Titel: Beitrag zur Frage der Werthziffern für Constructionsmaterialien.
Fundstelle: Band 260, Jahrgang 1886, S. 69
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Beitrag zur Frage der Werthziffern für Constructionsmaterialien. Mit Abbildungen. Krohn, Werthziffer für Constructionsmaterialien. Im Civilingenieur, 1884 * S. 370 ist von Prof. B. Krohn unter vorstehendem Titel eine Abhandlung veröffentlicht worden, welche bei der gegenwärtig sich im Gange befindlichen Aufstellung von Vorschriften zur Beurtheilung von Constructionsmaterialien wohl Beachtung verdient und deshalb hier im Auszuge mitgetheilt sein soll. Textabbildung Bd. 260, S. 69 Sämmtliche Schriftsteller, welche in neuerer Zeit die Frage der Werthziffern behandelt haben, stimmen darin überein, daſs diejenige Arbeitsleistung, welche erforderlich ist, um den Bruch des Materials herbeizuführen, einen Maſsstab für die Güte des letzteren bildet. Trägt man die specifischen Dehnungen als Abscissen und die specifischen Spannungen als Ordinaten auf, so erhält man ein Diagramm (Fig. 1), dessen Fläche das Arbeitsvermögen eines Körpers vom Querschnitte „Eins“ und der Länge „Eins“ darstellt. Die Diagramme der meisten Constructionsmaterialien zeigen die Eigenschaft, daſs dicht vor Eintritt des Bruches, nachdem die Dehnung eine gewisse Grenze δ überschritten hat, eine weitere Dehnung des Körpers bei abnehmender Spannung stattfindet. Diese Erscheinung hängt zusammen mit der örtlichen Querschnittsverminderung, welche dem Bruche vorangeht. Hat die Dehnung diese Grenze erreicht, so ist der Bruch damit eingeleitet. Für die Güte des Materials wird nur diejenige Arbeitsleistung, welche erforderlich ist, um dasselbe bis zu der Grenze δ auszudehnen, einen Maſsstab abgeben. Diese Arbeitsleistung wird dargestellt durch die in Fig. 1 schraffirte Fläche des Diagrammes. Mit Prof. Hartig (Ueber die Constanten der Zerreiſsungsfestigkeit und deren vergleichende Anordnung für verschiedene Materialien im Civilingenieur, 1884 S. 93) wird man die Begriffe Bruchspannung und Bruchdehnung folgendermaſsen zu erklären haben: Bruchspannung ist die höchste, während des Zerreiſsungsversuches auftretende Spannung des Probestückes und Bruchdehnung die gesammte (zum Theile elastische, zum Theile bleibende) Verlängerung des Probestückes im Augenblicke der höchsten Anspannung.“ Das Diagramm wird natürlich am besten mit Hilfe eines selbstzeichnenden Zerreiſsungsapparates (vgl. Heusch 1880 235 * 414) aufgenommen. L. Tetmajer (Zur Frage der Qualitätsbestimmung zäher Constructionsmetalle in der Eisenbahn, 1882 S. 109) schlägt vor, statt der Arbeitsfläche das Product aus Bruchdehnung und Bruchbelastung einzuführen. Dieser Vorschlag würde gerechtfertigt sein, wenn der Völligkeitsgrad des Diagrammes unveränderlich wäre, was jedoch thatsächlich nicht der Fall ist. Schärfer behandelt Intze (vgl. Wochenschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1882 S. 446) die Frage in folgender Weise: Die Dehnung bis zur Elasticitätsgrenze bei den hier in Frage kommenden Baumaterialien ist gegenüber der Bruchdehnung nur gering und kann vernachlässigt werden. Begrenzt man die Arbeitsfläche durch eine Parabel, welche von der Elasticitätsgrenze bis zur Bruchgrenze verläuft, und bezeichnet mit g die Belastung an der Elasticitätsgrenze, mit