Titel: Ueber Neuerungen im Geschützwesen.
Autor: W. S.
Fundstelle: Band 255, Jahrgang 1885, S. 427
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Ueber Neuerungen im Geschützwesen. Patentklasse 30. Mit Abbildungen im Texte und auf Tafel 30. Ueber Neuerungen im Geschützwesen. Ueber das Wesen der „künstlichen Metallconstruction“ der Geschützrohre ist aus allerdings sehr nahe liegenden Gründen noch sehr wenig in die Oeffentlichkeit gelangt. Um so erfreulicher ist es, daſs in der Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1883 Bd. 27 S. 150 eine sachgemäſse Abhandlung erschien, welche sich mit der Besprechung der allgemeinen heute bei der „künstlichen Metallconstruction“ in Frage kommenden Prinzipien und mit der einiger ausländischer Geschützrohreinrichtungen befaſst. Im Anschlüsse an jenen Aufsatz sollen in Folgendem einige neuere deutsche Geschützrohrconstructionen besprochen werden. Zum allgemeinen Verständnisse sei zunächst vorausgeschickt, daſs erst mit der Erfindung des langsam brennenden Pulvers und der bemäntelten bezieh. beringten Geschützrohre Rohre von der heutigen Leistungsfähigkeit hergestellt werden konnten. Durch Verwendung des langsam brennenden Pulvers wurde der früher plötzlich in seiner ganzen Gröſse auftretende Druck durch einen geringeren Anfangsdruck ersetzt, der stetig wächst und seine gröſste Höhe erreicht in dem Augenblicke, in welchem das Geschoſs die Rohrmündung verläſst. Dabei stellte es sich als vortheilhaft heraus, derartige Verhältnisse für Ladung, Geschoſsgewicht und Rohrlänge zu wählen, daſs die Gasentwickelung genau so lange anhält, als sich das Geschoſs innerhalb des Rohres befindet. Die Bemäntelung und Beringung der Rohre bezweckt, das Rohr aus verschiedenen Metallschichten herzustellen, welche von vorn herein in eine derartige gegenseitige Anspannung versetzt werden, daſs jede Schicht im Augenblicke der Explosion zu einer der zeitweiligen Anstrengung entsprechenden äuſsersten Wirkung und damit das Ganze zu einer gleichmäſsigen Ausnutzung gelangen kann. Man schiebt in Folge dessen auf ein Kernrohr ein zweites vorher erhitztes und dadurch aufgeweitetes Rohr, dessen innerer Durchmesser vor der Erwärmung geringer ist als der äuſsere Umfang des Kernrohres. Bei der Erkaltung sucht das äuſsere Rohr sich zusammen zu ziehen, trifft auf den Widerstand des inneren Rohres und geräth so in einen Zustand der Zugspannung, während das Kernrohr in Druckspannung versetzt wird. Ehe also letzteres bei der Explosion angestrengt werden kann, muſs der Gasdruck bis zum Aufheben der im Kernrohre vorhandenen Druckspannung gewachsen sein, was unter Erhöhung der Zugspannung des äuſseren Rohres bewirkt wird. Es hat somit ein Ausgleich der Widerstandskräfte beider Rohre stattgefunden und ist gewissermaſsen ein Theil der Wirksamkeit des äuſseren Rohres auf das innere übertragen worden. Beim weiteren Bemänteln des Kernrohres wird dieser Zustand der Anspannung in entsprechendem Sinne erhöht. Daſs die Stärke der Bemäntelung an den verschiedenen Stellen des Kernrohres je nach der Inanspruchnahme eine verschiedene sein muſs, ist selbstverständlich. Während nun in der Regel das Kernrohr durch die ganze Rohrlänge hindurchgeführt ist, sind die äuſseren Rohrmäntel bezieh. Ringe aus mehreren Stücken zusammengesetzt, welche entweder stumpf an einander stoſsen, unter einander verklammert sind, oder mittels Ansätze in einander eingreifen. Jedoch herrscht über die Längsverbindung der einzelnen Rohre noch ein gewisses Dunkel, da jeder der gröſseren Erzeuger daraus ein streng gehütetes Fabrikgeheimniſs macht. J. Vavasseur in Southwark, England (* D. R. P. Nr. 22 893 vom 5. Januar 1883) verbindet Kern- und Mantelrohr dadurch, daſs auf der äuſseren Fläche des ersteren