Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. |
Autor: | Oscar Guttmann |
Fundstelle: | Band 268, Jahrgang 1888, S. 516 |
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Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
(Patentklasse 78. Fortsetzung des Berichtes Bd.
267 S. 473.)
Mit Abbildungen im Texte und auf Tafel 27.
Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
Ein sehr interessantes Verfahren zur Herstellung und zum
Kühlen von Pulverkohle lieſs sich Hermann
Güttler in Reichenstein in Schlesien patentiren (* D.R.P. Nr. 42470 vom 12.
Mai 1887). Es ist jedem Pulvererzeuger bekannt, welche Schwierigkeiten die
Herstellung gleichmäſsiger Kohle von bestimmtem Procentgehalte bietet. Diese
Schwierigkeit erhöht sich bei der neueren Pulverfabrikation, wo Stroh, Torf, Hanf,
Flachs, Holzstoff u. dgl. den Destillationsproducten weniger freien Durchgang
bietende Stoffe verkohlt werden. Die Behandlung mit überhitztem Wasserdampfe hilft
theilweise ab, allein auch da entstehen dann die gröſseren Unannehmlichkeiten bei
der Abkühlung der Kohle. Nach der bisher üblichen Weise wird nämlich entweder der
die glühende Kohle enthaltende Cylinder unberührt zur Abkühlung gestellt, oder es
wird der Inhalt ausgezogen und in besonderen Gefäſsen abgekühlt. In beiden Fällen
erfolgt die Abkühlung nur langsam von auſsen nach innen, die während der Erkaltung
und nach dem Lagern von der Kohle begierig aufgesaugte Luft bedeckt die einzelnen
Stücke nur oberflächlich mit einer Feuchtigkeitsschicht, und beim Vermählen finden
sich dann die inneren Theile noch ungesättigt und geben zu Entzündungen Anlaſs.
Güttler will nun Kohlensäure (entweder reine
Kohlensäure, oder thunlichst sauerstofffreie Verbrennungsproducte, Kalkofengase u.
dgl.) sowohl zur Verkohlung in heiſsem, wie zur Abkühlung in kaltem Zustande in die
Retorte einleiten. Hierdurch ist vor Allem rasche
Verkohlung und Abkühlung möglich, ferner wird die Kohle im Zustande höchster
Porosität mit Kohlensäure gesättigt, kann also auch bei der Zerkleinerung Luft in
gröſseren Mengen plötzlich nicht aufnehmen und ist so gegen Selbstentzündung
gesichert. Ebenso werthvoll ist es, daſs die Kohle von dem stetig einströmenden
heiſsen Gase auch innerlich gleichmäſsig gebildet wird, und daſs man durch Einleiten
von kalter Kohlensäure in jedem Augenblicke, ohne
Furcht vor Entzündung, den Verkohlungsprozeſs unterbrechen kann, also Kohle von
genau begrenzter Beschaffenheit erzielt. Wie wichtig dies bei den gesteigerten
Erfordernissen der gegenwärtigen Ballistik ist, liegt auf der Hand.
Fig. 1 bis
4 Taf. 27
und Textfigur zeigen den hierzu von Güttler verwendeten
Ofen, mit der Muffel M, dem Verkohlungscylinder C und der Kohlentrommel T,
in welcher sich eine gelochte Trommel zum bequemen Beschicken befindet. Der im
Feuerraume befindliche Ueberhitzer S erhält das Gas
durch ein Rohr r, und führt es durch r1 in den Cylinder C, von wo es mit den Destillationsproducten durch r2 entweicht. Die Rohre
sind lösbar mit dem Deckel D2 verbunden, und die andere Seite des Cylinders ist durch den lösbaren
Deckel D1 verschlossen.
Die Feuergase ziehen über den Erhitzer S, die
Feuerbrücke F und um die Muffel M durch die Füchse f1
f2
f3 u.s.w. nach der Esse
E. Nach Vollendung der durch Wärme- und Druckmesser
regelbaren Verkohlung wird das Feuer entfernt, die Löcher l1
l2
l3 u.s.w. (Textfigur)
in den Muffeldeckeln geöffnet, der Schieber X
aufgezogen und so zwischen Muffel und Verkohlungscylinder kalte Luft eingesaugt,
gleichzeitig aber durch das Rohr r3 kaltes Gas in das Innere des Cylinders gebracht.