b die Bruchbelastung und mit b die Bruchdehnung der Einheit, so wird die Arbeitsfläche A = δ [g + ⅔ (b – g)] = ⅓ δ (g + 2b). Daſs dieses Arbeitsvermögen eines Materials für die Güte desselben von Bedeutung ist, kann nicht bezweifelt werden; aber dieses Arbeitsvermögen allein als Werthziffer einzuführen, erscheint nicht gerechtfertigt. Ohne weiteres wird man für die Constructionsglieder, welche einfache Zug- oder Druckbeanspruchung zu erleiden haben, die Richtigkeit folgender Sätze erkennen: Von zwei Materialien mit gleichem specifischem Arbeitsvermögen ist dasjenige das bessere, welches die höheren Spannungen an der Elasticitäts- und Bruchgrenze hat. – Von zwei Materialien mit gleichen Spannungen an der Elasticitäts- und Bruchgrenze ist dasjenige das bessere, welches das gröſsere specifische Arbeitsvermögen besitzt. Da nun eine Ueberanstrengung eines Bauwerkes weniger durch Zunahme der ruhenden Belastung, als durch Auftreten von Stöſsen erfolgt, leitet Krohn die Werthziffer eines Baumaterials unter der Annahme ab, daſs auſser der ruhenden Belastung P noch eine Last Q durch Stoſs wirkt, welcher einer Fallhöhe h entspricht. Wird das Gewicht des Zugstabes von der Länge l und dem Querschnitte F diesen Lasten P und Q gegenüber vernachlässigt, so wird die für die Dehnung des Körpers zur Wirkung kommende lebendige Kraft die Gröſse Q2 A : (P + Q) haben. Die äuſseren Kräfte verrichten bis zur Erreichung der Bruchdehnung δl die Arbeit (P + Q) δl. Diese beiden Arbeiten sollen vom Stabe aufgenommen werden, dürfen also höchstens gleich der Zerreiſsungsarbeit A sein. Führt man noch die zulässige Spannung k bei ruhender Belastung ein, so ist diejenige Fallhöhe h, welche den Zugstab zum Bruche treiben würde: h=l\left(1+\frac{P}{Q}\right)^2\ \frac{\delta}{3\,k}\,(g+2\,b-3\,k). Selbstverständlich wird dasjenige Material, welches für Stäbe von gleicher Länge, gleichem Querschnitte und für gleiche äuſsere Kräfte die gröſsere Fallhöhe zuläſst, das bessere sein; man wird also die Werthziffer Z für Zugstäbe in der Form schreiben können: Z=\frac{\delta}{3\,k}\,(g+2\,b-3\,k). Das Vorkommen der zulässigen Inanspruchnahme k in diesem Werthe sagt aus: Eine absolute Werthschätzung eines Materials ist nicht möglich; bevor man an die Beurtheilung herantritt, muſs man wissen, wie das Material beansprucht werden soll. Sollen in Abnahmebedingungen Gütevorschriften gemacht werden, so würde man sich vorher darüber zu entscheiden haben, wie hoch das Material ruhend beansprucht werden soll. Wollte man beispielsweise Schweiſseisen mit 8k/qmm belasten, so wird man unter Fortlassung des festen Faktors 3k vorschreiben, daſs der Werth δ (g + 2b – 24) nicht unter einer gewissen Grenze liegen darf. Wird durch selbstzeichnende Versuchsapparate das Diagramm aufgenommen, so gibt nicht die gesammte Fläche desselben, vielmehr nur derjenige Theil dieser Fläche, welcher oberhalb einer in der Entfernung A-parallel zur Dehnungsachse gezogenen Geraden liegt, einen Maſsstab für den Werth des Materials (vgl. Fig. 2). Textabbildung Bd. 260, S. 71 Es mag an dieser Stelle noch auf die bekannte Thatsache aufmerksam gemacht werden, daſs die Stoſsfestigkeit eines Stabes, dessen Querschnitt an irgend einer Stelle geschwächt ist, in bedeutend höherem Maſse als die einfache Bruchfestigkeit