Titel: Die gegenwärtige Lage der Leblanc'schen Sodafabriken im Concurrenzkampf mit der Ammoniaksoda.
Fundstelle: Band 266, Jahrgang 1887, S. 184
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Die gegenwärtige Lage der Leblanc'schen Sodafabriken im Concurrenzkampf mit der Ammoniaksoda. Die gegenwärtige Lage der Leblanc'schen Sodafabriken. In der Chemischen Industrie 1887 Bd. 10 S. 290 macht R. Hasenclever sehr bemerkenswerthe Mittheilungen über den derzeitigen Stand der Sodaindustrie. Während die Fabrikation der Ammoniaksoda in den letzten 10 Jahren bedeutend zugenommen hat, erfuhr die Darstellung von Leblanc-Soda eher einen Rückgang als eine Ausdehnung. Jedenfalls ist aber der durch die Entwickelung der Gesammtindustrie hervorgerufene Mehrbedarf an Soda ausschlieſslich von der Ammoniaksoda-Fabrikation gedeckt worden. An der Gesammtproduction von Soda participiren die Ammoniaksodafabriken in den verschiedenen Ländern wie folgt: in Deutschland etwa 75 Proc. Frankreich 60 Oesterreich 47 England 22 In keinem Lande wird verhältniſsmäſsig so viel und nach so verschiedener Weise Ammoniaksoda gemacht, wie in Deutschland. Weitaus die gröſste Production haben die 3 den deutschen Solvay-Werken gehörigen Ammoniaksodafabriken in Wyhlen, Bernburg und Saaralben, welche zusammen mehr als ein Drittel des gegenwärtigen deutschen Consums decken. Etwa 45000t produciren die Ammoniaksodafabriken in Grevenberg bei Aachen, Duisburg, Dieuze, Inowrazlaw, Nürnberg und Rothenfelde bei Osnabrück. Die drei Firmen, Chemische Fabrik Buckau, Verein chemischer Fabriken in Mannheim und Engelcke und Krause in Trotha fabriciren neben Ammoniaksoda noch Soda nach Leblanc, während nur noch in Schönebeck, Saarau, Heinrichshall, Heufeld, Hannover, Ludwigshafen und Stolberg ausschlieſslich nach dem alten Leblanc'schen Schmelzverfahren gearbeitet wird. In 24 Betriebsstätten werden jährlich etwa 150000t Soda (auf 100 Proc. Natriumcarbonat umgerechnet) in Deutschland hergestellt, während die deutsche Sodaproduction im J. 1878 nur 42500t betrug, ein Aufschwung, der, wie die folgende Tabelle zeigt, auch statistisch erwiesen ist. Import fremder Soda nach Deutschland nach Abzug der ausgeführten Quantitäten. Netto in Tonnen. Jahr An calc.Soda 90° An caust.Soda 120° An cryst.Soda 36° An doppel-kohlens,Natron 72° Summaauf 100°red. Bemerkungen 187218731874187518761877187818791880188118821883188418851886   751310104154131606414412145301411115911  6061  6310  5598    887  7318  8962  9150 13311858375159807831791592756887937352666134474819732299  676 109771230611040113811325310679  9219106861005310833  7332  2076  2037    282  1759 238472404517503510452366263327297206250112120 1224116093226382610427500267872747426475205121613215251  7917  3305  627010204 Die fettgedrucktenZahlen geben dieMehrausfuhr ausDeutschland gegenden Import an. Der Import von fremder Soda nach Deutschland betrug vor 10 Jahren noch ungefähr 40 Proc. des Bedarfes und stellte sich auf 27000t; seit der mit dem J. 1879 ins Leben getretenen Aenderung der Zollpolitik hat aber die einheimische Production sich so gehoben, daſs jetzt Soda, wenn auch nicht in erheblichen Mengen, aus Deutschland exportirt wird, indessen wird sich eine dauernde Ausfuhr für Deutschland nicht erwarten lassen, da in England die Rohmaterialien zur Sodafabrikation durchschnittlich billiger sind, auch durch die gröſsere Nähe der See-Plätze den Fabriken der Export bedeutend erleichtert ist. Schon jetzt scheint aber in Deutschland zeitweise etwas mehr Soda als im Inlande consumirt wird, producirt zu werden und dieser Uebelstand wird nach der Vergröſserung der Fabrik in Saaralben noch