Titel: Die kritischen Temperaturstadien bei Eisen und Stahl.
Fundstelle: Band 280, Jahrgang 1891, S. 81
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Die kritischen Temperaturstadien bei Eisen und Stahl. Nach einem Vortrage F. Osmond's beim Maimeeting des Iron and Steel Institute 1890. Die kritischen Temperaturstadien bei Eisen und Stahl. Bei Untersuchung der Wirkung der Zumischung von etwa 0,20 Proc. der Reihe nach von 17 fremden Stoffen auf die mechanischen Eigenschaften des Goldes entdeckte Prof. Roberts-Austen ein merkwürdiges Verhältniss zwischen den ermittelten Resultaten und der in der periodischen Klassifikation den zugesetzten Stoffen zugetheilten Lage. Unter der Voraussetzung, dass ein ähnliches Verhältniss beim Eisen stattfinde, sagte Prof. Roberts-Austen in einem Vortrage vor der British Association in deren Sitzung zu Newcastle: „Was das Eisen anlangt, so ist es schwer zu sagen, welche von seinen Eigenschaften durch den zugesetzten Stoff am meisten beeinflusst werden. Vielleicht ist der directe Zusammenhang mit dem periodischen Gesetze zu finden durch die Einwirkung eines gegebenen Stoffes auf die Verlangsamung oder Beschleunigung des Ueberganges gewöhnlichen Eisens in einen allotropischen Zustand. Die Zukunft des Stahls hängt inzwischen von der Sorgfalt ab, mit welcher die Einwirkung verschiedener Stoffe auf das Eisen und die für seine Verarbeitung zweckmässigsten Temperaturen studirt werden.“ Die Originalität dieser Gesichtspunkte und deren Gewicht für die Eisenindustrie veranlassten Osmond, früher ausgeführte Experimente nochmals zu überprüfen und denselben neue anzureihen. Seine Ermittelungen bestätigen ebenso wie die daraus gezogenen Schlüsse jenes Gesetz Roberts-Austen's. Die Stoffe, deren Wirkung auf Eisen bekannt, ordnen sich nach ihrem Atomvolumen in zwei Reihen ein: 1 2 Kohle Atomvolumen 3,6 Chrom Atomvolumen 7,7 Bor 4,1 Wolfram 9,6 Nickel 6,7 Kiesel 11,2 Mangan 6,9 Arsenik 13,2 Kupfer 7,1 Phosphor 13,5 Eisen 7,2 Schwefel 15,7 Diejenigen Stoffe, deren Atomvolumen geringer als das des Eisens ist (Serie 1), verzögern bei der Abkühlung des Metalles unter sonst gleichen Umständen die Veränderung des β-Eisens (hart) in α-Eisen (weich), sowie die Umsetzung der Härtungskohle in Carburetkohle. In Folge dessen streben sie bei gleicher Schnelligkeit der Abkühlung im abgekühlten Eisen oder Stahl den Gehalt von β-Eisen und damit seine Härte zu vergrössern. Diese Wirkung ist thatsächlich äquivalent mit einer mehr oder minder energischen Härtung. Die Stoffe der zweiten Reihe – ihr Atomvolumen übertrifft das des Eisens – befördern dagegen bei der Abkühlung die Veränderung desselben in den normalen Zustand reinen Eisens. Ausserdem machen sie die entgegengesetzten Veränderungen bei der Erhitzung zu mehr oder weniger unvollkommenen und begünstigen bei der Abkühlung die Verbindung des Eisens und der Kohle. Sie streben somit, das Eisen auch bei höherer Temperatur im α-Zustande zu erhalten und in Folge dessen mehr noch im abgekühlten Metalle; theoretisch sind sie wie das Ausglühen als eine Quelle der Weichheit und Schmiedbarkeit anzusehen. Erhöhen einzelne dieser Stoffe gleichwohl die absolute Festigkeit und Härte, so ist dies eine Folge ihrer eigenen oder der individuellen Eigenschaften ihrer Verbindungen, nicht aber, weil sie den