Titel: Selbstentzündung der Seide.
Autor: Ed. Hanausek
Fundstelle: Band 288, Jahrgang 1893, S. 190
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Selbstentzündung der Seide. Von Prof. Ed. Hanausek. Selbstentzündung der Seide. Die Selbstentzündung der geschmälzten Wolle in Fabriken ist eine allgemein bekannte Thatsache. Ob ähnliche Erscheinungen in Betrieben mit thierischer Seide eine gleiche Häufigkeit zeigen, dürfte einigem Zweifel begegnen. Nachdem mir in dieser Richtung ein eigenthümlicher Fall von einem meiner ehemaligen Schüler, jetzt Inspector einer Versicherungsgesellschaft, mitgetheilt wurde, so möchte ich in Kürze die thatsächlichen Umstände hier wieder geben. In einer Seidentricotfabrik war vor einigen Wochen in der Trockenstube ein Brand ausgebrochen. Bei der Schadenserhebung konnte damals die Ursache des Brandes nicht ermittelt werden. Man nahm an, dass von dem Trockengute etwas auf das Heizrohr fiel und so der Brand entstand. Nach kurzer Zeit brach in derselben Fabrik neuerlich ein Brand aus, diesmal in der Appretur. Nachdem das betreffende Local weder beheizt, noch beleuchtet wird, in der Fabrik strenges Rauchverbot besteht, weiter nach mit der erzeugten Waare angestellten Versuchen sich ergeben hat, dass die Waare nur insolange brannte, als dieselbe mit einer Flamme in Berührung stand, so war die Entstehung des Brandes vorerst räthselhaft. Eine weitere Verfolgung der technischen Untersuchung brachte aber für beide Brände die entsprechende Aufklärung. Das zur Fabrikation nöthige Garn (Seide) wird fertig bezogen, aufgespult und auf Strick- und Wirkmaschinen verarbeitet, eine Schmälzung der Garne wird hierbei nicht vorgenommen. Auf den Strickmaschinen werden schlauchartige Stücke von 25 m Länge erzeugt und der gewöhnlichen Appretur unterworfen. Die benutzten Seidengarne sind aus Floretseide und Bouretteseide. An dem kritischen Tage (Abendsvor dem Brande) wurden gegen Schluss der Arbeit noch zehn Stücke à 25 m, theils aus Floretseide, theils aus Bouretteseide erzeugt, aus der Trockenkammer entnommen, und, weil spät an der Zeit, nicht mehr, wie üblich, aufgewickelt, sondern auf den Tisch der Wickelmaschine in Haufen zusammen geworfen. Am nächsten Tage fand der Werkmeister diesen Raum mit dichtem Rauche erfüllt, und entdeckte, dass die auf Haufen geschichteten Seidenzeuge brannten. Die Besichtigung des Brandortes ergab, dass die oben liegenden Stücke nur theilweise verbrannt und der obere Theil der Wickelmaschine ganz unbeschädigt war. Gegen den Fussboden hin waren die einzelnen Stücke nur mehr am Rande zu erkennen, in der Mitte war alles verkohlt. Der Brand wirkte von oben nach unten. Bekanntlich verlangen die ungewaschenen Stücke aus Bouretteseide bis nach dem Waschen eine besondere Vorsicht in der Behandlung. Diese Seide wird als Abfallseide vor dem Verspinnen gefettet. Werden nun Gewebe aus solchem Garne in feuchtem Zustande in Haufen gelegt, so kann durch die Schwere (hier hatte das Stück ein Gewicht von 8 k) eine Verdichtung, dadurch eine chemische Veränderung eintreten, wobei Wärme frei wird, und diese eine Verkohlung einleiten, wobei keine Flammenentwickelung stattfinden muss. Es liegen mir solche Brandreste vor, welche die bezeichnete typische Verkohlung erkennen lassen. Laboratorium für Waarenkunde an der Wiener Handels-Akademie.