Titel: Untersuchungen über die Bildung der Farblacke.
Autor: Carl Otto Weber
Fundstelle: Band 289, Jahrgang 1893, S. 187
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Untersuchungen über die Bildung der Farblacke. Von Dr. Carl Otto Weber. (Fortsetzung des Berichtes S. 160 d. Bd.) Untersuchungen über die Bildung der Farblacke. II. Lackbildung in der Carboxylgruppe. Wie bereits erwähnt, kann die Carboxylgruppe CO.OH in Farbstoffen nur in Gegenwart einer oder mehrerer Hydroxyl- oder Amidogruppen vorkommen. Sie ist also, wie die weiter unten zu besprechende Sulfogruppe, kein Chromogen, wohl aber in Folge ihrer hervorragenden salzbildenden Eigenschaften eine lackbildende Gruppe von erheblicher Bedeutung. In gewisser Beziehung besitzt sie noch den Charakter einer organischen Hydroxylgruppe, die vom Kern der Farbstoffe durch Carbonyl CO getrennt ist. Die Carboxylgruppe besitzt daher eine Doppelfunction, erstens, indem sie als unabhängige lackbildende Gruppe von erheblicher Energie auftritt, und zweitens, indem sie ausserdem in Gegenwart anderer Hydroxylgruppen deren Lackbildungsfähigkeit unter gewissen Umständen wie eine Hydroxylgruppe beeinflusst, so dass, wo eine Carboxylgruppe sich in einem Farbstoff in Orthostellung zu einer Hydroxylgruppe befindet, ein solcher Farbstoff lackbildende Eigenschaften desselben Grades wie die vorbesprochenen Orthodihydroxylfarbstoffe besitzt. Wir haben daher folgende Combinationen lackbildender Gruppen in einem Farbstoffmolekül in Betracht zu ziehen: 1) \mbox{M}\left<{{\mbox{OH}_{[3]\mbox{ oder }[4]}}\atop{\mbox{CO.OH}_{[1]}}\ \ \ \ \ } 2) \mbox{M}\left<{{\mbox{OH}_{[2]}\ \ \ \ \ }\atop{\mbox{CO.OH}_{[1]}}} 1) \mbox{M}\left<{{\mbox{NH}_2\ \ \ }\atop{\mbox{CO.OH}}} 4) Befindet sich wie in 1) die Hydroxylgruppe in Meta- oder Parastellung zur Carboxylgruppe, so ist nur die letztere lackbildungsfähig. Doch lassen sich aus solchen Farbstoffen nur sehr schwierig brauchbare Lacke erzielen, dieselben sind gewöhnlich sehr stumpf. Es muss übrigens bemerkt werden, dass Farbstoffe dieser Constitution im Handel nicht vorkommen. Ich habe einen derartigen Farbstoff hergestellt durch Combination von Diazobenzolcblorid (Anilin diazotirt) mit m-Oxybenzoesäure \mbox{C}_6\mbox{H}_5\,.\,\mbox{N}=\mbox{N}\,.\,\mbox{C}_6\mbox{H}_3\left<{{\mbox{OH}_{[3]}\ \ \ \ \ }\atop{\mbox{CO.OH}_{[1]}}} Der Farbstoff (gelb) ist sehr schwer löslich in verdünnten Alkalien und liefert auf Wolle im schwach sauren Bade oder auf chromgebeizter Wolle nur sehr schwache und trübe Ausfärbungen, die schon durch massiges Seifen fast vollständig abgezogen werden. Wird zur Bildung des Farbstoffes anstatt Anilin Nitranilin verwendet, so gewinnt der Farbstoff, wie zu erwarten, an Glanz und Löslichkeit, ohne dass sich im Uebrigen seine Färbe- bezieh. Lackbildungseigenschaften verbesserten. Combiniren wir dagegen das diazotirte Anilin oder besser Paranitranilin mit o-Oxybenzoesäure (Salicylsäure) \mbox{C}_6\mbox{H}_5\,.\,\mbox{N}=\mbox{N}\,.\,\mbox{C}_6\mbox{H}_3\left<{{\mbox{OH}_{[2]}\ \ \ \ \ }\atop{\mbox{CO.OH}_{[1]}}} so erhalten wir einen Farbstoff, der sich von dem vorhergehenden lediglich durch die Orthostellung der Carboxyl- und Hydroxylgruppe unterscheidet. Aber dieser unbedeutende Unterschied in der Constitution ist von grösstem Einfluss auf die lackbildenden oder färbenden Eigenschaften dieses Farbstoffes. Derselbe bildet nun Thonerde- und Chromlacke, die an Echtheit denen der Alizaringruppe gleichkommen. Er ist, wie vorauszusehen, nicht im Stande, ungeheizte Wolle brauchbar zu färben, liefert aber auf chromgebeizter Wolle Färbungen von hervorragender Echtheit. Genau so verhalten sich alle Farbstoffe, welche die Carboxyl- und Hydroxylgruppe in Orthostellung enthalten, und ich habe gefunden, dass die zahlreichen direct färbenden Baumwollfarbstoffe, welche Salicylsäure als einen Componenten erhalten, ausnahmslos auf chromgebeizter Wolle Färbungen von ganz ausgezeichneter Echtheit liefern. Für die Darstellung von Lacken aus diesen Farbstoffen ist das Chromoxyd weitaus am geeignetsten, und werden die besten Resultate in Gegenwart geringer Mengen Kalk, also durch Bildung von Doppellacken erhalten. Farbstoffe, welche neben der Carboxylgruppe nur eine oder mehrere Amidogruppen enthalten, sind nicht sehr zahlreich und sie verhalten sich immer zunächst als schwache Säurefarbstoffe, d.h. ihre Carboxylgruppe ist immer lackbildungsfähig, während die Amidogruppe diese Eigenschaft zumeist gänzlich eingebüsst hat. Bei Gegenwart mehrerer Amidogruppen ist aber eine derselben fast immer lackbildungsfähig. Derartige Farbstoffe müssen daher zu Doppellacken einer Art führen, wie wir sie bisher noch nicht angetroffen haben. Dasselbe ist natürlich der Fall bei Farbstoffen, welche dem vierten der oben angegebenen Constitutionsschemen entsprechen, die also neben der Carboxyl- und