Gehalt an β-Eisen vergrössern: sie übernehmen an und für sich die Rolle des Härtungselementes, welches im Kohlenstahl dem β-Eisen vorbehalten ist. Somit wirken die mit dem Eisen verbundenen fremden Stoffe bei der Abkühlung des Metalles entweder beschleunigend oder verzögernd auf seine allotropische Veränderung, indem sie dieselbe mehr oder weniger unvollkommen in der einen oder anderen Richtung machen, je nachdem ihr Atomvolumen grösser oder kleiner ist als das des Eisens. Fremde Stoffe mit kleinem Atomvolumen suchen mit anderen Worten herbeizuführen, dass das Eisen die besondere molekulare Form annimmt oder beibehält, in welcher es selbst sein kleinstes Atomvolumen hat; entgegengesetztes Streben ist den anderen mit grösserem Atomvolumen als Eisen eigen. Diese Sätze stimmen auch mit dem überein, was über die magnetischen Eigenschaften des Eisens bekannt ist. Innerhalb der Grenzen des Gehaltes an Kohle, Kiesel, Schwefel, Phosphor und Mangan der Stahlschienen, erzeugt nach dem sauren oder den basischen Bessemerverfahren, können diese Stoffe in Rücksicht auf den permanenten Magnetismus in zwei Gruppen eingetheilt werden. In der ersten Gruppe mehren Kohle und Mangan den permanenten Magnetismus des Eisens, in der anderen haben Kiesel, Phosphor und Schwefel keinen Einfluss darauf. Ohne in die Details einzugehen, die mehr Sache des Physikers als des Metallurgen sind, erhellt, dass auch bezüglich des Magnetismus eine Gruppirung der fremden Stoffe in zwei Reihen statthat, von denen die erstere diejenigen umfasst, welche geringeres, die zweite, welche grösseres Atomvolumen besitzen als das Eisen. Vorstehend Dargelegtes bildet die Schlusssätze, welche F. Osmond am Schlüsse seines Vortrags über die „kritischen Temperaturstadien bei Eisen und Stahl“, der hier in gekürzter Bearbeitung folgt, zusammenfasst. Stufenweise Erhitzung und langsame Abkühlung aus der Schmelzhitze bis zur gewöhnlichen Temperatur ergeben bei Beobachtung gewisser physischer Eigenschaften des Eisens und des Stahls in ihrem Verhältniss zur Temperatur Veränderungen, die nicht bloss einem constanten Gesetze folgen, sondern auch bemerkenswerthe Erscheinungen bei bestimmten kritischen Temperaturen erkennen lassen. Schon Gilbert entdeckte 1600, dass ein Magnet, zur Rothglut erhitzt, seine magnetischen Eigenschaften gänzlich verliert, und es ist während der letzten zwanzig Jahre eine ansehnliche Litteratur entstanden, durch welche in der einschlägigen Richtung bereits verschiedene wichtige Thatsachen bekannt wurden. Da aber bei den ersten Experimenten die Mittel, hohe Temperaturen scharf zu bestimmen, fehlten, auch in der Regel die Proben vorher keiner Analyse unterzogen wurden, so bleibt es schwierig, Vergleichungen dieser Untersuchungen anzustellen und zu bestimmen, inwieweit die beobachteten Wirkungen dem Eisen oder der damit verbundenen Kohle zugeschrieben werden müssen. In Folge dessen ist es wohl eher nöthig, bereits bekannte Thatsachen zu berichtigen als neue zu entdecken. Dies durch möglichst scharfe Bestimmung der Lage der kritischen Punkte, deren Verursachung und ihres Verhältnisses zu einander zu bewerkstelligen, ist das Ziel der Osmond'schen Experimente. Dass die zu studirenden Erscheinungen entweder durch chemische Reactionen oder durch allotropische Veränderungen hervorgerufen