Titel: Ueber die Schnelligkeit der Eisenbahnzüge.
Fundstelle: Band 293, Jahrgang 1894, S. 214
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Ueber die Schnelligkeit der Eisenbahnzüge. Ueber die Schnelligkeit der Eisenbahnzüge. Ueber die zulässige Schnelligkeit der Eisenbahnzüge bringt der Allgemeine Anzeiger für Berg-, Hütten- und Maschinenindustrie nachstehende bemerkenswerthe Auseinandersetzung: Es ist in neuerer Zeit viel davon die Rede gewesen, die Schnelligkeit der Züge derart zu vermehren, dass dieselben 150 bis 250 km in der Stunde zurücklegen sollen, aber man war sich dabei nicht klar über die grossen Schwierigkeiten, die bei einer solchen Geschwindigkeit zu überwinden wären. Man nimmt gewöhnlich die Zuggeschwindigkeit derart an, dass man die Länge der Strecke durch die Zeit theilt, ohne den Aufenthalt auf den Stationen abzuziehen. Mit dieser Geschwindigkeit ist aber theoretisch nicht zu rechnen, da dieser Aufenthalt sehr veränderlich ist, es kann also nur die wirkliche mittlere Fahrgeschwindigkeit in Betracht kommen. Um den Fortschritt in der Geschwindigkeit der Locomotiven zu bestimmen, stellt man dieselben aus den verschiedenen Perioden zusammen und es ergibt sich die grösste Geschwindigkeit in England: im Jahre 1873 = 79,4 km 1883 = 82,6 1893 = 86,0 in Frankreich: im Jahre 1873 = 62,0 km 1883 = 69,6 1889 = 72,0 1893 = 82,0 In Deutschland betrug im Jahre 1893 die grösste Geschwindigkeit 83 km auf der Linie Hamburg-Berlin und in Amerika 89 km auf der Bahn New York-Chicago zwischen Syrakus und Rochester. Amerika hat also gegenwärtig die grösste Geschwindigkeit mit 89 km, dann kommt England mit 86 km, Deutschland mit 83 km und zuletzt Frankreich mit 82 km. Die mittlere Schnelligkeit selbst repräsentirt noch nicht vollkommen die Arbeit, welche die Locomotive wirklich zu leisten hat. Ihr Lauf ist in Wirklichkeit durchaus kein gleichförmiger. Es gibt Zeitverluste beim Anziehen, beim Halten, beim Passiren gewisser Curven u.s.w., auch ist die Geschwindigkeit grösser beim Hinabfahren einer längeren Steigung als beim Hinauffahren, da nur bei sehr kurzen Steigungen die lebendige Kraft des Zuges zur Geltung kommt. Die grösste Geschwindigkeit, welche beim Hinabfahren von Steigungen grösserer Länge vorkommt, ist 110 bis 120 km in der Stunde. Ein grosser Irrthum ist es, zu glauben, dass hierbei die Maschine beinahe nichts zu arbeiten hätte, im Gegentheil erfordert es ihre ganze Arbeitskraft, um mit dieser Geschwindigkeit einen Zug von 150 bis 180 t auf einer Strecke mit 5 mm Gefälle hinabzufahren. Auf ebener Bahn ist eine Geschwindigkeit von 110 bis 120 km mit einem Zuge von diesem Gewichte nicht zu erreichen, weil unsere jetzigen Locomotiven die Kraft dazu nicht besitzen. Noch weit weniger kann diese Geschwindigkeit natürlich bei Steigungen eingehalten werden; eine solche von 5 mm ist gewiss nicht gross, aber sie verursacht doch eine Vermehrung des Gewichtes von 1/200 oder 5 k für 1 t. Um 200 t zu ziehen, hat also die Maschine eine Mehrlast von 1000 k, und um 120 km in der Stunde oder 33,33 m in der Secunde