Titel: Ueber die Veränderungen der Elasticitätsgrenze von Eisen und Stahl; von Prof. Bauschinger.
Fundstelle: Band 266, Jahrgang 1887, S. 217
Download: XML
Ueber die Veränderungen der Elasticitätsgrenze von Eisen und Stahl; von Prof. Bauschinger. Veränderungen der Elasticitätsgrenze von Eisen und Stahl. Im 13. Hefte der Mittheilungen aus dem mechanisch-technischen Laboratorium der kgl. technischen Hochschule in München, 1886, ist ein Aufsatz von Bauschinger enthalten, über die Veränderungen der Elasticitätsgrenze und Festigkeit des Eisens und Stahles durch Strecken und Quetschen, durch Erwärmen und Abkühlen und durch oftmals wiederholte Beanspruchung. Unter Bezugnahme auf diese Veröffentlichung sollen hier nur die Hauptergebnisse mitgetheilt werden. Vorher möge noch erwähnt sein, daſs Bauschinger den Ausdruck Elasticitätsgrenze für diejenige Grenze gebraucht, an welcher die Proportionalität zwischen Spannung und Formänderung bei allmählich wachsender Belastung endigt. Fast alle Versuche wurden auf der Werder'schen Maschine mit Benutzung der Bauschinger'schen Spiegelapparate ausgeführt, die Dauerversuche auf einer Wöhler'schen Maschine. Eine Reihe von Vorversuchen führte zu folgenden Sätzen: Durch Strecken eines Stabes, d.h. durch Belasten desselben über die Streckgrenze hinaus, erhöht sich seine Elasticität nicht bloſs während der Zeit, in der die Belastung wirkt, sondern auch noch während einer auf die Belastung folgenden längeren Ruhe (ohne Belastung), und diese Wirkung macht sich über die Belastung hinaus geltend, mit welcher vorher gestreckt wurde. Die Wirkung wechselnder Belastungen, von denen die obere die ursprüngliche Elasticitätsgrenze übersteigt, ist sehr verschieden, je nachdem diese Wechsel unmittelbar rasch hinter einander folgen oder ob längere Ruhepausen dazwischen liegen. Nach einer solchen Pause ist die Wirkung derselben wechselnden Belastungen auf das Material geringer als vorher. Der hierin ausgesprochene Einfluſs der Zeit und der Gröſse der Streckung wurden nun getrennt weiter untersucht. Der Einfluſs der Zeit auf die Veränderung des Materials, hauptsächlich in Bezug auf die Streck- und Elasticitätsgrenze ist in folgenden Sätzen wiedergegeben. Die Streckgrenze wird stets bis zu der Belastung hinauf gehoben, mit welcher gestreckt wurde, und zwar schon unmittelbar nach dem Strecken. In der Zeit der Ruhe aber, die nach der auf das Strecken vorgenommenen Entlastung verstreicht, hebt sich die Streckgrenze über jene Maximalbelastung, mit welcher gestreckt worden ist, hinaus, und zwar ist diese Hebung schon nach einem Tage sehr gut bemerkbar, dauert aber Wochen und Monate, vielleicht Jahre lang, fort. Die Elasticitätsgrenze dagegen wird durch das Strecken herabgeworfen, oft bis auf Null. In der Zeit der Ruhe aber, welche nach der auf das Strecken vorgenommenen Entlastung verstreicht, hebt sich auch die Elasticitätsgrenze wieder, erreicht nach mehreren Tagen die Belastung, mit welcher gestreckt wurde, und wird nach genügend langer Zeit selbst über diese Belastung hinaus gehoben. Mit der Elasticitätsgrenze wird in der Regel auch der Elasticitätsmodul durch vorausgegangenes Strecken erniedrigt; er erhebt sich wie jene in der Zeit der Ruhe nach dem Strecken und Entlasten wieder. Nach mehreren Jahren findet er sich stets beträchtlich über seine ursprüngliche Gröſse hinaus gehoben. Bezüglich des Einflusses der Gröſse der Streckung fand Bauschinger den Satz: Durch Dehnen mit Belastungen, welche über der Elasticitätsgrenze, aber noch unter der Streckgrenze liegen, wird die Elasticitätsgrenze erhöht, und zwar sofort nach dem Entlasten, und um so mehr, je höher die Belastung war. Wenn letztere in die Nähe der Streckgrenze kommt, erreicht die Elasticitätsgrenze einen gröſsten Werth und wird bei Ueberschreiten der Streckgrenze herabgeworfen. Da nun die Elasticitätsgrenze durch Strecken immer auf die Dauer erhöht wird, fragt es sich, wie man dieselbe wieder künstlich erniedrigen könne. Zur Beantwortung dieser Frage untersuchte Bauschinger probeweise den Einfluſs heftiger Erschütterungen, wie