Titel: Der polarisirte Doppelschreiber von Ed. Estienne in Paris.
Fundstelle: Band 261, Jahrgang 1886, S. 108
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Der polarisirte Doppelschreiber von Ed. Estienne in Paris. Mit Abbildungen. Estienne's polarisirter Doppelschreiber. In dem Berichte über die auf der Wiener Elektricitäts-Ausstellung vorgeführten Neuerungen auf dem Gebiete der Telegraphie und Telephonie (vgl. 1883 250 * 395) ist bereits der polarisirte Schreibtelegraph von Ed. Estienne in Paris und seine eigenartige SchriftbildungObwohl Estienne auch jetzt noch für gewöhnlich bloſs zwei Schriftelemente – „Strich“ und „Halbstrich“ oder „Punkt“ – verwenden will und durch Ströme von gleicher Länge, aber verschiedener Richtung eine Steinheilschrift erzeugt, welche der Morseschrift bei Aufrechtstellung der sonst liegenden Striche an die Seite gestellt werden kann, hat er kürzlich vorgeschlagen, durch gelegentliche Anwendung längerer Ströme neben den kürzeren zu diesen beiden Schriftelementen von verschiedener Breite und gleicher Länge noch zwei weitere von größerer Länge und verschiedener Breite hinzuzufügen. Die Schrift würde dadurch wesentlich den Charakter einer Stöhrerschrift annehmen. Estienne will indessen diese vier Schriftelemente nicht als ganz gleichwerthig für die Schriftbildung behandeln, sondern dabei bleiben, in der eben angedeuteten Weise aus den beiden kürzeren ein die Morseschrift nachahmendes Alphabet zusammenzustellen und die beiden längeren Schriftzeichen nur für gewisse Zwecke, zu weiterer Abkürzung der Schrift, zu verwenden und dadurch die Leistungsfähigkeit seines Telegraphes noch zu erhöhen. erwähnt worden. Dieser Apparat, welcher damals in der französischen Abtheilung der Ausstellung in Bréguet'scher Ausführung vorgeführt war, ist seither von dem Erfinder in wesentlichen Theilen abgeändert worden. Da die Versuche mit dem neuen Apparatsystem in der Deutschen Reichs-Telegraphenverwaltung günstige Ergebnisse geliefert haben und deshalb die theilweise Einführung desselben bereits erfolgt ist, so mag im Nachstehenden eine Beschreibung des von dem Erfinder angenommenen Modelles für den Empfangsapparat und die Doppeltaste nach Armengaud's Publication industrielle, Bd. 30 * S. 49 folgen und im Anschlusse daran auf die bei Einführung des Apparates in Deutschland getroffenen Aenderungen hingewiesen werden. Das Laufwerk des Empfängers ist, wenn von der Regulirbarkeit der Laufgeschwindigkeit abgesehen wird, von der des gewöhnlichen Morse'schen Empfängers französischer Ausführung nicht verschieden; ebenso ist die Papierführung im Wesentlichen beibehalten. Neu und eigenartig sind an dem Empfänger die in Fig. 1 bis 4 dargestellten, an der vorderen Wange des Laufwerkkastens liegenden schreibenden Theile mit der Stellvorrichtung des Farbkastens und die in Fig. 5 gezeichneten, an der Rückwand des Kastens liegenden elektromagnetischen Theile mit der eigenthümlichen Polarisationsvorrichtung. Während bei der ursprünglichen Ausführung des Empfängers und zwar sowohl bei dem Modell Breguet, wie bei dem von Postel-Vinay, zur Herstellung des ganzen Striches die gleichzeitige Wirkung beider neben einander liegenden Schreibfedern in Anspruch genommen wurde, schreibt bei dem neuen Modelle jede der beiden Federn von der anderen unabhängig das ihr zukommende Zeichen. Die Federn sind dazu jetzt nicht mehr seitlich neben einander gelagert, sich in ihrer ganzen Breite zur Länge des Strichzeichens ergänzend; sie liegen vielmehr, um ihren Aufhängungspunkt beweglich, in der Ruhelage des Empfangsapparates mit der Breitseite an einander, sich auf die sie zum Schreiben gegen den Papierstreifen heran bewegende Gabel N stützend und durch ihre genau abgeglichene Schwere in der Gleichgewichtslage haltend. Ihrer