werden, oder dass beide dabei zusammenwirken, war bei Aufnahme derselben bereits bekannt, und da sie alle entweder durch Entwickelung oder Absorption von Wärme gekennzeichnet werden, so musste die klassische Abkühlungsmethode anzuwenden am angezeigtesten erscheinen. Eine Reihe von Proben mit passender chemischer Zusammensetzung, bis zu bekannter Temperatur erhitzt, lieferte bei der Abkühlung scharfe Bestimmungen der Zeit, die erforderlich war, um die Temperatur um eine gleiche Gradzahl herabzusetzen; abnorme Verlangsamung bezieh. Beschleunigung des Quecksilberfallens mussten Wärmeentbindung oder Wärmeabsorption andeuten und somit einen kritischen Punkt angeben. Die Bestimmung des Zeitaufganges war leicht, nicht so die Temperaturmessung; zu letzterer wurde Chatelier's neuer thermo-elektrischer Pyrometer benutzt. Chatelier's Stapelpaar besteht aus zwei an ihrem einen Ende mit einander verbundenen Drähten, deren einer aus reinem geschmolzenen Platina, der andere aus einer Platinalegirung mit 10 Proc. Rhodium besteht. Die entgegengesetzten Drahtenden werden bei constanter Temperatur erhalten und durch Kupferconductore mit einem von Deprez und d'Arsonval erfundenen Spiegelgalvanometer verbunden. Zur Justirung des Apparates werden genau bekannte Schmelz- und Kochpunkte damit verglichen; als solche dienten passend der Schmelzpunkt des Kaliumsulfats (1015° C.) und der Kochpunkt des Chlorammoniums (340°). Es wird dann angenommen, dass nicht allein zwischen diesen beiden Punkten liegende, sondern auch höhere Temperaturen bis zu 1500° proportional zur elektromotorischen Kraft des Stapels sich verhalten und damit auch zu der vom Spiegel zurückgeworfenen Lichtabweichung vom Nullpunkte des Galvanometers. Die der Probe unterworfenen Metallstücke hatten die Form runder oder vierkantiger Zaine mit 5 bis 7 mm Durchmesser oder Seite und auf der einen Seite des Zaines F (Fig. 1 S. 82) ist gegen dessen eines Ende je nach dem Härtegrade eine kleine Vertiefung passender Form zum Festlöthen des thermoelektrischen Paares eingefeilt oder eingeschliffen. Ein 3 bis 4 cm langes, ebenso hergerichtetes Stück F1 desselben Metalls wird über das Paar in der Weise gelegt, dass die Vereinigung zwischen die Zaine F und F1 eingeklemmt wird, worauf man das Ganze fest mit Eisendraht umwickelt (Fig. 2). Fig. 3 zeigt das Bild der ganzen Anordnung. Der Zain F ist in der Weise in ein Porzellanrohr T eingeschoben, dass die Verbindung sich inmitten des Ofens S befindet. Die Platina- und Platinarhodiumdrähte sind durch ein Thonrohr isolirt. Die beiden Enden des Porzellanrohrs sind mittels Kork verschlossen; durch einen derselben sind Probestab und Drähte eingeführt; die Luft ist somit verhindert, frei im Rohre zu circuliren, und in Folge dessen bleibt die Oxydation auf ein Minimum beschränkt, so dass derselbe Draht ohne merkliche Veränderung eine ansehnliche Zahl von Erhitzungen und Abkühlungen auszuhalten vermag. Die an den Kupferconductoren angelötheten Enden der Stapeldrähte befinden sich in zwei mit Alkohol gefüllten Proberöhren; welche in einem Wasserbade E von derselben Temperatur stehen, wie die Verbindung vor der Erhitzung. G ist der Galvanometer mit dem Spiegel m, L die Lampe, E die graduirte Scala mit ihrem Reflector M. Die punktirte Linie LMmn bezeichnet den Weg eines von der Lampe