wachsen. Bisher war die Furcht, die Production nicht unterbringen zu können, die Hauptveranlassung zur Herabsetzung der Verkaufspreise, Mangel an Absatz und Anhäufung von Sodavorräthen traten noch nicht oder doch nur vorübergehend in einzelnen Fabriken ein. Trotzdem hat der Concurrenzkampf den Preis der 98procentigen calcinirten Soda von 20 M. im J. 1878 allmählich auf etwa 8 M. für 100k herabgedrückt. Unter diesen Verhältnissen ist die Rentabilität der deutschen Sodafabrikation eine ganz ungenügende, ohne daſs Aussicht auf baldige Besserung der Geschäftslage vorhanden wäre. Der Kampf ums Dasein wird nach wiederholten, vergeblichen Versuchen durch eine Convention eine Einigung der deutschen Producenten herbeizuführen, fortgesetzt. Trotzdem manche Bilanzen Verluste nachweisen, beschafft man neue Geldmittel und schränkt den Betrieb, in der Hoffnung auf bessere Zeiten, nicht ein, ungeachtet manchen Sodafabriken wegen der ungünstigen geographischen Lage zu den wichtigsten Rohmaterialien die Existenzbedingungen fehlen. Wie Hasenclever schon früher nachgewiesen hat (vgl. Chemische Industrie 1880 Bd. 3 S. 237 und D. p. J. 1881 239 55), ist, wenn keine Rücksicht auf die vortheilhafte Benutzung der Nebenproducte genommen wird, im Allgemeinen das Ammoniaksodaverfahren dem Leblanc'schen überlegen. Nach den inzwischen von Seiten der Ammoniaksodafabriken gemachten Fortschritten genügt die frühere Gutschrift von 1 M. für 100k Salzsäure, wie solche z.B. bei der Rhenania üblich ist, nicht mehr, um das Leblanc'sche Verfahren concurrenzfähig zu erhalten. Man muſs die Salzsäure besser verwerthen und kann gewisse Fabrikationen des zu hohen Salzsäure-Preises wegen nicht mehr fortsetzen. So wurde der Betrieb der Gesellschaft Fertilitas, welche bemüht war, aus den Thomas-Schlacken präcipitirtes Caliumphosphat mit Anwendung von Salzsäure herzustellen (Chemische Industrie, Märzheft 1884), eingestellt, was Scheibler (Sitzungsbericht des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleiſses vom 2. November 1885) auf den zu hohen Preis der Salzsäure (1,5 bis 1,8 M. für 100k) zurückführt. Chlorpräparate sind durch den höheren Preis der Salzsäure erheblich gestiegen, während in manchen Fabrikationszweigen die Salzsäure anderweitig ersetzt wurde. In Zuckerfabriken umgeht man die Benutzung der früher zur Regeneration der Knochenkohle in bedeutender Menge nöthigen Salzsäure mehrfach durch Anwendung der schwefligen Säure (vgl. 1886 261 483) und zur Gewinnung von Leimleder durch Extraction der Knochen ist ebenfalls schweflige Säure an Stelle von Salzsäure vorgeschlagen (vgl. auch G. Fry 1884 253 534). In gleicher Weise wird in Farbenfabriken und Erzextractionen statt Salzsäure neuerdings Schwefelsäure angewandt, da deren Preis in den letzten 10 Jahren auf die Hälfte gesunken ist. Die Schwefelregeneration nach dem Verfahren von Schaffner (1869 192 * 308) oder von Mond (1882 245 341. * 387) ist ebenfalls unrentabel geworden. Da indessen das Ablagern von frischen Sodarückständen nicht überall statthaft ist, so war neben anderen Fabriken auch die chemische Fabrik Rhenania bemüht, in anderer Weise den Schwefel zu extrahiren. Zunächst wurde das Opl'sche Patent (1882 246 * 37) versuchsweise eingeführt. Gossage hatte schon vor fünfzig Jahren nachgewiesen, daſs Kohlensäure Schwefelcalcium unter Bildung von H2S und CaCO3 zerlege. Er hatte schon 1837 ein Patent genommen (1837 66 73), den Sodarückstand mittels Kohlensäure zu zersetzen und den entstehenden Schwefelwasserstoff zur Production von Schwefelsäure zu verwenden. Opl basirte die Löslichkeit der Sodarückstände durch Schwefelwasserstoff auch auf die Einwirkung der Kohlensäure, jedoch nur in dem Maſse, als der entwickelte Schwefelwasserstoff von noch vorhandenem Rückstand bezieh. Schwefelcalcium aufgenommen werden konnte, Laboratoriumsversuche mit reiner Kohlensäure lieſsen Opl's Vorschlag für die Praxis geeignet erscheinen. Als aber in Stolberg statt reiner Kohlensäure Kalkofengase verwendet wurden, machte sich die oxydirende Eigenschaft des Sauerstoffes störend geltend, obwohl diese Gase 28 Vol.