Bestimmung entsprechend hat die linke Feder, die Punktfeder, an ihrer Schreibseite die Breite des Halbstriches, die rechte, die Strichfeder, dagegen die des ganzen Striches. Wird die linke Feder durch den sogleich zu erörternden Schreibmechanismus gehoben, so tritt die rechte entsprechend zurück und umgekehrt. Zur eigentlichen Schreibvorrichtung sind die in Fig. 6 bis 9 dargestellten Schreibfedern J mit den zugehörigen Schreibhebeln K zu rechnen. Jede Schreibfeder besteht aus zwei durch ein Gelenk j mit einander verbundenen Flügeln J1 und J2, welche in schreibfertigem Zustande durch eine an J2 angenietete Blattfeder j1 zusammengehalten werdenIn den Zeichnungen sind die Unterscheidungsziffern der Buchstaben als Exponenten hochstehend eingesetzt. . Um die Feder schreibfertig zu machen, werden die beiden Flügel durch einen auf die etwas vorstehenden Ränder derselben ausgeübten Druck geöffnet, wonächst man einen Streifen sämisch bearbeiteten Schafleders von passender Breite zwischen dieselben legt und die Flügel wieder schlieſst. Fig. 1., Bd. 261, S. 110 Fig. 2., Bd. 261, S. 110 Der eine der beiden Flügel jeder Feder und zwar derjenige, welcher bei der betriebsfertig gemachten Feder im Farbgefäſse nach unten zu liegt, mithin auch bei niedrigem Flüssigkeitsspiegel unmittelbar in die Farbflüssigkeit eintaucht, besitzt einen rechteckigen, fensterartigen Ausschnitt, durch welchen die Farbe zur Saugledereinlage gelangen kann. In Folge der Capillarität durchtränkt sich das Leder mit ihr bis vorn an die Schreibfläche des Federgestelles; die Feder ist nun zum Schreiben zusammenhängender schmälerer oder breiterer Striche vorbereitet. Jede Schreibfeder ist mit ihrem Schreibhebel durch Vernietung verbunden. An ihrem der Feder entgegengesetzten oberen Ende tragen beide Schreibhebel eine längere Hülse, die bei k2 über einen in die vordere Gestellwange des Apparates eingesetzten Dorn geschoben wird, um welchen dann jeder derselben beweglich ist. Zwei drehbare Stiftchen k1 (Vorreiber) halten in ihrer in Fig. 3 gezeichneten Lage die Schreibhebel auf den Dornen zurück und verhüten somit ein Herabgleiten derselben während ihrer Bewegung, Beide Schreibhebel haben, der Wirkung der Schwere folgend, das Bestreben, sich frei nach unten zu legen. Diesem Bestreben wirken jedoch die Zinken der Gabel N, auf welche sich die Schreibhebel mit ihren nach hinten vorstehenden Anschlagstiften k3 auflegen, entgegen, so daſs die Federn in der Ruhelage der Gabel, d.h. bei stromloser Leitung, wie in Fig. 1 dargestellt, neben einander im Gleichgewichte liegen. Tritt jetzt ein Strom von bestimmter Richtung auf, durch welchen beispielsweise die mit dem Anker U (Fig. 5) aus weichem Eisen auf derselben Welle n befestigte Gabel N nach rechts gelegt wird, so drückt die linke Zinke gegen den Anschlagstift des linken Schreibhebels, die Punktfeder steigt und bewirkt auf dem um die Druckrolle v geführten Papierstreifen den Abdruck des Halbstriches. Im Augenblicke des Aufhörens der Stromwirkung kehrt der Anker U und die mit demselben auf gleicher Achse aufgesteckte Gabel N nebst der linken Feder durch den weiter unten beschriebenen Polarisationsmagnet beeinfluſst, in die Ruhestellung zurück, wohin unter der Einwirkung der rechten Zinke auch die bisher gesenkte Schreibfeder wieder emporsteigt. Ein entgegengesetzt gerichteter Strom legt den Anker und die Gabel nach links, wobei die Strichfeder gehoben wird und schreibt. Das Farbgefäſs M (Fig. 1 bis 4) ist an der vorderen Apparatwange verstellbar und kann zwei bestimmte Lagen, eine hohe und eine tiefe, einnehmen. In der hohen Lage tauchen beide Federn in die Farbflüssigkeit ein. Stellt man den Hebel M2 nach links, so wird das Farbgefäſs aus der hohen in die tiefe Stellung übergeführt. Es