntniſs setzen sollen. An einen weiteren Ausbau des
Bramahschlosses ist man, wie hieraus ersichtlich, nicht gegangen; ich bin überzeugt,
viele Bramahschloſsbauer haben eine Verbesserung des Bramaheingerichtes überhaupt
nicht für möglich gehalten. Die Frage, wie eine höhere Sicherheit bei dem
altbewährten Schloſs geschaffen werden kann, wurde eine brennende, als eine Reihe
für denselben Verwendungskreis bestimmter anderer Schloſsarten mit gröſseren
Sicherheitsgraden auftauchte. Ich brauche hier nur auf die Styria-, Kleinau- und Ade'schen Schlösser
hinzuweisen. Der Weg, welcher am ersten zum Ziele zu führen versprach, war
vorgezeichnet. Man muſste das bisher übliche Sperr verfahren, welches darauf beruht,
daſs in Folge unvollkommener Ausführung die einzelnen Sicherungstheile des
Eingerichtes – Zuhaltungen, Keile, Splinte genannt – bei einem Schlieſsversuche
ungleich beansprucht werden, unmöglich machen.
Diese Aufgabe ist in ganz vorzüglicher Weise von E. G.
Müller und G. J. Preuſsger in Zittau, Sachsen
(* D. R. P. Nr. 19457 vom 24. Januar 1882) gelöst worden. Die wesentlichsten Theile des älteren
und des verbesserten Bramahschlosses zeigen die Fig.
17 bis 19 Taf. 19.
Bei einem Sperrversuche verfährt man auf dem bisher üblichen Wege folgendermaſsen:
Man sucht den die Keile a aufnehmenden Cylinder b zu drehen, nachdem die die Keile nach auſsen
treibende Feder niedergedrückt ist. Dabei legt sich sofort einer der Splinte gegen
den entsprechenden Zahn des bei dem älteren Bramah festen Ringes c, wodurch die Drehung aufgehoben wird. Wäre die
Ausführung des Eingerichtes eine mathematisch genaue, so müſsten sich sämmtliche
Zuhaltungen gleichmäſsig an die Zähne legen. Dieses Ideal, welches das ganze
Sperrverfahren unmöglich machen würde, ist aber nicht erreichbar. Welche der
Zuhaltungen im Augenblick die Drehung verhindert, erfährt man, wenn man vorsichtig
eine nach der anderen hineinzuschieben sucht; die sperrende Zuhaltung setzt der
Bewegung den gröſsten Widerstand entgegen. Schiebt man dieselbe vorsichtig hinein,
so springt sie schlieſslich ein, d.h. der seitliche Ausschnitt kommt dem Zahn
gegenüber zu stehen und nun setzt dieser Keil der Drehung des Cylinders kein
Hinderniſs mehr entgegen; ein anderer Splint hat die Stützung übernommen. Derselbe
wird auf gleiche Weise aufgefunden und in die Todtlage gebracht u.s.f., bis
sämmtliche Keile eingesprungen sind, der Cylinder gedreht und damit der Riegel
zurückgezogen werden kann. Müller und Preufsger haben den sperrenden Ring c so in das Gehäuse eingebettet, daſs er eine kleine
Drehung ausführen kann. Auf der einen Ringhälfte sitzt ein Stift d, welcher in die Gabel des in einem Ausschnitt des
Gehäuses angebrachten und um den Stift e drehbaren
Sperrzahnes f eingreift. Wird nun ein Sperrversuch in
der angegebenen Weise vorgenommen, so dreht sich der Ring c und bringt den Zahn f in die in Fig.
19 gezeichnete Lage, wodurch Linksdrehung des Cylinders b verhindert wird; die Keile treten jetzt auſser
Wirkung. Ein weiterer Versuch, dieselben einzustellen, kann zu keinem Resultate
führen. Dreht man den Cylinder zurück, so geht der Sperrzahn wieder in seine
Mittelstellung, in welcher er durch Federn gehalten wird. Beim Schlieſsen mit dem
richtigen Schlüssel bleibt der Ring c, also auch der Sperrzahn f in Ruhe.
Durch diese Veränderung ist die Sicherheit des Bramahschlosses unstreitig eine
bedeutend gröſsere geworden. Ich habe mit einem solchen Eingerichte von sehr
geschickter und im Oeffnen von Bramahschlössern geübter Hand Sperrversuche machen
lassen, welche erfolglos verliefen. Müller und Preuſsger haben das groſse Verdienst, das Bramah wieder
in die erste Linie der Sicherheitsschlösser eingereiht zu haben; man kann diese
Verbesserung allen Kassenschrankbauern, welche das Bramahschloſs verwenden oder
verwenden möchten, unbedenklich empfehlen.
Weit hinter der beschriebenen Einrichtung steht die in Fig. 20 und
21 Taf. 19 abgebildete, von O. Rieger in
Berlin (* D. R. P. Nr. 15311 vom 19.
