Titel: Zur Explosion zu Friedenshütte.
Fundstelle: Band 268, Jahrgang 1888, S. 554
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Zur Explosion zu Friedenshütte. (Schluſs des Berichtes S. 505 d. Bd.) Zur Explosion zu Friedenshütte. Nach den Ermittelungen hat sich betreffs der Sieder ergeben, daſs nur wenige Rundnahtbrüche bei denselben vorgekommen sind und die Trümmer kein Platzen nach auſsen oder Aufbeulungen zeigten. Wären, wie vorher angenommen, die Oberkessel mit ihren Siedern zunächst gehoben worden und dann mit voller Wucht beim Niederfallen auf die Sieder gestoſsen, so darf wohl als unzweifelhaft hingestellt werden, daſs dann die Sieder nicht allein an den Stutzen- und Auflagerstellen eingedrückt, sondern auch vielfach zerrissen und aus einander gesprengt worden wären und hätten viele in anderer Weise ihren Platz verlassen müssen, als wie geschehen. Der Verlauf, welcher sich bei den Siedern vollzogen hat, findet nur dann eine genügende Erklärung, wenn der Ausgang ausschlieſslich in die Oberkessel gelegt wird; auch die sonstigen Erscheinungen reihen sich dann ohne Zwang ein. Ohne die sämmtlichen Combinationen, welche von den Anhängern der Gastheorie hervorgeholt werden dürften, auch nur annähernd erschöpfen zu wollen, sei endlich noch der Annahme gedacht, daſs in den Kesselzügen stattgehabte Verpuffungen die Kessel so erschüttert hätten, daſs Brüche erfolgt wären. Ueber die sich bei Verpuffungen oder Explosionen von Gasen herausbildenden Erschütterungen liegen Beobachtungen nicht vor und kann nur behauptet werden, daſs bis zur heutigen Stunde in Folge vorgekommener Verpuffungen von Gemischen aus Gichtgas und Luft Kessel nie geschädigt worden sind. Letzterer Umstand dürfte auf die Thatsache zurückzuführen sein, daſs die Verpuffungen nicht stoſsartig verlaufen, sondern durch fortschreitende Druckerhöhung in meſsbaren Zeiten ihre Wirkung ausüben, wie auch aus den eingangs erörterten Verbrennungserscheinungen zu entnehmen ist, und daſs deshalb die bei Kesselanlagen möglichen Drucke eine sehr geringe Intensität besitzen. Die Annahme, daſs das Gas ausgeblieben sei, hat zwar viel Bestechendes, weil die Gleichzeitigkeit der aufgetretenen Erscheinungen darin ihre Hauptstütze zu finden glaubt; fragt man indessen, ob nicht weitere Umstände zu verzeichnen sind, welche gleichzeitige Zerstörungen hervorrufen konnten, so kann man darüber nicht im Zweifel sein. Wird die Einleitung zur Katastrophe in ähnlicher Weise gedacht, wie der schlesische Dampfkessel-Revisionsverein annimmt, also in dem Defectwerden eines Kessels und einer sich anschlieſsenden Dampfkesselexplosion, und wird der Ausgangspunkt in die Kessel 6 oder 7 gelegt, so folgert sich aus der Flugbahn der Trümmer beider Kessel, daſs die Hauptdampfleitung oberhalb jener Kessel zerstört werden muſste. Bei dem groſsen Durchmesser jener Leitung kamen durch den beiderseitig ausströmenden Dampf so bedeutende Reactionswirkungen zum Ausbruch, daſs die noch liegen gebliebenen Aeste der durchbrochenen Leitung fortgeschleudert wurden und nun die Dampfräume sämmtlicher noch vorhandenen Kessel sich gleichzeitig durch Oeffnungen von mindestens 0m,16 Durchmesser entlasten muſsten. Bei 4at,5 Ueberdruck konnten in der Secunde 6k,5 Dampf oder 2cbm,77 entweichen, das ist mehr als der halbe Inhalt des Dampfraumes. Sollten nun durch den bei jedem Kessel, und zwar gleichzeitig, eingetretenen Stoſs und die jetzt aus der ganzen Wassermasse hervorbrechende Verdampfung Erschütterungen nicht die nothwendige Folge gewesen sein., stark genug, die ohnedies durch Materialveränderung und Dampfdruck übermäſsig beanspruchten Wände brechen zu lassen? Diese Frage muſs bejaht werden, weil die Statistik Zerstörungen von Kesseln nach erfolgter Entlastung durch Dampfentziehung mehrfach aufweist, wenn auch diese Fälle meist unter anderen Ursachen, z.B. örtliche Schwächung, mangelhafte Construction u.s.w., aufgeführt worden sind. Wie sehr übrigens Dampfkessel bei Abweichungen