Titel: | Hansen's Reform in der Gährungsindustrie. |
Autor: | C. J. Lintner |
Fundstelle: | Band 279, Jahrgang 1891, S. 213 |
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Hansen's Reform in der
Gährungsindustrie.
Hansen's Reform in der Gährungsindustrie.
In den Referaten über die Fortschritte in der Bierbrauerei wurde wiederholt über die
epochemachenden Untersuchungen des dänischen Gelehrten Emil
Christian Hansen
und deren Anwendung
in der Praxis berichtet. Eine zusammenhängende Darstellung der von Hansen ausgehenden Reform und seiner Methoden wurde
jedoch bis jetzt in diesem Journale noch nicht gegeben, und doch dürfte eine solche
bei der hervorragenden Bedeutung, welche dieselben in den sieben Jahren seit ihrer
Einführung in die Bierbrauerei gewonnen, nicht unerwünscht sein. Bis jetzt fielen
die Segnungen derselben in erster Linie der Brauerei zu, allein auch in die
Spiritus- und Presshefefabrikation fand Hansen's System
bereits Eingang, und auch diese Zweige der Gährungsindustrie werden sich mit dessen
Einführung bedeutende Vortheile sichern.
Wenn wir im Folgenden eine kurze Schilderung des Hansen'schen Systems geben, so geschieht es selbstverständlich mit
Beiseitelassung aller Einzelheiten. Wer sich über den Gegenstand eingehender
unterrichten will, und es ist dieses jedem Gährungstechniker aufs wärmste zu
empfehlen, der findet in den Untersuchungen aus der Praxis
der Gährungsindustrie von Dr. Emil Chr.
HansenIn einzelnen Abschnitten wird behandelt:I. Die Hefereinzucht im Dienste
der Industrie.1) Ueber die Einführung rein gezüchteter, planmässig ausgewählter Hefen in
die Bierfabrikation und über die dadurch erreichten Resultate.2) Die fabrikmässige Darstellung rein gezüchteter Hefen.II. Beobachtungen über
Brauerei-Hefearten.1) Merkmale der Saccharomycesarten.2) Ober- und Unterhefe.3) Untersuchungen über Hefearten, welche in die Praxis eingeführt sind.4) Ueber die Variation.5) Hauptergebniss.III. Ueber die praktische
Untersuchung des Bieres in den Lagerfässern rücksichtlich seiner
Haltbarkeit.Als ein ausgezeichnetes Werk zur Einführung in die Hansen'schen Arbeiten, wie zur Orientirung über die in der
Gährungsindustrie vorkommenden Mikroorganismen ist hier auch anzuführen: Die Mikroorganismen der Gährungsindustrie von
Alfred Jörgensen. 2. Aufl. Parey, Berlin, 1890., zweite
vermehrte und neubearbeitete Auflage mit 14 Abbildungen (R.
Oldenbourg, München und Leipzig, 1890) eine Fülle interessanten und
anregenden Materials.
Das Wesen der von Hansen ausgehenden Reform liegt in der
Anwendung einer planmässig ausgewählten reinen Hefe.
Auf die Vorzüge des Gebrauchs reiner Hefe im
Brauereibetriebe hat bereits Pasteur hingewiesen;
allein der französische Forscher verstand unter einer reinen Hefe lediglich eine solche, welche frei von Spalt- und
Schimmelpilzen ist, während Hansen den bestimmten
Nachweis lieferte, dass in der bisher gebräuchlichen Stellhefe der Praxis auch Hefen
verschiedener Art und von verschiedenen Eigenschaften vorkommen und darunter solche,
welche gerade die am häufigsten vorkommenden Krankheitserscheinungen im Biere, wie
unangenehme Geschmacksveränderungen und Hefetrübungen zu erregen vermögen. Solche
Saccharomyceten, welche wesentliche Verunreinigungen der guten Bierhefe ausmachen,
bezeichnete Hansen als wilde Hefen. Nachdem er dann weiterhin noch gezeigt, dass auch die guten
Brauereihefen verschiedene Arten enthalten können, welche Biere von verschiedener
Beschaffenheit zu liefern vermögen, so dass z.B. eine bestimmte Hefe mehr für diese,
eine andere mehr für jene Verhältnisse passend erscheint, trat Hansen mit der bestimmten Forderung hervor: die Stellhefe dürfe nur aus einer einzigen Art bestehen,
nämlich aus der für die Brauerei günstigsten.
