Titel: Ein neues Verfahren zur Gewinnung und Trennung von Rohrzucker und anderen Zuckerarten aus unreinen, fremde Stoffe enthaltenden Zuckerlösungen, wie z.B. aus Melasse, Pflanzensäften u. dgl.
Autor: Georg Kassner
Fundstelle: Band 298, Jahrgang 1895, S. 65
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Ein neues Verfahren zur Gewinnung und Trennung von Rohrzucker und anderen Zuckerarten aus unreinen, fremde Stoffe enthaltenden Zuckerlösungen, wie z.B. aus Melasse, Pflanzensäften u. dgl. Von Dr. Georg Kassner, in Münster i. W. Neues Verfahren zur Gewinnung und Trennung von Rohrzucker und anderen Zuckerarten u.s.w. Obgleich für den Gegenstand nachstehender Arbeit eine ganze Reihe hervorragender Fachorgane bestehen, in denen gewiss nach Meinung der interessirten Kreise meine Ausführungen den besten Platz gefunden haben würden, so habe ich mich doch entschlossen, sie dieser technischen Zeitschrift zu übergeben, und zwar aus dem Grunde, weil bereits eineDieselbe führt den Titel: Ein neues Verfahren zur Nutzbarmachung des Sauerstoffs der Luft und die demselben zu Grunde liegenden Verbindungen. (D. p. J. 1889 274 136 u. f. und 1890 278 468.) meiner früheren Arbeiten, welche der Industrie inzwischen nützlich geworden sind, in D. p. J. enthalten ist. Gewissermaassen ist auch die Materie derselben der Ausgangsstoff für die folgenden Mittheilungen gewesen, so dass also zwischen beiden Arbeiten eine Art Zusammenhang besteht. Wie es mit ersterer der Fall ist, so hoffe ich auch von der jetzigen Arbeit, dass ihre Resultate für das gewerbliche Leben willkommen sein und die in ihr enthaltenen Anregungen vielfache Beachtung und Befolgung finden werden. Der Inhalt meiner Ausführungen dürfte insofern einem wahren Zeitbedürfniss entsprechen, als das hauptsächlich hier in Betracht kommende Verarbeitungsmaterial, die Melasse der Rübenzuckerfabriken, in Folge der niedrigen Zuckerpreise und sonst schlechter Conjunctur nahezu werthlos geworden ist, trotzdem sie, vom wirthschaftlichen Gesichtspunkte aus betrachtet, in Folge ihres Gehaltes an Zucker (im Mittel 50 Proc.) und an Kalisalzen eine hohe Beachtung verdient. Von den verschiedenen Verwerthungsarten bezieh. -Vorschlägen für das in Deutschland in einer Menge von etwa 10 Millionen Centnern im Jahr erzeugte Abfallproduct der Rübenzuckerindustrie seien die hauptsächlichsten hier angeführt. 1) Verwerthung durch Erzeugung von Spiritus (Melassebrennerei), 2) Verwerthung durch Erzeugung von Potasche (meist combinirt mit 1), 3) Verwerthung durch Entzückerung, 4)            „           „    Verfütterung, 5)            „           „    Vergasung. Die erstere Verwerthungsart ist momentan durch die im Deutschen Reiche zu Gunsten der Kartoffelspiritusindustrie erfolgte Steuererhöhung ziemlich ganz unmöglich gemacht. Hierbei entbehrt es nicht einer gewissen Tragikomik, dass dasjenige Land, welches bisher die grössten Mengen deutscher Melasse verarbeitete, nämlich Frankreich, nunmehr seine Grenze gegen dieselbe gesperrt hat und neuerdings nur so viel von derselben hereinlassen will, als in äquivalentem Betrage an Spiritus zollfrei nach Deutschland passiren kann, ein drastischer Fall der auf steuerpolitischem und wirthschaftlichem Gebiete herrschenden Schwierigkeiten! Die Entzuckerung der Melasse durch Strontium- und Bariumhydrat ist bei den jetzt herrschenden niedrigen Zuckerpreisen in Folge der zu hohen Regenerirungskosten jener Hydrate unlohnend geworden und das Gleiche gilt von anderen bekannten Entzuckerungsprocessen, z.B. dem Elutionsverfahren, dem Abscheidungsverfahren u.s.w. Die Verwerthung durch Verfütterung der Melasse im Gemisch mit Torfstreu bezieh. vegetabilischen Substanzen, bei niedrigen Melassepreisen nach Maercker die rationellste Verwerthung, scheitert an dem Widerstände der ländlichen Kreise; auch dürfte die Frage der Unschädlichkeit der Melassefütterung noch nicht ganz zu Gunsten derselben entschieden sein. Was die Vergasung anbetrifft, für welche Degener in Braunschweig eine Verwerthung der Melasse auf rund 1,50 M. für den Centner berechnet, so dürfte sie wohl auch nicht allgemeine Bedeutung erlangen. Diese kurze Betrachtung zeigt, dass es sowohl für den Zuckerproducenten als auch für den Staat als wirthschaftliches Ganze eine ziemliche Bedeutung haben müsste, wenn es gelänge, eine neue Methode der Verwerthung der Melasse aufzufinden, bei welcher sowohl der in ihr enthaltene Zucker als auch deren Salze in vortheilhaft billiger Weise abgeschieden werden können. Ich bin dabei mit Degener der Ansicht, dass die Entzuckerung der Melasse immer die beste Verwerthung derselben darstellt und an den Resultaten derselben alle Factoren gleichmässig ein Interesse haben, die Zuckerindustrie sowohl als auch die Landwirthschaft und der Steuerfiscus. Wir wollen nun sehen, welcher Art die von mir in den folgenden Ausführungen vorgeschlagene Lösung dieser Aufgabe ist, wobei ich es dem Urtheile des Lesers bezieh. der interessirten Kreise überlasse, die nöthigen Schlussfolgerungen für die Praxis aus meinen Darlegungen und Anregungen selbst zu ziehen. Nachdem ich im J. 1889 die drei Erdalkaliorthoplumbate Ca2PbO4, Sr2PbO4 