Dieselben Behelfe können auch zur Regelung während der Dauer der Verkohlung wirksam
benutzt werden, auch kann man am Ofen alle wünschenswerthen Detaileinrichtungen
anbringen.
Textabbildung Bd. 268, S. 517Seit der Patent-Anmeldung hat Güttler seinen
Verkohlungsofen nach allen Richtungen versucht, und an seinem Verfahren
Verbesserungen und Vereinfachungen vorgenommen, welche, wie sich Referent vor Kurzem
durch den Augenschein überzeugte, ganz auſserordentliche Erfolge und Leistungen
möglich machen. Wir hoffen, demnächst darüber eingehender berichten zu dürfen.
Bei der Prüfung von Schieſsbaumwolle wurde mehrfach
beobachtet, daſs ein und dieselbe Wolle unter der Hand verschiedener
Experimentatoren sich gegenüber der Stabilitätsprobe (heat-test) ungleich verhalte,
bekanntlich setzen die Uebernahmsbedingungen der verschiedenen Staaten unter Anderem
auch eine gewisse Zeit fest, gewöhnlich 15 Minuten, während welcher die
Schieſsbaumwolle die Stabilitätsprobe unbedingt zu bestehen habe, und man wird
begreifen, daſs unter solchen Umständen die mangelnde Uebereinstimmung der
Untersuchung unangenehm wird, an war anfänglich geneigt, die Schuld den
Untersuchenden zuzuschreiben, später glaubte man, daſs dem Verfahren im Allgemeinen
eine solche
Ungenauigkeit innewohne. Neuere Versuche haben jedoch gezeigt, daſs ein scheinbar
geringfügiger Umstand wesentlich sei. In dem Berichte der englischen
Explosivstoff-Inspectoren vom Jahre 1886 sind nämlich die umgearbeiteten
Vorschriften für die Stabilitätsprobe veröffentlicht, und bei der Beschreibung der
erforderlichen Materialien heiſst es: „15 Grains reines Jodkalium“ (d.h. welches aus Alkohol umkrystallisirt wurde). In der That
zeigte es sich, daſs vollkommen regelmäſsig und sorgfältig erzeugte
Schieſsbaumwolle, welche bei einem Chemiker 32 Minuten, bei dem anderen nur 8
Minuten Stabilität zeigte, nach Verwendung von umkrystallisirtem Jodkalium
wiederholt über 100 Minuten sich beständig erwies. Es zeigt dies wieder, wie
peinlich genau englische Vorschriften zu befolgen sind. Man wuſste, daſs
Jodkalium-Stärkekleisterpapier weder im Lichte, noch für längere Zeit aufzubewahren
sei, ohne an Empfindlichkeit zu leiden; es ist nun natürlich, daſs ein Gleiches auch
für das Jodkalium gilt.
In London hat sich eine Gesellschaft zur Erzeugung des von W.D. Borland und W.F. Reid erfundenen Carbo-Dynamites gebildet. Nach der Licenz besteht
dasselbe aus 90 Th. Nitroglycerin und 10 Th. Holzkohle, mit oder ohne kohlensaurem
Natron oder Ammoniak und Zusatz von Wasser. Nach der Patentbeschreibung ist die
Kohle aus Kork hergestellt, welche nach den Mittheilungen der Gesellschaft, sowie
nach dem Engineering, 1888 S. 393, Iron, 1888 S. 331, dem Carbo-Dynamite die Eigenschaft
verleiht, daſs es 90 und selbst mehr Procente Nitroglycerin aufgesaugt haben kann,
und dieses im Wasser, selbst nach langem Liegen, nicht austreten läſst. Auf diese
Eigenschaft bezieht sich auch die Erlaubniſs, Wasser beizumengen; die Erfinder
beabsichtigen nämlich, minder kräftige Dynamite aus den gleichen Bestandtheilen
durch Zusatz von Wasser herzustellen.
Das Carbo-Dynamit soll die Eigenschaft besitzen, fast gar keine schädlichen Gase zu
hinterlassen, so daſs selbst nicht gelüftete Ortsvorstöſse sofort nach dem Schusse
betreten werden können. Das mit Wasser versetzte Carbo-Dynamit soll ferner
schlagende Wetter nicht zünden. Versuche, welche die Erfinder wiederholt, und
insbesondere am 17. April in Treherbert (Süd-Wales) vor
einer Anzahl von Gästen vornahmen, haben gezeigt, daſs das Carbodynamit eine der
Sprenggelatine nahe kommende Wirkung ausübt. Es haben z.B. 78,08 (¼ Unze)
Kieselguhrdynamit im Bleicylinder 347cc Hohlraum
geschaffen – was ganz normal ist – und ebenso viel Carbodynamit erzeugten 599cc. Auch Minimalladungen in Stein zeigten ein
ähnlich günstiges Verhältniſs, und 6 Wochen lang unter Wasser gehaltene Patronen
hatten kein Nitroglycerin verloren.