März 1881) angegebene zurück; derselbe bildet die Splinte aus zwei auf einander liegenden
Blechstreifen, während dieselben bisher durch Zusammenbiegen eines Streifens
erhalten wurden. Dadurch lassen sich die Einschnitte versetzen, so daſs jeder
Streifen des in einem Schlitz des Zuhaltungscylinders b
(Fig. 20) liegenden Paares bei dem Einstecken des Schlüssels auf
verschiedene Tiefe hineingedrängt wird. Der Schlüssel besitzt in Folge dessen
abgestufte Einschnitte (vgl. Fig. 21).
Man erkennt sofort, daſs das allgemein übliche Sperrverfahren durch diese Anordnung
nicht unmöglich gemacht ist. Die Zahl der Zuhaltungen ist lediglich verdoppelt und
das Aufsperren auſserdem noch etwas erschwert worden dadurch, daſs die Streifen auf
einander mit einiger Reibung gleiten.
Neuerungen an Chubbschlössern sind diesmal weniger zu
verzeichnen, aber das Wenige ist meist gut. Recht hübsch ist die von Joh.
Hörn in Heiligenhaus (* D. R. P. Nr. 15957 vom 11. Januar 1881) angegebene
Anordnung zum Sperren des Schlosses von beiden Seiten. Die Schlüssellöcher I und II sind versetzt und
die Zuhaltungen haben die aus Fig. 22
Taf. 19 ersichtliche Form erhalten. Auf einem am Riegel sitzenden Stift a dreht sich der Hebel b,
welcher, wenn der Schlüssel nach völligem Zurückziehen des Riegels noch einmal
herumgedreht wird, die Falle c einzieht. Man kann also
am Tage, wenn der Hauptriegel d offen ist, von beiden
Seiten mit dem Schlüssel durch eine Vierteldrehung öffnen. Das Schloſs ist für
Wohnungsthüren recht brauchbar; es dürfte sich dann empfehlen, für das Oeffnen der
Falle von der Innenseite Drücker und Nuſs anzuordnen.
Sehr gut veranlagt ist das in Fig. 23
Taf. 19 gezeichnete Chubbschloſs von Th. Herschleb in
Hamburg (* D. R. P. Nr. 14992 vom 23.
Januar 1881). Die Zuhaltungen a sind
senkrecht beweglich und erfahren Hebung vom Schlüssel durch Einschaltung der Hebel
b. Die oberste Zuhaltung besitzt zum Feststellen
des Riegels bezieh. zur Aufnahme des Riegelstiftes c
verschiedene Ruhen, während die unteren Zuhaltungen einfach gerade Schlitze erhalten
haben, was allerdings nicht zur Erhöhung des Sicherheitsgrades beiträgt. Ist bei
einem Sperrversuch der Riegel um eine Tour zurückgezogen, so genügt dann zum
völligen Oeffnen das Ausheben der obersten Zuhaltung. Wären alle mit Ruhen versehen,
so müſste das ganze Sperrverfahren wiederholt werden. Jede Zuhaltung trägt oben
einen Stift, über welchen eine Schraubenfeder geschoben ist, um den Niedergang zu
besorgen.
In Bezug auf Erhöhung der Sicherheit wirkt das Verhältniſs der in der Figur mit p und q bezeichneten
Hebelarme sehr günstig; geringe Unterschiede in der Höhe der Bartstufen werden, da
die Zuhaltungen einen entsprechend gröſseren Weg als der Angriffspunkt des
Schlüssels an den Hebeln b zurücklegen, das Oeffnen
verhindern. Werden die Zuhaltungen von genau gleicher Breite hergestellt, was sich
durch Fräsen leicht erreichen läſst, so dürfte auch das allgemeine Sperrverfahren
kaum zu einem Resultate führen. Bei ganz ausgeschobenem Riegel liegt der Stift c, wie Fig. 23
zeigt, vor sämmtlichen Zuhaltungen. Wollte man den Riegel durch einen eingebrachten
und entsprechend belasteten Haken zurückzutreiben suchen, so würde sich der Stift
c gleichmäſsig gegen alle Zuhaltungen anlegen und
alle müſsten der Bewegung gleichen Widerstand entgegensetzen. Eine derartige genaue
Ausführung ist hier viel leichter zu erreichen, als bei den um einen Stift drehbaren
Zuhaltungen der gewöhnlichen Chubbschlösser.