zurückzulegen, ergibt sich eine Mehrarbeit von 1000 × 33,33 = 33 330 k oder \frac{33330}{75=444} . Zieht man das Gewicht der Maschine selbst noch in Rechnung, so ergeben sich etwa 622 , um eine verhältnissmässig so kleine Steigung zu überwinden. Man hat durch zahlreiche Versuche mit Hilfe eines Dynamometers den Widerstand eines Zuges für 1 t bei verschiedenen Geschwindigkeiten festgestellt. In den gefundenen Werthen ist aber weder der Luftwiderstand, noch der der Locomotive selbst berücksichtigt. Diese Versuche wurden bei Geschwindigkeiten von 60 bis 120 km in der Stunde angestellt; man hat aus ihren Resultaten eine Formel abgeleitet, um den Widerstand von 120 bis 200 km Geschwindigkeit berechnen zu können. Aus den gefundenen Zahlen, welche jedenfalls noch zu klein sind, ergeben sich die Widerstände auf einer schiefen Ebene von 5 mm Fall bezieh. Steigung, wenn man für die Tonne 5 k abzieht bezieh. zuzählt. Die so erhaltenen Resultate sind für verschiedene Geschwindigkeiten in folgender Tabelle zusammengestellt. Widerstand für die Tonne in Kilogramm. Geschwin-digkeit Gefälle von5 mm EbeneBahn Steigungvon 5 mm Geschwin-digkeit Gefälle von5 mm EbeneBahn Steigungvon 5 mm   50 – 2,00   3,00   8,00 130 10,00 15,00 20,00   60 – 1,00   4,00   9,00 140 12,50 17,50 22,50   70 0   5,00 10,00 150 15,00 20,00 25,00   80     1,00   6,00 11,00 160 17,66 22,66 27,66   90     2,60   7,60 12,60 170 20,50 25,50 30,50 100     4,16   9,16 14,16 180 23,50 28,50 33,50 110     6,00 11,00 16,00 190 26,60 31,60 36,60 120     8,00 13,00 18,00 200 30,00 35,00 40,00 Man sieht aus dieser Tabelle, dass z.B. bei einer Arbeitsleistung von 8 k für die Tonne ein Zug die Geschwindigkeit von 120 km bei einem Gefälle von 5 mm, die von 92 km auf ebener Bahn und die von 50 km bei 5 mm Steigung annehmen würde. Man kann auch statt den Widerstand für die Tonne bei verschiedenen Profilen und Geschwindigkeiten die nöthige Anzahl von Pferdekräften zum Ziehen einer Tonne vergleichen, indem man den Zugwiderstand mit der Geschwindigkeit in der Secunde multiplicirt und das Resultat mit 75 dividirt, und erhält dann folgende Tabelle: Geschwin-digkeit bei 5 mmGefälle in derEbene bei 5 mmSteigung Geschwin-digkeit bei 5 mmGefälle in derEbene HP bei 5 mmSteigung   50 negativ   0,555 1,50 130   4,81   7,21   9,60   60 0,89 2,00 140   6,50   9,00 11,60   70 0 1,30 2,60 150   8,33 11,00 14,00   80     0,30 1,77 3,22 160 10,46 13,40 16,40   90     0,86 2,53 4,19 170 12,90 16,00 19,00 100     1,55 3,40 5,24 180 15,66 19,00 22,33 110     2,44 4,47 6,50 190 18,70 22,22 25,70 120     3,55 5,77 8,00 200 22,00 26,00 29,60 Aus dieser Tabelle geht hervor: 1) Dass die Maschine die nämliche Arbeit von 3,4 für die Tonne leistet, mit einer Geschwindigkeit von 80 km bei 5 mm Steigung, genau 100 km in der Ebene und etwas weniger wie 120 km bei 5 mm Gefälle. 2) Dass die ganze Kraft einer Locomotive nothwendig ist, um bei 5 mm Gefälle die Geschwindigkeit von 120 km zu erreichen; ein Zug von 200 t würde in der That 200 × 3,55 = 710 erfordern. 