Die aus Kork erzeugte Kohle ist naturgemäſs auſserordentlich voluminös, ihre
Saugfähigkeit wird deshalb sehr groſs sein, und sie wird sich in dem Dynamit in
günstiger Weise vertheilt finden; deshalb wird sie auch leicht zu vollständiger Verbrennung gelangen. So
vortheilhaft es nun auch ist, einen Stoff von hoher Saugfähigkeit zu besitzen, weil
dadurch für besondere Zwecke ein sehr kräftiges Sprengmittel geschaffen werden kann,
so ist es doch mit Rücksicht auf die gewöhnliche Verwendung des Dynamites
nothwendig, geringere Mengen von Nitroglycerin in demselben aufzuspeichern. Die
gewöhnliche Uebung, den Saugstoff zu vermehren und einen Salpeter hinzuzusetzen,
würde wohl auch hier gute Ergebnisse liefern, allein damit ginge die
Wasserbeständigkeit verloren. Indem nun das Carbodynamit auch ohne weiteres mit
Wasser versetzt werden kann, verhält es sich wie nasse Schieſsbaumwolle, deren
vollständige Explosion durch das Wasser eher befördert wird, weil dieses, als nicht
elastischer Körper, die Explosionswirkung vollständig auf jedes Partikelchen
überträgt. Wenn ferner angenommen werden kann, daſs der Wasserbesatz,
Wasserumhüllung u. dgl. gegen die Zündung von Schlagwettern schützen, so wird dies
jedenfalls in viel vollkommenerer Weise durch das mit Wasser durchtränkte
Carbodynamit erfolgen, und wir wären sonach der sicheren Sprengarbeit in
Schlagwettergruben wieder um einen Schritt näher gerückt. Es bleibt noch zu
erfahren, wie sich das 90procentige Carbodynamit gegenüber der Wirkung von
Gewehrschüssen verhält, um auf dessen Werth als Kriegs-Sprengmittel schlieſsen zu
können; allein es ist immerhin anzunehmen, daſs es sich in dieser Hinsicht wohl um
ein Geringes besser als Kieselguhrdynamit, aber nicht so günstig als weiche
Sprenggelatine verhalten werde.
Von Wilhelm Schückher und Comp. in Zurndorf bei
Oedenburg wird ein neues Dynamit unter dem Namen Meganit in Verkehr gebracht. Wie wir erfahren, ist dessen Zusammensetzung
in runden Zahlen die folgende:
Nitroglycerin
Nitrocellulose aus
Zumisch-pulver
Holzstoff
Steinnüssen
Meganit
I
60
10
10
20
„
II
38
6
6
50
„
III
7
9
9
75
Das Zumischpulver besteht bei Meganit I aus bloſsem Natronsalpeter, bei Meganit II
aus 75 Th. Natronsalpeter, 24 Th. Holzmehl und 1 Th. Soda, bei Meganit III aus 75
Th. Natronsalpeter, 24 Th. Roggenmehl und 1 Th. Soda. Nachdem die Erzeugung von
Nitrocellulose aus Steinnüssen zu Schwierigkeiten mit anderen Fabriken führte (vgl.
1887 263 148), so wurde neuerlich ein anderer Sprengstoff
„Oriásit“ (aus dem Ungarischen óriás, der Riese) angemeldet, welcher
nur nitrirten Holzstoff enthalten soll.
Versuche im Trauzl'schen Brisanzmesser, welche die
Fabrik veröffentlicht, zeigen, daſs die Wirkung des Meganites geringer als die von
gleichwertigem Gelatine-Dynamit ist, was nur den Anfangsschwierigkeiten bei der
Herstellung zuzuschreiben sein mag, denn anders lieſsen sich die geringen Unterschiede
zwischen Sprengstoffen von 65 und von 80 Th. Nitroverbindungen kaum erklären.
