Titel: Ueber das Mannesmann'sche Walzverfahren mittels Schrägwalzwerkes.
Fundstelle: Band 277, Jahrgang 1890, S. 22
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Ueber das Mannesmann'sche Walzverfahren mittels Schrägwalzwerkes.Vgl. 1887 265 * 542. 1888 260 * 454. * 503. 1889 273 * 478. Mit Abbildungen. Mannesmann'sches Walzverfahren mittels Schrägwalzwerkes. Lange Zeit hindurch fehlte in der technischen Literatur jede zuverlässige Mittheilung über die Entwickelung des Mannesmann'schen Walzverfahrens; man wuſste nur, daſs in den betreffenden Anlagen, in Remscheid, Komotau und in Bous, unablässig Versuche mit dem Verfahren und den Einrichtungen gemacht wurden. In Folge der langen Dauer dieser Versuche wurden vielfach Stimmen dahin laut, daſs das ganze Verfahren sich als praktisch unbrauchbar herausgestellt habe. Derjenige Techniker, welcher schon vor der Aufgabe gestanden hat, eine Construction oder ein Arbeitsverfahren auszubilden, für welches Vorarbeiten noch nicht vorliegen, konnte sich die Verzögerung wohl erklären und war aus diesem Grunde mit seinem Urtheile zurückhaltend. Im vorliegenden Falle war dies um so mehr angezeigt, als für das vollständig neue Verfahren, für welches nur einige geringe Anhaltspunkte aus ähnlichen Verfahren, die jedoch ganz andere Ziele verfolgten und mit geringeren Vorrichtungen arbeiteten, als nunmehr erforderlich sind, vorlagen, und mithin sowohl das Verfahren selbst, als auch die einschlägigen mechanischen Vorrichtungen von Grund aus durchgeprobt bezieh. erfunden werden muſsten. Nach den neuerlichen Mittheilungen, welche Geheimrath Reuleaux im Vereine deutscher Ingenieure, sowie in der Sitzung des Vereins für Eisenbahnkunde machte, bei welcher Gelegenheit überraschende Probestücke aus dem Schrägwalzverfahren vorgelegt wurden, sind wohl alle Zweifel, welche noch gehegt werden konnten, als beseitigt anzusehen. Wir entnehmen dem in Glaser's Annalen für Gewerbe und Bauwesen vom 1. Juni 1890, S. 265, mitgetheilten Reuleaux'schen Vortrage das Nachstehende, soweit dasselbe unsere früheren Berichte ergänzt oder neue Gesichtspunkte für die Erklärung des Vorganges bietet. Die äuſserst bemerkenswerthe Probesammlung enthielt Röhren von jeder Weite zwischen 2½ und 363mm, mit Wandstärken von 3 bis 50mm, Längen von irgendwie üblicher Ausdehnung 3, 4, 5m, ja als Kraftstück in Längenausdehnung ein siebenfach zusammengefaltenes Rohr von nahezu 15m Länge; ferner eine „Flasche“ für Kohlensäure, welche mit 200at Druck geprüft ist; eine Reihe Wasserleitungsröhren von 100mm Weite bei 5mm Wanddicke, alle auf 150at geprüft und zu einer Wasserleitung für Südamerika bestimmt. Mehrere der Röhren waren zu Schlingen gebogen, in welcher Form sie als Dehnungskuppelungen (Compensationsvorrichtungen) dienen sollen; diese Bearbeitung würde ein geschweiſstes Rohr kaum irgendwie vertragen, noch weniger aber die Biegung in Schleifen und Knoten, welche in mehreren Ausführungen an Rohren von etwa 1mm,5 Wanddicke vorgelegt waren, Güteproben, welche man früher auf Ausstellungen anstaunte, wenn sie an vollen Rundstäben aus Schmiedeeisen gelungen waren, ohne demselben Längsrisse zu ertheilen, die aber hier an blechdünnen Röhren ohne eine Spur von Wandbruch ausgeführt sind. Ein etwa fuſsweites Stahlrohr war durch eine Reihe sich kreuzweise folgender Dampfhammerschläge zu einem Gebilde gehämmert, welches Kinderspiel wohl aus Papier als sogen. Hexentreppe gestaltet. Ferner wurde ausgestellt: Ein Dampfdom, sauber und scharf, oben nach innen, unten nach auſsen gebörtelt; Röhren, breit und dünn ausgeflanscht, ja umgestülpt wie Handschuhfinger – und nirgends auch nur einen Einriſs, einen Fehler, eine schlechte Stelle in der Wandung. Zum Nachweise