3) Dass eine beträchtliche Arbeitsleistung nothwendig ist, um bei grossen Geschwindigkeiten einige Kilometer in der Stunde zu gewinnen. So muss man, um von 110 auf 120 km zu kommen, 1 für die Tonne aufwenden, also für einen Zug von 200 t bei einem Gefälle von 5 mm 200 . Bei einer Steigung von 5 mm sind 1,5 erforderlich, daher für 200 t 300 . Das Wachsen der Arbeit mit der Geschwindigkeit wird dazu führen, das Gewicht der Züge im Verhältniss der letzteren zu vermindern. Aber dieses kann nur bis auf etwa 70 t geschehen, da ein Schlaf- oder Speisewagen allein schon 30 t wiegt. Die nöthige Kraft für einen solchen Zug bei verschiedenen Geschwindigkeiten und einer Steigung von 5 mm beträgt: Geschwindigkeitin Kilometer Geschwindigkeitin Kilometer   80 322 150   400 100 524 170 1900 120 800 200 2960 ohne dass nur eine Pferdekraft für die Maschine übrig wäre, welche sich doch auch vorwärts bewegen muss, und deren Widerstände noch grösser sind, als die des Zuges. Jedenfalls kann man aber dieselben Coëfficienten bei ihr anwenden. Ein wichtiger Punkt ist das Maschinengewicht für die Pferdekraft, denn es ist klar, dass bei jeder Geschwindigkeit diejenige Maschine die beste sein wird, welche bei grösster Kraft die grösste Leichtigkeit hat. Sie würde weniger Eigengewicht zu bewegen haben und könnte also bei gleicher Arbeit grössere Geschwindigkeit entwickeln. Betrachten wir jetzt vier Maschinen und nehmen wir an, dass eine 100, die zweite 75, die dritte 50 und die vierte 35 k für die Pferdekraft wiegt, obgleich letzteres Gewicht in der Praxis nicht vorkommt. Die Frage ist nun, ob diese Maschinen im Stande sind, nur ihr eigenes Gewicht mit einer Geschwinddigkeit von 200 km in der Stunde fortzubewegen oder, wenn nicht, welche Geschwindigkeit sie überhaupt annehmen können. Eine Tonne der ersten Maschine kann 10, der zweiten 13,33, der dritten 20 und der vierten 28,8 hervorbringen. Die Zahl der nöthigen Pferdekräfte zur Bewegung einer Tonne bei einer gewissen Geschwindigkeit ist im Hinblick auf diese Zahlen aus obiger Tabelle zu ersehen; auch geht aus derselben hervor, dass die nothwendige Arbeitsleistung für eine Tonne bei 200 km Geschwindigkeit und einer Steigung von 5 mm = 29,6 ist; es wäre also keine der angenommenen Maschinen im Stande, diese Geschwindigkeit zu erreichen. Die erste würde etwa 132, die zweite 148, die dritte 175 und die vierte 195 km zurücklegen können. Wir haben bisher Zug und Maschinen besonders betrachtet, wenn man jetzt diese Maschinen mit einem Zuge von nur 100 t Gewicht verbindet, bekommt man merkwürdige Resultate. Welches ist jetzt das Gewicht, das der Maschine zu geben wäre, um einen Zug von 100 t mit verschiedenen Geschwindigkeiten und einer Steigung von 5 mm zu bewegen, und welches ist die Zahl der Pferdekräfte, die eine solche Maschine zu entwickeln hätte? Nennen wir: x das Totalgewicht der Maschine in Tonnen, N Anzahl der Pferdekräfte, um Maschine und Zug fortzubewegen, n Anzahl der Pferdekräfte, um eine Tonne fortzubewegen, p Gewicht der Maschine für eine Pferdekraft, so ist: N = (100t + x)n Np = 1000 x, woraus x=\frac{100\,n}{\frac{1000}{p}-n} für