Sprengstoff
Gewicht 20g
Gewicht 10g
Anmerkung
1
2
3
1
2
3
cc
cc
cc
cc
cc
cc
Kieselguhrdynamit
1000
995
1002,5
500
497,5
502,5
75 Th. Nitroglycerin25 „ Kieselguhr
Gelatinedynamit I
1080
1095
1100
505
505
515
65 Th. gelatinirt. Nitrogl.35 „ Zumischpulver
„ II
800
805
805
400
400
405
45 Th. gelatinirt. Nitrogl.55 „ Zumischpulver
Dynamit III
405
400
410
200
205
205
15 Th. Nitroglycerin85 „ Zumiscnpulver
Meganit I
1200
1180
1195
600
595
595
80 Th. Nitroverbindung.20 „ Zumischpulver
„ II
840
845
840
417,5
415
420
50 Th. Nitroverbindung.50 „ Zumischpulver
„ III
465
460
460
230
230
230
25 Th. Nitroverbindung.75 „ Zumischpulver
Ueber die Zusammensetzung einer Anzahl neuerer Sprengstoffe, welche hier schon
mehrfach (vgl. 1885 258 * 220. 1887 265 276) erwähnt wurden, und welche im Wesentlichen auf der Verwendung von
Nitrobenzol und Nitronaphtalin neben Ammoniak- und anderen Salpetern beruhen,
erfährt man nach verschiedenen Quellen folgendes:
Bellit von Carl Lamm in
Rotebra bei Stockholm. Es besteht entweder aus etwa 1 Th. Binitrobenzol und 1,9 Th.
Ammoniaksalpeter, oder aus 1 Th. Trinitronaphtalin und 2,57 Th. Ammoniaksalpeter.
Die beiden Bestandtheile werden in einer mit Dampf heizbaren Trommel gemischt,
wodurch der Ammoniaksalpeter von dem bei dieser Temperatur schmelzenden
Kohlenwasserstoffe umgeben wird. Vor dem vollständigen Erkalten preſst man die Masse
zu Patronen, welche natürlich hart sind, nicht gefrieren können, aber bei 90° wieder
schmelzen, und ein specifisches Gewicht von 1,25 haben. Es ist dieser Sprengstoff
also ähnlich dem von P.A. Favier angegebenen (vgl. 1885
256 410). Versuche bei den Ausweitungen der Tunnels
an der Gotthardbahn sollen kein bemerkenswerthes Ergebniſs geliefert haben.
Beim Securit von F.
Schoeneweg in Dudweiler sollen Ammoniaksalpeter und oxalsaures Kali oder
Ammon in Wasser gelöst, bei 80° getrocknet und dem Gemische 10 Th. Nitrobenzol oder
20 Th. Binitrobenzol zugesetzt werden.
Das Romit von R. Sjöberg in
Stockholm ist in verschiedenen Verhältnissen aus Ammoniaksalpeter, Nitronaphtalin,
Paraffin, chlorsaurem Kali und kohlensaurem Ammoniak zusammengesetzt.
Zur Herstellung von Roburit von Dr. C. Roth in Charlottenburg (D.R.P. Nr. 39511 vom 20.
April 1886) wird entweder 1 Th. Naphtalin mit 5 Th. Natronsalpeter und 6 Th.
concentrirter Schwefelsäure 3 Stunden lang erwärmt, das entstandene Nitronaphtalin gewaschen,
getrocknet, mit 0,8 Th. chlorsaurem Kali vorsichtig vermischt und der Mischung
allmählich unter späterem Erwärmen im Wasserbade 5 Th. concentrirter Salzsäure
zuflieſsen gelassen; oder es werden 5 Th. Theer in 15 Th. Salpetersäure von 1,45
spec. Gew. und 12 Th. Salzsäure unter Abkühlung allmählich eingetragen, gegen das
Ende erwärmt und je 1 Th. der entstandenen plastischen Masse in einem Gemische von 5
Th. Salpetersäure und 15 Th. Schwefelsäure nachnitrirt. Die so gebildeten
Chlornitroproducte werden mit chlorsaurem Kali, Salpeter u. dgl. gemengt, z.B. 1 Th.
Nitrochlornaphtalin mit 2 Th. Kalisalpeter.
R.K. Punsheon in London (Englisches Patent Nr. 11140)
mischt Pikrinsäure mit chlorsaurem Kali, Holzkohle und Nitroglycerin.
F. A. Abel in London stellt einen rauchfrei
verbrennenden Explosivstoff her, indem er einen Nitrokörper (Nitroglycerin oder
Schieſsbaumwolle) mit Ammoniaksalpeter und dann mit Erdöl mischt.