ausgegangenen und gegen M, von da nach m und weiter auf die Scala reflectirten Lichtstrahls. Vor Beginn des Experiments wird der Ofen auf die gewünschte Temperatur gebracht und nach deren Erreichung das Gas gelöscht; während das ganze System allmählich erkaltet, zeichnet ein Chronograph den Augenblick an, in welchem der Lichtstrahl einen Theilstrich der Scala passirt. Der Fehler beim Ablesen kann sich höchstens auf ein Zwanzigstel der Zeit zwischen zwei auf einander folgenden Ablesungen belaufen. Zur graphischen Anschaulichmachung der Resultate dienen die Temperaturen als Abscissen, die Zeiten des Lichtstrahldurchganges zwischen zwei einander folgenden Theilstrichen als Ordinaten. Diese Theilstriche zeigen sich auf den hier beigegebenen graphischen Aufzeichnungen durch die den Temperaturen entsprechenden Ordinaten und der Punkt, welcher die Zeit zwischen zwei Ablesungen darstellt, ist inmitten des Zwischenraums angebracht. Eine Hemmung des Sinkens der Temperatur wird also durch einen scharfen Punkt dargestellt und die Verspätung der Abkühlung erscheint als Ausbiegung der Curve, deren Grösse proportional der entbundenen Wärme ist. Die Osmond'schen Experimente wurden mit der nachstehend verzeichneten Reihe von Probestücken mit steigenden Kohlegehalten eröffnet, neben denen die übrigen Bestandtheile von geringfügiger Bedeutung und so wenig als möglich variirend waren. Textabbildung Bd. 280, S. 82Tafel 1. Kritische Temperaturstadien bei Eisen und Stahl. Der Bequemlichkeit halber werden bei Beschreibung u.s.w. der beobachteten Erscheinungen die kritischen Punkte, die mit der Härtung des Stahls verbunden sind, nach Tchernoff mit a bezeichnet; da aber die Untersuchungen ergaben, dass Tchernoff's Punkt a nicht bloss ein einziger solcher Punkt ist, dass es vielmehr mehrere einander nahe liegende kritische Punkte verschiedener Natur geben kann, so werden diese verschiedenen Punkte mit a1, a2 und a3 bezeichnet, von denen a1 die Verrückung bedeutet, die bei der niedrigsten, und a3, die bei der höchsten Temperatur beobachtet wurde. Da eine gewisse Veränderung nicht bestimmt bei ein und derselben Temperatur stattfindet, wenn das Quecksilber steigt oder wenn es fällt, so ist zwischen einem kritischen Punkt ar1 bei der Abkühlung und einem dergleichen au bei der Erhitzung zu unterscheiden. Eine Bezeichnung ar1–2 bezeichnet, dass die zwei Punkte ar1 und ar2 zu einem einzigen zusammenfallen; \frac{a_{r1}}{m}, dass die Verschiebung unvollständig ist. Ausser den Punkten a finden sich beim grauen Roheisen noch andere kritische Punkte, bedingt von der successiven Erstarrung der verschiedenen 1 2 3 4 5 6 Elektro-lytischesEisen WeichesbasischesMartineisen HartesbasischesBessemereisen Ziemlichwelcher saurerMartinstahl Harter Tiegel-stahl SchwedischesweissesRoheisen rectangulär10 × 4 mm25 cm lang geschmiedetrund6 mm60 cm lang geschmiedetrund5 mm60 cm lang geschmiedetrund6 mm60 cm lang geschmiedetrund6 mm40 cm lang gegossenquadratisch6,5 × 6,5 mm40 cm lang Gehalt an Kohle        Proc. 0,08 0,16 0,29 0,57 1,25 4,10       „     „  Kiesel          „   0,012 0,06   0,085 0,19 0,22       „     „  Schwefel     „   0,021 0,06 0,02 0,02 0,04       „     „  Phosphor     „   0,029   0,052   0,050   0,021   0,018       „     „  Mangan       „ 0,11 0,27 0,23 0,10 0,12 Bestandtheile