Amidogruppe auch noch Hydroxylgruppen enthalten. Befindet sich keine der anwesenden Hydroxylgruppen in Orthostellung zur Carboxylgruppe oder zu einer zweiten Hydroxydgruppe, so verhält sich der Farbstoff bezüglich seiner Lackbildungsfähigkeit genau wie die dem dritten Constitutionsschema entsprechenden Farbstoffe. Sind aber Orthostellungen der soeben genannten Art vorhanden, so geben sich dieselben sofort wie bei den Alizarinfarbstoffen zu erkennen, und häufig ist auch die Amidogruppe noch lackbildungsfähig, obgleich es im Allgemeinen scheint, dass es zur Darstellung eines echten Lackes aus solchen Farbstoffen nicht nöthig ist, die beiden verschiedenen Lackbildungstendenzen derartiger Farbstoffe zu befriedigen. Charakteristisch für diese Art von Farbstoffen ist das Gallocyanin Textabbildung Bd. 289, S. 187 Die Dimethylamidogruppe im linken Ende dieser Formel besitzt ausgesprochenen Basencharakter. Wie ersichtlich, ist dieselbe salzbildungsfähig und deshalb auch lackbildungsfähig wie ein basischer Farbstoff. Die Carboxylgruppe im rechten Ende der Formel steht zu keiner der vorhandenen Hydroxylgruppen in Orthostellung, wohl aber existirt eine solche zwischen den beiden Hydroxylgruppen. Der Farbstoff ist daher ein Orthodihydroxylfarbstoff und besitzt die hohe Lackbildungsfähigkeit eines solchen. Ein anderer Farbstoff dieser Ordnung, das Azogrün Textabbildung Bd. 289, S. 187 besitzt auf der rechten Seite eine Carboxyl- und eine Hydroxylgruppe in Orthostellung, und ist deshalb im Stande, besonders mit Chromoxyd Lacke von grosser Echtheit zu bilden. Dagegen besitzt die in diesem Farbstoff im Triphenylmethanrest befindliche Amidogruppe nur in ganz, geringem Grade salzbildende und gar keine lackbildenden Eigenschaften. Es muss daher hier noch unentschieden bleiben, in wie weit lackbildende Gruppen von secundärer Bedeutung neben der Hauptgruppe mit zur Lackbildung herangezogen werden können oder müssen, um die bestmöglichen, d.h. echtesten und schönsten Lacke zu erzielen. III. Lackbildung in der Sulfogruppe. Die Sulfogruppe ist wie die Carboxylgruppe kein Chromogen und ihre Anwesenheit in Farbstoffen ist nur möglich in Gegenwart von Amido- oder Hydroxylgruppen. Durch den Eintritt der Sulfogruppe in das Molekül werden alle Farbstoffe in sehr starke Säuren verwandelt und in ihrem Lackbildungs- bezieh. Färbevermögen ganz erheblich modificirt. Wie aus dem Nachstehenden hervorgeht, muss bei Sulfofarbstoffen unbedingt der Lack- bezieh. Salzbildungsfähigkeit der Sulfogruppe Rechnung getragen werden; ob und inwieweit auch noch die specinsche Lackbildungsfähigkeit anderer im Molekül vorhandener lackbildender Gruppen zu berücksichtigen ist, wird sich fernerhin ergeben. Dementsprechend haben wir bei den Sulfofarbstoffen folgende Combinationen lackbildender Gruppen ins Auge zu fassen: Textabbildung Bd. 289, S. 187 Sobald wir die Lackbildung in der Sulfogruppe näher untersuchen, zeigt sich sofort, dass trotz ihrer ausserordentlich kräftigen Säurenatur, dieselbe eher ein Hinderniss als ein Hilfsmittel für die Erzielung echter Lacke bildet. Es ist dies ganz analog dem Verhalten der Nitrofarbstoffe (s. oben) bei der Lackfällung, deren starke und mit zunehmender Zahl der Nitrogruppen wachsende Säurenatur im umgekehrten Verhältniss zu ihrer Lackbildungsfähigkeit steht. In gleicher Weise bemerken wir, dass mit der zunehmenden Zahl von Sulfogruppen im Molekül eines Farbstoffes dessen Lackbildungsfähigkeit mehr und mehr abnimmt und schliesslich überhaupt ganz aufhört. Es ist indessen nicht zu verkennen, dass die Constitution dieser Sulfosäuren ebenfalls von grossem Einfluss ist auf deren Lackbildungsfähigkeit. Es zeigt sich dies in besonders auffallender Weise bei den Azofarbstoffen aus Naphtolsulfosäuren. Von den beiden β-Naphtolmonosulfosäuren Textabbildung Bd. 289, S. 187 β-Naphtol-α-Monosulfosäure; β-Naphtol-β-Monosulfosäure bildet die erstere Farbstoffe, die nur ziemlich schwierig sich aus ihren Lösungen vollständig als Lacke niederschlagen lassen, während die Farbstoffe aus der zweiten (Schäffer'schen) Säure mit grösster Leichtigkeit sich vollständig aus ihren Lösungen fällen lassen. Ebenso verhalten sich die β-Naphtoldisulfosäuren Textabbildung Bd. 289, S. 187 β-Naphtoldisulfosäure G; β-Naphtoldisulfosäure R Die erste dieser Säuren bildet mit α-Diazonapbtalin Krystallponceau 6 R, ein Farbstoff, der sich auf keine Weise in einen Lack überführen lässt. Die zweite Säure bildet mit demselben Diazokörper den als Bordeaux B bekannten Farbstoff, der sich mit grösster Leichtigkeit in einen Lack überführen lässt. Beispiele dieser Art liessen sich noch in grosser Zahl anführen, um die Abhängigkeit der Lackbildung in der Sulfogruppe von der Constitution der Sulfosäuren weiter zu bestätigen, doch dürften obige Beispiele genügen. Für die Lackbildung in der Sulfogruppe