Titel: Entgegnung auf Knapp's Glossen zur Theorie der Gerberei.
Autor: v. Schroeder, J. Pässler
Fundstelle: Band 287, Jahrgang 1893, S. 43
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Entgegnung auf Knapp's Glossen zur Theorie der Gerberei. Von Prof. Dr. v. Schroeder und Dr. J. Pässler in Tharand. Entgegnung auf Knapp's Glossen zur Theorie der Gerberei. Vor einiger Zeit brachte in dieser Fachschrift F. KnappD. p. J. 1892 28693. einen Artikel, in welchem er die von uns veröffentlichte Arbeit „Ueber die Gerbstoffabsorption der Haut“D. p. J. 1892 284256. 283. einer Kritik unterzog und dabei zu dem Resultate kam, dass die von uns erhaltenen Ergebnisse auf falsche Untersuchungsmethoden und „irrige Voraussetzungen“ zurückzuführen seien. Wir sind erst einige Zeit nach dem Erscheinen in den Besitz der Knapp'schen Glossen gelangt und kommen deswegen erst jetzt dazu, uns gegen die angeführten Einwände auf das Entschiedenste zu verwahren. Dieselben sind vollständig unbegründet und können nur in Folge einer ungenügenden Kenntnissnahme unserer Arbeit entstanden sein. Die folgenden Zeilen sollen dazu dienen, die Knapp'schen Einwände zu widerlegen und uns vor dem Vorwurfe zu rechtfertigen, dass unsere Resultate durch Anwendung falscher Untersuchungsmethoden und durch Annahme „irriger Voraussetzungen“ erhalten worden seien. Wir fanden, dass thierische Haut aus Tanninlösungen, welche eine bestimmte Concentration überschreiten, weniger Tannin zu absorbiren vermag als aus verdünnteren. Mehrere Versuchsreihen hatten nämlich ergeben, dass bei Behandlung von gemahlener Haut mit Tanninlösungen mit Zunahme der Concentration zunächst wohl die Menge des absorbirten Tannins steigt, bis schliesslich ein Maximum erreicht wird; bei weitersteigender Concentration sinkt dagegen die Absorptionsfähigkeit wieder, bis sie zu einem constant bleibenden Minimum gelangt. Einer der Haupteinwände Knapp's richtet sich gegen dieses Resultat, welches er als das „Spiegelbild einiger irriger Voraussetzungen, von denen man bei der Methode der Versuche ausgegangen ist,“ bezeichnet. Er meint, ein derartiges Resultat wäre „unmöglich, gegen die Vernunft und mit den Thatsachen im Widerstreit, und die von uns gegebene Erklärung wäre sichtlich von der Noth abgerungen“. Knapp gibt auch eine Erklärung für die angebliche Unmöglichkeit und Unrichtigkeit unserer Resultate. Er sagt, wir hätten berücksichtigen müssen, dass die Haut noch Tanninlösung nach dem Abpressen aufgesaugt enthalte, welche eine andere Concentration, und zwar eine geringere als die abgepresste Lösung habe. Reimer, dessen mühevolle Arbeit uns sehr wohl bekannt ist, habe dies bei der Haut gegenüber Alaun- und Kochsalzlösung nachgewiesen. Die Vernachlässigung dieser Thatsache sei die Ursache unserer nach seiner Ansicht falschen Ergebnisse. Wir können recht gut den Beweis für die Richtigkeit unserer Resultate und Schlüsse antreten. Der Knapp'sche Einwand ist im Principe vollständig berechtigt. Bei näherer Betrachtung der Reimer'schen und unserer Versuche ergibt sich aber, dass dieselben nicht direct vergleichbar sind und dass bei uns die Vernachlässigung der erwähnten Thatsache durchaus nicht so grosse Fehler verursacht, wie Knapp glaubt. Reimer arbeitete mit kleinen Hautstückchen und mit verhältnissmässig wenig Gerbstofflösung. Nach Beendigung des Gerbeversuches blieb bei ihm in der Haut ein hoher Procentsatz der angewandten Flüssigkeit aufgesaugt zurück, welche durch Auspressen nicht verringert wurde. Schliesst man nun aus der Menge der abgegossenen Flüssigkeit und aus der Analyse derselben auf den Gehalt der ganzen Flüssigkeit, so musste, da die von der Haut zurückgehaltene Lösung wesentlich anders zusammengesetzt ist als die umgebende, bei den von Reimer angewandten geringen Mengen ein bedeutender Fehler begangen werden. Reimer arbeitete meist mit Hautstückchen von etwa 6 bis 7 g Trockengewicht, welche in dem Zustande, in dem sie in die Gerbeflüssigkeit gelangten, etwa 