geschieht dies mittels des in einen Einschnitt der Messingplatte M1 eingreifenden Daumens dieses Hebels, welcher, je nachdem er von links nach rechts oder umgekehrt gedreht wird, die Platte an der Gestellwange herunter führt oder in die Höhe steigen läſst. Die Platte M1 besitzt zwei Hülsen, durch welche zwei an dem Farbgefäſse M sitzende eiserne Stifte hindurchgreifen und sich durch Schlitze in der Apparatwand auch noch durch diese hindurch fortsetzen. Zwischen M1 und M liegt noch die Fig. 3–10., Bd. 261, S. 112 an der Apparatwand A mittels der Schraube m festgeschraubte Stahlplatte m2. In der hohen Stellung kann das Farbgefäſs nicht abgenommen werden, weil der hintere Rand desselben gegen die Schreibfedern Stoſsen und von diesen zurückgehalten werden würde; in der tiefen Stellung dagegen sind die Federn aus der Farbflüssigkeit herausgehoben und somit dem Abnehmen des Gefäſses nicht mehr im Wege; in der hohen Stellung des Farbgefäſses tritt zugleich die Platte m2 in zwei Schlitze der Stifte des Schreibgefäſses hinein und verhindert so das Abnehmen des Farbgefäſses, bis dasselbe in seine tiefe Stellung gebracht ist. Bei richtig eingestelltem Apparate sollen die bei ruhendem Laufwerke bewirkten Abdrücke beider Zeichen sich decken, d.h. es soll nur die von der rechten Feder erzeugte Strichmarke auf dem Streifen erscheinen. Ist dies nicht der Fall, so muſs der Apparat durch Einstellen des Ankers bezieh. der Gabel in die genaue Mittellage bezieh. durch Anziehen oder Lösen der das Spiel der Gabel begrenzenden Anschlagsschrauben und durch geeignete Einstellung der mittels einer besonderen Stellplatte V (Fig. 4) an der vorderen Apparatwange verstellbar befestigten Druckrolle v regulirt werden. In Fig. 3 erscheint die obere Walze D1 des Papierzuges von der unteren D abgehoben; durch Zurücklegen des Hebels E1 wird sie auf D herabgelegt. Zu den elektromagnetischen Theilen gehören die beiden Elektromagnetschenkel Q (Fig. 5) mit Verbindungsstück und verstellbaren Polschuhen Q1, zwischen denen die obere Hälfte des auf der Achse n befestigten Ankers V spielt. Derselbe wird bei stromloser Leitung durch die Wirkung des in die Deckplatte des Apparatkastens eingelassenen und mit der messingnen Grundplatte B des Apparates verbundenen zweilamelligen Hufeisenmagnetes aus Wolframstahl in seiner Ruhelage, der sogen. „Mittelstellung“, erhalten. Die Elektromagnetschenkel sind an der hinteren Apparatwange befestigt und durch einen abnehmbaren, mittels Haken und Oesen zu befestigenden Holzdeckel gegen zufällige Beschädigungen geschützt. Die messingene Welle n, welche vorn die Gabel N, hinten dagegen den Anker U trägt, ist, leicht drehbar, in den Bügeln N1 gelagert, welche an die vordere und hintere Apparatwange angeschraubt sind. Das untere Ende des Ankers U läuft in eine Schneide aus, welche dem Nordpole des Hufeisenmagnetes gegenübersteht, jedoch nicht ohne Vermittelung. Zwischen der Schneide des Ankers U und dem Nordpole des Magnetes befindet sich in einem entsprechenden Ausschnitte der Grundplatte der Läufer u (Fig. 10), d. i. ein beweglicher Polschuh aus weichem Eisen; derselbe ist prismatisch abgeschliffen, so daſs die Kante des Prisma nach oben gerichtet ist. Die Kante des Prisma ist in den Schlitz eines auf der Grundplatte des Apparates verschiebbaren Messingschlittens U1 (Fig. 5) eingelöthet, wodurch Läufer und Schlitten zu einem unwandelbaren Systeme verbunden sind. Der Schlitten, welcher die Stellvorrichtung für den Anker bildet, hat nach hinten zwei aufwärts stehende Backen, in welche zwei mit Schraubengewinde versehene Stifte und etwas tiefer zwei Führungsstifte eingesetzt sind. In geringem Abstande von dem Schlitten sind rechts und links neben demselben auf der Grundplatte B zwei Träger aufgesetzt, welche die