der Dehnbarkeit waren Muster von kalt gezogenen Röhren ausgestellt, Röhren von 1 und 1mm,5 Wanddicke, welche aus 6 und 8mm in der Wand haltenden Rohstücken gezogen sind und sich riſsfrei, glatt und sauber, sowohl auſsen als innen, erweisen. Das sind wahrlich Leistungen, welche die technische Brauchbarkeit der Erzeugnisse in ein glänzendes, die erwähnten Zweifel völlig beseitigendes Licht stellen. Der Vortragende betrachtet vom kinematischen Standpunkte aus das alte Walz verfahren als ein Getriebe, bei welchem die obere und untere Walze die Treibräder bilden, während der zwischen denselben bewegte Stab als aus zwei conaxialen Reibrädern von unendlich groſsem Halbmesser aufzufassen wäre. Fig. 1., Bd. 277, S. 23 Fig. 2., Bd. 277, S. 23 Reibradwirkung besonderer Art ist es auch, welche bei dem Mannesmann'schen Verfahren zur Anwendung kommt. Fig. 1 stellt ein Reibräderwerk dar, bei welchem beispielsweise das scheibenförmige Rad a treibend zu wirken haben möge; c ist dann das getriebene Stück, welches bei d1 und d2 drehbar und zugleich verschiebbar gelagert sei. Umtreibung von a mittels der Kurbel setzt, wenn genügende Anpressung vorhanden ist, das walzenförmige Stück c in Bewegung und zwar in der Ebene des Rades a mit der Geschwindigkeit v. Diese Bewegung zerlegt sich an c in eine Drehung mit der Umfangsschnelle v cos α und eine axiale Schiebung von der Schnelle v sin α, wenn α den Winkel bedeutet, welchen die Ebene von a mit der Normalebene von c einschlieſst. Das Stück c wird also sowohl gedreht, als vorwärts getrieben, letzteres um so schneller, als α gröſser gewählt worden. Sicherer noch kann man diese Wirkung machen, wenn man zwei treibende Reibräder einander gegenüber auf c wirken läſst (Fig. 2); die Achse von c wird dann nicht mehr durch den Druck gebogen. Die treibenden Räder a und b müssen in gleichem Sinne angetrieben, auch mit gleichen Pressungen angedrückt, sowie gleich schräg eingestellt werden. An dieser so vervollkommneten Vorrichtung wollen wir nun noch eine Aenderung anbringen, nämlich bei d2 den Zapfen der Achse mit Anläufen versehen, vermöge deren er das Lager mitzunehmen suchen wird; dieses Lager aber wollen wir zwischen Führungsschienen etwas einklemmen, so daſs sich seinem Fortschreiten Reibung entgegensetzt. Die Folge wird sein, daſs nun zwar die Drehung der Walze c noch wie vorhin stattfinden kann (mit der Umfangsschnelle v cos α), die Schiebung aber behindert sein wird. Dabei aber entsteht an der Umfläche von c eine treibende Wirkung vermöge der Reibung zwischen a und b einerseits, c andererseits, eine Wirkung, welche die Oberflächentheilchen der Walze c in der Richtung der erwähnten Schiebung zu verlegen sucht. Ist nun der Stoff, aus dem c besteht, bildsam nachgiebig, so findet eine derartige Verlegung der Oberflächentheile der Walze wirklich statt. Solches aber geschieht bei dem Mannesmann'schen „Schrägwalzwerk“. Fig. 3., Bd. 277, S. 24 Fig. 3 stellt dasselbe schematisch dar. Statt der scheibenförmigen Reibräder a und b sind stählerne Walzen angewandt, welche behufs Vergröſserung der Reibung an ihren Umfangen mit spiraligen Aufrauhungen („Treibwülsten“) ausgestattet sind; zwischen sie ist der erhitzte und dadurch bildsam gemachte Block, Knüppel oder Zain gebracht, der durch seitlich aufgestellte Schienen am Herausfallen verhindert wird. Triebe man nun die Walzen entsprechend um, so würde der Stab, wie bei Fig. 1 besprochen, mit der Schnelle v sin α vorgetrieben, mit der Umfangsschnelle v cos α gedreht werden. Noch fehlt die obige Bremsung, die aber dadurch erzielt wird, daſs die Walzen an ihrem hinteren Ende kegelförmig abgestumpft sind und so nahe zusammengestellt werden, daſs der Zain zuerst eine Verdünnung