und Ba2PbO4 entdeckt und deren Eigenschaften beschriebenD. p. J. 1889 274 183, 226. hatte, war es mit mein erster Gedanke, die interessante Thatsache nutzbar zu machen, dass durch Bleioxyd unter Mitwirkung des Sauerstoffs der Luft die Kohlensäure der Erdalkalicarbonate viel leichter, d.h. bei niedrigeren Temperaturen ausgetrieben werden kann, als beim Glühen dieser Carbonate für sich allein. Besonders auffallend erweist sich diese Erscheinung bei der Darstellung des Bariumorthoplumbats, bei dessen Bildung nach der Gleichung 2BaCO3 + PbO + Luft (O + 4N) = Ba2PbO4 + 2CO2 + 4N bereits eine Temperatur von etwa 800° C. genügt, während die Caustificirung des unvermengten BaCO3 eine Hitze von noch über 1200° C. erfordert. Wenn es nun auch gelänge, das Bariumplumbat in glatter Weise aufzuschliessen, etwa gemäss der Gleichung Ba2PbO4 + 2H2O = 2Ba(OH)2 + PbO2, so wäre damit eine Grundlage gewonnen, um das sonst schwierigVgl. D. R. P. Nr. 60908 und Nr. 77002 von Höndorf, Becker und Co. in Magdeburg-Neustadt. in Bariumhydrat zu verwandelnde Bariumcarbonat immer wieder in leichter Weise in jenen zur Entzuckerung von Melasse dienenden Körper überzuführen. Leider haben alle seitdem ausgeführten Arbeiten nicht recht zum Ziele geführt. Es wird zwar ein erheblicher Betrag von Barythydrat erhalten, aber eine vollständige Umsetzung wird durch Bildung von PolyplumbatenD. R. P. Nr. 82583 und Archiv der Pharmacie, 1894 Bd. 282 Heft 5. verhindert. Auch die auf Anregung des Fabrikdirectors H. Steffens zu Lüben unternommenen und zum grossen Theile auch von ihm selbst in dankenswertester Weise ausgeführten Versuche, das Bariumplumbat auf andere Weise, z.B. durch Reductionsmittel aufzuschliessen, führten insofern zu keinem Ziele, als alle diese Mittel zu theuer waren, um eine vortheilhafte Erzeugung und Regenerirung des Bariumhydrats aus dem Saturationsschlamm zu gestatten. Wiederholt hatte ich auch versucht, das in der Hitze mit Wasser unter Druck theilweise aufgeschlossene Bariumplumbat, welches eine Mischung von Bariumhydrat und Polyplumbat darstellt, direct auf Melasselösung wirken zu lassen, doch erhielt ich immer nur wenig Krystalle von Bariumsaccharat. Es musste daher die Verwendung des Orthoplumbats als Mittel zur Regenerirung von Barythydrat für die Zwecke der Melasseentzuckerung fallen gelassen werden. Da kam ich gelegentlich auf eine andere Spur. Unter den längere Zeit stehen gebliebenen Reactionsmischungen mit Bariumplumbat beobachtete ich nämlich eines Tages das Auftreten eigenthümlicher weisser Kügelchen von der Grösse eines Hirsekorns. Ich isolirte dieselben auf mechanische Weise aus der schmutzig braunen, trüben Mischung und fand, dass es warzen- bezieh. blumenkohlartige Gebilde waren, welche aus radial gestellten mikroskopisch feinen Nadeln bestanden, also Sphärokrystalle waren. Mit destillirtem Wasser behandelt, zeigten sie keine Veränderung, erwiesen sich demnach als schwer löslich. Beim Uebergiessen mit Säuren lösten sie sich auf. Die mit verdünnter Salzsäure gekochte Lösung der vorher sorgfältig gewaschenen Sphärokrystalle gab nach der Neutralisation mit Fehling's Lösung Abscheidung von rothem Kupferoxydul. Es lag also eine Zuckerverbindung vor. Nun glaubte ich anfangs, dass dieselbe nach ihrer Entstehung aus einer Bariumplumbatmischung ein Doppelsaccharat beider Metalle sei. Die qualitative Analyse ergab indessen das Irrige dieser Vermuthung. Baryt war in der Zusammensetzung der Verbindung nicht enthalten; sie bestand lediglich aus Rohrzucker, Blei und Wasser. Behufs Analyse wurden die über Schwefelsäure und Aetzkalk zur Vermeidung einer Kohlensäureaufnahme getrockneten Krystallaggregate zunächst im Trockenkasten zur Bestimmung des Krystallwassers erhitzt. Alsdann wurde der verbleibende Rest im Tiegel vorsichtig zu Bleioxyd verascht. Die richtige Ermittelung des Krystallwassers ist indessen mit Schwierigkeiten verknüpft, da beim Erhitzen ausser dem Krystallwasser auch aus dem Zuckerradical etwas Wasser gebildet wird, wobei sich der Körper blassgelblich färbt. 1) 0,8932 g der Verbindung verloren beim Trocknen bis zu 125° C. 0,102 g Wasser =11,4 Proc. 2) 1,2094 g verloren beim Trocknen bis zu 150° C. 0,1483 g Wasser = 12,2 Proc. Der Glührückstand (PbO) in 1) betrug 0,4754 = 53,2 Proc. 2) 0,6409 = 52,9 Gefundenim Mittel Berechnet fürC12H18O11 . Pb2 + 5H2O Berechnet fürC12H18O11 . Pb2 + 4H2O                       Proc. PbO              53,05 52,9 54,1 H2O              11,8 10,6   8,7 C12H18O9       35,15 36,5 37,1 (= C12H22O11     (durch   – 2H2O)        Differenz) Es ergibt sich also, dass in obigen Analysen das Mehr an erhaltenem Wasser einem Minus an Zuckersubstanz entspricht, mit anderen Worten, dass beim Trocknen des Bleisaccharats bei höherer Temperatur neben der Abgabe des Krystallwassers auch aus dem Molekül des Zuckers etwas Wasser abgespalten wird. Entscheidend für die Zusammensetzung ist somit lediglich der Gehalt an Blei bezieh. auch die Elementaranalyse. Das krystallisirte Saccharat besitzt demnach jedenfalls die Formel O12H18O11 . Pb2 + 5H2O. Nach Ermittelung der Zusammensetzung hatte die Feststellung der Löslichkeit des erhaltenen Körpers für mich Interesse. Es wurde destillirtes Wasser mit einem Ueberschuss fein zerriebener Sphärokrystalle gelinde erwärmt, mehrere Male tüchtig geschüttelt und alsdann bis auf Zimmertemperatur erkalten gelassen. 