Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. |
Autor: | Oscar Guttmann |
Fundstelle: | Band 261, Jahrgang 1886, S. 25 |
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Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
(Fortsetzung des Berichtes Bd. 258 S. 220.)Vgl. auch Kosmann u.a. 1886 260 46. 523.
Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
Hellhoffit und Carbonit:
Margraf in Neunkirchen hat auf der Grube „König“ Versuche mit diesen von Albr.
Hellhoff in Berlin angegebenen Sprengstoffen angestellt, deren Ergebnisse
in der Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinenwesen,
1886 S. 59 veröffentlicht sind. Hiernach besteht das HellhoffitVgl. 1882 246 184. 1884 251 * 119. 254 * 110. aus 1
Th. Dinitrobenzol und 1,5 Th. Salpetersäure, oder aus 1 Th. Nitrobenzol und 2,5 Th.
Salpetersäure; letztere Zusammensetzung ist der leichteren Erzeugung wegen
bevorzugt. Die braunrothe Flüssigkeit wird in Glasfläschchen oder in mit Wasserglas
getränkte Papphülsen gefüllt, welche einen von einer Röhre durchsetzten Pfropfen aus
Blei zur Aufnahme des Zündhütchens erhalten. Da das Arbeiten mit so steifen Patronen
unbequem wurde, lieſs man das Hellhoffit durch Kieselguhr aufsaugen, welche in
Metallhülsen gefüllt war. Das so hergestellte Hellhoffit war gegen Schlag und Stoſs
unempfindlich, im Feuer verbrannte es ruhig; dagegen entwickelten die Patronen
unangenehme Dämpfe; die Papphülsen waren nur kurze Zeit tauglich und nach 2 Monaten war ein groſser Theil
der Patronen vollständig zersetzt und unbrauchbar. Zur Entzündung bedurfte es im
Allgemeinen sehr schwerer Zündhütchen.
In Folge dieser Uebelstände wurde das Carbonit
hergestellt. Ueber seine Zusammensetzung ist nichts angegeben; doch soll es dem
Vernehmen nach aus Nitrobenzol, Kalisalpeter, Schwefel und Kieselguhr bestehen. Es
reagirt neutral, ist graubraun, plastisch, brennt ruhig ab und soll gegen Schlag und
Stoſs gleichfalls unempfindlich sein. Zur Entzündung bedarf es nur der gewöhnlichen
stärkeren Zündhütchen.
Während die Sprengkraft von Hellhoffit der des Dynamites weit überlegen sein soll,
wird angegeben, daſs Carbonit gleiche Kraft besitze wie Guhrdynamit.
Margraf führt – auch in Abbildungen –
eine Menge von Sprengversuchen mit beiden Stoffen an. Den besten Anhaltspunkt geben
folgende 2 Versuche: a) In einer 1m,5 tief
unterschrämten Kohlenbank von 1m,8 Breite und Im
Höhe wurden an der Firste 2 Bohrlöcher von 1m,07
Tiefe in 1m,25 Entfernung von einander angelegt-
hierzu wurden 295g flüssiges Hellhoffit verwendet,
b) Ein Ulm in der Kohle von Im Höhe, 0m,7 Breite
und 1m,5 tief unterschrämt wurde Im tief angebohrt
und mit 150g Carbonit geladen. Beide Male war die
Wirkung gut; im ersteren Falle wurden, wie dies beim Hellhoffit überhaupt geschah,
die Arbeiter befragt, welche Mengen von 77 procentigem
Guhrdynamit sie anwenden müſsten, und die Antwort war 486g, denen 374g,2
Nitroglycerin entsprechen.
Gegen diese Versuche wendet sich Isidor
Trauzl in WienIsidor Trauzl: Sprengel's sauere Explosivstoffe und der Hellhoffit. (Wien
1886. Lehmann und Wentzel.) ,
bekanntlich eine der wenigen, wirklichen Autoritäten auf dem Gebiete der
Sprengtechnik. Er weist nach, daſs Hellhoffit eine getreue Nachahmung der im J. 1873
von Hermann Sprengel in London angegebenen
Explosivstoffe ist, an der lediglich der Name geändert wurde (vgl. 1874 212 323); Sprengel selbst
hat ihre Anwendung für kaum möglich erklärt. Trauzl
geiſselt in scharfen Worten den angeblichen Vortheil, daſs man diese Sprengmittel in
der Grube selbst herstellen und die Unglücksfälle vertausendfachen wolle. Die
Herstellung in Patronen wäre theuer; da das Hellhoffit die Hülsen bald zerstört,
müssen dieselben häufig erneuert werden, bis sich das Hellhoffit selbst zersetzt.