E. Grüne in Unterlüss mischt die Kieselguhr mit Kohle,
oder verkohlt Stärke, Zucker, Leim u. dgl. mit der Kieselguhr. Ein mit solcher
Kieselguhr bereitetes Dynamit soll das Nitroglycerin unter Wasser nicht
verlieren.
Bei der Herstellung von Gelatine-Dynamit wird
bekanntlich das Nitroglycerin in besonderen Wasserbädern auf etwa 70° erwärmt, und
sodann Collodiumwolle in entsprechender Menge eingerührt, welche bei dieser
Temperatur sich leicht löst. Um nun die Erwärmung gänzlich zu vermeiden, will die
Deutsche Sprengstoff-Actiengesellschaft in Hamburg
(D.R.P. Nr. 42452 vom 3. Februar 1887) einen der Menge und Güte der zu verwendenden
Nitrocellulose entsprechenden Antheil Pikrinsäure in dem Nitroglycerin auflösen, und
sodann unter zeitweiligem Durcharbeiten Collodiumwolle beimischen. Reine
Tetranitrocellulose soll sich so in 2 Tagen lösen. Nach den Versuchen mit Melinit,
welches bekanntlich aus Pikrinsäure in Collodium eingemengt besteht, wurde der
Pikrinsäure gröſsere Aufmerksamkeit zugewendet, und ein Verfahren, wie das obige,
war vorauszusehen, da ja auch Nitroglycerin ein Aether ist. Eine besondere
Krafterhöhung des Dynamites wird auf diesem Wege nicht entstehen. Dagegen kann ein
solches Dynamit, wenigstens dermalen, nicht als beständig angesehen werden, weil
Pikrinsäure in Verbindung mit gewissen Stoffen, zu denen auch die Nitrocellulose
gehört, im Rufe steht, Zersetzungen herbeizuführen. Auch mag es immerhin bedenklich
erscheinen, einerseits durch Zusatz von Soda u. dgl., wie dies in der Regel
geschieht, die Neutralität des Dynamites zu sichern, und andererseits Pikrinsäure
hinzuzufügen. Ein Bedürfniſs für die kalte Herstellung der Gelatine ist nicht
vorhanden, da die wenigen Nachtheile des warmen Vorganges durch die rasche Arbeit
reichlich aufgewogen werden.
L. Plom in Retinne und Julien
d'Andrimont in Lüttich haben sich (Kl. 5 * D.R.P. Nr. 40538 vom 11. Januar 1887) ein Verfahren und ein Werkzeug zur
Herstellung von Sprenglöchern patentiren lassen. Das Verfahren besteht
darin, daſs sie ein gewöhnliches Bohrloch am unteren Ende radial erweitern. Das
Werkzeug hierzu ist in Fig. 5 und 6 Taf. 27 abgebildet. Wie
man sieht, besteht es aus einer schneckenförmig gewundenen Spindel B, welche an dem einen Ende das in der Mutter F mittels Kurbel drehbare Gewinde L, am anderen Ende zwei in Schlitzen v geführte Flügel A mit
Zahnschneiden trägt. Diese Flügel werden durch entsprechende Drehung der Spindel
immer mehr durch die Schlitze s herausgeklappt und
erweitern das Bohrloch in der in Fig. 7 angedeuteten Form,
indem das Bohrmehl bei den Schlitzen s eintritt und
durch die Oeffnungen bei g mittels der Schnecke
herausgefördert wird. Dieses Verfahren ist bekanntlich schon von Humboldt vorgeschlagen, von Courberaise im J. 1844 durch Aetzen der Bohrlöcher ausgeführt worden, und
ein ganz ähnlich construirtes Werkzeug – allerdings für stoſsendes Arbeiten – hat
Vergus ungefähr um die gleiche Zeit hergestellt. So
wenig demnach diese Erfindung neu ist, so berechtigt wäre ein Patent für die Angabe,
wie man ein so hergestelltes Bohrloch laden könne, ohne daſs ein Hohlraum
zurückbleibe.