desselben. Diese Punkte entsprechen vielleicht ebensolchen beim Stahl, doch sind diese nur sehr undeutlich markirt. Wären diese kleinen Verschiebungen auch sicher und wäre ihre theoretische wie praktische Bedeutung auch beachtenswerth, so bleibt ihre wirkliche Natur doch hypothetisch und sie mögen deshalb zur Zeit unberührt bleiben. Das elektrolytische Eisen (Probe 1) bestand aus einem von einem Bleche genommenen Streifen, der zur Vertreibung etwa aufgenommener Feuchtigkeit mit Wasserstoffgas bis auf Kirschrothglut erhitzt wurde. Wider Erwarten enthielt dieses elektrolytische Eisen 0,08 Proc. Kohle, deren Anwesenheit mittels zweier verschiedener analytischer Methoden sicher nachgewiesen wurde; dessen unerachtet steht es unter allen Proben reinem Eisen am nächsten. Bei seiner Abkühlung unterbricht das Quecksilber plötzlich sein Fallen bei 855° – der Aufenthalt ar3 dauert bei diesem Wärmegrad ziemlich lange –, ebenso plötzlich setzt sich alsdann das Fallen der Temperatur weiter fort. Eine stufenweise Hemmung des Temperaturfallens beginnt zum zweiten Male bei 750°, erreicht ihr erstes Hauptmaximum zwischen 737 und 730°, ihr zweites zwischen 708 und 702°, und endet bei etwa 690°. Die letzte Verspätung ar1 zeigt sich bei etwa 660°, sie ist kaum bemerkbar und könnte als Experimentirfehler aufgefasst werden, träte sie nicht ansehnlich vergrössert auch beim Stahl in Erscheinung. Die Abkühlung der Probe 2 – weiches, basisches Martineisen – zeigt drei stufenweise Unterbrechungen des Temperaturfalles: ar3 beginnt bei 845°, erreicht das Maximum zwischen 825 und 819° und endet bei 800°, ar2 ebenso bei 755 bis 736 bis 725 und 710°, endlich ar1 bei 680 bis 662 bis 655 und 645°. Beim harten basischen Bessemereisen (Probe 3) treten nur zwei Irritationen der Wärmeabnahme in Erscheinung: ar3–2 beginnt bei 780°, ist am grössten zwischen 721 und 715° und endet bei 690°; an ebenso bei 680 bis 660 bis 640°. Bei Probe 4 – ziemlich weicher, saurer Martinstahl – wird eine gradweise Wärmeabnahme und ein Stillstand derselben ermittelt: die erstere, ar3–2, beginnt bei ungefähr 750°, erreicht ihr Maximum zwischen 700 und 690° und endet im Stillstande ar1 bei 661°. Eine unbedeutende Verlangsamung der Temperaturabnähme \frac{a_{r3}}{m} bei etwa 860° veranschaulicht die bei hartem Tiegelstahl sich ergebende Curve; dieselbe ist als zufällig entstanden zu betrachten. Die Kennzeichnung für diesen Stahl ist eine einzige langdauernde Unterbrechung ar3–2–1 bei 674°. Vor und nach dem Stillstande beginnt die Abnahme der Schnelligkeit der Erkaltung bei 720° und endet bei 645° (Probe 5). Die Erstarrungstemperatur des weissen Roheisens (Probe 6) beträgt 1085°. Die kritischen Punkte des Stahls werden hier durch einen einzigen Stillstand \frac{a_{r3-2-1}}{m} vertreten bei 695°, die Verlangsamung der Temperaturabnahme hebt an bei 710° und schliesst bei 660°. Ein Blick auf die Curven der Tafel 1, welche die Resultate der bisher behandelten Proben graphisch dem Auge vorführen, ergibt, dass ar1 von nahezu Null beim elektrolytischen Eisen mit dem steigenden Kohlegehalte des Eisens bis zum härtesten Stahl ununterbrochen wächst. Daraus erhellt, dass a1 eine Function des Kohlegehaltes ist, die man ohne weiteres mit der 1873 von Barrett entdeckten „Recalescenz“ identificiren kann. In den bisher