n=\frac{1000}{p} wird also x = unendlich. Die erhaltenen Resultate gibt nachstehende Tabelle für eine Steigung von 5 mm und ein Zuggewicht von 100 t. Ge-schwin-digkeit Maschine100 k für die Pferdekraft Maschine75 k für die Pferdekraft GewichtderMaschine Total-Gewicht Gesammt-zahl derPferdekr. GewichtderMaschine Total-Gewicht Gesammt-zahl derPferdekr. km t t t t 100   110   210   1100   65,5 165,5   867 110   185   285   1852   92,6 192,6 1252 120   400   500   4000 150,0 250,0 2000 130 2400 2500 24000 259,0 357,0 3446 140 670,0 776,0 8932 150 160 Ge-schwin-digkeit Maschine50 k für die Pferdekraft Maschine35 k für die Pferdekraft GewichtderMaschine Total-Gewicht Gesammt-zahl derPferdekr. GewichtderMaschine Total-Gewicht Gesammt-zahl derPferdekr. km t t t t 100     35,5   135,5     710   22 122   640 110     48,0   148,0   1042   30 130   845 120     66,6   166,6   1333   39 139 1112 130     92,0   192,0   1843   50 150 1440 140   135,0   235,0   2726   70 170 1927 150   233,0   333,0   4662   96 196 2744 160   444,0   544,0   8920 132 232 3705 170 1900,0 2000,0 38000 200 300 5700 180 346 446 9930 190 Man ersieht daraus, dass sich mit der Verminderung des Maschinengewichtes für die entwickelte Pferdekraft grössere Geschwindigkeiten erzielen lassen, wenn sich das Zuggewicht gleich bleibt. Daher suchte man das Maschinengewicht soweit wie angängig zu vermindern. Die ersten Crampton-Maschinen wogen gefüllt 50 t und konnten ungefähr 400 entwickeln, macht also auf die Pferdekraft 125 k. Die jetzigen Maschinen wiegen etwa 80 t und haben 1100 , also kommen 72 k Maschinengewicht auf die Pferdekraft. Man gelangte zu diesem Resultate, indem man die Dampfspannung erhöhte und die Heizfläche vermehrte, sowie eine bessere Nutzbarmachung des Dampfes anstrebte. Man könnte dieses Gewicht noch um ungefähr 1/10 verringern, wenn man das Gewicht des Tenders verminderte und das nöthige Wasser auf der Strecke während des Fahrens einnehmen würde. Aber alle diese Maassnahmen haben in Betreff der Geschwindigkeit nicht den gewünschten Erfolg, so lange die zu bewegenden Lasten beständig wachsen. In England brachten es zwei rivalisirende Eisenbahn-Gesellschaften im August des Jahres 1888 fertig, die 635 km lange Strecke von London nach Edinburg in 7½ bis 8 Stunden zu durchfahren, aber das Zuggewicht betrug auch nicht mehr als 88 bezieh. 100 t. Dieses Gewicht ist aber jetzt kaum mehr einzuhalten. Die alten Wagen hatten 24 Plätze und wogen 7,5 t, das todte Gewicht für den Platz betrug also 312 k. Jetzt haben sie 27 Plätze und wiegen 16 t, also für den Platz 600 k. Auch bieten die neuen Wagen der Luft mehr Widerstand und haben stärkere Achsschenkel, so dass sich der Widerstand im Ganzen beinahe verdoppelt hat. Dieses ist die Klippe, woran jede Vergrösserung der Geschwindigkeit scheitert, und es ist hauptsächlich darauf zu achten, dass die Wagen nichts mitführen, als was durchaus nothwendig ist. Ebenso ist die Frage der Verminderung der Widerstände noch genauer zu studiren, ehe von einer Vergrösserung der Geschwindigkeit überhaupt die Rede sein kann.