215 cc des Filtrats hinterliessen nur 0,0203 Abdampfrückstand; die Löslichkeit bei gewöhnlicher Temperatur beträgt somit nur 1 : 10591 oder rund 1 : 10600. Eine andere Probe wurde mit Wasser 20 Minuten lebhaft gekocht und das heiss gewonnene Filtrat ebenfalls abgedampft; hier constatirte ich eine Löslichkeit von 1 : rund 2000. Diese erfreulich geringen Löslichkeitsverhältnisse legten mir nun den Gedanken nahe, die Bildung des Bleisaccharats an Stelle der des Barytsaccharats, von welcher ich ursprünglich ausgegangen war, als ein Mittel zur Abscheidung von Rohrzucker aus Zuckerlösungen in Betracht zu ziehen und zu versuchen. Doch waren hierfür mancherlei Fragen zu beantworten. Zuerst musste eine wirklich vortheilhafte Darstellung des Körpers ausfindig gemacht werden; dann aber war zu untersuchen, welchen Einfluss die in den unreinen Zuckerlösungen enthaltenen fremden Körper, wie Salze und organische Nichtzuckerstoffe, auf die Bildung des Körpers haben, ob es trotz ihrer Anwesenheit möglich sei, nahezu quantitativ den Zucker abzuscheiden. Nachdem übrigens festgestellt war, dass die erwähnten weissen Sphärokrystalle Bleidisaccharat mit 5 Mol. Krystallwasser darstellten, sah ich mich in der Litteratur nach den über diesen Körper vorhandenen Notizen um. Es waren nun bereits zwei Verbindungen des Rohrzuckers mit Bleioxyd bekannt, ein zweibasisches Saocharat C12H18O9 . 2PbO und ein dreibasisches C12H16O8 . 3PbO. Das erstere wurde wohl zuerst von PeligotJournal für praktische Chemie, 1838 S. 378 bis 383, und Compt. rend., Bd. 6 S. 233. beschrieben und dabei des älteren Versuchs von Berzelius erwähnt, welcher die Verbindung benutzte, um daraus das Atomgewicht des Zuckers zu bestimmen. Dann aber hat DubrunfautCompt. rend., 1851 Bd. 32; die dort befindliche Formel 2PbO(C12HO9) ist offenbar ein Druckfehler. Vgl. auch Lippmann, Chemie der Zuckerarten., der in der Chemie der Zuckerverbindungen wohlbekannte französische Forscher, welcher auch für manche spätere Entzuckerungsverfahren das wissenschaftliche Fundament geliefert hatte, dieselbe Verbindung beschrieben. Dubrunfaut gibt ihr ebenfalls die Formel 2PbO(C12H18O9) und zeigt, dass man diese Verbindung erhält durch Fällen von Zuckerlösung mit ammoniakalischem Bleiessig. Auch erwähnte er, dass das Bleisaccharat entstehen kann, wenn man Bleioxyd mit Lösung von (reinem) Zucker in der Kälte stehen lässt, wobei sich nach längerer Zeit (sous l'influence du temps) der Körper bildet. Von den Eigenschaften erwähnte er, dass es in Nadeln krystallisire und in der Kälte total unlöslich sei. Das letztere stimmt nun nach meinen Untersuchungen (siehe oben) nicht ganz, wenn auch freilich die Löslichkeit nur eine geringe ist. Das Zusammenwachsen der Nadeln zu Sphärokrystallen, welches, wie wir später sehen werden, eine gewisse technische Bedeutung besitzt, erwähnt Dubrunfaut nicht, ebenso wenig hat dieser Forscher einen Krystallwassergehalt in der Verbindung beobachtet, während Maumené ihr ein Molekül zuertheilt. Hinsichtlich des dreibasischen Saccharats (C12H16O8)3PbO liegt eine Arbeit von E. Boivin und D. LoiseauCompt. rend., 1865 Bd. 60 S. 455. vor. Diese Forscher erhielten dasselbe durch Fällen von Bleizuckerlösung mit Kali und Natron bei Gegenwart von Zucker, desgleichen auch durch Fällen von Zuckerlösung mit ammoniakalischem Bleiacetat. Bemerkenswerth ist ihre Angabe, dass sich das dreibasische Bleisaccharat, sonst in Wasser unlöslich, sehr leicht in Zuckerwasser auflöst, worauf diese Lösung nach und nach zweibasisches krystallisirtes Saccharat abscheidet. Aus dieser letzteren Notiz ergab sich mir durch Combination mit dem Vorstehenden die Folgerung, dass das Bleidisaccharat die stabilste Verbindung dieser Art sei, und dass man unter geeigneten Bedingungen die Abscheidung von Zucker durch Blei so leiten könnte, dass thatsächlich nicht bloss Bleidisaccharat entsteht, sondern dass auch aller Zucker aus seiner Lösung gefällt wird. Es handelte sich mir nun zunächst um eine vortheilhafte Darstellungsweise dieses Körpers. Dass die Bildung desselben aus einer Mischung von Bleiessig oder anderen Bleisalzen mit Ammoniak, wenn sie auch leicht vor sich geht und von guter Ausbeute ist, als zu umständlich und zu theuer für technische Zwecke gar nicht erst in Frage kommen konnte, war klar. Einzig und allein kam für mich das Bleioxyd in Betracht. Wenn es gelang, diesen Körper derart zur Saccharatbildung zu verwenden, dass er nicht bloss sicher, sondern auch vor allem schnell und ferner quantitativ entzuckernd wirkte, so konnte wenigstens dieser Theil der Aufgabe als gelöst gelten, wobei mich bereits der Gedanke einer leichten Regenerirung des Fällungsmittels leitete, welche in dem ganzen Entzuckerungssystem ihren Platz finden musste. Es lag mir also daran, einen Kreisprocess ausfindig zu machen, in welchen die benutzten Materialien ohne Substanzverlust wieder zurückkehren, nachdem sie ihren Dienst verrichtet haben. Die