desselben abnimmt. Schwieriger als für Zugstäbe gestaltet sich die Untersuchung bezüglich der Werthziffer des Materials für Druckstäbe, da hier die Zerknickungsgefahr zu berücksichtigen ist. Krohn legt für die Aufstellung der Grundgleichung die bekannte Schwarz'sche Formel zu Grunde. Nach derselben ist die specifische  Bruchbelastung eines auf Druck beanspruchten Stabes: d=\frac{b}{1+\alpha\,F\,l^2\,:\,J} wenn wieder b die specifische Zugfestigkeit, F den Querschnitt und l die Länge des Stabes bedeutet; ferner sei J das Trägheitsmoment des Querschnittes und a ein Coefficient, welcher mit der Gröſse der Ausbiegung des Stabes im Augenblicke des Bruches zusammenhängt; Krohn nimmt daher denselben der Bruchdehnung δ proportional und setzt für ein mittleres Schweiſseisen (δ = 13 bis 14 Proc.) den Faktor a = 0,000006 δ. Um einen geschlossenen, mathematisch einfachen Ausdruck für die Diagrammgleichung zu erhalten, ersetzt Krohn das Festigkeitsdiagramm durch eine Parabel nten Grades, welche bei derselben Bruchbelastung und Dehnung denselben Flächeninhalt ergibt, wie das angenäherte Intze'sche, n berechnet sich dann aus der Formel (2b + g) : (bg). Führt man noch in der weiter oben angegebenen Formel folgende Abkürzungen ein d = b : (1 + ), so erhält man für das specifische Arbeitsvermögen A=\frac{\delta\,(g+2\,b)}{3\,(1+v\,\delta)^{1+n}} und die Arbeit, welche gerade den Bruch des Stabes herbeiführen würde, könnte erhalten werden aus: \frac{Q^2}{P+Q}\,h+(P+Q)\,\frac{\delta}{(1+v\,\delta)^n}\,l=F\,l\,A. Der Querschnitt F des Stabes wird in Rücksicht auf ruhende Last aus der Formel P + Q = kF : (1 + ) zu ermitteln sein, wenn mit k wieder die als zulässig erachtete specifische Zugspannung bezeichnet wird. Die Fallhöhe h erhält man aus den obigen Gleichungen: h=l\,\left(1+\frac{Q}{P}\right)^2\ \frac{\delta}{(1+v\,\delta)^n}\,(g+2\,b-3\,k) und die Werthziffer Z wird sich daher in der Form Z=\frac{\delta\,(g+2\,b-3\,k)}{3\,k\,(1+v\,\delta)^n} schreiben lassen. Z wird null, d.h. das Material ist werthlos, wenn δ = 0 oder δ = ∞, da immer n > 1. Es wird demnach für die Bruchdehnung S einen gewissen günstigsten Werth geben, bei welchem das Material am besten geeignet für Druckstäbe ist. Dieser vortheilhafteste Werth ergibt sich zu δ = (b – g) : [v (b + 2g)], v war aber gleich 0,000006 (Fl2 : J); man sieht also, daſs das Material um so härter sein muſs, je gröſser der Werth (Fl2 : J), oder je kleiner das Trägheitsmoment J im Verhältnisse zur Querschnittsfläche und zur Länge des Stabes ist. In der oben genannten Quelle wird dann weiter nachgewiesen, daſs für Abweichungen des Werthes δ vom günstigsten Werthe nach oben oder unten, sich das Material dadurch nur sehr unbedeutend verschlechtert. Es würde demnach genügen., in Abnahmebedingungen für S gewisse Grenzwerthe vorzuschreiben, innerhalb welcher sich die Dehnung halten muſs. In der Werthziffergleichung kann man dann den Ausdruck δ : (1 + )n als Constante fortlassen. Das Material wird also um so besser, je gröſser der Klammerausdruck (g + 2b – 3k) ist, und in den Bedingungen würde man vorschreiben, daſs die Zahl g + 2b nicht unter einem gewissen Werthe liegen darf. Zu bemerken ist noch, daſs bei Druckstäben die Schwächung durch Nietlöcher nicht nur nicht ungünstig, sondern in geringem Maſse vortheilhaft wirkt.