Nach Hansen ist also eine reine Hefe eine solche, welche nichts anderes als
Zellen einer einzigen Saccharomycesart enthält, und zwar, im Sinne der
Praxis gesprochen, einer einzigen Culturhefeart.
Die Reform in der Gährungsindustrie besteht nun darin, dass Hausen die praktischen Mittel und Wege an die Hand gibt, solche reine Hefe
in grossem Massstabe in den Betrieb einzuführen.
Die Vortheile dieser Reform liegen vor allem in der Sicherheit, mit der man nun einen
Haupttheil des Betriebes, die Gährung, beherrschen kann, womit zugleich die
Sicherheit des ganzen Betriebes wächst. Während man bisher völlig im Dunkeln
wandelte und bei der Auswahl der Stellhefe stets mehr oder weniger dem Zufalle
preisgegeben war, ist man nun nach Hansen's System in
der Lage, zielbewusst zu verfahren.
Die Vortheile der Reinzucht kommen nicht nur jenen Brauereien zu statten, welche
dieselbe in ihren regelmässigen Betrieb aufgenommen, sondern indirect, wenn auch
natürlich nicht in gleichem Masse, auch jenen, welche ihre Hefen von mit Reinzucht
arbeitenden Brauereien beziehen.
Bei Gewinnung der reinen Hefe geht man stets von einer
einzigen Zelle aus, denn nur so erlangt man die Gewissheit, dass die
Reincultur aus einer Art besteht.
Die Darstellung der Reincultur geschieht im Laboratorium und erfordert besondere
Kenntnisse und eine Geschicklichkeit, die man nur durch fortgesetzte Uebung
erlangt.
Verschiedene grössere Brauereien haben sich selbst Laboratorien eingerichtet und
sichern sich dadurch auch noch andere Vortheile. Ausserdem gibt es zur Zeit eine
Anzahl öffentlicher zymotechnischer Laboratorien, welche sich mit der Darstellung
der Reinhefe befassen und welche bereits eine mehr oder weniger grosse Sammlung
bewährter Culturhefen besitzen.
Hansen führt folgende Laboratorien auf, welche sein
System in ihr Programm aufgenommen haben: A.
Jörgensen's Laboratorium Frydendalsvej in Kopenhagen; die Versuchsstationen
in Weihenstephan, Berlin, München, Nürnberg, Augsburg, Prag, Wien; Dr. Eckenroth's Laboratorium in Ludwigshafen a. Rh.; Kokosinski's Laboratorium in Lille; van Laer's Laboratorium in Gand; Vuylsteke's Laboratorium in Louvain; Wahl und Henius' Laboratorium in Chicago.
Für die Einsendung von rein zu züchtenden Hefeproben an von der Brauerei entfernte
Laboratorien, ebenso wie für den Versand der Reincultur wurden von Hansen gleichfalls praktische Verfahren ausgearbeitet.
Genaue Anweisungen sind von den betreffenden Laboratorien stets zu erhalten.
Soll nun von einer Brauereihefe eine ReinzuchtVgl. Hansen, Zeitschrift für das gesammte
Brauwesen. 1886 S. 273. hergestellt werden, so wird eine
kleine Menge der Hefe – bestehend aus jungen kräftig vegetirenden Hefezellen – in
einem Kölbchen mit sterilisirtem Wasser gemischt, so dass eine leichte Trübung in
der Flüssigkeit wahrzunehmen ist.
Durch eine mikroskopische Prüfung überzeugt man sich von dem richtigen Grade der
Verdünnung.