Auf einen groben Fehler dieses im Allgemeinen recht guten Schlosses, welcher sich,
wie ich in meinem früheren Berichte erwähnt und nachgewiesen habe, auffallender
Weise bei recht vielen Sicherheitsschlössern findet, muſs noch aufmerksam gemacht
werden. Findet der Riegel bei dem Ausschlieſsen starken Widerstand und ist in den
Riegelangriffen todter Gang vorhanden, was recht häufig vorkommt, so kann der Fall
eintreten, daſs der Stift c die Zuhaltungsausschnitte
nicht verläſst. Dann kann man den Riegel durch einen Druck gegen den Kopf oder mit
einem Haken um die erste Tour zurückschieben. Das weitere Zurückschlieſsen geht, wie
ich oben gezeigt habe, sehr leicht. Der Besitzer des Schlüssels gewinnt also bei dem
Verschlieſsen nicht ohne Weiteres die Gewiſsheit, daſs das Schloſs auch wirklich
sicher verschlossen ist. Diese wäre leicht zu schaffen: Man braucht nur den
unmittelbar auf dem Riegel liegenden Hebel b mit einem
Fenster, wie dies bei e angedeutet ist, zu versehen und
den Theil e1 so weit
herunter zu kröpfen, daſs er von der die Riegelverschiebung besorgenden Bartstufe
getroffen wird. Ist jetzt der Riegel nicht völlig ausgeschlossen, so kann der
Schlüssel nicht abgezogen werden. Das nach dieser Richtung verbesserte Schloſs kann
für Ladenthüren, für Thüren von Niederlagsräumen, Kassenzimmern u. dgl. empfohlen
werden.
Eine neue Form des Styriaschlosses bietet J.
Schaufler in Ravensburg (* D. R. P. Nr. 15083 vom 19. Februar 1881). Was zunächst den
Schlüssel a (Fig. 24 und
25 Taf. 19) betrifft, so enthält derselbe in der Hülse q zwei Platten r und s, welche an der äuſseren Stirnseite und den beiden Langseiten verzahnt sind, während – soviel mir
bekannt ist – bisher nur immer eine Langseite verzahnt war. Diese neue Form des
Schlüssels deutet darauf hin, daſs zwei Sätze von Sicherheitsplatten mit in die
Schlüsselstufen eintretenden Stiften vorhanden sein werden, wie dies aus dem
Querschnitt Fig. 24 und
der Ansicht Fig. 26
auch hervorgeht. Führt man den Schlüssel in das Schlüsselloch b ein (vgl. Fig. 24 und
26), so setzen sich zunächst die an der Stirnseite befindlichen Stufen
t in die am Schloſskasten festen Stufen u. Dadurch ist die Lage der Platten r und s bestimmt. Bei
einem weiteren Druck gegen den Schlüssel schiebt sich die Hülse q, da zwischen dieselbe und die Platten r und s Federn w eingelegt sind, noch tiefer in das Schloſs der
vordere Rand von q trifft den Stift c und letzterer drängt eine Feder d zurück, wodurch der Verschluſsriegel e (Fig. 26)
erst frei wird. Bei einer nunmehr erfolgenden Drehung des Drückers g hebt die Nuſs f den Verschluſsriegel. Ein
auf demselben befindlicher Stift h greift in die
Schlitze m und n; davon
gehört m dem Gehäuse i und
n dem Gehäuse k an, in
welchen die Sicherungsplatten l liegen. Diese Platten
laufen in den Gehäusen mit einiger Reibung, werden also mitgenommen, wenn bei
Aufgang des Verschluſsriegels eine Bewegung der Gehäuse gegen den Schlüssel
eintritt, und bleiben stehen, sobald die Stifte gegen die Schlüsselstufen stoſsen.
Die Sicherheitsplatten besitzen Einschnitte, welche, wenn mit dem richtigen
Schlüssel geschlossen wird, genau über einander liegen, sobald die Platten zur Ruhe
gekommen sind, und nun die auf dem Verschluſsriegel sitzenden Stifte e1 und e2 eintreten lassen,
wobei der Riegel ganz zurückgezogen wird.
Es fragt sich nun, was der Erfinder mit dieser neuen Anordnung bezweckt: Eine
Erhöhung der Sicherheit? Diese kann nur dann eintreten, wenn die Gesammtzahl der
Zuhaltungen gröſser ist als z.B. bei dem Ade'schen
Schloſs (vgl. 1881 241 * 440). Ist die Zahl der
Zuhaltungen die gleiche, so ist der Sicherheitsgrad sogar ein geringerer. Der
Versuch, die Sicherungsplatten einzustellen, wird offenbar um so leichter gelingen,
je weniger Platten hinter einander liegen. Einen Vortheil bietet die Anordnung in
zwei Gruppen allerdings; die Bauhöhe des Schloſskastens wird eine geringere. Dies
scheint mir noch das beste der ganzen Neuerung. Unbequem ist auch, daſs man beide
Hände zum Oeffnen gebrauchen muſs; die eine Hand hat den Schlüssel fest angedrückt
zu halten, während die andere mittels des Drückers den Verschluſsriegel anheben
muſs.