annehmen muſs, um zwischen die Walzen zu gelangen. Dadurch bildet sich an dem Stabe eine Schulter, ein Anpaſs, welcher sich gegen die erwähnten Abstumpfungen der Walzen stemmt und ein Aufhalten des Zaines, eine Behinderung des Fortschreitens desselben als Ganzes bewirkt. Die Folge ist, daſs nun wirklich die Oberfläche des Stabes mehr vorgeschoben wird, als der Stab als Ganzes, und sich demnach gerade an der Griffstelle des Walzenpaares eine becherförmige Vertiefung des Blockes bilden muſs. Indem nun der Stab nachrückt, geht immer aufs Neue gerade an der Griffstelle die Becherbildung vor sich. Der Becherrand, es so zu nennen, kommt während dessen zwischen die vorderen, geglätteten Umflächentheile der Walzen und erhält äuſserliche Glättung. Die Aufeinanderfolge der Becherränder bildet das durch Punktirung angedeutete Rohr. Dem Blocke wird also, um es mit einem Bilde zu bezeichnen, gleichsam die Haut über den Kopf gestreift, und das geschieht fortgesetzt, bis der Stab den Walzraum durchschritten hat und ganz als Rohr gestaltet vorn herausgetreten ist. Man hat sich den Vorgang als äuſserst rasch verlaufend vorzustellen. Groſse Schnelle muſs angewandt werden, damit der Stab sich nicht während der Arbeit abkühlt. Sehr bemerkenswerth ist für den Zuschauer der Augenblick, wo auch das letzte Ende des Stabes sich zum Rohr gestaltet. Ein Lichtpunkt blitzt auf am Stabende, rasch sich zu einem hellglühenden Kreislein erweiternd und dann rüttelnd und rollend sich als das Ende des Rohrinnern offenbarend. Der volle Block wird auf diese Weise zum Rohr umgestaltet; die Erfinder nennen das Verfahren das Blocken des Rohrs. Die Innenfläche des geblockten Rohrs zeigt sich verhältniſsmäſsig sauber und so zu sagen glatt, weit gleichförmiger, als man vermuthen sollte; die Gleichförmigkeit der Einwirkung von allen Umfangspunkten aus, eine gleichförmige Erhitzung des ganzen Stabes vorausgesetzt, bedingt auch, daſs ziemlich genau dieselbe Wirkung auf jedes Stofftheilchen komme und daſs demnach die neu verlegten Theilchen sich auch genau ringförmig, parallel der Umfläche anordnen. Sollte aber nun die Aufhaltung des Blockes am hinteren Ende der Walzen, welche die Bremsung vertritt, einmal nicht bewirkt werden–, was wird geschehen? Die Becherbildung tritt nicht ein. Dies aber kann man benutzen, um das Rohr am Ende geschlossen herzustellen, mit anderen Worten: dem Becher einen Boden zu geben. Zu dem Ende braucht man bloſs den Zain am hinteren Ende zuzuspitzen, so daſs die Walzenabstumpfungen das Ende nicht mehr fassen können; dann bleibt ein Boden stehen. Denselben Kunstgriff kann man aber auch am vordersten Ende des Zaines anwenden, dann öffnet sich auch vorn der Block nicht. Wohl aber thut er das auf der mittleren Erstreckung des Blockes, und dieser muſs sich zu einem Hohlkörper gestalten, welcher an beiden Enden geschlossen ist, etwa wie der Cocon einer Seidenraupe. Solche Coconröhren haben die Erfinder vielfach hergestellt. Man durfte gespannt sein, was sich im Inneren des so merkwürdigen Hohlraumes vorfinde, vielleicht Luftleere, oder ein Gas? Sehr sorgfältige Untersuchungen, welche Prof. Finkener hierselbst vorgenommen, haben erwiesen, daſs die Höhlung zu 99 Proc. Wasserstoffgas barg, das letzte Procent war Stickstoff und Unbestimmtes. Für die Stahltheorie ist dieses Ergebniſs von keineswegs unbedeutendem Werthe (1890 276 575). Die bisher beschriebene Arbeitsweise, das Rohrstück mittels der Walzenabstumpfungen zurückzuhalten, ist nicht immer bequem, z.B. dann nicht, wenn die Schrägstellung der Walzen aus irgend welchen Gründen groſs sein muſs. Deshalb wenden die Erfinder auch noch ein anderes Aufhaltungsmittel an, nämlich den Dorn. Derselbe ist rundlich zugespitzt, mit