werden so gut wie ausschliesslich die Bariumsalze angewandt, da dieselben die besten Resultate liefern. Zwar lässt sich mit Hilfe der Bleisalze noch leichter vollkommene Fällung erzielen, aber es ist weder die Nuance noch die Luftechtheit dieser Lacke so gut wie die der Bariumlacke. Vielfach wird basisch essigsaures Blei als Lackfällungsmittel empfohlen, und es gibt thatsächlich keinen Sulfofarbstoff, der sich nicht mit Hilfe dieses Prokrustesbettes dienstbar machen liesse, aber mit ganz vereinzelten Ausnahmen sind diese basischen Bleilacke ungefähr die schlechtesten Lacke, die sich aus den Sulfofarbstoffen darstellen lassen. Wir können daher die Bariumsalze als die typischen Fällungsmittel der Sulfofarbstoffe oder besser gesagt das Bariumoxyd als den typischen Lackbildner der Sulfogruppe bezeichnen. Es entsteht nun die Frage, wie verhalten sich bei der Lackbildung in der Sulfogruppe eines Farbstoffes andere im Molekül vorhandene lackbildende Gruppen. Wir wollen in dieser Beziehung zuerst die Farbstoffe, die dem ersten unserer obigen Constitutionsschemen entsprechen, also neben der Sulfogruppe nur eine oder mehrere, unter sich nicht in Orthosteilung befindliche Hydroxylgruppen enthalten, in Betracht ziehen. Wie wir früher gesehen Laben, sind solche Hydroxylfarbstoffe nur in sehr geringem Grade lackbildungsfähig und ihre Lacke werden schon durch ganz schwache Säuren mit Leichtigkeit zersetzt. Unter diesen Umständen ist es auch nicht überraschend zu finden, dass bei Gegenwart einer so stark sauren Gruppe im Molekül, wie der Sulfogruppe, die Hydroxylgruppe ihr schon so geringes Lackbildungsvermögen vollends verliert, so dass in solchen Farbstoffen überhaupt Lackbildung nur in der Sulfogruppe möglich ist. Die so zahlreiche Gruppe der sulfonirten Oxyazofarbstoffe illustrirt dieses Verhalten in genügender Weise. Der Erwähnung werth ist hierbei die Thatsache, dass bei Darstellung eines Lackes aus diesen Farbstoffen gute Resultate nur dann zu erzielen sind, wenn die Fällung des Farbstoffes mit dem Barytsalz (Chlorbarium) in heisser und vor allem saurer Lösung vorgenommen wird. Zu diesem Zwecke kann man der Lösung des Farbstoffes entweder eine geringe Menge einer, am besten organischen Säure (Essigsäure) zufügen oder aber noch vortheilhafter eine Lösung eines stark sauer reagirenden, aber keine freie Säure enthaltenden Salzes, wie Thonerdesulfat oder Chloraluminium. In Folge der sauren Reaction des Bades bleibt bei der Fällung zunächst ein erheblicher Theil des Farbstoffes bezieh. Barytlackes gelöst, fällt aber bei darauf folgender vorsichtiger Neutralisirung mit Soda vollständig aus. Die auf diese Weise erhaltenen Lacke; die bei Gegenwart von Thonerdesalzen während der Fällung und in Folge der darauf folgenden Behandlung mit Soda stets Thonerdehydrat erhalten, zeichnen sich durch grosse Schönheit, aber nur geringe Echtheit aus. Wird die Fällung dagegen in neutralen oder alkalischen Bädern vorgenommen, so besitzen die Lacke einen trüben, stumpfen Ton. Farbstoffe, die dem zweiten unserer Constitutionsschemen entsprechen \mbox{M}\left<{{\mbox{NH}_2\ \ \ \ }\atop{\mbox{SO}_2.\mbox{OH}}} sind ebenfalls sehr zahlreich und gehören hauptsächlich der Gruppe der sulfonirten Amidoazafarbstoffe und der sulfonirten basischen Triphenylmethanfarbstoffe an. Bei diesen Farbstoffen ist die Schwierigkeit, gute Barytlacke zu erhalten, häufig erheblich grösser als bei den Farbstoffen, die wir vorstehend erwähnten, und zwar zeigt sich ausnahmslos, dass, je stärker die dem Sulfofarbstoffe zu Grunde liegende Base ist, desto schwieriger es ist, den Farbstoff als Barytlack, also durch Lackbildung in der Sulfogruppe zu fällen. Dementsprechend sehen wir, dass die sulfonirten Amidoazofarbstoffe, die mit ganz wenigen Ausnahmen so schwache Basen sind, dass sie zumeist an und für sich unfähig sind, Tanninlacke zu bilden, mit grösster Leichtigkeit sich vollständig als Barytlacke fällen lassen, während andererseits die sulfonirten Triphenylmethanbasen der Barytfällung entweder ganz unfähig sind oder sich doch nur in unbefriedigender Weise als Barytlacke fällen lassen. Es ist hiernach sehr wahrscheinlich, dass bei diesem Verhalten die Salz- bezieh. Lackbildungsfähigkeit der Amidogruppe in diesen Farben ein Factor ist, der bei der Barytfällung dieser Farbstoffe in Betracht gezogen werden muss. In höchst bemerkenswerther Weise werden diese Verhältnisse illustrirt durch das Verhalten von Cassella's Thiocarmin gegen Fällungsmittel. Dieses Blau wird erhalten aus Aethylbenzylanilinsulfosäure, durch Anwendung der für die Darstellung von Methylenblau bekannten Verfahren. Die Constitution dieses Farbstoffes ist daher ohne Zweifel Textabbildung Bd. 289, S. 188 Dieser Farbstoff ist daher die Disulfosäure eines Methylenblaues, also eines basischen Farbstoffes. Als Disulfosäure ist der Farbstoff