obige Notiz Dubrunfaut's über die Möglichkeit der Entstehung von Bleisaccharat beim Stehenlassen von Zuckerlösung mit Bleioxyd in der Kälte genügt für diesen Zweck nicht, da sie keine Angabe des gegenseitigen Verhältnisses der Componenten enthält und in ihrer Ausführung viel Zeit in Anspruch nimmt. Auch ist die Wirkung eine unvollkommene. Versucht man nach dieser Angabe zu arbeiten, so findet man, dass sich das schwere Bleioxyd zu Boden setzt und lange Zeit unverändert bleibt, bis es sich vielleicht an seiner Oberfläche weisslich färbt und dann nach und nach zu einem festen Klumpen zusammenbäckt, der aus grösstentheils unverändertem Bleioxyd besteht, welches durch etwas Saccharat zusammengehalten wird. Jedenfalls muss ohne eine weiter vorgenommene Manipulation der grösste Theil des benutzten Oxyds der Reaction entzogen bleiben. So wurde Dubrunfaut's Notiz in der Technik nicht weiter beachtet und zur Grundlage weiterer Arbeiten gemacht. Es hat ja auch für jeden Leser, welcher mit den unter besonderen Umständen eintretenden Reactionen des hier in Betracht kommenden Materials nicht vertraut ist, etwas Ungewöhnliches an sich, wenn ihm die Aufgabe gestellt wird, ein so schweres und unlösliches Metalloxyd, wie es das Bleioxyd mit dem spec. Gew. 9,25 ist, zur Herstellung einer gleichförmigen Reactionsmischung mit einer wässerigen Flüssigkeit zu verwenden. Dies scheint mir auch der Grund zu sein, weshalb noch Niemand auf die praktische Verwendung des Bleioxyds zur Saccharatbildung gekommen ist, da eben die unter gewissen Bedingungen eintretende Schnelligkeit der Reaction unbekannt war. Ferner musste ja auch der Gedanke als eine Paradoxie erscheinen, Blei, welches bisher in Gestalt von Bleiessig als ein Mittel zur Fällung der Verunreinigungen des Zuckers angesehen und angewandt wurde, zur Fällung des Zuckers selbst zu benutzen. Ich unternahm es nun, die noch fehlenden Bedingungen für eine glatte Saccharatbildung mittels Bleioxyd ausfindig zu machen. Zunächst wog ich die einzelnen Bestandtheile, welche in chemisch reinem Zustande verwendet wurden, genau in dem ihrer Verbindung entsprechenden Atom- bezieh. Molekularverhältniss ab, rührte sodann das Bleioxyd für sich mit Wasser gleichmässig an und gab dann den Zucker in Lösung hinzu, worauf ich fortdauernd weiter rührte, in der Meinung, dass nur dann eine exacte Saccharatbildung eintreten könnte, wenn das wirksame Oxyd an allen Stellen der Mischung suspendirt blieb. Indessen es trat anfangs doch nicht sofortige Bildung von Saccharat ein. Das beständige Rühren ermüdete und so liess ich die Mischung stehen, wobei sich das schwere Bleioxyd rasch zu Boden setzte, während die Zuckerlösung oben blieb. Wenn aber nach längerem Stehen die Oberfläche des Oxyds fest geworden war, konnte an eine gleichmässige Vertheilung nicht mehr gedacht werden. Nach mancherlei fehlgeschlagenen Versuchen dieser Art kam ich auf die Vermuthung, es möchte auch die Menge des zugesetzten Wassers von gewissem Einfluss auf die Schnelligkeit und Gleichmässigkeit der Saccharatbildung sein, indem ich annahm, dass eine concentrirtere Lösung nicht bloss mehr Angriffskraft auf das Bleioxyd äussern würde, sondern auch mechanisch durch ihr höheres specifisches Gewicht wirken müsste, indem sie das schwere Bleioxyd langsamer zu Boden sinken lasse. Auch glaubte ich, dass eine Erwärmung die Saccharatbildung beschleunigen müsse. In dieser Voraussetzung verwandte ich jetzt nur so viel Wasser, dass dasselbe etwa das Doppelte vom Gewichte der beiden übrigen Componenten ausmachte, während ich früher bedeutend mehr davon zugesetzt hatte, und brachte die Mischung unter fortwährendem Umrühren auf das Wasserbad. Hier hatte ich nun die Freude, die Mischung bereits nach wenigen Minuten lebhaften Rührens steifer werden zu sehen. Zwar war der Zucker noch nicht total abgeschieden, aber es war doch wenigstens die Saccharatbildung eingeleitet und, was die Hauptsache ist, die Mischung zeigte sich von so dicker Consistenz, dass ich sie jetzt ruhig stehen lassen konnte, ohne ein Zu-Bodensinken des schweren, noch unverbundenen Bleioxyds befürchten zu müssen. Letzteres konnte daher in Ruhe und in innigster Mischung mit dem Zucker auf letzteren noch weiter einwirken. Nach 24 Stunden ruhigen Stehens in der Kälte fand ich dann die Masse durch und durch aus den schönsten Krystallkugeln zusammengesetzt, ein Zeichen, dass sich an allen Stellen der Mischung Krystallisationscentren gebildet hatten. Eine abgepresste Probe der wässerigen Lösung zeigte nur noch geringe Spuren von Zucker. Es ist somit ein für den technischen Effect wesentliches Erforderniss, dass man die Mischung nach kurzem Durchrühren salben- oder breiförmig dick bekommt, da sich dann die erforderliche innige Vertheilung von Bleioxyd und Zucker bis zur völligen Krystallisation und Abscheidung des Zuckers von selbst erhalten lässt; denn es geht in der Praxis nicht an, grössere Quantitäten des Gemenges stunden- oder tagelang in beständiger Bewegung zu erhalten. War nun auch nach etlichen vergeblichen Versuchen der erste Theil der zu bewältigenden Aufgabe glücklich gelöst, so blieb noch die wichtige andere Frage zu