Von der Hefeflüssigkeit bringt man einen Tropfen in etwas flüssige sterilisirte
Würzegelatine. Letztere ist Bierwürze, in welcher man 5 Proc. Gelatine aufgelöst. Der Zusatz
von Gelatine bewirkt, dass die Flüssigkeit bei gewöhnlicher Temperatur erstarrt, so
dass in die flüssige Würzegelatine ausgesäte und in derselben vertheilte Hefezellen
bei gewöhnlicher Temperatur – nach dem Erstarren der Gelatine – an der Stelle, wo
sie sich befinden, festgehalten werden.
Nachdem die Hefezellen in der Würzegelatine durch Schütteln oder Rühren mit einem
Glasstäbchen sorgfältig vertheilt sind, wird ein Tropfen derselben auf einem
Deckgläschen in dünner Schicht ausgebreitet und dieses, nachdem die Gelatine
erstarrt, mit letzterer nach abwärts auf einen etwa 8 mm hohen Glasring gesetzt,
welcher auf einem Objectträger festgekittet ist. In den Raum innerhalb des Ringes
bringt man einen Tropfen sterilisirtes Wasser. Man kann dieses aber auch
unterlassen, da die Gelatine feucht genug bleibt, indem durch ein sorgfältiges
Abdichten des Glasringes und des darauf ruhenden Deckgläschens mit Vaselin eine
Verdunstung von Wasser vermieden wird. Das oben geschilderte kleine System –
bestehend aus Objectträger, Glasring und Deckglas – heisst feuchte Kammer.
Die feuchte Kammer bringt man nun unter das Mikroskop und sucht die Gelatineschicht
nach einzeln liegenden Hefezellen ab. Diese werden
markirt, so dass sie jederzeit wieder leicht aufzufinden sind.
Nach 2 bis 3 Tagen haben sich bei Zimmertemperatur aus den einzelnen Hefezellen
kleine Colonien entwickelt, welche nun als graue Flecke mit freiem Auge sichtbar
sind.
Von diesen Flecken wird nun mittels eines Stückchen Platindrahtes etwas Hefe in
sterilisirte Bierwürze übertragen, welche sich in einem zweihalsigen (Pasteur'schen) Kolben von ⅛ l Inhalt befindet, und zwar
wendet man für die Reincultur einer einzigen Art vier bis fünf Kolben an.
In der Würze vermehrt sich nun die Hefe nach Massgabe der vorhandenen Nährstoffe und
bildet schon nach wenigen Tagen einen reichlichen Bodensatz.
Die Vegetation in den Kolben hat man nun zu untersuchen und die passende Art
auszuwählen.
Bei sorgfältiger und tadelloser Arbeit wird jeder Kolben eine Reincultur enthalten.
Von jedem Kolben wird zunächst eine Probe genommen und unter dem Mikroskope
untersucht. Sind die Zellen alle von gleichem Aussehen, so sind sie meist auch von
gleicher Art. Dieses Kriterium ist jedoch, wie Hansen
gezeigt, nicht ausreichend, da die Unterschiede der Form u. dgl. meist so gering
sind, dass ein ungemein geübtes Auge dazu gehört, sie zu erkennen. Hansen hat jedoch auch zur sicheren Unterscheidung der
Hefearten Methoden ausgearbeitet, welche er auf die Entwickelung der Askosporen und
die Bildung der Kahmhäute gründete. Mit der Hansen'schen Analyse können wilde und Culturhefen mit grosser Sicherheit
unterschieden und die Stellhefe auf die Anwesenheit wilder Hefen untersucht werden.
Welche Hefenart von den Culturhefen für eine Brauerei am passendsten erscheint,
darüber entscheidet der Versuch in der Praxis. Es ist jedoch zu beachten, dass, wie
bereits erwähnt, die zymotechnischen Laboratorien meist bewährte, für verschiedene
Verhältnisse passende Hefen vorräthig haben.