G. Lunge in Zürich hat seinem vielgeschätzten Nitrometer eine Verbesserung gegeben durch Anwendung des Patenthahnes von Friedrichs (Berichte der deutschen chemischen
Gesellschaft, 1888 Bd. 21 Heft 2). Bei der in Fig. 8 bis 10 Taf. 27 dargestellten
Form ist das zeitraubende und ziemliche Uebung erfordernde Einstellen des bisherigen
Hahnes vermieden; es werden die zu untersuchenden Stoffe in der Stellung C in den Becher gebracht, bei der Stellung B in das Meſsrohr eingeführt und wieder auf C gestellt. In der Stellung A wird das Nitrometer entleert, wodurch der Becher frei von Nitrose
bleibt. Hat man die Reaction für gewisse Untersuchungen in einem
Zersetzungsfläschchen vorzunehmen, so wird dieses an den Ansatz d gehängt. Vortheilhaft ist auch, daſs beim Entleeren
des Meſsrohres nicht mehr ein wagerechter, sondern ein nach abwärts gerichteter
Strahl austritt. Das so veränderte, von Greiner und
Friedrichs in Stützerbach zu beziehende Nitrometer wird allen Chemikern
willkommen sein.
Eine sehr compendiöse Zündmaschine wird von David Moseley und Söhne in Manchester gebaut und ist in
Fig. 11
und 12 Taf.
27 nach Industries, 1888 * S. 166, abgebildet. Dieselbe
besteht aus einer Vulcanitscheibe B, welche durch
Spindel C und Kurbel in zwei besonderen
Amalgam-Reibzeugen innerhalb der Platten D und E gedreht wird. Unterhalb von E befindet sich der Condensator, in welchen die Zinnfolien vor der
Vulcanisirung gebracht wurden; dieselben sind abwechselnd mit den Contacten F und G verbunden,
ersterer auch mit dem Saugkamme H. Die Klemmschraube
L ist mit dem Hemmstifte M, die Klemmschraube L1 mit der Feder N in
Verbindung. Wird nun gedreht, so folgen die Scheiben E und
D, bis sie durch den Hemmstift M aufgehalten sind, und nun ladet sich der Condensator.
Macht man dann eine Vierteldrehung zurück, so kommen die Stifte F und M und der Stift G mit der Feder N in
Berührung, wodurch der Condensator in den äuſseren Stromkreis geschaltet ist. Der
Apparat soll nur etwa 8k wiegen, trotzdem aber
einen Funken von 50mm Länge geben und 1000
unterseeische Zünder auf einmal abthun können. Um ihn gegen Feuchtigkeit zu
schützen, steckt der eigentliche Apparat in einer Vulcanitbüchse J, um deren Rand noch ein ⋃-förmiger Ring aus Kautschuk K gezogen ist. Das
Ganze ist in einen Holzkasten A eingeschlossen.
Bei der österreichisch – ungarischen Genietruppe war bisher für Sprengung von
Eisenconstructionen (Brücken u. dgl.) die Formel L =
0,0063 bd2
vorgeschrieben, welche für den Fall enggenieteter (bis zu 160mm Nietenabstand) Platten auf die Hälfte ermäſsigt
werden konnte. Da sich Zweifel bezüglich der Wirksamkeit dieser Formel gegenüber den
gegenwärtigen zähen Eisengattungen ergaben, und um den Unterschied zwischen den
dermaligen feldmäſsigen cylindrischen und zwischen parallelepipedischen Ladungen
festzustellen, hat das technisch-administrative Militär-Comité eingehende Versuche
anstellen lassen, über welche Hauptmann Heinrich Ritter von
Vessel (Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie-Wesens,
1888 S. 151 ff.) berichtet. Es zeigte sich, daſs die Formel L = 0,00315 bd2 für solche enggenietete Platten ganz ungenügend ist, dagegen
Dynamitladungen nach der Formel L = 0,0063 bd2 vollen
Durchschlag ergeben. An einer und derselben Platte gegenüberstehende Ladungen
beeinträchtigen gegenseitig die Wirkung. Die obige Formel genügt jedoch nur für
parallelepipedische Ladungen, bei cylindrischen Ladungen muſs die Formel L = 0,01 bd2, also fest die doppelte Ladung angewendet
werden. Aehnlich zeigte es sich bei Sprengung von Holzbalken, daſs rechteckige
Ladungen besser wirken, als cylindrische – die Flächenwirkung spielt eben mit eine
Rolle – und so wurde denn auch für Holzbalken eine der obigen ähnliche Formel (mit
anderen Coefficienten) L = 0,00004 bd2 festgestellt.