und auf der inneren des zweiten Rohres eine schraubengangförmige Nuth eingedreht ist. Nachdem dann die beiden Rohre in bekannter Weise warm über einander gezogen worden sind, wobei darauf zu achten ist, daſs sich die beiden Nuthen genau zu einer ergänzen, wird in den hohlen Schraubengang ein nach derselben Steigung gewundener Stab hineingedreht, oder es wird die Nuth mit irgend einem Metalle vollgegossen. Eine Längs Verschiebung der beiden Rohre gegen einander wird dadurch zur Unmöglichkeit gemacht. Dieses Verfahren ist vorzugsweise für Mantelrohre bestimmt, während sich der Vorschlag von C. T. de Bange in Paris (* D. R. P. Nr. 24272 vom 10. Februar 1883) auf Ringgeschütze bezieht, wobei also über das Kernrohr eine gröſsere Anzahl erwärmter Ringe neben und über einander gezogen sind. Um nun diese einzelnen Ringe sowohl mit dem Kernrohre, als unter sich zu verbinden, gibt C. de Bange denselben eine doppelkegelförmige Gestalt. Die äuſsere Fläche des Kernrohres ist am hinteren Ende zuerst zylindrisch (Fig. 16 Taf. 30)- sodann geht sie in einen Kegelstumpf über, dessen breiteres Ende nach der Mündung gerichtet ist, und verjüngt sich dann wieder- hierauf folgt eine dritte Kegelstumpffläche, dann ein cylindrisches Stück, das bis an den Vorsprung reicht, gegen welchen der Ring E der ersten Ringschicht stöſst. Von diesem Vorsprunge ab verjüngt sich das Rohr wieder bis kurz vor der Mündung; hier verstärkt es sich wieder, so daſs die Basis des so gebildeten Kegelstumpfes die Mündung des Geschützrohres bildet. Auf diesem Rohrkerne sind nun Ringe der skizzirten Querschnitte aufgezogen, so daſs jedes Gleiten derselben auf dem Kernrohre und unter sich durch die Ringe B, E und J verhindert wird. Es wird also bei dem Bestreben, das Kernrohr in der Längenrichtung aus einander zu reiſsen, nicht allein der Widerstand seines Materials und die Reibung zwischen demselben und der ersten Ringschicht in Anspruch genommen, sondern vermöge der doppelkegelförmigen Ringe die Festigkeit aller übrigen Ringschichten. Betreffs genauerer Einzelheiten dieser künstlichen Metallconstruction muſs auf die Patentschrift verwiesen werden. Einen ähnlichen Weg schlägt G. A. Cassagnes in Paris (* D. R. P. Nr. 24804 vom 18. Februar 1883) vor- nur benutzt er statt geknickter (doppelt) kegelförmiger Ringe solche von schwach trapezförmigem Querschnitte. In Folge dessen erweitern sich, wie aus Fig. 17 Taf. 30 zu entnehmen, die inneren Flächen der ersten Ringschicht A nach der Mündung des Rohres zu, während die äuſseren Flächen jener Ringschicht sich nach dem hinteren Rohrtheile zu erweitern. Dem entsprechend sind die inneren Flächen der zweiten Ringschicht gestaltet. Auſserdem ist noch dafür gesorgt, daſs die einzelnen Ringe unter sich in Verband stehen. – Wie diese Construction wirken soll, ist nicht recht klar. Nimmt man an, das Kernrohr habe in der Mitte des Ringes A1 das Bestreben sich zu dehnen, so wird es, da es nach links nicht weiter in den Ring A eintreten kann, indem dessen Querschnitt sich nach links verjüngt, A1 einfach unter B1 weg ziehen, was möglich ist, da B sich nach hinten erweitert. Ein Bruch des Rohres kann also hier und auch an allen anderen Stellen stattfinden, ohne daſs die Nebenringschichten auf Zug beansprucht werden. Das Ideal einer künstlichen Metallconstruction würde man dann erreichen, wenn jeder concentrischen Ringschicht des Rohrkörpers die ihr zukommende Spannung ertheilt werden könnte. Man müſste dann unendlich viele Ringe mit verschiedenen Spannungen über einander ziehen, was praktisch unmöglich ist. Man kann sich jedoch eine solche Gestaltung beim Anwenden von Drahtumwickelungen um das Rohr denken, denen in jeder Lage eine bestimmte Spannung ertheilt werden kann. Dahin zielende