15 bis 17 g Wasser aufgesogen hatten, und brachte dieselben in den meisten Fällen in 50 cc seiner Salzlösungen. Ganz anders war es bei uns. Wir arbeiteten stets mit 4,1150 g Hautpulver (Trockensubstanz) und 500 cc Tanninlösung von wachsender Concentration. Nach erfolgter Absorption wurde das Hautpulver durch ein Leinenfilter abfiltrirt und in demselben mit den Händen stark ausgedrückt, so dass dasselbe möglichst wenig Lösung zurückbehielt. Wie thatsächlich ausgeführte Versuche ergeben haben, waren aus dem erhaltenen tanninhaltigen Hautpulver höchstens 6 bis 7 g Wasser nicht durch Auspressen zu entfernen, also verhältnissmässig wenig im Vergleiche zu der abfiltrirten Flüssigkeit. Während also bei Reimer bei Beendigung des Gerbeversuches etwa 25 Proc. des Volumens der angewandten Gerbstofflösung in der Haut aufgesaugt blieben, wurden bei uns nur 1 bis 1,5 Proc. derselben von der Haut zurückbehalten, woraus doch deutlich zu ersehen ist, dass die Reimer'schen und die unsrigen Resultate nicht direct vergleichbar sind. Wir waren uns des Fehlers, der durch Vernachlässigung obiger Thatsache entsteht, sehr wohl bewusst, waren aber auch sicher, dass derselbe nicht so gross war, dass er unser Gesammtresultat hätte nachtheilig beeinflussen können, weswegen wir von einer Correction und Eliminirung desselben bei der Eindampfungsmethode ganz absahen. Um die Haltlosigkeit der Knapp'schen Einwände und Vorwürfe vollständig darzuthun, wollen wir in Folgendem die Tabelle IV A unserer Arbeit mit Berücksichtigung der Fehlerquelle und unter Annahme der denkbar ungünstigsten Umstände wiedergeben. Tabelle IV A enthielt die Resultate der neun Versuche, bei welchen je 5 g lufttrockenes Hautpulver (= 4,1150 g Trockensubstanz) mit 2, 3, 5, 10, 15, 20, 25, 30, 35 g lufttrockenem Tannin auf je 500 cc Wasser gelöst einen Tag lang unter öfterem Umschütteln digerirt wurde. Wir wollen voraussetzen, dass die abgepresste Haut 10 cc Lösung nach dem Pressen aufgesaugt behält – also etwa 50 Proc. mehr, als es thatsächlich der Fall ist – und dass diese Lösung vollständig tanninfrei sei, was in Wirklichkeit sicher nicht der Fall ist. Wir haben also die Fehler, die unserer Methode vorgeworfen worden sind, möglichst gross angenommen und diese Maximalfehler dann bei der Rechnung berücksichtigt. Das Resultat derselben ersieht man aus folgender Tabelle: I II III IV V VI VII VIII IX g g g g g g g g g Tannin auf 500 cc   Wasser gelöst lufttrockenabsolut trocken und   aschefrei   2,0000  1,7424   3,0000  2,6136   5,0000  4,3560 10,0000  8,7120 15,000013,0680 20,000017,4240 25,000021,7800 30,000026,1360 35,000030,4920 Nach dem Umschütteln sind in 490 cc noch    Tannin (absolut trocken und aschefrei)   0,3594   0,6161   1,4161   5,2807   9,7520 14,2918 18,9728 23,2848 27,6654 Von der Blösse sind an Tannin absorbirt   1,3830   1,9975   2,9399   3,4313   3,3160   3,1312   2,8072   2,8512   2,8266 100 Th. Blösse (absolut trocken und asche-   frei) absorbiren Tannin (absolut trocken   und aschefrei) 33,6 48,5 71,5 83,4 80,6 76,1 68,2 69,3 68,7 Aus dieser Tabelle ist ganz deutlich zu ersehen, dass mit Berücksichtigung der von Knapp angeführten Fehlerquelle die absoluten Zahlen wohl etwas anders ausfallen als die seiner Zeit von uns angegebenen, dass aber das Gesammtresultat vollauf bestehen bleibt. Es sei hierbei nochmals bemerkt, dass die Fehlerquelle zum Beweise der Richtigkeit gegenüber den Knapp'schen Einwänden möglichst gross – grösser als es in der That der Fall ist – angenommen wurde. Wir fassen das Gesammtresultat nochmals mit den Worten zusammen: Die Menge des Tannins, welche Haut aus seinen Lösungen zu absorbiren vermag, ist vollständig von der Concentration abhängig. Es gilt dabei aber nicht, dass die absorbirte Menge in derselben Weise zunimmt wie die Concentration, sondern es erfolgt nur im Anfange mit steigender Concentration eine Zunahme bis zu einem Maximum, dann zeigt sich wieder eine Abnahme, welche schliesslich in