von der üblichen Dampfentnahme zu Explosionen hinneigen, mag nach Ermittelungen bei in England vorgekommenen Dampfkesselexplosionen in den Jahren 1863 bis inclusive 1866 daraus zu entnehmen sein, daſs die Wahrscheinlichkeit zur Explosion während des Ruhens oder zu Beginn des Maschinenbetriebes mindestens 3,5 mal gröſser ist als während des normalen Betriebes. Auch die Statistik der Dampfkesselexplosionen des Deutschen Reiches während der Jahre 1877 bis 1886 weist dieselbe Zahl auf, indem von 155 Explosionen 40 auf Zeiten fielen, welche keinen Maschinenbetrieb hatten. Zur Ermittelung der Wahrscheinlichkeitsziffer und zur Vergleichung derselben mit der in England gefundenen ist hier wie dort angenommen, daſs während 10 Proc. der Zeit, in welcher die Kessel unter Dampf standen, kein Maschinenbetrieb stattfand. Von obigen 40 Explosionen dürfen 11 auf plötzliche Dampfentnahme zurückgeführt werden. Um noch einen Begriff von der durch den Bruch der Dampfabführungsröhre herbeigeführten Verdampfung zu geben, möge mitgetheilt werden, daſs dieselbe einer stündlichen von 23400k für 1 Kessel entsprechen würde, d.i. 235k für 1qm oder etwa das Sechzehnfache der gewöhnlich stattgefundenen Verdampfung. Waren aber die Kessel gerissen, so konnten oder muſsten durch eintretende Kesselexplosionen oder durch das ausströmende Wasser die Effecte erreicht werden, welche sich in dem Bild der Zerstörung gezeigt haben. Diese Behandlung des ganzen Vorganges ist eine natürliche, ungezwungene und kann es ganz freigestellt bleiben, ob bei dem Ausgangskessel die anfängliche Ursache der Kesselexplosion in Wassermangel, einem Kesselbruch oder in einer, wenn auch unmöglichen Gasexplosion von erforderlicher Intensität gesucht wird; sie legt das Centrum ausschlieſslich in den Kessel Nr. 7, erklärt die Entfernung der Kessel von ihren Lagern durch das Freiwerden ungeheurer Wärmemengen (1510000 Cal. entsprechend 640000000mk für 1 Kessel) und die verschiedenen seitlichen Richtungen der Flugbahnen wesentlich aus dem Stoſs, der durch die nach entgegengesetzten Seiten fortgeschleuderte Hauptdampfleitung auf die Oberkessel ausgeübt wurde und findet den Hauptangriff der wirkenden Kräfte am hinteren Theile der Oberkessel natürlich, weil beim Bruch der Stutzen hier die gröſsten Wassermassen zum Austritt gelangen muſsten, auch an dieser Stelle der Oberkessel den gröſsten Auftrieb hatte. Ob der secundäre Vorgang bei sämmtlichen Kesseln der gleiche war, oder sich bei einigen dadurch in seinem Verlauf änderte, daſs irgend ein oder mehrere Kessel, welche zur Explosion kamen, die Nebenkessel hierdurch beeinfluſsten, mag dahingestellt werden, jedenfalls war bei jeder Annahme die Möglichkeit unmittelbar auf einander folgender oder gleichzeitiger Explosionen gegeben, wie auch durch die Explosionsstatistik bestätigt wird. Um einen der Friedenshütter Explosion ähnlichen Fall vorzuführen, sei an die gleichzeitige Explosion von 5 an gemeinschaftlicher Dampfleitung hängenden Kesseln am 8. April 1863 Morgens 2 Uhr auf dem Walzwerk Mossend bei Glasgow erinnert, wobei Gasexplosionen ganz sicher ausgeschlossen waren. Bei Beurtheilung dieser Explosion wurde von deutscher Seite die Gleichzeitigkeit der Druckentlastung zugeschrieben. Der von dem englischen Oberingenieur Fletscher seinerzeit veröffentlichte Bericht enthält so viel Interessantes und so viel Erfahrung, daſs hier einige Stellen daraus wohl Platz finden dürfen. Fletscher sagt, und zwar darf dies auch für äuſsere Gasexplosionen gelten: „Das Vorkommen einer so eigenthümlichen Explosion, welche so viele Dampfkessel zugleich betraf und jeden derselben in ein vollständiges Wrack verwandelte, sowie die umliegenden Gebäude ganz bedeutend beschädigte, erregte natürlich bedeutendes Interesse, und wurden verschiedene Vermuthungen über die Ursache gemacht. Es herrschte die feste Meinung, sie entweder der Wirkung explodirender Gase oder der plötzlichen Dampferzeugung durch rothglühende Platten zuzuschreiben, weil