Major Friedrich Falangola in Rom veröffentlicht in der
Rivista di artiglieria e genio, 1887 Bd. 4 S. 343,
einen Bericht über eine Anzahl von Riesenminen, welche im Kalkstein, an der
Eisenbahnlinie Messina-Saponara und im rothen Granite bei Baveno am Langen See in
Italien gesprengt wurden. Während von der Ausführung dieser Riesenminen nichts
bemerkenswerth Neues zu berichten ist, werden die Schluſsfolgerungen interessiren,
welche Falangola auf die zur Anwendung gebrachten
Formeln und auf die Theorie der Sprengung im Allgemeinen zieht, nachdem auch wir
schon wiederholt auf die Unzulänglichkeit der in der civilen Sprengtechnik
gebräuchlichen Formeln hingewiesen haben.
Falangola stellt vor Allem richtig, daſs die üblichen
Formeln von Erdminen ausgehen, welche bei entsprechender Anlage die Bildung eines
kugelförmigen Hohlraumes in Folge der Zusammendrückbarkeit der Umgebung gestatten,
während bei der Sprengung von Felsen eine Compressionssphäre sich nicht oder nur in
unbedeutendem Maſse bilden könne. Er erwähnt ferner, daſs es eine Thorheit wäre, zu
glauben, daſs so groſse Mengen von Pulver, wie sie bei diesen Riesenminen in
Anwendung kamen, vollständig vergast gewesen seien, ehe die Felsmasse abgetrennt
war, da ja z.B. bei den modernen groſsen Geschützen verlangt wird, daſs das
Projectil nicht früher den Lauf verlasse, als bis es etwa 7m darin zurücklegte, um der vollständigen
Verbrennung von 220k Pulver sicher zu sein; es
werde also ein Ueberschuſs von Pulver vorhanden sein müssen, welcher weiter auf die
Felsmasse wirkt und das Fortschleudern besorgt.
Falangola erwähnt die Schwierigkeiten, welche der
Aufstellung einer richtigen Formel sich bieten, und denkt sich deshalb eine
Grundformel, aus welcher die einzelnen Werthe durch die Erfahrung festzustellen
wären. Diese Grundformel wäre:
k\,C\,E=R\,(A+S)+V\,p\,\left(\alpha\,s+\frac{v^2}{2\,g}\right),
und beruht auf den nachfolgenden Erwägungen:
Das Potential E eines Explosivstoffes, d.i. die von 1k geleistete Arbeit, und die Ladung C als bekannt vorausgesetzt, ferner bei Annahme eines
Wirkungscoefficienten k, welcher von der Natur und der
Beschaffenheit des Gesteines abhängig ist, wäre die gesammte geleistete Arbeit kCE.
Diese setzt sich nun aus folgenden Factoren zusammen. Vor Allem die zum Abbruche
einer bestimmten Oberfläche nöthige Arbeit RA, die aus
A, der Oberfläche der Riſswirkung, und R, einem Bruchcoefficienten, besteht, welcher letztere
durch Fallenlassen von Gewichten auf ein einseitig befestigtes Steinprisma zu
bestimmen wäre. Sodann die Zerkleinerungsarbeit RS,
welche aus der Summe S der Trennungsoberflächen und dem
vorerwähnten Coefficienten R besteht.
Ferner kommt hinzu der Reibungswiderstand beim Abtrennen, welchem Falangola eine hohe Bedeutung in den meisten Fällen
zuweist, weil das Gestein nicht nur abzutrennen, sondern auch über seine Unterlage
hinweg zu schieben wäre. Dieser Reibungswiderstand ist auszudrücken durch αVps, worin a der
Reibungs-Coefficient, V das Volumen der Masse, p deren specifisches Gewicht und s der von derselben durchzulaufende Weg sind.
Schlieſslich kommt hinzu die Projectionsarbeit, welche in bekannter Weise durch die
Formel \frac{V\,p\,v^2}{2\,g} ausgedrückt ist.
Obzwar wir in der von Falangola aufgestellten Formel
einen Fortschritt insofern begrüſsen, als er die zur Fortschleuderung benöthigte Kraft von der zur
Ablösung erforderlichen trennt, können wir doch nicht finden, daſs der
Reibungswiderstand, welcher nur in seltenen Fällen seinen Einfluſs geltend machen
wird, in einer allgemeinen Formel eintreten solle. In den gewöhnlichen Fällen, wo
der durch die Explosion geschaffene Hohlraum mehr oder weniger sich der Trichterform
nähert, wird unmittelbar nach der Abtrennung theoretisch keinerlei Reibung mehr
möglich sein. Die Einführung eines Reibungsfactors hätte also nur da einen Werth, wo
schon vorhandene Gesteinsablösungen die Projectionswirkung in eine den Mantellinien
der Trichterbildung entgegengesetzte Richtung drängten.