-Proc. Kohlensäure und nur 0,5 bis 1,3 Proc. Sauerstoff entgelten. Es bildeten sich neben Polysulfuraten unterschwefligsaure Salze, während Hasenclever Schwefelwasserstoff-Schwefelcalcium erhalten wollte und eine Fällung des Schwefels mit Chlorwasserstoffsäure nicht beabsichtigt war. Mehr Aussicht auf praktischen Erfolg scheint das Patent von H. v. Miller und C. Opl (1884 253 350) zu haben, namentlich da, wo noch Salzsäure zur Schwefelregeneration benutzt werden muſs. Es werden die Sodarückstände durch Einwirkung von Schwefelwasserstoff in Calciumsulfhydrat und dieses durch Wasserdampf in Kalkhydrat und Schwefelwasserstoff übergeführt: CaS2H2 + 2H2O = Ca(OH)2 + 2SH2. Diese letztere Reaction ist zuerst von v. Miller und Opl nachgewiesen, steht aber, wie Hasenclever an mehreren Beispielen zeigt, im Widerspruche mit den Angaben verschiedener chemischer Lehrbücher. Für diejenigen Fabrikanten, welche den Schwefelkies der Gruben bei Grevenbrück als Rohmaterial verwenden, dürfte nach Hasenclever das patentirte Verfahren von H. Riemann (D. R. P. Kl. 40 Nr. 38072 vom 26. März 1886 vgl. auch Zeitschrift für die chemische Industrie 1887 Bd. 1 S. 37) von Werth sein. Die Rückstände dieser Kiese sind wegen ihres Zinkgehaltes als Eisenerze wenig beliebt. Da nun Riemann gefunden hat, daſs das in den Rückständen vorhandene neutrale schwefelsaure Eisenoxyd bei einem Zinkgehalt von 10 bis 15 Proc. für die chlorirende Röstung nicht ausreicht, so unterwirft er die zerkleinerten ausgebrannten Siegener Erze, wie die Abbrände der kupferhaltigen Kiese, unter Zugabe von Ferrisulfat und Kochsalz einer Röstung bei etwa 500°. Aus der erkalteten Masse wird dann, bei einem Gehalt von 0,3 bis 0,6 Proc. Schwefel, das Zink bis auf 1 bis 1,5 Proc. ausgelaugt. Die verdünnten Laugen werden mit Kalkhydrat gefällt und auf diese Weise ein allerdings gypshaltiges Zinkoxyd erhalten. Dieser Gypsgehalt dürfte jedoch innerhalb bestimmter Grenzen dem Zinkoxyd nicht schädlich sein, da auch Kalkspath haltige Blenden bei der Röstung Gyps haltiges Zinkoxyd liefern und diese doch anstandslos verhüttet werden. Das Riemann'sche Verfahren wird von der Gewerkschaft Sicilia durchgeführt und geprüft. Für seine Rentabilität wird es von Wichtigkeit sein, ob sich in der Nähe der Fabriken ein Hochofen befindet, der die Abbrände als Eisenerze benutzen kann. Der Werth des Zinkoxydes hängt von dessen physikalischer Beschaffenheit ab; Niederschläge aus Zinklösungen sind trotz hohen Zinkgehaltes schlecht bezahlt worden, weil sich bei der Verhüttung Verluste ergaben. Abgesehen von den erwähnten Verbesserungen ist die Lage einiger Fabriken dadurch günstiger geworden, daſs die Rohmaterialien billiger zu beschaffen sind, sei es durch Verbesserung der Wasserstraſsen und Herabsetzung der Schiffsfrachten, sei es dadurch, daſs die Schwefelerze und das Salz im Preise gesunken sind. Ohne solche Vortheile müſsten verschiedene Leblanc'sche Sodafabriken den Betrieb einstellen, während andere durch bessere Verwerthung der Nebenproducte und Aufnahme neuer Fabrikationszweige bisher noch verdienten und sogar die Sodafabrikation noch ausdehnen konnten. Die deutschen Ammoniaksodafabriken wurden vor mehr als 8 