Ausschmieden mit schweren Hämmern in kaltem Zustande und nachheriges Bearbeiten (Abdrehen u.s.w.), und ferner den Einfluſs von Erwärmung mit verschiedenen Temperaturen und darauf vorgenommenem langsamen oder raschen Abkühlen. Diese Untersuchungen ergaben: Heftige Erschütterungen, wie sie beim Schmieden im kalten Zustande und nachfolgendem Bearbeiten vorkommen, erniedrigten die vorher durch Strecken und eine darauf verstrichene längere Ruhepause erhöhte Elasticitätsgrenze wieder. Die Streckgrenze wird durch eine solche Behandlung auch erniedrigt, aber nicht viel, sie bleibt noch weit über der Höhe, welche sie im ursprünglichen Zustande des Probestückes hatte. Ergänzend mag hierzu noch bemerkt sein, daſs, wenn beim Ausschmieden keine Streckung des Stabes hervorgebracht wird, die Elasticitätsgrenze bis zur ursprünglichen Höhe herabsinkt, anderenfalls bleibt sie darüber. Die Wirkung der Erwärmung und darauf folgenden Abkühlung auf die Lage der Elasticitäts- und Streckgrenze wird beim Fluſseisen erst von 350° an bemerklich, wenn die Abkühlung rasch, und von 450° an, wenn sie langsam erfolgt. Für Temperaturen, welche unter jenen liegen, bringen Erwärmungen und Abkühlungen, auch wenn sie öfter (10 mal) nach einander erfolgen, keine Wirkung auf die Lage jener beiden Grenzen hervor.Hier sei darauf aufmerksam gemacht, daſs es bei vorstehenden Versuchen nur darauf ankam zu ermitteln, ob die durch Strecken erhöhte Elasticitätsgrenze eines Stabes durch Erwärmen und Abkühlen desselben wieder erniedrigt werden kann. Dieses ist nun nach den obigen Versuchen der Fall, wenn die Erwärmung mindestens auf 350 bezieh. 450° C. getrieben worden ist. Bei Aufsuchen der neuen Elasticitätsgrenze durfte aber hierbei nicht über die alte hinausgegangen werden. Eine etwaige Erhöhung der Elasticitätsgrenze bei Erwärmung bis nur 300°, wie sie A. Jarolimek bei seinen Versuchen (1885 255 1) gefunden hat, muſste also bei den obigen Versuchen entgehen. Ferner sei darauf hingewiesen, daſs Bauschinger mit Eisen und weichem Stahl arbeitete, während die Versuche von Jarolimek mit kohlenstoffreichen, härtbaren Stahldrähten vorgenommen worden sind, die zu Schraubenfedern versponnen angewendet wurden. Jarolimek fand, daſs wenn die Elasticitätsgrenze des Stahles durch Strecken erhöht worden ist, dieselbe durch nachfolgendes Erwärmen des Stahles auf 200 bis 300° wieder gesteigert wird. Ob dies unter allen Umständen und namentlich auch bei weichem Eisen und Stahl eintritt, ist bis jetzt noch nicht entschieden, möglich, daſs der härtbare Stahl durch unter 300° liegende Temperaturen wesentlich anders beeinfluſst wird, als weicher Stahl, da ja die beiden Stahlsorten in hohen Temperaturen auch sehr verschiedenes Verhalten zeigen. (Vgl. auch „Das Verhalten von Eisen und Stahl in der Blauhitze 1886 261 46.) Bei Schweiſseisen beginnt diese Wirkung in beiden Fällen, sowohl bei rascher als auch bei langsamer Abkühlung jedenfalls von 400° an. Rasches Abkühlen nach dem Erwärmen erniedrigt die Elasticitäts- und Streckgrenze, besonders die erstere, weit energischer als langsames Abkühlen. Rasches Abkühlen wirft die Elasticitätsgrenze meist schon bei einer Erwärmung auf 500°, sicher aber beim Kirschrothglühen, auf Null oder nahezu auf Null herab, und zwar sowohl beim Fluſs- und Schweiſseisen, als auch beim Bessemerstahl, während langsame Abkühlung eine so tiefe Senkung der Elasticitätsgrenze selbst nach Kirschrothhitze nicht hervorbringen kann. Die Elasticitätsgrenzen für Zug und Druck desselben Materials haben im Allgemeinen verschiedene Gröſsen. Von Inangriffnahme von Dauerversuchen mit wechselnder Beanspruchung muſste deshalb der Einfluſs einer Zugbelastung auf das elastische Verhalten gegen Druck untersucht werden und umgekehrt. Bauschinger folgert in dieser Beziehung aus seinen Versuchsreihen: Durch Belasten auf Zug (oder Druck) über die Elasticitätsgrenze hinaus wird die Elasticitätsgrenze für Druck (oder Zug) bedeutend erniedrigt, um so mehr, je höher jene Belastungen über der betreffenden Elasticitätsgrenze liegen, und werfen verhältniſsmäſsig