aber, wie selbstverständlich, ein Säurefarbstoff. Dieser Farbstoff besitzt aber die auffallende Eigenschaft, sowohl von Bariumsalzen, dem Fällungsmittel für Sulfofarbstoffe, als auch von Tannin, dem Fällungsmittel für basische Farbstoffe, gefällt zu werden; in jedem Falle ist aber die Fällung nur eine partielle. Stellt man sich nun eine Lösung her, die 1 Mol. Chlorbarium neben 1 Mol. Tannin enthält, so erhält man ein Fällungsgemisch, welches das Thiocarmin quantitativ zu fällen im Stande ist, was einzeln für sich keines der Fällungsmittel auch nur annähernd zu thun vermag. Obgleich also die Sulfonirung des dem Thiocarmin entsprechenden Methylen- oder vielmehr Benzyläthylenblaus einen Farbstoff liefert, der in der Färberei wie alle sulfonirten Farbstoffe nur als saurer Farbstoff auf Wolle oder Seide fixirbar ist, so ist doch die Sulfogruppe nicht im Stande, die basische Natur des Farbstoffes völlig zu unterdrücken, indem derselbe sich genau wie eine schwache organische Amidosäure verhält, d.h. mit Tannin Salze bezieh. Lacke zu bilden vermag, obgleich starke organische und die anorganischen Säuren nicht mehr assimilirt werden. Es erschien mir interessant, diese Beobachtung auf deren Anwendbarkeit für die Zwecke der Baumwollfärberei zu prüfen, und bemerke ich hier gleich, dass das Resultat meiner Versuche ein höchst überraschendes war und obige Beobachtung in nachdrücklichster Weise bestätigt. Obiger Versuch zeigt uns zunächst, dass die salzbildende Fähigkeit der Amidogruppe der basischen Farbstoffe durch den Eintritt der Sulfogruppe, also einer im entgegengesetzten Sinne der Amidogruppe salzbildenden Gruppe, zwar sehr vermindert, aber durchaus nicht gänzlich aufgehoben wird. Dies ist in völliger Uebereinstimmung mit der wohlbekannten Thatsache, dass in den Amidosäuren, sowohl der fetten wie der aromatischen Säuren, deren saure Function stets wesentlich die der Base überwiegt, ohne indessen die letztere völlig zu unterdrücken. Wir sollten also erwarten, dass, sobald ein Farbstoff, dessen Constitution wie die des Thiocarmins die einer Amidosulfosäure ist, eine solche Behandlung erfahren hat, dass seine Säurenatur latent geworden ist, dessen basische Natur unverhüllt hervortritt und sich der Farbstoff nunmehr genau wie ein basischer Farbstoff verhält. Die Möglichkeit einer solchen Doppelfunction der sulfonirten Farbstoffe ist bisher vollständig übersehen worden, von welchem Interesse dieselbe aber für die Theorie und Praxis der Färberei, wie der Lackfarbenfabrikation überhaupt ist, werden wir inder Folge sehen. Wird ein Strang tannirter Baumwolle in einem neutralen oder schwach sauren Bade von Thiocarmin ausgefärbt, so nimmt derselbe eine sehr blasse blaue Färbung an. Das Bad wird nicht bemerkbar schwächer oder ausgezogen und schon beim Waschen in reinem Wasser, noch schneller beim Seifen verliert der Strang seine Färbung wieder vollständig. Es ist dies nicht anders zu erwarten, da die Säurenatur des Farbstoffes, wie in allen sulfonirten basischen Farbstoffen, die Function der Base fast völlig unterdrückt. Diese Säurenatur des Farbstoffes lässt sich andererseits aber durch Ueberführung desselben in sein Barytsalz so gut wie vollständig aufheben und tritt hierbei die Wirkung der Base des sulfonirten Farbstoffes in kräftigster Weise wieder hervor. Dies zeigt sich in schlagender Weise, wenn man einem Thiocarminfarbbade eine äquivalente Menge Chlorbarium hinzufügt; das Bad bleibt hierbei völlig klar, d.h. der gebildete Barytlack bleibt in Lösung. Die so vorbereitete Färbeflotte färbt nun tannirte Baumwolle genau wie ein basischer Farbstoff und das Bad wird vollständig ausgezogen. Der Strang besitzt eine feurige volle Färbung, und was mehr ist, dieselbe ist völlig echt und wird durch Seifen nur klarer, aber nicht schwächer. Die Vermuthung, dass sich alle sulfosauren Farbbasen in dieser Weise verhalten werden, geht aus obigen theoretischen Erörterungen und deren experimenteller Bestätigung unmittelbar hervor. Dabei müssen wir aber nicht ausser Acht lassen, dass bei der Salzbildung der Farbbasen der Triphenylmethangruppe das tertiäre Kohlenstoffatom oder vielmehr die HO.C⋮-Gruppe ganz wesentlich mitbetheiligt ist, während bei den Farbstoffen der Thiazingruppe (Methylenblau) der Vorgang der Salzbildung lediglich die basischen Stickstoffatome betrifft. In Berücksichtigung dieses Umstandes können wir wohl verstehen, dass die oben angegebene Methode der Fixirung des Thiocarmins auf der Baumwollfaser auf die Sulfosauren der basischen Farbstoffe angewandt nicht ganz denselben günstigen Verlauf nehmen. Damit soll durchaus nicht gesagt sein, dass jene Farbstoffe in ihrem Verhalten zur Baumwollfaser die für das Thiocarmin bewiesene Reactionsfähigkeit der Amidogruppe in Folge der Gegenwart der Sulfogruppe nicht erkennen lassen. In der That gelingt es auf die für