behandelten Experimenten trat indessen nicht wie bei den Barrett'schen eine Temperatursteigerung in Erscheinung, es fand vielmehr nur eine kürzere oder längere Sistirung bezieh. Verlangsamung der Temperaturabnahme statt. Diesem Unterschiede ist keine Bedeutung beizumessen, denn derselbe Stoff kann je nach der Schnelligkeit der Abkühlung einerseits und der Wärmeentbindung andererseits, die sich mehr oder minder verlängert, sowohl eine Wärmesteigerung, einen Stillstand oder eine Verlangsamung der Wärmeabnahme zeigen. Die Veranlassung der Wärmeentwickelung bei ar1 ist leicht klarzustellen. Brinell's Untersuchungen haben nachgewiesen, dass die Kohle im Stahl bei ar1 übersteigenden Temperaturen als Härtekohle vorhanden ist, bei niedrigeren aber als Cementkohle. Die Wärmesteigerung ar1 repräsentirt somit die Umsetzung der Härtekohle in Cementkohle, die von einer gewaltsamen Wärmeentwickelung begleitet wird. Durch Untersuchungen Dr. Müller's, Frederick Abel's, Deering's, Osmond's und Werth's ist ferner bekannt, dass Cementkohle – auch Carburetkohle genannt – wahrscheinlich nach der Formel Fe3C eine Verbindung mit dem Eisen eingeht. Minder sicher ist die Kenntniss des Zustandes der Härtekohle, anscheinend besteht sie aus freier im Eisen aufgelöster Kohle, möglicher Weise auch aus Kohlenwasserstoff. Die Recalescenz kann deshalb deutlicher definirt werden als Entbindung von Wärme, welche die Recalescenz veranlasst, als Resultat einer chemischen Verbindung von Eisen und Kohle; dem entgegengesetzt entspricht die bei der Erhitzung stattfindende Wärmeaufnahme ar1 der Zerlegung des Carburets Fe3C, welche Verbindung bei niedriger Temperatur unverändert bleibt. Auf dieselbe Weise verbinden oder zerlegen sich Kohlensäure und Kalk, je nachdem die Temperatur höher oder niedriger ist als die Zertheilungstemperatur des Calciumcarbonats. Diese Erklärung, welche mit der von Abel gegebenen sich deckt, stellt die Verbindungen von Kohle und Eisen unter die gewöhnlichen chemischen Gesetze. Wenn dagegen, wie mit Caron allgemein angenommen wird, die Verbindung der Härtekohle mit dem Eisen eine innigere sein sollte, als die der Cementkohle mit demselben, so müsste die Wärmeaufnahme durch das bei hohen Temperaturen unveränderliche Carburet hervorgerufen werden. Dies gehörte dann zu den explosiven Stoffen und die Recalescenz würde einer der oben gegebenen entgegengesetzten Veranlassung ihre Entstehung verdanken. Die Verbindung freien Eisens mit freier Kohle kann einigermassen paradox erscheinen; aber Kohle in Form von Härtekohle ist bei hoher Temperatur ganz etwas anderes als Kohle in polymerischen Verbindungen, mit denen man bei gewöhnlichen Temperaturen sich zu beschäftigen gewöhnt ist. In ersterer Form besitzt sie eine ganz besondere chemische Activität, welche ihre Verbindung nicht allein mit Eisen, sondern auch mit Wasserstoff und Stickstoff ermöglicht (Annales de Chimie et de Physique, 5. Serie T. XXIII). Es sei bemerkt, dass die Bedeutung des Stadiums ar1 vom weichsten Eisen bis zum härtesten Stahl stark zunimmt, von da bis zum weissen Roheisen aber wieder sich abschwächt; daraus geht hervor, dass der grösste Theil der Kohle in letzterem vor und nach dem Durchgange der Abkühlung durch dieses Stadium unverändert bleibt. Ist sie nun als Härtekohle vorhanden, die auch