beantworten, ob sich die Saccharatbildung auch quantitativ vollziehen lasse, wenn der Zucker noch verunreinigende Stoffe, zumal Salze enthält, wie solche in der Melasse und in Pflanzensäften vorkommen, und von denen man auch eine gewisse Einwirkung auf das Bleioxyd voraussetzen musste. War ferner nicht auch anzunehmen, dass sich in beträchtlicher Weise organische Nichtzuckerstoffe mit dem Bleisaccharat abscheiden würden? Hierzu ist zu bemerken, dass ich in der That fand, dass gewisse Salze die Löslichkeit des Bleisaccharats erheblich beeinflussen. Dies gilt zumal von den Ammoniumsalzen, ferner auch von Alkalinitraten und Acetaten. Desgleichen beobachtete ich aber auch, dass die Vermehrung der Löslichkeit des Bleisaccharats durch diese Salze hauptsächlich nur in der Wärme stattfindet, während in der Kälte ein Einfluss weniger zu beobachten ist. Es ergab sich mir aus dieser Wahrnehmung für später die Folgerung, das erzeugte Saccharat nur in der Kälte von den löslich gebliebenen Verunreinigungen (Salzen o. dgl.) zu befreien, um Zuckerverluste möglichst fern zu halten. Nach diesen Vorarbeiten schritt ich dann zu den Versuchen mit Melasse selbst. Ohne die weniger geglückten Versuche aufzuzählen, bei denen aus verschiedenen Gründen eine noch unvollkommene Abscheidung des Saccharats stattfand, will ich gleich das Verfahren angeben, so wie es sich mir schliesslich am besten bewährt hat. Es wurden 1000 g Melasse (mit einem Rohrzuckergehalt von rund 50 Proc.) zunächst mit 800 g Wasser gelöst und unter beständigem Umrühren in eine kalte Anreibung von 800 g Bleioxyd mit 400 g Wasser eingetragen. Unter lebhaftem weiteren Rühren wurde jetzt auf dem Wasserbade erwärmt und nach wenigen Minuten, sobald sich unter dem Einfluss der Wärme Verdickung eingestellt hatte, noch 800 g Wasser hinzugemischt. Dann wurde das Ganze behufs Abscheidung der Krystallaggregate auf 24 Stunden ruhig bei Seite gestellt. In der Regel war dann die Mischung zu einem weisslichen dicken Brei erstarrt, welcher aus unzähligen Sphärokrystallen zusammengebaut war, und über welchem sich eine dünne Schicht einer klaren bräunlichen Flüssigkeit befand. Wurde dieselbe abfiltrirt und in Verdünnung mit dem Polarisationsapparat geprüft, so konnte meist kaum mehr eine Rechtsdrehung, vielfachIst wohl nur für invertzuckerhaltige Melassen von allgemeiner Gültigkeit. sogar eine geringe Linksdrehung constatirt werden, ein Zeichen, dass aller Rohrzucker abgeschieden war. In vorstehender Vorschrift bedeuten 800 Th. Bleioxyd auf 1000 Th. Melasse bezieh. 500 Th. Rohrzucker einen kleinen Ueberschuss des Abscheidungsmittels, denn nach dem Ansatz \underbrace{\mbox{C}_{12}\mbox{H}_{22}\mbox{O}_{11}}_{342}\,:\,\underbrace{2\,\mbox{PbO}}_{446}=500\,:\,x wären theoretisch nur 650 g des Metalloxyds nothwendig gewesen. Ein Ueberschuss ist aber doch erforderlich und zwar deshalb, weil auch in dem feinst pulverisirten Bleioxyd einzelne gröbere Partikelchen oder auch etliche Verunreinigungen vorkommen, welche die Reaction beeinträchtigen, und weil ferner, was besonders hervorgehoben werden soll, auch die meisten Nichtzuckerstoffe Bleioxyd in Beschlag nehmen und durch dasselbe gefällt werden. Unter Umständen wird man daher obigen Betrag an Bleioxyd noch ziemlich vermehren müssen, wie es in einzelnen Versuchen thatsächlich auch von mir geschehen ist. Welchen Einfluss der organische Nichtzuckergehalt auf die Isolirung des Rohrzuckers aus dem unreinen Saccharat besitzt, werden wir später sehen. Zunächst will ich mich mit der Entfernung der nicht durch Bleioxyd gefällten und in Wasser löslichen Verunreinigungen befassen. Da dieselben grösstentheils aus den in der Melasse enthaltenen Salzen, daneben auch aus braunen organischen Stoffen, vermuthlich Salzen mit organischer Säure bestehen, so lassen sich diese wasserlöslichen Substanzen ziemlich gut von dem Saccharat trennen. Zweckmässig ist es dabei, durch blosse Pressung (Centrifugiren) oder durch Absaugen die concentrirte Mutterlauge zunächst soviel wie möglich für sich zu gewinnen und erst dann die Pressrückstände erst mit wenig, dann mit viel Wasser systematisch weiter auszuwaschen. Die concentrirte Mutterlauge kann mit Leichtigkeit auf Potasche verarbeitet werden. In einzelnen Fällen enthielt sie nur noch Spuren von Blei, in manchen war sie frei davon; jedenfalls kann man im Grossbetriebe einen eventuellen Bleigehalt ohne grosse Umstände durch die geeigneten Mittel entfernen. Von technischer Wichtigkeit für das Auswaschen erscheint mir auch das Auftreten des Saccharats in Sphärokrystallen. Wenigstens ist darauf zu sehen, möglichst nur diese Abscheidungsform zu erhalten, da sich diese Gebilde leicht zu Boden setzen und auch schon durch blosses Decantiren, ja durch Schlämmen weitgehend gereinigt werden können und alsdann ein schönes weisses Product ergeben. Dass aber das Auswaschen des Saccharats zweckmässig nur in der Kälte erfolgt, wurde bereits oben erwähnt. So gewann ich denn durch blosses Absaugen aus dem Saccharatbrei von 300 g Melasse (entsprechend 1140 g obiger Mischung) 210 g Filtrat (concentrirte Salzlauge). Durch successives Nachwaschen mit Wasser, bis das Ablaufende