Titel: | Ueber den Farbstoff Roccellin. |
Autor: | S. |
Fundstelle: | Band 251, Jahrgang 1884, S. 321 |
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Ueber den Farbstoff Roccellin.
Roussel, über das Roccellin.
Emil
Roussel theilt der Société
Industrielle du Nord de la France und daraus im Moniteur de la Teinture, November 1883 S. 271
verschiedene Einzelnheiten über das Roccellin mit. Dieser durch Diazotirung von
Naphtylaminsulfosäure und Paarung mit β-Naphtol
hergestellte Farbstoff ist bekanntlich einer der echtesten der Azoreihe. Vor allem,
wie aus seiner Benennung hervorgeht, dazu bestimmt, die Orseille (Roccella tinctoria) zu ersetzen, läſst er sich jedoch
auch in gewissen Fällen für rothe und karmoisinrothe Töne an Stelle von Cochenille
und Krapp verwenden. Auf der vegetabilischen Faser konnte das Roccellin bis zur
Stunde noch nicht fixirt werden. Das Färben der Seide,
wofür es in groſsen Mengen verwendet wird, geschieht wie gewöhnlich unter Zuzug von
Seife und Säure und Schönen in Schwefelsäure. Die Anwendung in der Wollfärberei stieſs im Anfange auf Schwierigkeiten; in
Folge der auſserordentlichen Verwandtschaft des Roccellins zur Wolle zieht diese
Faser den Farbstoff mit derartiger Begierde an, daſs man, wenn man nicht besondere
Vorsichtsmaſsregeln trifft, ungleichmäſsige Färbungen bekommt.
Roussel verfährt folgendermaſsen: Man säuert das Bad
leicht mit Salzsäure an, erwärmt es auf 50° und läſst die Wolle 15 bis 30 Minuten
darin verweilen; dann erst gibt man das Roccellin nach und nach zu und steigert die
Temperatur allmählich in einer halben Stunde bis auf 90°; hierbei beläſst man sie
eine weitere halbe Stunde. Unter diesen Bedingungen fallen die Färbungen ganz
gleichmäſsig aus.
Durch Zugabe von Chrysoïn erhält man eine Farbe, welche vortheilhaft das Krapproth
ersetzen kann, und glaubt Roussel, daſs dieser Ersatz
zum Färben der rothen Militärhosen vorgenommen zu werden verdiente, wobei eine
Ersparniſs von 50 Proc. zu erzielen wäre. Tintenflecken wären auf dem so gefärbten
Tuch leicht durch Oxalsäure zu entfernen; denn die Eisensalze sind ohne Einfluſs auf
das Roccellin, während Alizarinroth bekanntlich ihnen gegenüber ungemein empfindlich
ist. Roussel räth um so mehr zu diesem Schritte, da der
Krappbau fast ganz verlassen worden und das künstliche Alizarin kein nationales
Product Frankreichs sei. Industrie und Staatsbudget würden also aus dieser Aenderung
Nutzen ziehen. (Im Interesse der Echtheit der Farbe, welche nun ein für alle mal
nicht mit derjenigen des Alizarins verglichen werden kann, wären hiergegen auf der
anderen Seite gewichtige Bedenken zu erheben.)
Andere Töne werden aufgefärbt durch Mischungen von Roccellin mit Indigkarmin,
Chrysoïn, Orange, Naphtolgelb u. dgl. Den Indigkarmin setzt man erst gegen das Ende
der Operation zu, unter gleichzeitiger Beigabe von Schwefelsäure und Glaubersalz.
Diese Färbungen sind an der Luft fast ebenso beständig wie Cochenille und ungleich
beständiger wie Orseille. Cochenille und Orseille ändern ihre Farbe ins Gelbe durch
Säuren und ins Violetrothe durch Alkalien, während das Roccellin unter dem Einflüsse
dieser Reagentien nichts von der Frische seiner Tönung einbüſst. Der
Herstellungspreis der Roccellinfärbungen steht 80 Proc. niedriger als derjenige der
mit Hilfe der Cochenille erzeugten, bezieh. 40 Proc. niedriger als derjenige der von
der Orseille sich ableitenden Töne. Seit dem Erscheinen des Roccellins hat sich der
Verbrauch der Orseille bedeutend vermindert. Hierzu hat übrigens auch die Einführung
des Säurefuchsins das ihrige beigetragen.
Im J. 1877 hat Frankreich 2324254k Orseilleflechten
eingeführt und 510742k verarbeitete Orseille
ausgeführt. Im J. 1881 fiel die Einfuhr auf 1486670k, während die Ausfuhr auf 929899k
stieg. Der Verbrauch der Orseille in Frankreich ist heutzutage von geringer
Bedeutung und die Fabrikation dieses Productes ist dem Untergange geweiht. Letztere
betrug im J. 1877 ungefähr 1700t, im J. 1866
600t. Die Orseille wird kaum noch zur
Erzeugung von verschiedenen Tönen von Grau angewendet. Die rothen und granatrothen
Töne spielen auf den für Möbelartikel bestimmten Wollstoffen eine hervorragende
Rolle. Roccellin gestattet solide und billige Herstellung derselben und dank der
rationellen Anwendung dieses Farbstoffes ist Roussel dazu gekommen,
ungefähr ¾ der gesammten französischen Production der Möbelwollstoffe zu färben.
Vorher wurden letztere während 50 Jahren von einem Pariser Färber gefärbt; die
bloſse Anwendung des Roccellin hat also genügt, um eine Industrie, welche während
eines halben Jahrhundertes, an einem Orte blühte, von diesem an einen anderen zu
verpflanzen.
S.