seiner Stange drehbar aufgestellt, und wird dem vorschreitenden Block gerade an der Stelle entgegengestellt, wo die Becherbildung beginnt. Um ihn herum legen sich dann die Stofftheilchen während des Vorschreitens des Rohres. Mittels Stellschraube am Handrad wird während des Walzens der Dorn so weit entgegengeschoben, als es dem Walzvorgang am besten entspricht, was ein eingeübter Mann sehr bald lernt. Der Dornkolben, der lose auf der vierkantigen Spitze der Dornstange sitzt, fällt herab, sobald die Rohrbildung vollzogen ist, worauf die Stange herausgezogen wird. Der Betrieb der Walzen wird mittels gelenkiger Kuppelungen bewirkt; diese gestatten, die Walzenachsen völlig nach Bedarf mehr oder weniger schräg, weit aus einander oder eng zusammen zu stellen. Aus dem Besprochenen geht übrigens auch hervor, daſs Dicke und Weite des zu erzeugenden Rohres auſser von der Dicke des Rohstücks stark von der Walzeneinstellung abhängen. In der That kann man denn auch mit demselben Walzenpaare ganz dünne, wie auch ganz dicke, starkwandige sowohl als dünnwandige Rohre herstellen. Fig. 4., Bd. 277, S. 26 Fertig gestellte, ohne oder mit Dorn erzeugte Rohre kann man auf dem Schrägwalzwerk auch noch aufweiten, indem man sie, nachdem sie wieder erhitzt sind, bei angemessener Walzeneinstellung wieder in das Walzwerk einführt. Stärkere Erweiterungen werden indessen von den Erfindern mit Vorzug auf einem zweiten Walzwerk, dem Scheibenwalzwerk (Fig. 4) ausgeführt. Die Walzscheiben a und b sind stumpfe Kegel, welche mit schneckenförmigen Treibwülsten ausgerüstet sind. Man gibt den Scheiben entgegengesetzte, an Gröſse gleiche Drehungen, derart, daſs sie ein zwischen sie gebrachtes Rohstück, hier ein Rohr, in Drehung versetzen, aber vermöge der Treibwülste auch voranschieben. Hier wird nun ein Dorn d in besondere Mitwirkung gezogen, indem derselbe so in seiner Form gewählt ist, daſs er zwischen sich und den Scheiben Raum für einen kegelförmigen Mantel von abnehmender Stoffdicke läſst, auch entsprechend angepreſst, nämlich der Vorschreitungsrichtung des Rohres entgegengestellt wird. Zwischen a und d sowie b und d findet nunmehr Walzung statt, welche mit dem alten Walz verfahren verwandt ist. Das Rohr c wird gleichsam durch drei Walzen, ein „Walzentrio“, bearbeitet, dabei von den schneckenförmigen Wülsten stets zwischen die Walzenballen gedrängt und tritt in der ausgeweiteten, in der Wand verdünnten Form c1 aus dem Scheibenwerk heraus. Blockstraſse und Scheibenstraſse sind die wichtigsten der neuen Walzwerke, die beschriebenen Verfahrungsweisen auch die am meisten angewandten; auf andere einzugehen, ist hier nicht der Ort. Dagegen muſs ich noch von den mechanischen Mitteln sprechen, durch welche die Walzen betrieben, ihnen die erforderliche Triebkraft zugeleitet wird. In der That stellten sich den Erfindern an diesem Punkte Hindernisse nicht geringer Art entgegen; ja, Berge von Hindernissen fanden sie zu überwinden, um zu dem klar erkannten Ziele vorzudringen. Fig. 5., Bd. 277, S. 27 Früh schon wurde nach dem Bekanntwerden der Patentschriften von mehreren Seiten dem neuen Verfahren der Einwurf gemacht, daſs es zu viel Betriebskraft erfordere (1888 269 *463). Es wurde berechnet, daſs für die Herstellung eines 50 bis 60mm weiten Rohres gegen 2000 aufzuwenden sein würden. Diese Berechnung ist im Allgemeinen als vollkommen richtig anzuerkennen, die daraus gezogene Folgerung, daſs dieses Krafterforderniſs das Verfahren verurtheile, aber nicht. Zunächst darf man nicht vergessen, daſs zur Umwandlung des Blockes in Blech und Bildung eines Rohres der alten Art aus diesem ganz ebenso viel Arbeit zur Verlegung der Stofftheilchen nöthig ist, wie bei dem neuen Verfahren. Dieses