nur noch schwach gefärbt war, wurden die löslichen Theile ziemlich vollständig entfernt, wobei noch 2060 cc Flüssigkeit erhalten wurden, so dass die Salze, Farbstoffe u. dgl. im Ganzen in etwa 2300 g Lösung enthalten waren. Als ich diese gesammte filtrirte Flüssigkeit abgedampft hatte, verblieben 67 g eines zähflüssigen Rückstandes von schlechtem salzigen Geschmack mit nur geringen Mengen von Rohrzucker. Die Veraschung dieses Rückstandes ging leicht von Statten; das Product war hauptsächlich Potasche. Ging dieser Theil der Aufgabe, welcher die Reinigung des Saccharats betraf, verhältnissmässig glatt vor sich, so stand ich jetzt vor der wichtigen Frage, würde bei der Isolirung des Zuckers aus dem gewaschenen Saccharat nicht auch der darin gebundene Nichtzucker ebenfalls wieder freigemacht werden und so nur ein sehr unreines Product resultiren, so dass das ganze Verfahren wenig Werth besässe? Dass in der That diese Frage sehr berechtigt war und das Resultat nicht ohne weiteres erschlossen werden konnte, geht auch aus dem Urtheile eines Fachmannes hervor, der mir in privater Mittheilung die Verunreinigung des Zuckers bei der Wiederabscheidung aus dem Saccharat als etwas ganz Selbstverständliches bezeichnete. Von der Beantwortung vorstehender Frage hing, wie man sieht, die Aussicht des ganzen Systems ab. Nun hatte ich bereits bei verschiedenen Vor versuchen constatiren können, dass sich die Bleiverbindungen der organischen und unorganischen Nichtzuckerstoffe gegen das allbekannte Zersetzungsmittel der Saccharate, welches hier nur allein in Betracht kommen kann, nämlich gegen Kohlensäure, ganz verschieden wie die Zuckerverbindungen des Bleis verhalten. Letztere werden nämlich viel leichter angegriffen und zersetzt, als die Nichtzuckerverbindungen des Bleis, und als ich selbst einmal weit über die völlige Sättigung des Saccharats Kohlensäure einführte, so dass sich bereits etwas Bleibicarbonat gebildet hatte, so fand ich doch nach dem Auswaschen des Zuckers im Schlamm viel gebundene organische Nichtzuckermaterie. Deren Anwesenheit constatirte ich dadurch, dass ich den gut gewaschenen Saturationsschlamm mit Schwefelwasserstoff behandelte, vom Schwefelblei abfiltrirte und die Lösung abdampfte. Es resultirte ein braungefärbter gummiartiger Rückstand, der aus verschiedenen Körpern bestehen dürfte, aber süssen Geschmack kaum mehr zeigte. Dieses Resultat war für mich von hoher Bedeutung, denn jetzt erst konnte ich hoffen, dass nicht bloss die Abscheidung des Zuckers aus seinen verunreinigten Säften, sondern auch die Wiedergewinnung desselben aus dem unreinen, aber von löslichen Salzen befreiten Saccharat glatt erfolgen und zu einem reinen Product führen würde, welches ja das Ziel meiner Bestrebungen war. Selbstverständlich ist darauf Bedacht zu nehmen, die in unreinen Zuckerlösungen vorkommenden fällbaren Nichtzuckerstoffe vor der Behandlung mit Bleioxyd soviel wie möglich herauszuschaffen, wenn solches ohne Umstände und grosse Kosten geschehen kann. Deshalb empfiehlt sich bei Pflanzensäften eine vorhergehende Behandlung mit Kalkmilch bezieh. auch mit Bleiessig. Für Melasse, weiche ja aus kalkhaltigen Säften gewonnen wurde, kommt eine solche Reinigung nicht mehr in Betracht. Es wurde jetzt ein quantitativer Versuch ausgeführt. Der oben erhaltene Auswaschrückstand, das Saccharat von 300 g Melasse, wurde in eine Literflasche gebracht und nur mit so viel Wasser aufgerührt, dass ein Volumen von etwa 600 cc breiförmiger Masse resultirte. Ich hätte selbstverständlich weit mehr Wasser nehmen und dadurch bequemer arbeiten können; doch lag mir nebenbei daran, zu sehen, ob man bei der Saturation unbeschadet der Kohlensäureaufnahme hochconcentrirte Zuckerlösungen gewinnen könne, was zutreffendenfalls natürlich ein weiterer günstiger Umstand sein würde. Ich leitete nun unter Umschütteln gewaschene Kohlensäure in den Saccharatbrei ein. Anfänglich ging die Saturation wegen der dicken Consistens langsam vor sich; in dem Grade aber, als die Masse durch Zuckerabspaltung dünnflüssiger wurde, erfolgte die Kohlensäureaufnahme rascher und leichter. Da das Gefäss tarirt war, konnte die Menge der schliesslich absorbirten Kohlensäure schnell bestimmt werden; sie betrug rund 42 g. Ein gewisser Anhalt für das Ende der Saturation bietet sich bei Betrachtung der Mischung. Setzt sich in derselben das basisch kohlensaure Bleioxyd rasch zu Boden, so zeigt sich darin die vollständige oder nahezu vollständige Zerlegung des Saccharats an. Auch kann man mit dem Mikroskop leicht den Fortgang der Saturation verfolgen. Zeigen sich im Schlamme noch nadelförmige Krystalle, so ist noch entsprechend unzersetztes Saccharat vorhanden. Ich erhielt nun über einem weisslichen dichten Bodensatz (basisch kohlensaures Blei) eine schwach gelblich gefärbte Flüssigkeit. Ohne Auswaschen wurde durch Absaugen direct gewonnen: 442 cc Zuckerlösung vom specifischen Gewicht 1,1077 = 489,6 g Lösung, welche demnach nach der Tabelle von Scheibler 25,5 Proc. = 125 g Rohrzucker enthielt; dies macht 83,3 Proc. des Gesammtzuckers des in der Melasse enthaltenen aus. Durch sorgfältiges Auswaschen wurden noch 249 cc