Vorschläge sind schon vor mehr als 20 Jahren gemacht worden und scheinen sich dieselben neuerdings, wie Nachrichten aus Frankreich und England bestätigen, verwirklichen zu wollen. Es macht den Draht zur Verstärkung von Rohren besonders seine hohe absolute Festigkeit und seine Beanspruchung in der Faserrichtung geeignet. Abgesehen hiervon kann Draht kalt zur Umwickelung benutzt werden und, wie schon gesagt, jede Spannung erhalten. Die Längsanspannung des Rohres muſs natürlich vom Kernrohre oder der äuſseren Umhüllung aufgenommen werden. Eine Schwierigkeit soll bis jetzt die Befestigung der Drahtenden gewesen sein. Doch scheint dieselbe gehoben, da schon Schieſsversuche mit Drahtgeschützrohren angestellt wurden. Der Vorschlag von G. E. Woodbridge in Washington (* D. R. P. Nr. 22661 vom 2. September 1882) bezieht sich auf ein solches Drahtgeschützrohr. Es besteht aus einem Kernrohre A (Fig. 18 Taf. 30), um welches neben einander Längsstäbe B gelegt sind. Dieselben greifen am Hinterende in ein Schraubengewinde des Kernrohres ein. Um die Stäbe B legen sich hinten und vorn die Muttern C und D, zwischen welchen die Drahtwindungen liegen. Vor D ist das Kernrohr noch durch die Ringe H, J und K verstärkt, während über D der Ring E Hegt, auf welchen der Schildzapfenring F aufgeschraubt ist. Der Stahldraht kann entweder einen quadratischen oder flachen rechteckigen Querschnitt haben. Will man die einzelnen Drähte zusammenlöthen, so empfiehlt es sich, verzinnten Draht zu nehmen und das ganze Rohr nach beendeter Umwickelung in ein Zinnbad zu tauchen. Durch eine derartige Erwärmung wird allerdings ein Hauptvortheil des kalt aufgewickelten Drahtes wieder in Frage gestellt, da man nicht mehr feststellen kann, weiche Veränderung die Erwärmung im Drahte selbst hervorgerufen hat. Eine beachtenswerte Neuerung an Schraubenverschlüssen für Geschützrohre wurde von Vavasseur (* D. R. P. Nr. 22894 vom 6. Januar 1883) angegeben. Bekanntlich besitzen die gebräuchlichen Schraubenverschlüsse abgesetztes Gewinde, d.h. der Umfang des Verschlusses bezieh. des Verschluſslagers ist in 6 Theile getheilt und die Schraubengänge an den ungeraden Theilen sind weggenommen. Der Verschluſs wird nun so in das Rohr eingesetzt, daſs die Schraubenwindungen des Verschlusses auf die glatten Stellen des Verschluſslagers zu stehen kommen; dann wird der Verschluſs in seiner ganzen Länge gerade in das Rohr eingeschoben und um 60° gedreht. Dadurch fassen die zu einander gehörenden Schraubengänge in einander und stellen den Verschluſs her. Vavasseur nimmt eine Schraube mit zwei verschiedenen Durchmessern und bringt auf diesen, jedoch um 60° gegen einander versetzt, die Schraubengänge an. Die Textfigur stellt einen derartigen in das Rohr eingesetzten Verschluſs dar. Wie ersichtlich, bedarf derselbe zur Lüftung nur die Hälfte der Verschiebung der bisherigen Verschlüsse; auſserdem werden verschiedene Materialschichten des Rohres bei der Explosion in Anspruch genommen. Textabbildung Bd. 255, S. 429 Ferner hat J. Vavasseur (* D. R. P. Nr. 23064 vom 9, December 1882) einen Schiffslaffeten-Rahmen für Geschütze schwersten Kalibers angegeben., welche frei auf Deck stehen sollen und ihr Feuer nach allen Richtungen abgeben können. Es sind deshalb quer über das Deck 2 Laufschienen B1 (Fig. 14 und 15 Taf. 30) und eine Zahnstange A mit Führungen A1 angeordnet. Auf diesen läuft mittels der Rollen D1 und der in die Rinnen A1 eingreifenden Klauen E geführt die Grundplatte D, welche in der Mitte einen cylindrischen Aufsatz F zur Unterstützung des Rahmenuntertheiles G trägt; letzteres kann sich um F drehen und wird auf D durch die Rollen H und die äuſsere Flansche von D unterfassende Klauen geführt. Einem Springen und Umkippen des Rahmenuntertheiles