Der Versuch Falangola's,
eine richtige Formel aufzustellen, zeigt nur noch deutlicher, wie es kaum jemals
möglich sein wird, der Praxis andere als empirische Mittel zu bieten. Hat man bisher
in den verschiedenen Formeln stets nur einen Coefficienten, den der
Gesteinsfestigkeit zu bestimmen gehabt, so müſste man für die Falangola'sche Formel schon drei, k, R und α suchen.
Die englischen Explosivstoff-Inspectoren haben ihren Bericht für das Jahr 1887
veröffentlicht (vgl. 1883 250 184. 1884 253 74. 1885 258 222. 1886 261 29. 1887 265 278).
Am Ende dieses Jahres bestanden 108 Fabriken für Explosivstoffe (+ 1), 20 Fabriken
von Kleinfeuerwerk, 13 für Spielfeuerwerk (– 4). Es wurden 32 Zusatzlicenzen
ertheilt, Magazine bestanden 347 (– 7), Lager 1972, Verkaufsläden 22268. 111
Eisenbahn- und 107 Kanal-Gesellschaften befördern Explosivstoffe, 15 bezieh. 11
nicht. Die Einfuhr betrug: 369875k Pulver (– 746811), 320924k
Dynamit (– 175221), 277k Roburit, 990k
Cooppal's-Pulver, 4944k Knallquecksilber (+ 499), 2575000 Stück Sprenghütchen, die Ausfuhr von
Pulver betrug 4439260k (– 1198778). Es fanden 130
Unglücksfälle statt (– 13), wobei 43 Personen getödtet und 105 verwundet wurden.
Diese Fälle vertheilen sich wie folgt:
Erzeugung
Aufbe-wahrung
Verfrach-tung
Gebrauch u.Verschied.
Summa
Schieſspulver
16
3
1
33
53
Dynamit und Schieſswolle
8
–
–
18
26
Knallquecksilber
–
–
–
–
–
Munition
18
–
–
4
22
Feuerwerkskörper
21
–
–
8
29
Verschiedene Stoffe
–
–
–
–
–
Im Verlaufe des Jahres 1887 wurde es gestattet, Explosivstoffe verschiedener Natur in
einem gemeinsamen Raume einzulagern, weil die sogen. „chemischen“
Explosivstoffe seit Jahren mit einem hohen Grade von Reinheit erzeugt werden, die
früheren Bedenken also entfallen.
Von neuen Sprengstoffen wurden gestattet: Fortis'
Explosivstoff, bestehend aus einer Pulvermischung mit Eisenvitriol, unter der
Bedingung, daſs es nur in gepreſsten wasser- und luftdichten Patronen vorkomme;
Amid-Pulver, eine Mischung von Kalisalpeter,
Ammoniaksalpeter und Holzkohle; Borland's Pulver, ein Schieſsmittel aus Dinitrocellulose; Carbo-Dynamit (vgl. oben).
Versuche von Dr. Dupré ergaben, daſs kohlensaurer Kalk
und kohlensaure Magnesia, wenn dem Gelatine-Dynamite beigemengt, keinen Einfluſs auf
die Dauer der Wärmeprobe ausüben; dagegen vergröſsert kohlensaures Natron diese Zeit
bei schlechten Mustern, und verringert sie bei guten.
Von bedeutenderen oder bemerkenswertheren Unglücksfallen, insofern wir nicht schon
berichteten, sind zu erwähnen: Die Explosion von 37082k Giant-Pulver (Nobel'sches Dynamit aus
Amerika) und Judson-Pulver auf einem in der Nähe des Hafens von San-Francisco
gestrandeten Schiffe, welches von einem heftigen Sturme stundenlang gegen Klippen
geschleudert wurde; und eine Explosion von 1814k
Nitroglycerin (4000 Pfund) in den Werken der Giant-Powder
Company bei San-Francisco während der Scheidung, augenscheinlich durch
schlechtes Glycerin verursacht.
Interessant ist, daſs in einem Falle fünf junge Mäuse in einem Paket Dynamit zur Welt
gebracht wurden und aufwuchsen, ohne vom Nitroglycerin belästigt zu sein.
Oscar Guttmann.