letztere vollzieht die Formumwandlung nur in ganz kurzer Zeit, statt in langer. Aber gerade in der Kürze dieser Zeit liegt auch wieder das Mittel, der zu groſsen Maschinenstärke auszuweichen, indem man die in dieser kurzen Zeit erforderliche Triebkraft einer Krafthaltung entnehmen kann, und dieser Krafthalter ist das im Walzwesen schon so lange üblich gewesene Schwungrad. Nur muſste dieses befähigt werden, eine weit gröſsere Arbeitsstärke aufnehmen und in kurzer Zeit abgeben zu können, als bisher möglich  war. Der Fehler der älteren Schwungräder ist, daſs man ihre Umfangsschnelle nicht hoch steigern darf. 40m ist hierfür ein Meistwerth, den man nicht ohne Gefahr überschreiten darf. Die Herren Mannesmann schufen nun für ihre Walzwerke ein ganz neues Schwungrad1889 273 * 478 beschrieben., welchem man mit aller Sicherheit 100m Umfangsschnelle ertheilen kann. Der Erfolg ist auſserordentlich, wie folgende oberflächliche Berechnung zeigt. Hat der Radkranz die Schnelle v und wird diese durch die Kraftabgabe auf v1 vermindert, so ist bei einer Masse m des Kranzes die Arbeitsgröſse A=\frac{m}{2}\,(v^2-{v_1}^2) abgegeben worden. Geschieht dies vermöge gleichförmigen Widerstandes P im Walzwerk durch den Weg s in der Zeit t, so betrug die secundlich abgegebene Arbeit, d. i. die Arbeitsstärke S in Secundenkilogrammmetern: S=\frac{P\,s}{t}=\frac{m\,(v^2-{v_1}^2)}{2\,t} oder in Pferdestärken, da s : t die Geschwindigkeit c ist: HP=\frac{P\,c}{75}=\frac{m\,(v^2-{v_1}^2)}{150\,t} Für die Masse m noch das Gewicht G eingeführt, erhält man HP=\frac{G\,v^2\left(1-\left(\frac{v_t}{v}\right)^2\right)}{150\,.\,g\,t} Führt man G mit 1000k = 1t ein und nimmt an, daſs die Umfangsschnelle v des Rades während des Walzvorganges auf die Hälfte sinken dürfe, so erhält man als Ausdruck für die auf jede Tonne Kranzgewicht dem Rade entziehbaren Pferdestärken: HP_t=\frac{3\,.\,1000}{4\,.\,150\,.\,9,81}\ \frac{v^2}{t}\ \mbox{oder rund}\ \frac{1}{2}\ \frac{v^2}{t} Nun beträgt die Durchwalzungszeit bei Block- wie Scheibenwalze etwa 30 Secunden, so daſs auf jede Tonne Kranzgewicht abgegeben werden \frac{v^2}{60}\ HP, d. i. bei v = 40 60   80 100m t = 27 60 107 166⅔ . Bei 30 t Schwungringgewicht ergeben sich also schon 810 1800 3210 5000 als verfügbar. Um diese Arbeitsstärke dem Rade in 5 Minuten zu ersetzen, bedarf es je den zehnten Theil der ermittelten Anzahlen von Pferdestärken, d.h. man reicht mit Dampfmaschinen von   81   180   321   500 aus. Es zeigt sich also, daſs die Gröſse der beim Walzvorgang erforderlichen Arbeitsstärke kein praktisches Hinderniſs für die Beschaffung der nöthigen Dampfkraft bildet. Eine verhältniſsmäſsig kleine Dampfmaschine sammelt in den Pausen die Kraft wieder an, wie eine Wasserpumpe den Druckhalter oder „Accumulator“ in Hebewerkanlagen. Hier wie dort ist es die zu Anfang als Anwendungsform der Maschine hervorgehobene „Haltung“, was mit so groſsem Erfolge benutzt wird zu ungewöhnlichen Leistungen. Ein zweites mächtiges Hinderniſs, welches sich der Erzielung eines regelmäſsigen Betriebes entgegenstellte, vor Allem bei gröſseren Anlagen, zeigte sich in der Mangelhaftigkeit unserer üblichen Winkelzahnräder. Man muſste nämlich zu Winkelrädern als Uebertragungsgetriebe greifen, weil die Hüttenwerksanordnung dies gebieterisch forderte. Um nämlich die Bewegung der erhitzten Blöcke vom Ofen nach dem Walzwerke hin gut ausführbar zu machen, muſste man davon abstehen, die Schwungradachse in der Längsrichtung der Walzenachsen, oder parallel dazu aufzustellen, weil ja in dieser Längsrichtung dem Walzwerke die Rohstücke zuzuführen waren (Fig. 5). Unsere gebräuchlichen Kegelräder, wenn auch aus Stahlguſs in der besten Weise hergestellt, erwiesen