Die Zündhütchen werden von der Salpetersäure rasch angegriffen, eine Explosion kann
vorzeitig stattfinden. Durch die dicken Hülsen geht ein so groſser Raum des
Bohrloches verloren, daſs die Patrone im Bohrloche nur eine Dichte von 0,8
darstellt.
Soweit Trauzl – und es ist Jedermann
klar, daſs er Recht hat. Nun wäre noch die angeblich groſse Kraft und die
Eigenschaft des Hellhoffit zu erörtern, Grubengase nicht zu zünden. In Hinsicht auf
die letztere wurde von der preuſsischen Schlagwetter-Commission festgestellt, daſs
Gelatine-Dynamite mit 35 Proc. Zumischpulver niemals gezündet haben, selbst nicht
Grubengasgemische von 8 bis 10 Proc. Und was die Kraft betrifft, so verweisen wir
auf die vorhin erwähnten zwei Richtung gebenden Versuche. Es zeigte sich auch bei
diesen, daſs es sehr unverläſslich ist, die Arbeiter nach den benöthigten
Sprengmittelmengen zu befragen; denn es gibt kaum ein so schlechtes Dynamit, von
welchem man auch nur die gleichen Mengen wie die für Hellhoffit angegebenen zu den
bezeichneten Versuchen brauchte. Dem Referenten ist es übrigens nicht gelungen, nach
obiger Vorschrift hergestelltes Hellhoffit mit Zündhütchen von 1g,5 Knallquecksilber-Füllung zur Detonation zu
bringen, und bekannt ist, daſs Zündhütchen über 1g
Füllung immer schwieriger und gefährlicher zu handhaben werden.
Auch zur Füllung von Granaten wurde das Hellhoffit schon versucht. Hauptmann F. Holzner berichtet darüber in den Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und
Genie-Wesens, 1886 S. 41. Der vordere Theil der Granate enthält ein
geschlossenes, mit concentrirter Salpetersäure gefülltes Glasgefäſs, der rückwärtige
Theil ist mit fein krystallisirtem Metadinitrobenzol gefüllt. Durch den Stoſs beim
Abfeuern wird das Glasgefäſs zerbrochen und die ausflieſsende Salpetersäure bildet
unter der Einwirkung der Geschoſsdrehung eine innige Mischung, die beim Aufschlagen
des Zünders explodirt. Die Versuche damit in verschiedenen Ländern gaben bisher noch
widersprechende Ergebnisse.
General Abbot in New-York in seinem Berichte über
unterseeische Minen gibt folgende Zusammensetzung einiger neuerer amerikanischer Dynamite an:
Atlas-Pulver von der Repauno Chemical Company in Philadelphia:
A
B
Natronsalpeter
2
34
Holzfaser
21
14
Magnesiumcarbonat
2
2
Nitroglycerin
75
50
Judson-Pulver R. R. P. von der Judson Powder Company in Rustic: 64 Th. Natronsalpeter,
16 Th. Schwefel, 15 Th. Cannelkohle, 5 Th. Nitroglycerin. Die Wirkung dieser
Dynamite war in Hunderttheilen von Dynamit Nr. I: Atlas-Pulver A 100 Proc., B 99
Proc., Judson-Pulver R. R. P. 38 bis 39 Proc.
Das Judson-Pulver wird hergestellt, indem vorerst Salpeter, Schwefel und Kohle für
sich gemahlen, sodann in einer Trommel gemischt werden. Das entstandene Mehlpulver
wird auf 177° in einem Dampfkocher erhitzt und fortwährend gerührt, bis der Schwefel
schmilzt und die Salpeter- und Kohlentheile überzieht. Nach dem Abkühlen bildet die
Masse Körner, welche gesiebt und durch Mischen mit Nitroglycerin oberflächlich
bedeckt werden. Man beabsichtigt dabei, ebenso wie G. M.