beiden in jene Ansätze eingeführten Schraubenspindeln aufnehmen. Mittels dieser beiden Schrauben – und zwar indem man die eine Mutter u1 lüftet, die andere anzieht – kann der Schlitten U1 in engen Grenzen von links nach rechts und umgekehrt verschoben werden, bis die richtige Mittellage des Ankers erreicht ist, wobei die Schneide des Ankers U scharf gegen die obere Kante des Eisenprisma u gerichtet ist. Vor den Polen des Magnetes liegt ein Schlieſsungsanker aus weichem Eisen, welcher durch einen an die Unterseite der Grundplatte B angeschraubten Messingbügel geführt wird. Der Schlieſsungsanker ist in seiner Lage von der Stellung des Bremshebels des Laufwerkes abhängig. Ist der Hebel nach rechts gestellt, wobei das Laufwerk gehemmt ist, so liegt der Eisenstab, den Magnet schlieſsend, vor den Polen desselben; in der linken Stellung des Bremshebels dagegen ist der Magnet offen und das Laufwerk ausgelöst. Weil der Empfangsapparat geräuschlos arbeitet, so wird ihm für Leitungen, die nicht in ununterbrochenem Betriebe sind, ein Wecker beigegeben, für welchen der Bremshebel zugleich als Kurbelumschalter dient. In der rechten Stellung des Hebels ist nämlich die an das Apparatgestell geführte Telegraphenleitung auf Wecker geschaltet; in der linken dagegen wird der aus der Leitung ankommende Strom durch den Empfangsapparat geführt und der Wecker ist dabei ausgeschaltet. Eine Abweichung hiervon zeigen jetzt die Apparate des Reichs-Postamtes. Um nämlich zu verhüten, daſs der Telegraphirende bei Berührung des Bremshebels von einer durch die Leitung zum Apparatgestelle kommenden atmosphärisch-elektrischen Entladung getroffen werde, wird die Leitung gar nicht an den Apparat geführt, sondern an eine Schiene, welche zwar vom Bremshebel aus bewegt wird, dabei aber nicht in metallische Berührung mit ihm kommt; eine an der Schiene angebrachte Contactfeder berührt in den beiden Stellungen des Bremshebels die eine oder die andere von zwei messingenen Contactschienen und schaltet so die Leitung auf den Wecker oder auf den Schreibapparat; zugleich läſst eine mit einer Theilung versehene Messingplatte erkennen, wie weit der Bremshebel und durch diesen der Schlieſsungsanker verschöben und so die Wirkung des Magnetes in der von Estienne gewählten, gleich näher zu besprechenden Weise abgeändert wurde. Neuerdings bringt Estienne an Stelle des rechten und linken Contactes des Bremshebels auf der Vorderseite der Grundplatte und zwar innerhalb der durch den Hebel bestrichenen Ebene drei Contactknöpfe an. Dieselben gestatten eine Einstellung des Hebels auf drei verschiedene Stellen und hierdurch Abstufung der magnetisirenden Kraft des Läufers und die Einnahme einer Zwischenstellung, je nachdem die Stärke der Telegraphirbatterie im gebenden Amte eine Abstufung der Empfindlichkeit des Empfängers erwünscht erscheinen läſst. Eine weitere Neuerung besteht darin, daſs der Anker U auf der Schreibwelle n nicht mittels eines durchgesteckten Stiftes befestigt, sondern beweglich angebracht wird: das Einstellen desselben in die genaue Mittellage erfolgt dabei durch zwei Anschlagschrauben, zwischen denen die Zunge U spielt. Der Schlitten U1 und dessen Stellvorrichtung fallen bei dieser Anordnung fort. Der zum Apparatsysteme gehörige Sender, ein Doppeltaster, ist in Fig. 11 bis 16 in verschiedenen Ansichten und Sellungen, z. Th. im Schnitte dargestellt. Die beiden Hebel A und A1 des Doppeltasters sind durch eine Ebonitzwischenlage in zwei gegen einander isolirte Theile getrennt. Der Stromlauf ist leicht zu verfolgen, wenn man sich mit dem Säulchen H1 den Empfangsapparat, mit den Contacten G bezieh. G1 und den Federn d1 bezieh. d den Zink- bezieh. Kupferpol der Batterie, mit der Feder J am Säulchen D die Erde und mit dem Lagerbocke B der