ist dadurch vorgebeugt. Auf F ist der eigentliche Rahmen X befestigt, auf welchem eine der bei Rahmenlaffeten gebräuchlichen Oberlaffeten läuft. Die Grundplatte D kann mittels der Getriebe O, L, K auf der Zahnstange fortbewegt werden, während die Drehung des Rahmens X um den Aufsatz F mittels der Getriebe W, V, U, T und R bewirkt wird. In der Feuerstellung empfiehlt es sich, die Grundplatte unmittelbar auf das Deck aufsitzen zu lassen, welches entweder durch Senken derselben gegen die Rollen D1 oder durch Unterschiebung von Keilen bewerkstelligt wird. Die Blechwände Z und C sind zum Schütze gegen Gewehr- und Kartätschgeschosse angebracht. Wie schon früher erwähnt worden, bilden Kartätschgeschütze und Geschütze kleinen Kalibers die Hauptvertheidigungsmittel der groſsen Panzerschiffe gegen angreifende Torpedoboote. Um nun die Geschütze kleinen Kalibers leicht von einem Orte zum anderen schaffen zu können, was im Torpedokriege unumgänglich nothwendigist, construirte Th. Nordenfelt in London eine sogen. Karrenlaffete (* D. R. P. Nr. 22887 vom 4. Juli 1882). Dieselbe besteht aus zwei convergirenden Wänden a (Fig. 11 bis 13 Taf. 31) von -Gestalt, welche am höchsten Punkte durch ein starkes Querhaupt mit einander verbunden sind und mit ihren vier unteren Enden mittels spitzer Schuhe auf dem Boden ruhen, so daſs durch letztere Einrichtung eine genügend feste Stellung beim Abfeuern eines Schusses gesichert ist. In der Mitte des Querhauptes ist drehbar eine senkrechte Gabel b angebracht, welche die Schildzapfenlager des Rohres e trägt; letzteres besitzt unter dem Verschluſsstücke die bekannte doppelte Richtschraube f, deren Mutter f1 mit der Seitenricht-Schraubenmutter e aus einem Stücke besteht. Durch letztere geht die Seitenrichtschraube e1, welche in den Laffetenwänden gelagert ist und auſserhalb derselben ein Handrad d trägt. Man kann also dem Rohre innerhalb gewisser Grenzen jede Höhen- und Seitenrichtung geben. Um nun diese Laffete leicht beweglich zu machen, sind an den hinteren Enden der Laffetenwände 2 Laufräder v so angebracht, daſs sie in der Feuerstellung den Boden nicht berühren. Auſserdem tragen die Wände auſserhalb des sie verbindenden Querhauptes 2 senkrechte Schienen h, mit denen 2 Handhaben h1 nach auſsen umklappbar verbunden sind. In der Feuerstellung hängen die Handhaben nach auſsen herunter und können auf diese Weise eine Bedienung des Geschützes nicht hindern: soll dagegen die Stellung desselben gewechselt werden, so werden sie nochgeklappt, vom Bedienungsmann ergriffen und das Geschütz von letzterem nach hinten herübergedreht, bis es auf den Rädern v ruht. Jetzt kann die Laffete, da das Rohr e senkrecht steht, leicht wie eine Schiebkarre von einer Stelle zur anderen gefahren werden. Schlieſslich sei noch erwähnt, daſs Nordenfelt (* D. R. P. Nr. 23883 von 1. December 1882) einen Geschützverschluſs für Rohre kleinen Kalibers angegeben hat, welcher sich von dem schon beschriebenen (vgl. 1883 248 * 115) nur dadurch unterscheidet, daſs statt des Hammers mit Schlagstift ein unmittelbar von einer Feder vorgetriebener Schlagbolzen angebracht ist. Der Bolzen wird bei der Bewegung des Keiles gegen den verschluſsblock mittels auf ersterem angebrachter schiefer Flächen gespannt und von einem Abzug festgehalten; letzterer kann durch Zug ausgelöst werden. Die schiefen Flächen sind bei einer Abänderung des Verschlusses so eingerichtet, daſs der Schlagbolzen selbstthätig davon abgleitet, sobald der Keil seine höchste Lage erreicht hat. Das Geschütz wird also in letzterem Falle im letzten Augenblicke des Verschlieſsens selbstthätig abgefeuert. W. S.

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Tafel Tafel 30
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