sich als nicht haltbar, weil zu groſse Abnutzungen und namentlich auch unvermeidliche Ausführungsfehler bei den erforderlichen hohen Umlaufzahlen – 300 in der Minute und mehr – den Gang der Räder bald sehr störend beeinträchtigten. Den Erfindern gelang es, durch ihre neuen „Flächendruckräder“ die Uebelstände zu beseitigen. In Fig. 6 ist ein solches Räderpaar schematisch dargestellt. Flächendruckräder haben sie die Räder genannt, weil bei denselben die Zähne nicht mehr geometrisch in einer Linie, sondern in einer beliebig groſs zu machenden Fläche auf einander pressen. Fig. 6., Bd. 277, S. 29 Die Zähne, von denen bei a1 und b1 ein aus den Rädern herausgehobenes Paar dargestellt ist, sind so gestaltet, daſs der eine, a1 den anderen, b1, wie eine Gabel umfaſst. Denkt man sich vorerst die Räder mit parallelen Achsen aufgestellt und mit gleichen Zähnezahlen ausgeführt, so ist bald ersichtlich, daſs dann die Gabeln und Klingen stets genau zusammentreffen werden, wenn alle Zähne stets parallel geführt werden, insbesondere so, daſs die ebenen Zahnbegrenzungen parallel der Ebenen der Radachsen gehalten werden. Dies geschieht bei beiden Rädern des Paares durch eine passend angebrachte Parallelführung. Nun aber kann man auch die Räder nebst ihren Achsenlagern gegen einander um die senkrechte Achse AA drehen, ohne die Richtigkeit des Eingriffes zu stören. So wird denn u.a. die rechts in Fig. 6 skizzirte rechtwinkelige Achsenlage erzielt. Die Räder arbeiten ganz vorzüglich, gute Oelung selbstverständlich vorausgesetzt. Bei einer Ausführung von 1m im Durchmesser zeigenden Rädern haben die auf einander pressenden Zahnflächen 100 auf 100mm, d. i. 10000qmm Gröſse bei 5000k Druck: dies entspricht einem Flächendruck von ½k, wie es bei Zapfenlagern häufig vorkommt. Ein stählernes Kegelräderpaar für dieselbe Aufgabe und Gröſse würde 400mm breite Zähne erhalten; nimmt man an, daſs die gewölbten Zahnflanken einander so zusammendrückten, daſs selbst eine 2mm breite Berührungsfläche entstände, so gibt dies immer nur 800mm Druckfläche, also einen Flächendruck von 6000 : 800 = 6k,26, was eine rasche Zerstörung durch Abnutzung nach sich ziehen müſste. Eine dritte sehr bedeutende Schwierigkeit, welche aber die Herren Mannesmann gleich von Anfang an erkannten, lag in der Aufgabe, die Walzen und ihre Zuleitungswellen angemessen mit den festgelagerten Triebwellen zu kuppeln. Es bedurfte bei dem einfachsten Blockwalzwerk vier Kuppelungen, zwei für jede Walze, welche eine weitgehende Verstellung, sowohl im Winkel, als auch der Länge nach gestatten muſsten; zugleich aber muſste wegen der groſsen Drehschnelle die Treibung ganz gleichförmig vor sich gehen. Eine gute Kuppelung für diese Anforderungen gab es nicht: die bekannte Hooke'sche Kreuzgelenkkuppelung hat einen zu groſsen Bewegungsfehler, erfordert auch viel zu viel Raum. Die von den Erfindern hergestellte Kuppelung arbeitet ohne Bewegungsfehler und nimmt nur so viel Raum ein, wie eine gewöhnliche Klauenkuppelung. Fig. 7 stellt sie schematisch dar. Denkt man sich die Achsen a und b von zwei Punkten aus, die gleich weit von dem Schnittpunkt s abliegen, mit dünnen, hier sich als Linien darstellenden Armen versehen, welche gleiche Winkel mit bs und as einschlieſsen, so bleiben die berührenden Paare dieser Arme bei gleichförmiger Drehung beider Achsen stets in Berührung; aus der Lage s1 gelangt z.B. der Berührungspunkt nach einer Achsendrehung von 180° in die Lage s2. Der Berührungspunkt wird dabei den Umriſs eines schrägen Schnittes durch einen Kegel an a wie an b beschreiben, hier also eine Ellipse. Um die Berührung der Linien zu verwirklichen, könnte man sie als Kanten von Stahlklingen ausführen, würde indessen damit