Jahren zu einer Zeit angelegt, als die Verkaufspreise für calcinirte Soda die jetzigen um mehr als das Doppelte überstiegen und es weniger geboten schien, eine zu allen Rohmaterialien möglichst vortheilhafte Lage zu wählen. Verschiedene Fabrikbesitzer, welche schon industrielle Anlagen an einem Orte besaſsen, richteten auch an derselben Betriebsstätte die Ammoniaksodafabrikation ein. Heute ist die Lage mancher Fabrikanten bei zu theuren Rohmaterialien besonders schwierig, trotz der groſsen technischen Fortschritte, die in einzelnen Betrieben erzielt wurden und welche neben dem Solvay'schen Verfahren bisher in keinem anderen Lande erreicht sind. Solvay selbst hat vor 10 Jahren durch den Ankauf von Wyhlen, fern von Kohlengruben und Absatzgebieten für Soda, auch keine günstige Lage in Deutschland gewählt, durch die groſsartigen Anlagen in Bernburg und Saaralben diesen Nachtheil aber ausgeglichen und seine Production bedeutend ausgedehnt. Durch den Austausch der Betriebsresultate der verschiedenen nach Solvay'schen Verfahren arbeitenden Werke sind Fortschritte in der Fabrikation und Verminderung der Selbstkosten eingetreten. Die wesentlichsten Verbesserungen der letzten Jahre beruhen auf dem geringen Ammoniakverbrauch und der vergröſserten Production bei fast gleichen Apparaten. Die Verwerthung der Nebenproducte ist stetig weiter verfolgt worden. So ist das in dieser Zeitschrift bereits mitgetheilte Solvay'sche Verfahren zur Darstellung von Chlor bezieh. Salzsäure aus Chlorcalcium und Kieselsäure (vgl. 1885 257 * 106. 259) soweit ausgebildet worden, daſs es von einem belgischen Papierfabrikanten aufgenommen werden konnte. Ferner hat Mond in Northwich unausgesetzt an der Verwerthung des Chlors im Kochsalz gearbeitet. Sein in England im J. 1886 patentirtes Verfahren besteht darin, Chlorammonium zu verflüchtigen und die Dämpfe über Nickeloxydul zu leiten. Letzteres oder die Sauerstoffverbindungen von Kobalt, Kupfer, Zink, Magnesium, Mangan, Aluminium und Wismuth zerlegen die Chlorammoniumdämpfe bei 400° nach folgender Gleichung: NiO + 2NH4Cl = NiCl2 + 2NH3 + H2O. Besser noch als die reinen Metalloxyde sollen die Verbindungen derselben mit Kiesel-, Bor-, Antimon- oder Wolframsäure sein, da sie die Zerlegung des Chlorammoniums schon bei niederer Temperatur bewirken. Die Umsetzung wird in guſseisernen Retorten vorgenommen, welche den zersetzenden Körper in geeignet zertheilter Form enthalten, z.B. Nickeloxydul in porösen Kugeln, als Ueberzug auf Bimsstein oder in Stücken, gemischt mit irgend einem indifferenten Körper. Die Retorte wird auf die nöthige Temperatur erhitzt und Chlorammonium in Dampfform eingeleitet. Das gebildete Nickelchlorür wird hierauf im Luftstrom auf 500 bis 550° erhitzt, wodurch Chlor frei wird und wieder Nickeloxydul entsteht, welch letzteres von Neuem zur Zerlegung von Chlorammonium dienen kann. Auf diese Weise soll Chlorgas von 5 bis 7 Vol.-Proc. erhalten werden, welches, wenn andere schädliche Gase fehlen, zur Darstellung von Chlorkalk genügen würde. Anders verläuft die Zersetzung, wenn statt Luft Wasserdampf durch das erhitzte Nickelchlorür getrieben wird; entsprechend der Gleichung: NiCl2 + H2O = NiO + 2HCl entsteht Salzsäure. Doch dürfte deren Herstellungspreis noch zu theuer sein und wird sich der Werth des Verfahrens erst aus den in Northwich in gröſserem Maſsstabe in Angriff genommenen Betriebsversuchen ergeben. Schlieſslich kommt Hasenclever noch auf das Hermite'sche Bleichverfahren und seine Beurtheilung durch Cross und Beran einerseits und Hurter andererseits zu sprechen. Hierüber ist in diesem Journal bereits auf S. 175 dieses Bandes berichtet.