schon geringe Ueberschreitungen für eine Belastungsart die Elasticitätsgrenze für die Belastung im entgegengesetzten Sinne bis auf Null herab, und zwar bleibend, d.h. die Elasticitätsgrenze hebt sich in der Zeit der darauffolgenden Ruhe nicht wieder, wie bei einseitiger Belastung auf Druck oder Zug nach Ueberschreitung der Streckgrenze. Durch allmählich anwachsende, zwischen Zug und Druck wechselnde Spannung kann die Elasticitätsgrenze für entgegengesetzte Beanspruchung erst dann erniedrigt werden, wenn jene Spannung die ursprüngliche Elasticitätsgrenze überschreitet. Wenn die Elasticitätsgrenze für Zug (oder Druck) durch vorausgegangene Belastung auf Druck (bezieh. Zug), welche über der ursprünglichen Elasticitätsgrenze lag, erniedrigt worden ist, so kann sie durch allmählich anwachsende, zwischen Zug und Druck wechselnde Belastungen wieder gehoben werden, aber nur bis zu einer Grenze, welche beträchtlich unter der ursprünglichen Elasticitätsgrenze liegt. An diese Untersuchungen schloſs Bauschinger Dauerversuche, ähnlich den Wöhler'schen, Versuche über den Einfluſs der Häufigkeit des Wechsels und der Gröſse der Grenzspannungen. Von den Versuchsstäbchen, welche in die Dauerversuchsmaschine so eingespannt wurden, daſs sie Schwingungen zwischen der Spannung Null und einer oberen Grenzspannung auszuhalten hatten, wurden von Zeit zu Zeit, nachdem sie Hunderttausende oder Millionen von Schwingungen ausgehalten hatten, die Elasticitätsgrenzen aufs Neue wiederholt bestimmt. Die auf diese Weise erhaltenen Ergebnisse waren folgende: Durch Schwingungen zwischen Null und einer oberen Grenze, welche mit der Elasticitätsgrenze zusammenfällt oder nächst derselben liegt, wird kein Bruch herbeigeführt. Hierbei darf jedoch die Elasticitätsgrenze nicht vorher künstlich erhöht sein, wie es durch Strecken, Kaltwalzen u. dgl. geschehen kann, und es dürfen Fehler im Material nicht vorkommen. In letzter Hinsicht ist besonders das homogene Material, Fluſseisen und Fluſsstahl empfindlich. Ferner gilt: Durch Schwingungen zwischen Null und einer oberen Spannungsgrenze, welche mit der Elasticitätsgrenze zusammenfällt oder auch mehr oder weniger über derselben gelegen ist, wird die Elasticitätsgrenze gehoben, um so höher, je gröſser die Anzahl der Schwingungen war, jedoch nicht über eine gewisse Höhe hinaus. Wird dabei die Elasticitätsgrenze über die obere Spannungsgrenze hinaus gehoben, so erfolgt kein Bruch; wenn dies nicht mehr der Fall ist, so muſs der Bruch nach einer genügenden Anzahl von Schwingungen eintreten. Der letztere Satz ist insofern auch von praktischer Wichtigkeit, als mit seiner Hilfe durch eine verhältniſsmäſsig geringere Anzahl von Schwingungen festgesetzt werden kann, bis zu welcher Höhe ein Material angestrengt werden darf, um eine unbegrenzte Anzahl von Schwingungen zwischen Null und jener oberen Grenze aushalten zu können. Durch vorausgegangene Millionen von Schwingungen wird die Structur des Materials nicht geändert und die Zugfestigkeit für ruhende Belastung nicht verringert. Aus seinen Versuchen glaubt Bauschinger weiter folgern zu können, daſs abwechselnde Anstrengungen auf Zug und Druck, welche unterhalb einer künstlich gehobenen Elasticitätsgrenze liegen und sehr oft wiederholt werden, diese Elasticitätsgrenze bis zu einer gewissen Grenze herab wieder erniedrigen, und zwar bis zu derjenigen, welche sie nicht mehr überschreitet, wenn durch allmählich anwachsende, zwischen Zug und Druck regelmäſsig wechselnde Belastungen eine ganz herabgesunkene Elasticitätsgrenze wieder nach und nach gehoben wird. Diese Elasticitätsgrenze schlägt Bauschinger vor, natürliche Elasticitätsgrenze zu nennen, so daſs man den Satz aufstellen könnte: Die Grenzen der Schwingungen zwischen gleich groſsen Zug- und Druckspannungen dürfen die natürliche Elasticitätsgrenze nicht überschreiten, wenn das Material eine unbeschränkte Anzahl solcher Schwingungen soll ertragen können. Die Untersuchungen lassen also erkennen, daſs durch mechanische Einwirkungen ein Material von bestimmter Elasticität erhalten werden kann.