Thiocarmin angegebene Weise Säurefuchsin, Säureviolett und Säuregrün, besonders die beiden letztgenannten, in sehr befriedigender Weise auf Baumwolle zu färben.Es empfiehlt sich bei Anwendung des Verfahrens für Säureviolett und Säuregrün, mit dem Garn in das Farbebad kalt einzugehen, die Temperatur des Bades langsam auf 80° C. zu bringen und sodann in kleinen Portionen das Chlorbarium zuzusetzen. Auf diese Weise ist es möglich, die Flotte von Anfang bis zu Ende der Operation völlig klar zu erhalten und dieselbe gänzlich auszuziehen. Mässig concentrirte Lösungen von Säureviolett und Säuregrün lassen sich durch Chlorbarium fast vollständig als Barytlacke fällen. Vergleicht man die Nuance dieser Lacke mit der Nuance der mit diesen Farbstoffen wie oben vorgeschrieben erzeugten Baumwollfärbungen oder auch der Wollfärbungen, so macht man sofort die auffallende Wahrnehmung, dass der Säureviolettbarytlack viel röther, der Säuregrünbarytlack viel blauer ist als jene Textilfärbungen. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass die erwähnten Nuancenunterschiede dieselben sind, wie zwischen den im ersten Theil dieser Untersuchungen beschriebenen „Disassociationslacken“ und den entsprechenden normalen Tanninlacken. Fügt man nun zu jenen Barytlacken Tannin, so ändert sich die Farbe des stumpf rothstichigen Violettbarytlackes sofort in ein feuriges Blauviolett, die des stumpf blaustichigen Grünbarytlackes in ein äusserst intensives und feuriges Reingrün. Das heisst also, dass der Barytlack einer sulfosauren Farbbase sich genau wie ein nur mechanisch fixirter basischer Farbstoff verhält und nicht als ein normaler Lack, in welchen er thatsächlich erst in Gegenwart von Tannin und unter Bindung desselben übergeht. In klarster Weise zeigt uns diese Beobachtung zusammen mit den vorhergehenden, warum die sulfosauren Salze basischer Farbstoffe trotz ihrer in so unzweideutiger Weise fortexistirenden Basennatur von tannirter Baumwolle nicht ohne weiteres fixirt werden. Der Grund liegt in der merkwürdigen Doppelnatur der Lacke dieser Farbstoffe, deren Erzeugung auf der Faser nur möglich ist, wenn die beiden im antagonistischen Sinne lackbildenden Gruppen dieser Farbstoffe gleichzeitig der Lackbildung unterliegen, eine Bedingung, der wir genügen, indem wir die tannirte Baumwolle in einer Lösung des Barytsalzes (Barytlack) ausfärben. Oberflächlich betrachtet, scheint diese Auslegung des in Frage stehenden Färbe- bezieh. Lackbildungsprocesses durchaus im Widerspruch zu stehen mit dem Process der Färberei dieser Farbstoffe auf Wolle. Hier scheint die Fixirung des Farbstoffes lediglich auf einer Lackbildung zu beruhen, die chemisch als eine Salzbildung der sulfosauren Farbbase mit der Amidogruppe der Knecht'schen Lanuginsäure zu betrachten ist. Zur Entscheidung dieses wichtigen Punktes wurden zwei Wollstränge gleichzeitig in einem sauren Bade von Säureviolett ausgefärbt und nach dem Waschen wurde einer der beiden Stränge während 15 Minuten in einer 70° C. heissen 1procentigen Tanninlösung behandelt. Nach sorgfältigem Waschen wurden die beiden Stränge zusammen getrocknet. Es zeigt sich, dass bei dieser Behandlung Tannin von dem Farbstoffe aufgenommen wird, dies ist indessen mit einer nicht unwesentlichen Schwächung der Nuance verknüpft, die gleichzeitig einen etwas blaueren, aber auch trüberen Ton aufweist als der nicht mit Tannin behandelte Strang. Die tannirte Färbung hat ferner nicht unwesentlich an Lichtechtheit eingebüsst. Dies zeigt uns, dass ein Lanuginsäuretanninlack durchaus ungünstige Eigenschaften hat. Eine experimentelle Erklärung hierfür zu finden, ist mir noch nicht gelungen; von einer rein speculativen Erläuterung obiger Beobachtung nehme ich Abstand, da eine solche zu keinen irgendwie wesentlichen Schlüssen führt. Ich will aber nicht unterlassen, wenigstens die Richtung anzudeuten, in der eine Erklärung zu suchen sein wird. Knecht's Lanuginsäure ist eine Amidosäure, die oben genannten Farbstoffe können wir passend als Sulfoamidosäuren bezeichnen, und nach dem über die Theorie der Baumwollfärberei mit jenen Säurefarbstoffen Gesagten ist es sehr wahrscheinlich, dass zunächst die Sulfogruppe des Farbstoffes mit der Amidogruppe der Lanuginsäure sich zu einem Farblack verbindet, wodurch, wie an erwähnter Stelle gezeigt wurde, die basische Natur der Amidogruppe des Säurefarbstoffes wieder stark hervortritt, so dass es als höchst wahrscheinlich betrachtet werden muss, dass diese Amidogruppe mit der Carboxylgruppe der Lanuginsäure ebenfalls der Lackbildung unterliegt, so dass auch in diesem Falle ein unzweifelhafter Doppellack vorliegt. Ich glaube, dass es mir in Vorstehendem gelungen ist, eine erschöpfende Erklärung des Vorganges der Lackbildung aus den sulfonirten Farbbasen zu geben, die vortheilhafter Nutzanwendung sowohl in der Farblackfabrikation, als