beiden Tastenhebel die Telegraphenleitung verbunden denkt. Es wird dann nämlich beim Drucke des linken Tasterhebels A1 die mit der Leitung verbundene wagerechte Blattfeder H durch den am isolirten vorderen Ende des Hebels angebrachten Stift h1 von dem Säulchen H1 abgehoben und Kupferstrom in die Leitung geschickt, während gleichzeitig der Zinkpol der Batterie an Erde gelegt wird. Umgekehrt tritt beim Drucke des rechten Tasterhebels Zinkstrom in die Leitung, während der Kupferpol an Erde gelegt wird. Der aus der Leitung ankommende Strom geht über die wagerechte Blattfeder H und das Contactsäulchen H1 zum Empfangsapparate bezieh. zum Läutewerk und zur Erde. Dem Sender ist eine Entladungsvorrichtung beigegeben, deren Einrichtung in Fig. 13 erkennkar ist. Gegen das in die Schraube i1 eingedrehte Schräubchen drückt die lothrechte Blattfeder J, welche mittels i1 beliebig vor- und zurückgestellt werden kann; die Vertikalfeder trägt bei i eine kleine Nase aus Platin, welche dazu bestimmt ist, mit der wagerechten, mit der Leitung verbundenen Blattfeder H bei deren Aufwärtsbewegung sowie beim Niedergange einen Erdcontact zu bilden. Beim Einstellen der Entladungsvorrichtung ist zu beachten, daſs, wenn die Vertikalfeder I zu weit vorgestellt ist, die Horizontalfeder H an der Nase angehalten werden kann, wodurch dann ihr Zurückgehen in die Ruhelage und die derselben entsprechende Verbindung mit dem Empfangsapparate verzögert wird. Die im J. 1884 für Rechnung und nach den Angaben der Reichs-Telegraphenverwaltung bei den Gebrüder Naglo in Berlin erbauten 100 Empfangsapparate des Systemes Estienne sind, abweichend von dem Modelle des Erfinders, unter thunlichster Anpassung an den Morse-Normalfarbschreiber ausgeführt worden. Ebenso zeigt das vom Reichs-Postamte angenommene Modell des Senders gegenüber dem durch Postel-Vinay ausgeführten Estienne'schen Sender in so fern eine wesentliche Abweichung, als bei demselben die zum Betriebe des Apparates erforderlichen Ströme verschiedener Richtung zwei besonderen Batterien entnommen werden, deren unbenutzte Pole an Erde gelegt sind. Fig. 11–19., Bd. 261, S. 116 Diese Anordnung gewährt den Vortheil, daſs bei gröſseren Aemtern, denen mehrere Estienne'sche Systeme überwiesen sind, nach Umständen gemeinsame Batterien zum Betriebe mehrerer Leitungen benutzt werden können. Ebenso können auch jedem der beiden Hebel des Senders annähernd dieselbe Einrichtung und dieselben Verbindungen gegeben werden wie dem einfachen Taster für Arbeitstrombetrieb. Bei diesen Telegraphen wurden Laufwerk und Aufziehvorrichtung des Normalfarbschreibers unverändert beibehalten; auch die Unterbringung der Papierrolle in dem Untersatzkasten, sowie die Anordnung der Papierführung und der Papierzugwalzen ist dieselbe. Ebenso ist die Befestigungsweise des Farbekastens an der vorderen Apparatwange beibehalten. Nur die Oeffnung in der Deckplatte des Farbekastens muſste der abweichenden Einrichtung der Schreibvorrichtung entsprechend abgeändert werden und die Einguſsöffnung wurde in eine nach vorn zu sich erstreckende halbrunde Erweiterung des Farbekastens verlegt. Die Schreibfedern und die Befestigung der Federhalter an der Apparatwand, ferner die Gabel, welche die Federn zum Schreiben an den um die verstellbare Druckrolle herumgeführten Papierstreifen heranbewegt, der auf die Gabelachse aufgesteckte Anker aus weichem Eisen nebst dem denselben magnetisirenden Hufeisenmagnete sind in der vorstehend beschriebenen Einrichtung und Anordnung beibehalten oder nur unwesentlich abgeändert worden. Durchgreifender sind die Aenderungen an dem deutschen Doppeltaster, welcher in Fig. 17 bis 19 dargestellt ist. Die Wirkungsweise desselben wird leicht klar, wenn man sich mit der Klemme K1 den Kupferpol, mit K2 den