man glaubte, daſs Dampf der gewöhnlichen Betriebsspannung unfähig sei, Wirkungen wie die vorliegenden hervorzubringen. Diese Ansichten wiederholen sich bei dem Vorkommen einer jeden bedeutenden Explosion, und obgleich ohne jeden Halt, haben dieselben doch dadurch eine wenn auch sehr unglückliche Bedeutung, daſs sie die Aufmerksamkeit von der einfachen Ursache des Unglückes ableiten und einen Schleier des Geheimnisses über die Sache werfen, welcher zugleich jede ernstliche Untersuchung abbricht und dadurch die Aussicht zerstört, durch eine Explosion die Mittel zu erhalten, um das Vorkommen anderer zu verhindern.“ Ferner: „Alle Quernähte von äuſserlich geheizten Kesseln mit halbkugeligen Böden, welche unmittelbar über der Feuerung liegen, sind unerwarteten Brüchen ausgesetzt, und wurde in früheren Berichten häufig empfohlen, auf deren unzuverlässige Eigenschaft Acht zu geben.“ Endlich: „Der Grund der gleichzeitigen Explosion scheint folgender gewesen zu sein. Ein einziger Kessel äuſserlich geheizt und mit halbkugeligen Enden, z.B. Nr. 3, riſs an einer der Quernähte über der Feuerung zuerst. Das Entweichen von Dampf und Wasser vom Boden des Kessels hob die übrigen in die Höhe und schleuderte dieselben mehrere Fuſs hoch in die Luft, zugleich das Mauerwerk niederreiſsend, so daſs die Kessel, wieder herabkommend, auf eine lose und unregelmäſsige Unterlage fielen, und so alle derart gedrückt wurden, daſs sie explodirten. Daſs die durchschlagende Kraft des Dampfes genügte, dies zu thun, erklärt sich durch die Thatsache, daſs eine der guſseisernen Walzen des Walzwerkes von derselben zur Zeit der Explosion einige Fuſs hoch gehoben wurde.“ Die Erfahrungen Fleischer's erhalten nicht allein durch die bei den Kesseln der Friedenshütte ausgeführten Oberkesselreparaturen, den im J. 1886 bei einem der Kessel plötzlich aufgetretenen Doppelbruch und die Untersuchungsresultate der Bleche Bestätigung, sondern auch durch die Beobachtungen und Untersuchungen, welche an anderen, gleichartig betriebenen Kesseln angestellt worden sind, deren Construction verschieden war und von derjenigen der Friedenshütter Dampfkessel wesentlich abwich. In diesen Fällen ist stets an gewissen Platten eine nachtheilige Veränderung des Bleches in der Längenachse zu constatiren gewesen und war dieselbe nur insofern von der Anfangsqualität des Materiales abhängig, daſs bei besserem Materiale bedeutendere Beulenbildung als bei dem weniger guten voraufging. Die Beulen hatten sämmtlich langgestreckte Formen und lagen die kurzen Achsen derselben in der Richtung der Kesselachse. Aus diesem Grunde sowie wegen ihrer überall sich gleichbleibenden Formbildung können bei der angeführten Art der Beheizung jene Beulen Ueberhitzungen der Bleche während des normalen Betriebes nicht zugeschrieben und nur in Abkühlungseinflüssen gesucht werden und wird es deshalb Sache der Betriebsleitung der Kessel sein müssen, die Auſserbetriebsetzungen so zu bewirken, daſs der Kesselumfang stets möglichst gleichmäſsig temperirt bleibt, damit schädliche Beeinflussungen der Bleche durch heiſses Mauerwerk in Folge zu rascher Entleerung oder durch Ansammlung von kaltem Wasser im unteren Theile der Kessel in Folge Abkühlung vermieden werden. Um die Beeinflussung der Bleche in der Querrichtung zu illustriren, seien einige Blechproben aus verschiedenen Dampfkesseln und Kesselanlagen angeführt: Nr. Bruchbelastung in k für 1qmm Dehnung in Proc. lang quer lang quer 1 34,5 31,7   1,00 0,67 2 32,6 19,6   4,00 0,00 3 32,9 32,8   5,67 2,67 4   35,08 20,4   8,67 0,00 5   36,28   30,36 13,5 3,33 6 19,2 17,9   0,00 0,00 7   36,49   18,39   4,66 0,00 ungeglüht 8   37,95   25,33 14,00 0,53 geglüht 9 32,2 26,1   9,5 0,50 ungeglüht 10 36,2 29,5 12,0 2,50 geglüht 11 32,3 25,9 10,5 2,50 ungeglüht 12 33,0 29,6 18,0 4,75 ungeglüht (Nr. 1 bis 8 – Friedenshütte; Nr. 9 bis 12 – anderen Ursprunges.) Die vorstehenden Resultate dürften zum Theil dem oben bezeichneten Umstände zuzuschreiben