Titel: | Ueber den Reibungswinkel; von Gustav Herrmann. |
Fundstelle: | Band 247, Jahrgang 1883, S. 443 |
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Ueber den Reibungswinkel; von Gustav Herrmann.
Mit Abbildungen.
G. Herrmann, über den Reibungswinkel.
In der als Festgabe zur 3. Säcularfeier der Universität
Würzburg von Prof. Gustav Herrmann in Aachen verfaſsten Abhandlung:
„Der Reibungswinkel“Braunschweig 1882. Druck von Friedr. Vieweg und
Sohn in Braunschweig. Vgl. auch Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1883
* S. 1 ff. gelangt der Verfasser unter steter
Bezugnahme auf den Reibungswinkel und Reibungskegel sowohl durch graphische, als
durch rechnerische Verfahren zu einer Reihe interessanter Betrachtungen über
verschiedene für die Praxis wichtige Reibungsverhältnisse. Unter anderem gibt
derselbe ein höchst einfaches Mittel an, um das Verhältniſs
der Reibungscoëfficienten der Ruhe und der Bewegung und daraus diese
Reibungscoëfficienten selbst festzustellen.
Wenn ein glatter prismatischer Stab auf 2 Stützen aufruht und man bewegt diese
Stützen gegen einander, so zeigt sich, daſs der Stab abwechselnd auf der einen oder
der anderen Stütze gleitet, nie in beiden gleichzeitig, und daſs schlieſslich die
beiden Stützen sich in der durch den Schwerpunkt des Stabes gelegten Verticalebene
begegnen. Dieser Vorgang findet seine Erklärung in der Verschiedenheit der
Reibungscoëfficienten der Ruhe und der Bewegung. Liegt der Stab über den Stützen so,
daſs die Auflagedrücke verschiedene Gröſse haben, so wird beim Versuch einer
gleichmäſsigen Annäherung der Stützen gegen einander dort, wo der kleinere Druck,
also die kleinere Reibung herrscht, Gleiten eintreten. An dieser Stelle tritt dann
Reibung der Bewegung auf, während an der anderen Reibung der Ruhe herrscht. Rücken
die Stützen einander näher, so wächst die Belastung an der gleitenden Stelle und es
wird ein Augenblick kommen, in welchem sich beide Reibungen die Wage halten. Die
kleinste weitere Verschiebung bewirkt alsdann, daſs in dem bisher bewegten
Stützpunkt die Reibung gröſser wird als in dem anderen; es wird der Stab hier zur
Ruhe kommen und auf dem anderen gleiten, bis wieder Gleichgewicht eintritt und so
fort.
Bezeichnet fr den
Reibungscoëfficient der Ruhe, fb den der Bewegung und S1 und S2 die entsprechenden Auflagedrücke, so muſs für
jeden Augenblick die Beziehung gelten: S1
fr = S2
fb oder fr : fb = S1 : S2. Da nun bei
Anwendung eines mit Theilung versehenen Versuchsstabes sich jene Stellen, in denen
ein Wechsel im Gleiten eintritt, leicht markiren und daraus die Drücke berechnen
lassen, so kann das Verhältniſs fr : fb für jeden Körper leicht ermittelt werden. Ist dann etwa der
Reibungscoëfficient der Ruhe für irgend ein Material durch Versuche genau bestimmt,
so läſst sich daraus die ganze Reihe der übrigen Coëfficienten sowohl für die Ruhe,
als für die Bewegung ableiten.
Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen gelangt Verfasser zu dem Schluſs, daſs ein
auf schiefer Ebene liegender Körper unfehlbar abgleitet, auch wenn der
Neigungswinkel weit unter dem Reibungswinkel liegt, sowie die Unterlage
Erschütterungen ausgesetzt wird, – ein Ergebniſs, welches die täglich zu machende
Erfahrung mit dem Selbstlösen von Schraubenmuttern nur bestätigt. Die aus der
gleichen Ursache entspringende Erscheinung, daſs ein über einer sich drehenden Welle
hängender Ring bei der geringsten Neigung der Welle gegen die Horizontale allmählich
nach der tiefer liegenden Stelle wandert, benutzt Herrmann zur Ausführung eines Apparates, welcher dazu dienen kann, die Güte verschiedener Schmiermittel unter einander zu
vergleichen. Die Vorrichtung besteht, wie Figur 1
zeigt, aus einer genau cylindrisch abgedrehten, in zwei Lagern gebetteten und gegen
die Horizontale beliebig verstellbaren Spindel, über welche eine halbe, durch ein
angehängtes Gewicht belastete Lagerschale gelegt ist. Die Güte der einzelnen auf die
Welle gegebenen Schmiermittel ist umgekehrt proportional der Anzahl Umdrehungen,
welche bei gleicher Neigung der Welle nöthig ist, um die Lagerschale in der Richtung
der Achse um eine bestimmte Länge zu verschieben.
Fig. 1., Bd. 247, S. 443
Fig. 2., Bd. 247, S. 443
Hieran schlieſsen sich Betrachtungen über die Reibung bei den
Schneidwerkzeugen, sowie die Reibung bei den Walzwerken. Dieselben ergeben die Folgerung, daſs zwei zusammenarbeitende
Walzen als Keilgetriebe mit unendlich kleinem Keilwinkel zu betrachten sind und die
Anwendbarkeit dieses
Gedankens für die Praxis zeigt Prof. Herrmann (* D. R.
P. Kl. 47 Nr. 18408 vom 22. December 1881) durch Umgestaltung der bisher
gebräuchlichen Keilpressen in der Art, daſs an Stelle
des durch ebene Flächen begrenzten, auf ebenen Flächen gleitenden Keiles Rollen
gesetzt werden. Figur 2 gibt die Hauptform der
vorgeschlagenen Keilgetriebe wieder. In theoretischer Hinsicht haben solche Getriebe
den groſsen Vorzug, daſs die gleitende Reibung an den Keilflanken, welche bei
gewöhnlichen Keilgetrieben der bewegenden Kraft gerade entgegen wirkt, in Wegfall
kommt, wodurch ein weit höherer Wirkungsgrad erreicht werden kann.