im erkalteten Roheisen angetroffen wird, oder bleibt die Cementkohle des Roheisens auch bei hohen Temperaturen mit diesem in Verbindung? Das erstere ist richtig, wie die Untersuchungen Werth's nach Weyl's Verfahren bei jenem weissen Roheisen beweisen, bei dem der verbliebene Rückstand nur wenig Eisencarburet enthielt. Ausserdem verwandelt sich in sehr reinem, hochgekohltem Roheisen ein Theil der Härtekohle leicht in Graphit, sobald dasselbe über seinen Schmelzpunkt erhitzt und recht langsam abgekühlt wird. Auch im Stahl tritt die Kohle nie ausschliesslich in einer ihrer beiden Formen auf; dies ist vielleicht dadurch bedingt, dass die Abkühlung niemals weder unendlich gross, noch unendlich klein ist, und durch das Medium, in welchem die Reactionen vor sich gehen. Es scheint thatsächlich annehmbar, dass die Molekularbewegung in einem festen Körper sehr begrenzt sei und dass nicht alle Atome der Kohle mit den zu ihrer Verbindung nöthigen Eisenatomen in Berührung kommen können. Der Wärmegrad, bei dem diese Verbindung statthat, steigt langsam im Verhältniss, wie der Kohlegehalt des untersuchten Met alles grösser wird. Die Lagen des Maximums ar1 sind folgende: bei elektrolytischem Eisen 660° weichem Martineisen 662 bis 655° hartem Eisen 660° ziemlich weichem Stahl 661° hartem Stahl 674° weissem Roheisen 695°. Gleichwohl ist es möglich, dass die Verbindungstemperatur, vom theoretischen Standpunkte aus betrachtet, constant bleibt, die Reaction aber in Folge der Geringfügigkeit der Kohlenmenge in praxi verzögert wird. Im elektrolytischen Eisen entstehen während der Abkühlung zwei abnorme Wärmeentwickelungen. Die eine ar3 beginnt und endet plötzlich unter Veranlassen einer ziemlich langen Unterbrechung des Quecksilberfallens bei 855°; die andere ar2 ist weniger bestimmt und ohne scharfe Grenzen, sie dauert von 750 bis 690° und hat zwei verschiedene Maxima. Dieselben kritischen Punkte finden sich beim weichen Martineisen; ar2 behält seine Lage und seinen Charakter bei, ar3 aber ist verändert zu stufenweiser Verzögerung zwischen etwa 845 und 800°, sein Maximum liegt bei 820°. Beim harten Eisen liegt ar3 bei noch tieferer Temperatur und verschmilzt mit ar2 zu gradweiser Abnahme ar3–2. Es lässt sich durch Messungen der Curven leicht nachweisen, dass die Menge der frei gewordenen Wärme bei ar3–2 bei hartem Eisen, praktisch gesprochen, ungefähr gleich gross ist, wie die Summe der bei ar3 und ar2 beim weichen Martineisen entbundenen. Auch beim ziemlich weichen Stahl fährt das zweifache Stadium ar3–2 fort zu fallen. Sein Maximum liegt zwischen 700 und 690°, ist aber noch scharf getrennt von ar1; der Schluss der Abnahme fällt damit zusammen. Im harten Stahle endlich fallen alle kritischen Punkte zusammen zu ar3–2–1 bei 674°. Aus allem diesen ist zu schliessen, dass, im selben Verhältnisse wie der Kohlegehalt wächst, ar3 schnell fällt und sich mit ar2 vereint, wonach der Doppelpunkt ar3–2 sich regelmässig senkt und endlich mit ar1 sich vereint. Die graphischen Darstellungen der Curven auf Blatt 1 zeigen deutlich diesen Verlauf. Da der Punkt ar3 um so mehr individualisirt ist, je reiner das Eisen, so entspricht das Stadium ar3 sichtlich einer molekularen Modifikation beim Eisen; mit anderen Worten: „das Eisen ist gleich Schwefel, Kiesel u.s.w. ein polymorpher Stoff.