Mowbray mit seinem Mica-Powder, durch feine
Vertheilung des Nitroglycerins über nichtsaugende Körper eine lebhaftere Explosion
hervorzurufen, wozu die active Basis mitwirken soll.
Max v. Foerster in Walsrode hat eine neue Reihe von Versuchen mit Schieſsbaumwolle der Oeffentlichkeit
übergebenMax v. Foerster: Comprimirte Schießwolle für
militärischen Gebrauch unter besonderer Berücksichtigung der
Schießwollgranaten. Mit Abbildungen. (Berlin 1886. Mittler und Sohn.) , welche wohl
hauptsächlich die Brauchbarmachung der Schieſswolle für militärische Verwendung
bezweckten, jedoch auch über die Eigenschaften dieses Explosivstoffes mancherlei
nachweisen, was in der That schon lange angenommen wurde. Es führte zu weit, die
Ausführung und die Ergebnisse dieser Versuche umständlich zu beschreiben; es genüge
also eine Besprechung der Folgerungen.
Nasse Schieſswolle (25 Proc. Wasser) wirkt in frei
aufliegenden Ladungen weit, kräftiger als trockene. Abel hat das schon viel
früher mit Noble's Chronoskop ermittelt. Wir haben wiederholt darauf
hingewiesen, daſs die Uebertragung der Wirkung von wesentlichem Einflüsse ist, die
trockene Schieſswolle nimmt den Stoſs in sich auf, die nasse überträgt denselben
vollständig. Es ist dies genau so wie bei einem Dynamite, welches nicht bis zur
Sättigung Nitroglycerin enthält.
Bei gleicher Auflagegröſse von freien Ladungen ist eine
Vergröfserung der Höhe von einer gewissen Grenze ab werthlos, also z.B.
6500g wirkten in einem gegebenen Falle nicht
mehr als 900g. Es ist dies ein alter
Erfahrungssatz der Genie-Truppen, welcher hier für Schieſswolle bestätigt ist.
Gröſseres specifisches Gewicht vermehrt die Wirkung freier
Ladungen. Dies ergibt sich aus einfacher Erwägung, gilt aber bekanntlich
nicht für eingeschlossene, gestreckte Ladungen.
Befindet sich zwischen Ladung und Angriffskörper ein
Zwischenraum, so vermindert sich die Wirkung rasch. Dies ist
wohlbekannt.
In Bleicylindern hergestellte gestreckte Ladungen zeigten an
der Stelle, wo das Zündhütchen saſs, eine sechsmal kräftigere Wirkung als an dem
davon entferntesten Punkte. Nach dem, was oben von der Uebertragung der
Wirkung gesagt ist, erscheint dies ganz natürlich. Es zeigt dieser Versuch aber auch
deutlich, daſs Schieſswolle wegen der mangelhaften Fortpflanzung der Explosion für
bergbauliche Zwecke im Allgemeinen nicht verwendbar
ist.
M. v. Foerster hat noch eine Reihe
unbedeutenderer Beobachtungen gemacht, bei welchen Richtiges mit Irrigem abwechselt.
So glaubt er sehr irrig, daſs eine allseitige gleich starke Einschlieſsung ohne
Einfluſs auf die Kraft gepreſster Schieſswolle sei. Mit Paraffin überzogene Körner
haben in einer Granate nicht detonirt und brannten zum Theile aus; wir haben dies
früher (1885 256 408) vorausgesagt. Aus seinen Versuchen
in dieser Richtung mit Schieſswolle schlieſst Foerster,
daſs auch andere brisante Sprengstoffe in freien Ladungen unter Wasser nicht
vortheilhaft und zu kostspielig seien, während die Erfahrung (vgl. Lauer 1884 251 124. 1885 255 * 518) das Gegentheil beweist. Foerster fand, daſs vollkommen neutrale Schieſswolle
nach 8 tägiger Aussetzung im Trockenschranke bei 30° wieder Salpetrigsäure zeigte,
und die gleiche Beobachtung machte er beim Salpeter, welche Erscheinung allerdings
noch nicht genügend aufgeklärt ist.
Aus einer Schrift von Isidor TrauzlIsidor Trauzl: Die neuen Sprengstoffe. 1.