Zinkpol je einer Batterie verbunden denkt und wenn ferner an K6 die Leitung, an K5 die Erde und an K4 die Apparatzuleitung geführt werden. Wenn die Strichtaste T1 gedrückt wird, so tritt – von der auch hier wie bei dem Estienne'schen Taster vor sich gehenden Entladung abgesehen – Kupferstrom über die Schiene S1 , den Hebel T1, die Achse a1, den Ständer C1 und K6 in die Leitung, während beim Drucke der Punkttaste T2 Zinkstrom über S2, T2, a2, C, a1, C1 und K6 in die Leitung geschickt wird. Der beim Empfangen aus der Leitung ankommende Strom dagegen nimmt seinen Weg über K6, C1, S6, D, die Feder F, das Säulchen J, S4 und K4 zum Empfangsapparat bezieh. zum Läutewerk und zur Erde. Die Stifte h1 und h2 haben bei der vorliegenden Anordnung nur den Zweck, die Blattfeder F beim Drucke des einen oder anderen Tasterhebels von dem mit der Apparatklemme K4 verbundenen Säulchen J abzuheben. Von sonstigen kleineren Aenderungen ist noch zu erwähnen, daſs zur Sicherung des Contactes mit der Leitung auſser der unmittelbaren Verbindung durch die Achsen der Tasterhebel noch eine um a1 bezieh. a2 gelegte Stahldrahtspirale dient, deren freie Enden einerseits an den Hebeln T1 bezieh. T2, andererseits an den Lagerböcken C1 bezieh. C2 angeschraubt sind. Auſserdem sind neuerdings die äuſseren Seiten der Ebonitplatten e1 bezieh. e2 zur Verhütung eines unabsichtlichen Heruntergleitens des auf sie drückenden Fingers mit erhöhten Rändern versehen worden, was der in Fig. 19 dargestellte Schnitt nach der Linie I-II in Fig. 18 deutlich sehen läſst. Die Leistungsfähigheit des neuen Systemes ist vor der Einführung desselben auf ober- und unterirdischen Leitungen zwischen Berlin und Leipzig, sowie auf unterirdischen Leitungen zwischen Berlin und Frankfurt a. Main erprobt worden. Auch zwischen Berlin und Karlsruhe (Baden) sind Apparate Estienne'scher Lieferung unter Benutzung einer in Cassel eingerichteten Uebertragung mit bestem Erfolg in Betrieb gesetzt worden. Mit Apparaten deutscher Bauart hat sogar in letzter Zeit auf der rund 600km langen unterirdischen Linie von Berlin nach Köln (Rhein) ein sicherer Verkehr ohne Uebertragung bezieh. Relais stattgefunden. Die Uebertragung ist nach dem Archiv für Post und Telegraphier 1885 * S. 495 nach dem Vorschlage des Telegraphendirektors Pröll in Berlin nach der Schaltungsskizze Fig. 20 unter Verwendung von je 2 Relais R1 und R3 bezieh. R2 und R4 durchgeführt worden; sie fällt übrigens wesentlich zusammen mit der von E. Matzenauer bereits im August 1847 erdachten, in der Zeitschrift des Oesterreichischen Ingenieurvereins, 1851 S. 28 und 63 bezieh. 1863 S. 139 besprochenen Uebertragung für die damals in Oesterreich in Gebrauch befindlichen Bain'schen Nadeltelegraphen, die ja ebenfalls mit Arbeitströmungen von zwei verschiedenen Richtungen betrieben wurden. Von den paarweise hinter einander geschalteten vier polarisirten (Hughes-) Relais sprechen R1 und R2 auf positive, R3 und R4 auf negative, aus L2 bezieh. L1 ankommende und über d2, i2, e2 bezieh. d1, i1, e1 zur Erde E gehende Telegraphirströme an und geben dabei in bekannter, aus der Figur leicht ersichtlicher Weise zugleich die positiven Ströme der Batterie + B bezieh. die negativen der Batterie –B in die Leitung L1 bezieh. L2 weiter. Fig. 20., Bd. 261, S. 118 Natürlich würden sich an Stelle der vier polarisirten Relais auch zwei Estienne'sche Apparate selbst als Uebertrager benutzen lassen und zwar läſst sich die Uebertragung mittels derselben ebenso wohl bei Verwendung zweier getrennter und mit dem einen Pole (wie +B und –B in der obigen Skizze) an Erde gelegten Linienbatterien durchführen wie mit einer einzigen Batterie, wie dies E. Zetzsche in der Elektrotechnischen Zeitschrift, 1886 * S. 112 eingehender aus einander gesetzt hat.