ein Minimum übergeht, das constant bleibt. Wir sehen also, dass diese höchst merkwürdige Erscheinung „Thatsache“ ist; dieselbe steht auch nicht im geringsten Widerspruche mit der Praxis, wie Knapp) meint, sondern in vollständigem Einklange mit derselben, wie jeder weiss, der mit der Praxis einigermaassen in Berührung gekommen ist. Die von uns dafür gegebene Erklärung, dass die mit Hilfe concentrirter Gerbstoffbrühen erhaltene Gerbung nur eine oberflächliche sei und dass die vollständig gegerbte Oberfläche die innen gelegenen Hauttheilchen vor weiterer Gerbung schütze, ist durchaus nicht „von der Noth abgerungen“ und steht nicht „mit den Thatsachen im Widerstreit“. In unrationell betriebenen Gerbereien kommt es nicht selten vor, dass man anfangs mit allzu starken Brühen gerbt. Das bekannte Resultat derartigen Verfahrens ist, dass so behandelte Häute nie vollständig gar zu bekommen sind und dass man ausserdem auf diese Weise stets ein sehr schlechtes Rendement erzielt. Dies dürfte wohl der beste Beweis für die Richtigkeit unserer Deutung der auffallenden Thatsache sein. Einen weiteren Einwand macht Knapp, indem er das Einrühren des erzeugten Leders auf einige Augenblicke in Wasser verwirft. Wir stimmen vollständig mit Knapp überein, dass die Behandlung mit Wasser, besonders bei der stark durchgegerbten Haut, leicht grosse Fehler verursachen kann. Bei genauer Durchsicht unserer Arbeit wird man finden, dass das Vertheilen des Leders auf wenige Augenblicke in Wasser nur bei der ersten Versuchsreihe, also nur bei den schwächeren Concentrationen, stattgefunden hat und daselbst, wie durch Gegenversuche nachgewiesen worden ist, keine Fehler hervorgebracht hat. Bei den späteren Versuchsreihen ist die Behandlung mit Wasser unterlassen worden, was in unserer Arbeit ausdrücklich mit den Worten hervorgehoben ist: Das nach dem Schütteln sorgfältigst ausgepresste Leder wurde nicht mit Wasser zur Entfernung des in Lösung befindlichen Tannins behandelt, sondern sofort gewogen, bis zur Gewichtsconstanz getrocknet und wieder gewogen u.s.w. Diese Angaben dürften wohl genügen, den Knapp'schen Vorwurf als unberechtigt hinzustellen. Die Richtigkeit unserer Resultate geht auch aus den Ergebnissen der Stickstoffbestimmungsmethode hervor. Bei der Zusammenstellung der Resultate derselben haben wir in den verschiedenen Tabellen (B) unter a) die Menge des absorbirten Tannins mit Berücksichtigung desjenigen Tannins, welches dem Leder durch Eintrocknen der imbibirten Lösung anhaftet, unter b) ohne Berücksichtigung desselben, angegeben. Im ersteren Falle haben wir die anhaftende und die abgepresste Lösung als gleich concentrirt angenommen, also damit einen Fehler begangen, wodurch nach Knapp unsere falschen Zahlen entstanden sind. Im zweiten Falle haben wir die anhaftende Lösung als tanninfrei betrachtet und so die Absorptionszahlen berechnet. Wir finden nun, dass wir aus den beiden, unter verschiedenen Annahmen erhaltenen Zahlenreihen vollständig gleiche Schlüsse ziehen können. Da die Wahrheit – die anhaftende Lösung ist weder tanninfrei, noch besitzt sie die gleiche Concentration der abgepressten Lösung – in der Mitte liegt, so folgt nothwendig daraus, dass unsere Schlüsse, welche wir aus unseren Zahlen gezogen haben und die weiter oben nochmals ausführlich angeführt sind, durchaus gerechtfertigt und richtig sind. Knapp bemängelt ferner die beiden von uns gestellten Fragen, ob die Aufnahme des Tannins durch die Haut eine Grenze hat und auf welche Weise diese Grenze am besten zu erreichen ist, und meint, dass es müssig wäre, eine Wahrheit erst experimentell beweisen zu wollen. Allerdings erschien uns eine ins Grenzenlose fortgehende Aufnahme ebenfalls a priori unmöglich; uns kam es namentlich darauf an, diese Grenze wirklich in Zahlen festzustellen, was durch unsere Versuche auch vollständig gelungen ist. Die Beantwortung der zweiten Frage ist aber durchaus keine müssige, da es für den Praktiker ausserordentlich wichtig