Abtheilung. (Wien 1885. Lehmann und
Wentzel.) entnehmen wir die folgenden bemerkenswerthen
Angaben über Explosivstoffe: 1k Schwarzpulver, in
einem Würfel von 100mm Seite einschlieſsbar, kann
in 0,01 Secunde über 200000mk, 1k Dynamit, einen Würfel von nur 90mm Seite einnehmend, schon in 0,00002 Secunde
gegen 1000000mk Arbeitleistung entwickeln.
Wollte man z.B. durch Federn die Arbeit aufstapeln, welche 1k Pulver in 0,01 Secunde zur Verfügung stellt, so
müſsten 10 Männer fast eine Stunde lang in voller Thätigkeit sein. Um jedoch in dem
verschwindend kleinen Zeittheilchen, in welchem 1k
Dynamit detonirt, dieselbe Leistung zu geben, wären gegen 2000 Mill. Menschen oder
gegen 300 Mill. Pferdestärke erforderlich.
Beim Athmen des Menschen verbrennt 1k Kohlenstoff zu Kohlensäure erst in etwa 50 Stunden. Hier, sowie beim
Verbrennen von 1k Kohle in einem Ofen, werden
ebenso wie bei der Explosion von 3k Dynamit etwa
8000c, entsprechend einer Leistung von
3000000mk entwickelt; nur geschieht dies beim
Dynamit in einem so kleinen Zeitraume, daſs auſserordentlich hohe Temperaturen
entstehen, welche das Volumen der Gase und damit die Spannung ungeheuer vermehren.
Während 5k Pulver, auf einer 19mm Eisenplatte angezündet, verpuffen, ohne
dieselbe zu biegen, schlägt 0k,5 Dynamit eine
Eisenplatte von 26mm vollkommen durch, wobei eine
Pressung von über 10000at wirkt.
Die englischen Explosivstoff-Inspectoren haben ihren Bericht für das J. 1885 veröffentlicht (vgl. 1883 250 184. 1884 253 74. 1885 258 222).
Am Ende dieses Jahres bestanden 109 Fabriken für Explosivstoffe (+
2), 20 Fabriken von Klein-Feuerwerk, 13 für Spielfeuerwerk. Es wurden 18
Zusatzlicenzen ertheilt, Magazine bestanden 350 (8 neu, 1 aufgelassen), Lager 1925,
Verkaufsläden 22268. 107 Eisenbahn- und 107 Kanal-Gesellschaften befördern
Explosivstoffe, 15 bezieh. 11 nicht; in 156 Häfen und Docks ist der Verkehr erlaubt,
in 116 nicht. Die Einfuhr betrug: 1980235k Pulver
(+ 1635709), 484490k Dynamit (– 7664), 4944k Knallquecksilber (+ 308), 3403k Sprenghütchen (+ 470), die Ausfuhr von Pulver
5805373k (–1453642). Es fanden 133
Unglücksfälle (–11) statt, wobei 31 Personen getödtet und 74 verwundet wurden. Diese
Fälle vertheilen sich, wie folgt:
Erzeugung
Aufbewahrung
Verfrachtung
Gebrauch
Summe
Schieſspulver
23
3
–
24
50
Dynamit
2
–
–
14
16
Knallquecksilber
1
–
–
–
1
Munition
50
–
1
5
56
Feuerwerkskörper
4
–
–
3
7
Verschiedene Stoffe
–
1
–
2
3
Aus Privatmittheilungen bringt der Bericht einige Einzelheiten
über in Deutschland stattgehabte Explosionen: Am 22.
Juli 1885 explodirte der Nitrirapparat in der Rheinischen
Dynamitfabrik zu Kalk, nachdem vorher schon zwei Posten darin hergestellt
waren. Die Ursache derselben ist wahrscheinlich Beschädigung eines der Kühlrohre
durch eine 5 Tage vorher im Apparate stattgehabte Zersetzung, als ein Arbeiter
unvorsichtigerweise alles Glycerin auf einmal einlaufen lieſs. Am 1. August 1885
explodirte eine Patronenhütte der Deutschen
Sprengstoff-Actiengesellschaft in Wahn, wahrscheinlich dadurch, daſs die
Arbeiter eine nicht in Ordnung wirkende Maschine gewaltsam in Stand setzen
wollten.
Erwähnenswerth ist ferner ein Versuch, wobei 102k Gelatine-Dynamit entzündet wurden und
verbrannten, ohne zu explodiren.
Oscar Guttmann.