auch in gewissen Fällen der Baumwollfärberei fähig ist. Es muss indessen hervorgehoben werden, dass die bisher betrachteten Farbstoffe Sulfosäuren solcher Farbbasen sind, welche mit Salzsäure leicht wasserlösliche Salze bilden. Wir haben aber unter den Azofarbstoffen eine Anzahl von Producten, die als Sulfosäuren der ebenfalls basischen Amidoazokörper zu betrachten sind. Nur sehr wenige Amidoazofarbstoffe sind im Stande, genügend wasserlösliche Salze zu bilden, so dass sie direct als basische Farbstoffe gefärbt werden können. Bismarckbraun, Chrysoidin und Catechubraun sind die einzigen Farbstoffe dieser Art, alle übrigen sind nur dann praktisch anwendbar, wenn sie die wasserlöslich machende Sulfogruppe ein oder mehrere Male enthalten. Durch den Eintritt dieser Gruppe verlieren aber die Amidoazofarbstoffe ihren basischen Charakter fast gänzlich und sind dann wesentlich Säurefarbstoffe. Zwar lässt sich durch Lackbildung in der Sulfogruppe solcher Farbstoffe die Basennatur der Amidoazoverbindung wieder zum Vorschein bringen und zur Lackbildung mit Tannin befähigen, aber doch nur in unverkennbar geringerem Grade, als ich oben für die sulfonirten Triphenylmethan- und Thiazinbasen gezeigt habe. Der Grund dieser Erscheinung ist sicherlich in dem Umstände zu suchen, dass die in Frage kommenden Amidoazoverbindungen an und für sich schon sehr schwache Basen sind. Trotzdem aber zeigt sich, dass auch die Sulfosäuren dieser sehr schwachen Basen auf die früher gezeigte Weise sich auf tannirte Baumwolle färben lassen, wie sich bei Färbeversuchen mit Bayer's Wollschwarz (Natronsalz des Amidoazobenzoldisulfosäureazo-p-Tolyl-β-Naphtylamin) und Cassella's Naphtylaminschwarz D (Natronsalz des Naphtylamindisulfosäureazo-α-Naphtylaminazo-α Naphtylamin) in deutlichster Weise zeigte. Die Demonstration der Integrität der Amidogruppe in diesen Säurefarbstoffen durch Ausfärbung derselben auf tannirte Baumwolle wird ganz wesentlich erschwert durch den Umstand, dass die Barytlacke dieser Farbstoffe selbst in kochendem Wasser nur spuren weise löslich sind, wodurch deren Aufgeben auf die tannirte Baumwolle in hohem Grade erschwert wird. In Anbetracht des grossen technischen Interesses dieses Gegenstandes besonders für die Baumwollfärberei bemühte ich mich, obengenannte schwarze Säurefarbstoffe in solche Lacke überzuführen, welche in verdünnten kochenden Bädern löslich genug sind, um mit Aussicht auf Erfolg auf tannirte Baumwolle gefärbt zu werden. Leider ist mir aber bis jetzt nicht gelungen, eine geeignete Base ausfindig zu machen, da zwar mehrere organische BasenBesonders Tolidin. mit den vorgenannten Farbstoffen Lacke bilden, die in kochendem Wasser mehr oder weniger vollkommen löslich sind, jedoch unter keinen Umständen tannirte Baumwolle mehr als tiefgrau anfärben. Der Ton der so erzielbaren Graue ist sehr schön, die Echtheit aber kaum genügend. Aus den vorstehenden Auseinandersetzungen ergibt sich die für alle Amidosulfofarbstoffe geltende Regel, dass zur Erzielung der besten Resultate mit diesen Farbstoffen sowohl die Sulfo- als auch die lackbildungsfähige basische Amidogruppe der Lackbildung unterliegen müssen, um die bestmöglichen Lacke aus den betreffenden Farbstoffen zu erzielen, d.h. Lacke, die sowohl das Maximum der erreichbaren Farbstärke, als auch Lichtechtheit darstellen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass im Allgemeinen die Lackfällung in der Sulfogruppe am besten mit Hilfe der Bariumsalze bewirkt wird, und diese sind auch das zu diesem Zwecke fast ausschliesslich angewandte Fällungsmittel. Es ist aber wohlbekannt, dass die Fällung der Amidosulfofarbstoffe mit Bariumsalzen häufig sehr viel zu wünschen übrig lässt, und es steht deren Unvollständigkeit in directem Verhältniss zu der Stärke der sulfonirten Farbbasen und ist eine directe Folge der nach Lackbildung in der Sulfogruppe wieder hervortretenden basischen Natur des Farbstoffes, wie oben gezeigt wurde. Sobald nach erfolgter Barytfällung, ohne Rücksicht auf den Grad der Vollständigkeit derselben, zur Lackbildung in der Amidogruppe mit Hilfe von Tannin geschritten wird, findet man in jedem Falle zunächst, dass aller Farbstoff nunmehr vollständig fixirt ist, und man bemerkt stets ausnahmslos, dass der Lack nicht nur unvergleichlich in Schönheit; sondern auch in Farbstärke zugenommen hat. In welcher Weise sich diese Verhältnisse für das Färben der Säurefarbstoffe auf Baumwolle verwenden lassen, habe ich ebenfalls oben ausführlich gezeigt. Ob und inwieweit diese Beobachtung praktischer Anwendung fähig ist, lasse ich vorläufig dahingestellt. Das oben Gesagte ist auch für die sulfonirten Amidoazofarbstoffe gültig, obgleich bei diesen die vortheilhafte Wirkung der geschilderten doppelten Lackbildung bei weitem nicht so auffällig ist, als beispielsweise bei den sulfonirten Farbstoffen