Zur weiteren Vermehrung der ausgewählten Hefe wird die Vegetation in den kleinen auf
grössere Pasteur'sche Kolben mit etwa 1 l Würze
gebracht und die hier gebildete Hefe auf kupferne Gefässe, welche nach dem
Princip der Pasteur'schen Kolben gebaut sind und 10 l
fassen. Mit der Entwickelung der Hefe in den grossen Metallgefässen – man braucht
deren vier Stück – ist die Arbeit im Laboratorium beendet. Die weitere Vermehrung
der Hefe geschieht im Gährkeller unter der Obhut des Brauers.
Zu dem Behufe wird dort ein kleiner Gährbottich mit etwa 1,5 hl Inhalt aufgestellt.
Diesen füllt man nach sorgfältiger Reinigung unter den erforderlichen
Vorsichtsmassregeln mit 1 hl gelüfteter Würze, wie man sie in die gewöhnlichen
Gährbottiche bringt, und setzt derselben die in den Metallkolben entstandene Hefe
zu.
Sobald eine kräftige Gährung auftritt und die ersten Spuren der Kräusendecke sich
gebildet haben, kann man den ganzen Inhalt des Gährbottichs zu 3 bis 4 hl Würze
setzen und der normale Betrieb ist nun rasch im Gange.
Selbstverständlich bleibt die Hefe, einmal in den grossen Betrieb eingeführt, nicht
rein, sondern es finden sich früher oder später wieder wilde Hefen ein, die sich
dann je nach der Hefeart, mit welcher sie in Concurrenz treten, in höherem oder
geringerem Grade breit machen und das mit der reinen Hefe erzielte günstige Resultat
beeinträchtigen. Man kann sich nun gegen das Ueberhandnehmen der wilden Hefen
dadurch schützen, dass man in nicht zu langen Zeitabschnitten frische Reinculturen
einführt. Da ein derartiges Verfahren aber stets mit einigen Umständlichkeiten
verknüpft ist, so ging Hansen daran, in Verbindung mit
dem Director der Alt-Karlsberger Brauereien, Kapitän Kühle, einen Apparat zu construiren, welcher der Brauerei gestattet,
fortlaufend reine Hefe im Betriebe selbst weiter zu züchten und so der Gährung im
Grossen stets neue Reinzucht zuzuführen. Der von Hansen
und Kühle construirte Hefereinzuchtapparat ist bereits
1888 267 78 beschrieben. Er besteht aus drei
Haupttheilen, einer Luftpumpe mit Behälter für comprimirte Luft, dem Würzecylinder,
in welchem die vom Hopfenkessel kommende sterile Würze unter Zutritt filtrirter
keimfreier Luft gekühlt und gelüftet wird, und dem Gährcylinder, in welchem die
gekühlte und gelüftete Würze mit Reinzucht aus den Metallkolben bei Inbetriebsetzung
des Apparates angestellt wird. Nach entsprechender Vermehrung der Hefe wird dem
Gährcylinder gährende Würze oder Bodensatzhefe für die Gährung im Grossen entnommen,
wobei stets soviel Hefe im Cylinder zurückbleibt, dass damit eine neue Reinzucht
eingeleitet werden kann. Die Construction des Apparates ist derart, dass sachgemässe
Handhabung eine Verunreinigung der Hefe im Apparate völlig ausschliest.
Auch der von P. Lindner an der Berliner Versuchs- und
Lehranstalt in Berlin construirte kleine Reinzuchtapparat, welcher seiner Billigkeit
wegen namentlich für kleine Brauereien geeignet ist, wurde 1889 271 469 beschrieben.
In der 2. Auflage seiner Untersuchungen aus der Praxis der
Gährungsindustrie bringt Hansen die Abbildung
und Beschreibung eines neuen Reinzuchtapparates von Jörgensen und Axel Bergh, welcher gleichfalls
geeignet erscheint, in kleineren Brauereien Eingang zu finden. Wir werden auf
denselben in einem der nächsten Berichte über die Fortschritte in der Bierbrauerei
zurückkommen.
Wenn wir mit vorstehender kleiner Skizze für weitere Kreise die Anregung gegeben
haben, sich mit den Hansen'schen Arbeiten und seinem
System näher bekannt zu machen, so ist der Zweck derselben erfüllt.
C. J. Lintner.