“ Es ist schwer zu sagen, in wieweit ar2 eine zweite bestimmte molekulare Modifikation von ar3 ist oder ob es nur als Schluss von ar3 anzusehen, verzögert durch Anwesenheit von ein wenig Kohle. Letzteres scheint wahrscheinlich, weil die am besten bekannten Molekularveränderungen bei scharf bestimmter Temperatur stattfinden, was nicht der Fall ist mit ar2, weil die Gegenwart genügender Kohle ar3 als selbständig verschwinden lässt und so eine geringere Menge natürlich wohl theilweis dieselbe Wirkung übt, da die Kohle in der ganzen Metallmasse nur ungleichmässig vertheilt ist, das Eisen in Folge dessen als eine Mischung von reinem Eisen mit Stahl angesehen werden muss und weil die Curve der thermoelektrischen Kräfte des Eisens im Vergleiche zu der der Kohle keinen bestimmten Punkt bei a2 feststellt. Keiner dieser Gründe ist jedoch ausschlaggebend und es bleibt lediglich wahrscheinlich, dass ar2 der verzögerte Abschluss von ar3 sei. Bis dies widerlegt, ist anzunehmen, dass Eisen bei ar2 die Molekularform a hat, bei einer ar3 entsprechenden Temperatur aber in die allotropische Form β übergeht. Zwischen ar2 und ar3, wenn beide deutlich sind, ist das Metall eine Mischung der Varietäten von α und β. Kohle in Form von Härtekohle beharrt im Eisen in β-Form bei langsamer Abkühlung herab bis zu einer Temperatur, welche umgekehrt proportional ist zum Kohlegehalt des Metalls. Es erhellt, dass die von verschiedenen Forschern beobachteten plötzlichen Veränderungen der physischen Eigenschaften von Eisen und Stahl mit einem der kritischen Punkte a1, a2 und a3 in Zusammenhang stehen. So sind Gorc's Phänomen und Barrett's „Recalescenz“ völlig identisch mit ar1 oder mehr verallgemeinert mit dem dreifachen Punkte ar3–2–1. Pionchon fand bei seinen Untersuchungen der specifischen Wärme des Eisens die zwei Punkte ar2 und ar3 im Handelseisen und in Eisen reducirt in Wasserstoffgas; er legte seinen Punkt a3 aber zwischen 1000 und 1050°, d.h. um etwas zu hoch. Hopkinson's Untersuchungen der magnetischen Eigen: Schäften von Eisen und Stahl identificiren in höchst befriedigender Weise den Eintritt bezieh. das Verschwinden der magnetischen Eigenschaften mit dem Punkte a3, wenn derselbe isolirt steht, mit dem vervielfachten, welcher a3 enthält, wenn letzterer nicht selbständig ist. Le Chatelier wies nach, dass a3 zusammenfällt mit der plötzlichen Abweichung in der Lage der Ausdehnung bei weichem Eisen. Derselbe Beobachter fand als Functionen der Temperatur zwei bemerkenswerthe Punkte in den Curven, welche den elektrischen Widerstand beim Stahl graphisch zur Anschauung bringen, und der Vortragende fand bei Erneuerung der Experimente Tait's in seinen Probestücken, dass die thermoelektrische Kraft des Eisens ein eigenthümliches Stadium durchläuft bei a3 beim weichen Eisen und bei ar3–2–1 beim harten Stahl. Der grössere Theil aller früher in dieser Richtung abgeführten Versuche stimmt also damit überein. Wenn es dann noch unter den bekannt gegebenen einige andere gibt, die dem anscheinend widersprechen, so ist zu hoffen, dass alle Schwierigkeiten verschwinden werden, sobald die zahlreichen Ursachen der Verschiebung der kritischen Punkte besser gekannt sind und sobald die Temperaturen durch solche Methoden nachgewiesen wurden, welche eine Vergleichung erlauben. (Schluss folgt.)