ein der Zerstörung rasch verfallendes Getriebe erzielen. Die Herren Mannesmann wandten statt dieser Kanten oder Schneiden eine neue Art Gelenk an, bestehend aus zwei halben Drehkörpern a1 und b1 (Fig. 7). Hier sind halbe Cylinder zu dem Zweck benutzt, welche mit ihren ebenen Schnittflächen auf einander liegen, während sie mit ihren runden Rückenflächen die nothwendigen Winkelbewegungen in entsprechenden Lagerflächen ausführen. Das ganze Gelenk an sich war neu und hat auf meinen Vorschlag den Namen Schnittgelenk erhalten, die Kuppelung demnach die Bezeichnung Schnittgelenkkuppelung. Diese Kuppelung, aus Stahlguſs in den Hauptkörpern, aus harter Bronze in den Schnittgelenken, die auch gelegentlich kugelig gestaltet werden, hat sich in jeder Beziehung vortrefflich bewährt und leistet bei den praktischen Betrieben der Mannesmann-Walzwerke die vorzüglichsten Dienste. Fig. 7., Bd. 277, S. 31 In ähnlicher Weise wie die hier etwas eingehender behandelten Haupttheile, muſsten noch zahlreiche Nebentheile der Walzwerke und ihres Getriebes besonders entworfen und ersonnen, gröſstentheils völlig neu geschaffen werden. Dies erklärt die Vielen aufgefallene Verzögerung der industriellen Einführung des neuen Verfahrens; diese Verzögerung wurde für diejenigen mehr als begreiflich, welche die sich auf Schritt und Tritt erhebenden Hindernisse und Schwierigkeiten zu beobachten Gelegenheit hatten. Betrachten wir nun das fertige Rohr, welches z.B. aus dem Blockwalzwerk hervorgeht, so bemerken wir an ihm mehrere merkwürdige Eigenschaften. Zunächst bringt die Bearbeitungsweise, der technologische Vorgang der Neuordnung der Stofftheilchen, es mit sich, daſs sich gleichsam Fasern bilden, welche schraubenförmig die Rohrwand durchziehen und zwar so, daſs die inneren Fasern eine stärkere Steigung als die äuſseren annehmen. Somit liegen die Fasern gleichsam in Kreuzung über einander, und schraubenförmig gebildete Faserschichten um einander. (Diese Faseranordnung hat Geheimrath Dr. Wedding durch mikroskopische Untersuchung von Rohrquerschnitten auch nachgewiesen und an schönen Präparaten für das bewaffnete Auge deutlich erkennbar gemacht.) Mit dieser Faserlagerung aber steht nothwendig eine hohe Festigkeit des Rohres in unmittelbarem Zusammenhang. In der That zeigen die Mannesmann-Röhren 5- bis 6mal so viel Widerstandsfähigkeit gegen inneren Druck, als gleich groſse geschweiſste Röhren. Ein Rohr von 37mm äuſserem, 30mm innerem Durchmesser gab erst bei einem inneren Wasserdrucke von 1700at nach, aber nur indem es sich ausweitete, nicht aber zersprang. Eine weitere Folge der günstigen Faserlagerung ist, daſs sich das fertige Rohr sehr gut weiter bearbeiten, z.B. biegen, börteln, platt schlagen, auftreiben, ausweiten, überhaupt noch umgestalten läſst, ohne irgendwie in die Gefahr zu gerathen, Nathrisse zu bekommen; die vorgelegten Muster zeigen Beispiele von wahrhafter Miſshandlung der Probestücke. Auf der anderen Seite bedingt die starke Theilchenverlegung, welche das neue Verfahren an dem Werkstück ausführt, daſs Fehler im Rohstoff, insbesondere unganze Stellen im Stahl, Blasen oder Querrisse nicht zulässig sind, vielmehr zur Folge haben, daſs das Stück bei der Durchwalzung zerbricht. So ist denn das Gelingen eines Rohres zugleich schon eine Probe auf die Güte des Rohstoffes. Auch erklärt sich hier, warum Schmiedeeisen sich zu Mannesmann-Röhren nicht eignet, es hat im heiſsen Zustande eine zu geringe Festigkeit, einen nicht ausreichenden Zusammenhang der kleinsten Theilchen. Wohl aber sind Kupfer, Delta-Metall, Heiſsmessing neben dem Stahl in dessen verschiedenen Stufen an Kohlenstoffgehalt als Rohstoffe geeignet. Einleuchtend ist, daſs für groſse Röhrenlieferungen die