verdünnte Lösung vom spec. Gew. 1,04 erhalten = 10 Proc. = 26 g = rund 16,6 Proc. des Gesammtzuckers. Somit gewann ich im Ganzen in Gestalt seiner Lösung rund 100 Proc. des vorhandenen Zuckers wieder. Wenn nun auch zugegeben werden muss – und dies zeigt schon die Farbe der Lösung, sowie das erstaunlich gute oder vielmehr zu gute Resultat an –, dass sich noch einige fremde Stoffe in der Lösung befanden, so kann doch nach Obigem der Betrag nicht gross sein, und ausserdem bewies das weitere Verhalten der Lösung die Güte des gewonnenen Zuckers. Die klare Lösung, welche übrigens nicht die geringste Spur von Blei enthielt, wurde im Vacuum eingedampft; dabei schied sich nach einiger Zeit ein geringfügiger flockiger Niederschlag aus. Nach nochmaliger Filtration unter Aussüssen des Filters wurde dann bis zur Syrupconsistenz eingedampft. Ich gewann 195 g dicken klaren Syrup von Madeirafarbe, welcher bereits nach 24 Stunden auszukrystallisiren begann. Er wurde in mehrere Gläser gefüllt, welche gut verschlossen stehen blieben. Hier wuchsen nun die Krystalle von Tag zu Tag, bis die grössten von ihnen nach einem Monat den Durchmesser von etwa 10 mm besassen. Wurden einige Tropfen der Lösung auf dem Uhrglase langsam verdunsten gelassen, so war der Rückstand nach einiger Zeit durch und durch krystallisirt. Es ist nun aber hervorzuheben, dass die Zuckerlösung nach meinen Beobachtungen sich nur dann nach der Saturation frei von Spuren von Blei erweist, wenn die benutzte Melasse alkalische Reaction besitzt und möglichst frei von InvertzuckerOffenbar ist es hier der Einfluss der Lävulose, welche auch nach einer Mittheilung von Stern und Hirsch (Zeitschrift für angewandte Chemie, 1894 Heft 4) eine lösende Wirkung auf Bleicarbonat zeigt. ist. Bei Anwesenheit grösserer Mengen des letzteren gelingt es kaum, durch blosse Saturation mit Kohlensäure die letzten Spuren von Blei zu entfernen, dann ist es erforderlich, in die vom Bleicarbonat abfiltrirte Lösung einige Blasen von Schwefelwasserstoff eintreten zu lassen, durch welchen Körper das Metall sicher und glatt abgeschieden wird. Selbstverständlich kann man auch eine gewisse Menge Schwefelcalcium oder dergleichen Schwefelverbindungen zusetzen und dann nochmals mit Kohlensäure saturiren, wodurch Kalk und Blei zugleich abgeschieden werden, was manche Vorzüge für die Klärung haben dürfte. Das Verhalten des Invertzuckers führte mich zu einer weiteren, für die Zuckerreinigung wichtigen Entdeckung. Wenn man nämlich Nädelchen der Rohrzuckerbleiverbindung mit weiterer Rohrzuckerlösung übergiesst, so beobachtet man keine Veränderung, lässt man aber zum Bleidisaccharat etwas Invertzuckerlösung fliessen, so lösen sich die Krystallnadeln auf, und wenn nicht zu viel Zucker vorhanden ist, so scheidet sich nach einiger Zeit ein äusserst feiner, amorpher Niederschlag von Glykosesaccharat ab. Hieraus ist zu schliessen, dass die Glykosen grössere Verwandtschaft zum Bleioxyd besitzen als der Rohrzucker und dass es gelingen muss, durch Bleioxyd beide Zuckerarten von einander zu trennen. Dieser Schluss erwies sich mir in der That als richtig. Ich mischte 25 g einer nur Invertzucker (40 Proc.) enthaltenden sauren Melasse nach Abstumpfung der Säure mit 10 g Rohrzucker und 15 g Wasser. Die Mischung wurde mit 13 g Bleioxyd so lange gerührt, bis breiförmige Erstarrung eintrat, alsdann wurde auf ein Volumen von reichlich 70 cc mit Wasser aufgefüllt und um geschüttelt. Nach 2 Tagen wurde der dicke, feinkörnige, aber nicht krystallinische Brei abgesaugt, worauf in ihm hauptsächlich Invertzucker constatirt wurde. 10 cc des Filtrats (= rund 1/7 der Gesammtmischung) wurden mit überschüssigem Bleioxyd (6 g) behandelt und abermals eine breiförmige Erstarrung erhalten, welche aber diesmal krystallinisch war. Die nach mehreren Tagen abfiltrirte Flüssigkeit schmeckte nicht mehr süss, sondern salzig. Nach gutem Auswaschen wurde saturirt. Ich erhielt 1,1 g Rohrzucker, im Ganzen also etwa 7,7 g statt 10 g wieder mit nur minimalen Mengen Invertzucker. Der Rohrzucker begann in der Schale bereits nach 24 Stunden zu krystallisiren und war nach wenigen Tagen durch und durch fest. Dieses Resultat muss in Anbetracht der angewandten kleinen Mengen und des Umstandes, dass nicht genau äquivalente Mengen Bleioxyd verwendet wurden, als vorläufig befriedigendWeitere Untersuchungen über diese Reactionen, welche interessante Trennungsmöglichkeiten bieten, werden von mir ausgeführt, wie überhaupt auch die ganze Frage der Zuckergewinnung durch Erzeugung von Bleisaccharaten noch näher studirt werden soll. gelten. Für das Molekül der Glykosen würden sich nach meinen Erfahrungen etwa 1½ Mol. Bleioxyd als ausreichend zur Fällung erweisen, für das Molekül des Rohrzuckers etwas mehr als 2 Mol. Berücksichtigt man aber, dass in der Melasse oft noch fremde bleifällende Körper (Säuren in Form von Salzen, Farbstoffe u. dgl.) vorhanden sind, so wird man je nach Beschaffenheit der zu verarbeitenden Materialien einen mehr oder weniger grossen Ueberschuss an Bleioxyd wählen müssen. Jedenfalls zeigte obiger Versuch die Möglichkeit einer Trennung beider Zuckerarten an, wie sie für praktische