sein und ist es nicht gerechtfertigt, aus ihnen einen unbedingten Schluſs auf die Anfangsqualität zu ziehen. Wenngleich die Commission bei Erledigung der ihr gestellten Aufgabe alle Fragen in erster Linie vom hüttenmännischen Standpunkte aus untersucht hat, so lag es doch nahe, sich auch über die muthmaſsliche Ursache der in den Kessel Nr. 7 gelegten Explosion zu unterhalten, und neigte man der Auffassung zu, daſs trotz der Erklärung des schlesischen Vereines Wassermangel den Grund abgegeben haben könne. Nicht nur die mehr als bei den Kesseln Nr. 6 und 12 ausgesprochene blaue Anlauffarbe veranlaſste diese Ansicht, sondern auch frühere Vorkommnisse an diesen Kesseln unter gleichen Verhältnissen. Im J. 1882 erlitt nämlich Kessel Nr. 19 einen Bruch des Ablaſshahnes und war die Folge, daſs der Kessel sich entleerte und somit in den Zustand von Wassermangel versetzt wurde. Bei späterer Besichtigung zeigten sich Risse in Blechen des Ober- und eines Unterkessels, auch waren Nähte undicht geworden. Während diese Schädigung des Kessels bei abgesperrtem Gasschieber nur durch Spannungseinflüsse im Materiale, hervorgerufen durch den relativ geringen Wärmevorrath im Mauerwerk, vollzogen wurde, konnte oder muſste bei nicht unterbrochener Heizung beim Kessel Nr. 7 der Effect ein viel bedeutenderer werden und eine Explosion einleiten. Ausgeschlossen ist zwar nicht, daſs auch ohne Wassermangel der Bruch in Folge Verminderung der Blechqualität eingetreten sein könnte, indessen ist doch die blaue Anlauffarbe charakteristisch und wenn sie nach dem Dafürhalten der untersuchenden Ingenieure nicht vollständig befriedigte, um Wassermangel durch sie annehmen zu lassen, so mögen Umstände vorgelegen haben, welche ihre vollständige Entwickelung nicht gestatteten oder ihre Intensität nachträglich verminderten. Ob der Wassermangel in Folge vernachlässigter Speisang oder Leckage entstanden ist, wird wohl nicht zu ermitteln sein, dagegen darf wohl als sicher hingestellt werden, daſs bei nicht unterbrochener Heizung eine abwechselnde Erhitzung und Abkühlung der Bleche, wie bei Kessel Nr. 7 unter Annahme von Wassermangel möglich war, in sehr nachtheiliger Weise hätte wirken und schlieſslich den Bruch von Kesselplatten herbeiführen müssen. Dieser Verlauf scheint durch die Resultate der Blechproben Nr. 4 und 6, welche beide dem Kessel Nr. 7 angehören, seine Bestätigung zu finden, namentlich ist Probe Nr. 6 bezeichnend, indem hierbei das Blech in der Lang- und Querrichtung bedeutend entwerthet ist. Bei solchen Blechen braucht übrigens nicht, wie vom schlesischen Dampfkessel-Revisionsverein, angenommen wird, ein Beulen stattzufinden, sondern es kann ebenso gut ein Reiſsen oder Springen ohne Beulung eintreten. Die Commission erachtete eine breitere Behandlung der Sache vorläufig als nicht nothwendig und hielt den Austausch der bisherigen Ansichten und Erfahrungen für hinreichend, um ihrem Vorstande den nachstehenden Beschluſs zu unterbreiten: Mit Bezug auf den am 24. und 25. Juli 1887 auf Friedenshütte stattgehabten Unfall, dessen Ursache mit Explosion von Hochofengasen in Verbindung gebracht worden ist, beschlieſst Versammlung: „Der Verein deutscher Eisenhüttenleute hält die Entstehung des Unfalles durch eine Explosion von Gichtgasen auf Grund der Erfahrungen seiner Mitglieder für ausgeschlossen.“ Bei der sich diesem Vortrage anschlieſsenden Besprechung schlug der Fachschul-Direktor Haedicke-Remscheid vor, an der beantragten Resolution eine Abänderung vorzunehmen. Der Antrag des Hrn. Haedicke lautet: „Der Verein deutscher Eisenhüttenleute hält die Mitwirkung von Gasexplosionen nicht für unwahrscheinlich, wennschon der Wirkung des Dampfes die gröſste Rolle wird zugesprochen werden müssen.“ Der Antrag wurde indeſs abgelehnt und der Commissionsantrag so zu sagen einstimmig angenommen. Ueber die weitere Entwickelung der Angelegenheit, insbesondere über die Ergebnisse der beabsichtigten Versuche, werden wir zur Zeit weiter berichten.