Beschaffung tadelloser Rohstücke ihre Schwierigkeiten hat; die Mannesmann-Röhrenwerke haben sich deshalb genöthigt gesehen, eigene Stahlöfen, für Tiegelstahl wie für Siemensstahl, anzulegen. Erst nachdem dies geschehen war, konnte diejenige Regelmäſsigkeit der Ablieferung festgehalten werden, welche für den Groſsbetrieb unerläſslich ist. Im Betrieb befinden sich jetzt vier Werke für Stahlröhren, das eine, die Mutterwerkstatt, in Remscheid, das zweite in Komotau in Böhmen, ein kleineres in Bous bei Saarbrücken und ein besonders groſses in Landore in Wales (England). Ein fünftes Werk, für Kupferröhren bestimmt, errichten Gebrüder Heckmann in Duisburg; dasselbe wird im kommenden Herbst in Betrieb gelangen. Die Anwendungen, welche die nach dem neuen Verfahren hergestellten Röhren finden können und in beträchtlicher Menge bereits finden, sind sehr mannigfaltig. Erwähnt sei, daſs sie sich für Triebwellen, wo sie, mit 9/10 Höhlung, auf rund die Hälfte des Gewichtes der üblichen Wellen gebracht werden, bereits trefflich bewährt haben. Im Brückenbauwesen können die Röhren sowohl in runder Form, als namentlich bei Anwendung rechteckiger Querschnitte groſse Dienste leisten. Denn die schon hervorgehobene Eigenschaft der Mannesmann-Röhren, sich noch umgestalten zu lassen, hat dazu geführt, aus ihnen Balken von Rechteckquerschnitt herzustellen, was auf dem Querwalzwerk geschieht. Kleinere Proben liegen hier vor. Den Balken kann man sogar an seiner oberen und unteren Wand in der Mitte des Balkens stärker als am Ende machen und somit ihn als Körper von gleicher Festigkeit herstellen. Ja man kann ihn an seinen beiden Enden luftdicht verschlieſsen und dadurch, bei der Wahl einer genügend kleinen Wanddicke, so leicht erhalten, daſs er auf dem Wasser schwimmt, was mancherlei Vortheile in sich schlieſsen würde. Auch für die Eisenbahnen kann das Mannesmann-Rohr Anwendung finden, indem man ihm eine für die Schiene geeignete Querschnittform geben kann; eine solche Schiene böte neben der Tragfestigkeit auch eine groſse Widerstandsfähigkeit gegen den Radflanschendruck und lieſse sich im Verhältniſs zu ihrem Gewicht weit fester machen, als unsere übliche Schiene. Auch für die Wagenachsen läſst sich das neue Verfahren mit Vortheil anwenden. Das Muster einer unbearbeiteten hohlen Eisenbahn-Wagenachse, welches bei den Probestücken befindlich ist, zeigt, wie durch Zusammenziehen der Enden eines kräftigen Rohres demselben die Zapfen angeschmiedet, die Anläufe und Stauchungen nach Belieben gegeben werden können. Es eröffnet sich somit hier sowohl ein weites Anwendungsfeld für die neuen Röhren, als auch bedeutsame Verbesserungen in Fahrpark und Gestänge dabei in Aussicht genommen werden dürfen. Höchst wichtige Anwendungen können die neuen Röhren auch im Bedarf für Heer und Flotte finden. Da das Mannesmann-Rohr das Ausarbeiten auf der Ziehbank so vorzüglich verträgt, läſst sich dasselbe für Gewehrmäntel, Lanzen, Fuhrwerkstheile u.s.w., welche sehr leicht und doch fest sein sollen, sehr gut verwerthen; so viel mir bekannt, sind auch Versuche hierzu von der Heeresverwaltung in Aussicht genommen. Für schwere Hohlkörper, wie Granaten mit bereits angewalztem Boden, dann für Gewehrläufe, vielleicht sogar für Geschütze möchten die Röhren dienen können; in der That ist denn auch ein Stück, welches als Kanonenseele vielleicht brauchbar wäre, unter den Probestücken als Muster eines dickwandigen Rohres aus sehr hartem Stahl vorgeführt. Es steht wohl auſser Zweifel, daſs wir in dem Mannesmann'schen Verfahren eine epochemachende Erfindung vor uns haben; sie ist angethan, eine ganz bedeutsame Wandlung im Walzwerkfach herbei zu führen, ja hat eine solche bereits kräftig eingeleitet.