ist, zu wissen, wie viel Gerbstoff er in die Haut bringen kann; denn je mehr Gerbstoff die Haut aufgenommen hat, desto günstiger ist das Rendement des Gerbers. Man ist in der Lage, aus der Analyse, namentlich aus dem Stickstoffgehalte des Leders, zu beurtheilen, ob der Gerber bei seinen Ledern ein gutes oder schlechtes Rendement erzielt hat, ob er die obenbezeichnete Grenze nahezu oder nicht im entferntesten erreicht hat. Eine grössere Anzahl – über 100 – im hiesigen Laboratorium ausgeführte Analysen bestätigt vollständig, dass eine gewisse untere Grenze im Stickstoffgehalte des Leders nie überschritten wird, dass also niemals mehr als eine begrenzte Menge Gerbstoff von den Häuten aufgenommen wird. Knapp beanstandet die zur Beantwortung der gestellten Fragen ausgeführten beiden Versuchsreihen und fordert, dass „vor allen Dingen ein Gegenversuch erforderlich gewesen wäre, wobei die Haut mit Uebergehung der schwächeren Lösung unmittelbar in die stärkste gebracht worden wäre“. Wenn man unsere Arbeit durchgelesen hat, so findet man, dass dieser Vorwurf ungerechtfertigt ist. Aus unseren Untersuchungen geht doch klar und deutlich hervor, dass man durch einmalige Behandlung von Haut mit Tanninlösungen der verschiedensten Concentration die Haut nicht mit Tannin sättigen kann. Die von Knapp geforderten Gegen versuche sind in der That ausgeführt worden und ersichtlich, wenn man sich bemüht, einen Blick in Tabelle IV zu thun. Der letzte Absatz in Knapp's Glossen ist etwas unklar abgefasst, so dass wir nicht sicher sind, den Verfasser richtig verstanden zu haben. Knapp meint wohl, dass in unserer ersten Versuchsreihe (Tabelle V) im dritten Bade ebenso viel Tannin aufgenommen worden ist als im dritten Bade der zweiten Versuchsreihe (Tabelle VI). Dies ist aber thatsächlich nicht der Fall, denn bei der ersten Versuchsreihe sind im dritten Bade von 100 Th. Blösse 90,8 minus 80,5 = 10,3 Th. Tannin und im dritten Bade der zweiten Versuchsreihe 89,4 minus 67,2 = 22,2 Th. Tannin absorbirt worden. Es ist doch entschieden, namentlich für die Praxis, ein sehr wichtiges Resultat, dass man mit verschiedenen Gerbstoffmengen einen gleichen Grad der Durchgerbung erzielen kann. Wir bekommen z.B. ein gleich durchgegerbtes Leder, gleichgültig ob wir die Haut einbringen auf einander folgend in drei Tanninlösungen mit je 5 g, also in Summa 15 g, oder in drei Tanninlösungen, die 2, 3 und 5 g, in Summa 10 g enthalten. Wir fassen unsere Resultate, deren Richtigkeit durch Knapp's Glossen über die Theorie der Gerberei durchaus nicht in Frage gestellt ist, nochmals zusammen: Das Absorptionsvermögen der Haut gegenüber Tannin hat eine Grenze, die aber nicht durch eine einmalige Behandlung der Haut mit einer Tanninlösung von bestimmter Concentration erreicht werden kann, sondern es ist unbedingt nothwendig, die Haut wiederholt in Tanninlösungen zu bringen, wobei zu beachten ist, dass jede folgende concentrirter sein muss, als die vorhergehende beim Herausnehmen der Haut ist. Haut, welche als vollständig durchgegerbt betrachtet werden soll, muss ungefähr ihr gleiches Gewicht an Gerbstoff aufnehmen: die fertige, reine Ledersubstanz muss demnach aus annähernd gleichen Theilen Hautsubstanz und Gerbstoff bestehen. Mithin muss ein vollständig durchgegerbtes Leder nach Abzug von Wasser, Asche, etwa beigebrachtem Fett und betrügerischen Zusätzen – also die eigentliche Ledersubstanz – einen Stickstoff geholt von etwa 8,90 bis 9,10 Proc. besitzen. Am Schlusse unserer Entgegnung auf Knapp's Kritik unserer Arbeit müssen wir noch erwähnen, dass wir dankbar sind, wenn man uns auf Irrthümer, die uns unterlaufen sollten, aufmerksam macht und dass wir unsere Arbeiten gern einer Kritik unterziehen lassen; wir müssen aber sehr darum bitten, dass der betreffende Kritiker dies erst nach genügender Einsicht und Kenntnissnahme der Arbeiten ausführt, damit in Zukunft derartige Entgegnungen, wie wir sie heute bringen mussten, unterbleiben können.