der Triphenylmethangruppe. Der Grund hiervon ist, wie bereits früher bemerkt, in der so sehr schwachen Basennatur der meisten Sulfoamidoazofarbstoffe zu suchen. Ungenügend oder vielmehr nicht zu einem befriedigenden Lack führend ist dieses Princip der doppelten Lackfällung in den, übrigens seltenen Fällen, wo der Sulfofarbstoff ausser der Amidogruppe auch noch Phenolhydroxyle enthält. Ein solcher Farbstoff ist Patentblau extra BN von Meister, Lucius und Brüning. Dessen Constitutionsformel ist: Textabbildung Bd. 289, S. 190 Von diesem Farbstoff unterscheidet sich das Helvetiagrün Textabbildung Bd. 289, S. 191 wesentlich nur durch die Abwesenheit des Phenolhydroxyls. Fügt man zur Lösung von 1 Mol. Helvetiagrün Chlorbarium, so tritt in der Kälte partielle Fällung ein, bei darauffolgendem Erhitzen aber löst sich alles wieder auf; fügt man nun zu der heissen klaren Lösung des Barytlackes 1 Mol. Tannin, so tritt sofort absolut vollständige Fällung ein. Wendet man genau dasselbe Verfahren auf Patentblau an, so erhält man zunächst, selbst bei Fällung in der Kälte, keine Ausscheidung von Barytlack, auf Zusatz des Tannins tritt eine sehr geringe Fällung ein, noch nicht 5 Proc. der zu erwartenden Totalfällung, der Farbstoff ist also unter diesen Umständen praktisch unfällbar, und der Grund der Erscheinung muss offenbar in der Phenylhydroxylgruppe liegen, die nicht im Stande ist, dem Chlorbarium Baryt unter Bildung eines Lackes zu entziehen und Tannin überhaupt nicht zu binden vermag. Um diesen Farbstoff zu fällen, muss auch dem Phenolhydroxyl, der dritten lackbildenden Gruppe des Farbstoffmoleküls, Rechnung getragen werden. Dies geschieht, indem wir 1 Mol. des Farbstoffes mit 1 Mol. Chlorbarium, 1 Mol. Tannin und ½ Mol. Barythydrat fällen. Letzteres bewirkt dann die Lackbildung in der Phenolhydroxylgruppe. An Stelle von Barythydrat kann auch eine Lösung von Bleioxyd in Glycerin oder basisch essigsaurem Blei angewendet werden. Diese Art von Farbstoffen ist also die einzige, bei der die weiter oben als im Allgemeinen unrichtig bezeichnete Lackfällung mit basisch essigsaurem Blei legitime Anwendung findet. Es ist selbstverständlich, dass der Versuch, diese beiden Farbstoffe auf tannirte Baumwolle zu färben, genau dieselben Erscheinungen aufweist. Helvetiagrün färbt unter Zusatz von Chlorbarium tannirte Baumwolle feurig grün, das Farbbad wird völlig ausgezogen. Unter denselben Bedingungen färbt Patentblau die Baumwolle matt blau, und die Färbung ist so unecht, dass sie nicht das Trocknen des Stranges aushält. Fügt man dem Farbbade aber ausser Chlorbarium auch noch Barythydrat im erforderlichen Verhältniss zu, so färbt sich die tannirte Baumwolle tief dunkelblau, das Bad wird zum grössten Theil ausgezogen und die Färbung ist von massig guter Echtheit. Es ist aber wohl kaum nöthig zu sagen, dass, so interessant ein solcher Tripellack vom theoretischen Standpunkte aus erscheinen mag, dessen praktische Darstellung durchaus nichts Verlockendes bietet. Ganz allgemein müssen wir aus den vorstehenden Auseinandersetzungen über die Lackfällung amidosulfosaurer Farbstoffe zu dem Resultat kommen, dass dieselben sich nur sehr selten vortheilhaft auf Lacke verarbeiten lassen, obgleich ich nicht unerwähnt lassen will, dass diese Lacke fast ausnahmslos keinen Farbstoff an Alkohol abgeben, in Folge dessen sie sich für Zwecke des feinen lithographischen Farbendruckes gut eignen, besonders auch, da sie sich meistens durch grosse Schönheit der Nuance auszeichnen. Die im Vorstehenden unzeifelhaft festgestellte Thatsache, dass, wo in einem Farbstoff neben der Sulfogruppe eine zweite salz- bezieh. lackbildende Gruppe zugegen ist, wir den lackbildenden Eigenschaften beider Gruppen Rechnung zu tragen haben, finden wir weiter bei Untersuchung der Farbstoffe, welche der Gruppe der Orthodihydroxylsulfosäuren angehören, Textabbildung Bd. 289, S. 191 bestätigt. Als typischen Farbstoff dieser Klasse können wir das Alizarin S (Alizarinsulfosäure) Textabbildung Bd. 289, S. 191 betrachten. Dasselbe enthält die Sulfo- und die Orthodihydroxylgruppe. Beide Gruppen haben wir bereits als hervorragende Lackbildner kennen gelernt, und dementsprechend finden wir, dass sich dieser Farbstoff ganz analog dem Thiocarmin und ähnlichen sulfonirten basischen Farbstoffen verhält. Fügen wir zu einer massig verdünnten Lösung von Alizarin S Chlorbarium, so erhalten wir einen schmutzig orangebraunen Niederschlag, den Barytlack des Farbstoffes. Beim Erhitzen löst sich derselbe vollständig auf und ist derselbe als Lack deshalb und wegen seiner hässlichen Nuance ganz werthlos. Fügen wir zu einer Lösung von Alizarin S eine Lösung eines Thonerdesalzes und neutralisiren wir sodann mit Ammoniak, so erhalten wir einen feurig carminrothen Niederschlag, den Thonerdelack des Farbstoffes, durch Lackbildung in der Hydroxylgruppe. Die Sulfogruppe bleibt bei dieser Lackfällung unbetheiligt, was aus dem Umstände hervorgeht, dass der Lack stets noch erhebliche Mengen von Natrium enthält. Fügen wir aber zu dem Farbstoffe eine Lösung von Chlorbarium und essigsaurer Thonerde, so erhalten wir sofort einen lebhaft scharlachrothen Niederschlag, der in Wasser und verdünnten organischen Säuren, ebenso in verdünnten Alkalien weder im geringsten löslich ist, noch blutet, und der in Echtheit hinter den Alizarinlacken nur wenig zurücksteht. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass dieses günstige Resultat dem Umstände zugeschrieben werden muss, dass beide lackbildende Gruppen im Alizarin S zur Lackbildung herangezogen wurden. Das Verhalten der sulfonirten Chinoximfarbstoffe Textabbildung Bd. 289, S. 191 von denen nur ein einziger, das Naphtolgrün, Textabbildung Bd. 289, S. 191 im Handel vorkommt, ist in seinem Verhalten ganz analog den soeben behandelten Farbstoffen. Die sulfonirten Chinoximfarbstoffe enthalten zwei kräftige lackbildende Gruppen, die Chinoximgruppe und die Sulfogruppe. Lackbildung in der Sulfogruppe allein führt nur zu ganz werthlosen braunen Lacken und ein Grün lässt sich nur durch Lackbildung mit Eisenoxydul in der Chinoximgruppe erhalten. Der Lack bildet sich, sobald wir zu einer Lösung des obigen Farbstoffes ein Eisenoxydulsalz fügen. Es bildet sich sofort die Verbindung Textabbildung Bd. 289, S. 191 dieselbe ist aber mit grösster Leichtigkeit in Wasser löslich, es erfolgt daher kein Niederschlag, sondern die braune Lösung färbt sich nur prachtvoll dunkelgrün. Thatsächlich wird der Farbstoff in dieser Form eines partiellen Lackes in den Handel gebracht,Cassella's Naphtolgrün B. und es ist dies das einzige Beispiel eines als Textilfarbstoff in Lackform verkauften Productes. Das Beispiel dieses interessanten Farbstoffes gibt aber auch zugleich eine gute Illustration der Unbeständigkeit dieser Halblacke, ein Punkt, auf den ich bereits oben aufmerksam machte. Schon bei der Aufbewahrung im trockenen Zustande tritt nach und nach Zersetzung dieses Halblackes in den eigentlichen Farbstoff und Eisenoxyd ein. Ob die Ursache dieser Zersetzung ursprünglich in der Unvollständigkeit der Lackbildung oder in der Oxydation des Eisenoxyduls zu suchen ist, bleibt nebensächlich. Sobald die Lackbildung nämlich vervollständigt wird, sei es durch Ausfärbung des Halblackes auf Wolle (Lanuginsäureeisenlack) oder durch Lackfällung in der Sulfogruppe, am besten mit basisch essigsaurem Blei,In diesem Falle ist bas. essigs. Blei das einzige Mittel zur vollständigen Fällung des Farbstoffes, Chlorbarium ist ganz unzureichend. scheidet sich der gesammte Farbstoff als absolut unlöslicher Doppellack ab, dessen enorme Luft- und Lichtechtheit nur von wenigen Alizarinfarbstoffen übertroffen wird. Farbstoffe, welche neben der Sulfogruppe noch die Carboxylgruppe enthalten, müssen aus wiederholt angegebenen Gründen auch noch Hydroxyl- oder Amidogruppen, oder die Chinoximgruppe enthalten. Derartige Farbstoffe gibt es nur sehr wenige und gehören dieselben meistens der Gruppe der gemischten Tetrazofarbstoffe an, wie beispielsweise Diaminechtroth Textabbildung Bd. 289, S. 192 Nach dem oben Gesagten kann über die Anzahl der in die Lackbildung einzubeziehenden Gruppen in diesem Farbstoff kein Zweifel mehr sein. Wir wissen zunächst sicher, dass die Sulfogruppe, die Orthooxycarboxylgruppe \left\{{{\mbox{CO.OH}}\atop{\mbox{OH}\ \ \ \ \ }} Lackbildung verlangen. Ebenso bestimmt wissen wir, dass die im Amidonaphtolsulfosäurerest vorhandene Hydroxylgruppe keine lackbildenden Eigenschaften mehr besitzen kann. Wir haben demnach nur noch bezüglich der Amidogruppe zu entscheiden. Beim Vergleich des Farbstoffes mit Amidoazofarbstoffen von ähnlicher Molekulargrösse finden wir, dass in solchen die Amidogruppe ihre Salz- bezieh. Lackbildungsfähigkeit vollständig verloren hat, so dass wir die Amidogruppe des obigen Farbstoffes als ebenfalls nicht lackbildungsfähig betrachten müssen, eine Voraussetzung, die durch ein Experiment in dieser Richtung vollauf bestätigt wird. Im Vorstehenden haben wir das ganze Gebiet der lackbildenden Farbstoffe behandelt und ich glaube, dass verschiedene der eröffneten neuen Gesichtspunkte Mittel an die Hand geben, die Verfahren zur Darstellung der Farblacke in rationeller Weise zu gestalten. Auf Nutzanwendungen im Gebiete der Färberei hinzuweisen, habe ich unterlassen, vor allem, um die Arbeit nicht ungebührlich auszudehnen. Da aber die Färberei nur ein specieller Fall der Lackbildung ist, so muss es einleuchten; dass die Resultate, zu denen wir gelangten, auch auf dem Gebiete der Färberei direct anwendbar sein müssen. In diesem Bestreben wird auch der etwas phantastischen Witt'schen „Lösungshypothese“ der ihr gebührende, sehr eng begrenzte Standpunkt angewiesen werden.