Zwecke genügen dürfte. Ich komme nun zu dem Schlussteine in dem ganzen hier aufgeführten Gebäude. Das wesentliche Merkmal eines Kreisprocesses ist die Regenerirbarkeit sämmtlicher Zwischenproducte und Endproducte. Es ist also noch zu zeigen, dass auch der Saturationsschlamm wieder in das Verfahren zurückkehrt, nachdem er in Bleioxyd zurückverwandelt wurde. Diese Operation ist eine sehr einfache. Blosses Glühen an der Luft bei schwacher Glühhitze bewirkt bereits die Umwandlung, und zwar mit solcher Leichtigkeit, dass die getrocknete Masse, an einzelnen Stellen zur Glut gebracht, von selbst weiterglimmt, wenn man nur genügend Luft zutreten lässt. Dafür, dass dieser Vorgang in der That stattfinden kann, ist eben die Anwesenheit der nach der Saturation noch gebundenen organischen Nichtzuckerstoffe (siehe oben) von Bedeutung. Sie genügen bei der geringen negativen Wärmetönung des Bleicarbonats während seiner Umwandlung in Oxyd, um durch das Verbrennen ihres Kohlenstoffes und eventuell auch Wasserstoffes die für die Regenerirung erforderliche Wärme abzugeben. Will man aber die Kohlensäure in concentrirter Form aus dem Saturationsschlamme wiedergewinnen, so muss man die Erhitzung in geschlossenen Behältern, am zweckmässigsten in eisernen Retorten vornehmen. Das solchergestalt erhaltene Gas bestand nach einer von mir ausgeführten Untersuchung aus rund 92 Proc. Kohlensäure, 4 Kohlenoxyd, 4 Stickstoff. Es dürfte wohl gelingen, den Stickstoff, falls er nicht aus stickstoffhaltigem Nichtzucker stammt, ziemlich ganz aus dem Gase, vielleicht durch Anwendung von Dampf auszuscheiden. Das Kohlenoxyd dagegen könnte man eventuell durch Passiren eines glühenden, mit Metalloxyden gefüllten Rohres auch noch in Kohlensäure überführen, so dass man thatsächlich reine Kohlensäure wiedergewänne. Nach dem Erhitzen, welches keine hohe Temperatur erfordert – das Bleicarbonat wird bereits um 250° C. herum zerlegt –, muss man den Inhalt noch bei Zutritt der Luft weiter erhitzen, um etwa vorhandenen Kohlenstoff oder reducirtes Blei in die betreffenden Oxyde zu verwandeln. Das Product ist dann in gemahlenem Zustande wieder von Neuem verwendbar. Es dürfte vielleicht der Einwand gemacht werden, dass im Verlaufe mehrfachen Gebrauchs sich das Bleioxyd zu sehr an Schwefelsäure anreichern müsste, so dass dessen Wirksamkeit eine begrenzte wäre. Hiergegen bemerke ich, dass nach meinen Beobachtungen der grösste Theil der Schwefelsäure in den Salzlaugen mit entfernt wird, welche starke Schwefelsäurereaction geben. Die Ursache der Selbstreinigung von Schwefelsäure liegt in der alkalischen Reaction der Salzlaugen, und in alkalischen Flüssigkeiten wird das Bleisulfat leicht wieder umgesetzt, kann sich dann überhaupt nicht recht bilden. Dagegen kann wohl mit der Zeit eine Anreicherung des Fällungsmittels an Kalk stattfinden, wenn solcher in der Melasse enthalten ist. Doch würde man in solchem Falle nach einer längeren Serie der Benützung das Blei einfach durch Reductionsmittel ausschmelzen können. Um noch einmal kurz die einzelnen Phasen des beschriebenen KreisprocessesDas geistige Urheberrecht des hier mitgetheilten Abscheidungs- und Kreisverfahrens ist in allen Culturstaaten durch Patentanmeldung geschützt. neben einander zu stellen, so sind es folgende: 1) Lebhaftes Zusammenrühren bezieh. Suspendirung des Bleioxyds mit Wasser unter Zufliessenlassen der unreinen Zuckerlösung, Melasselösung, eventuell auch umgekehrtes Arbeiten. 2) Einleitung oder Unterstützung der Saccharatbildung durch gelindes Erwärmen. Ist die Saccharatbildung eine rasche, namentlich in concentrirter Lösung, so kann man bereits eine spontane Erwärmung beobachten. 3) Stehenlassen der breiförmig gewordenen Mischung bis zur völligen Krystallisation. 4) Trennung der flüssig gebliebenen Bestandtheile durch mechanische Mittel. Es resultirt a) eine concentrirte Salzlösung, welche auf Potasche verarbeitet wird; b) Saccharat, welches noch mehrmals mit Wasser gewaschen wird; die verdünnten Waschwässer können an Stelle von Wasser zur Herstellung der Melasselösung dienen. 5) Saturation des dick eingemaischten Saccharats durch Kohlensäure. 6) Trennung der Zuckerlösung vom Schlamm. 7) Entbleiung der Zuckerlösung mit darauf folgender Filtration, falls es erforderlich sein sollte (siehe oben). 8) Einkochen der Zuckerlösung. 9) Regenerirung des Bleioxyds und der Kohlensäure aus dem gewaschenen Saturationsschlamm. Zum Schluss meiner Ausführung möchte ich noch einem Einwand begegnen, welcher ängstlichen Gemüthern wohl schon auf den ersten Seiten meiner Abhandlung gekommen sein wird, nämlich die Frage erörtern, ob es nicht bedenklich sei, mit Hilfe eines giftigen Stoffes ein zum menschlichen Genüsse bestimmtes Product fabrikmässig abzuscheiden. Hierauf ist zunächst zu erwidern, dass unsere Technik Gott sei Dank heutigen Tages so weit entwickelt ist, dass die Verwendung giftiger Stoffe behufs Erzeugung ungiftiger Consumartikel gar keine Gefahr mit sich bringt. Was vor 50 Jahren vielleicht noch bedenklich erschien, ist es dank der inzwischen geschehenen Fortschritte heutigen Tages nicht mehr. – Tausend Beispiele aus dem Gebiete der Industrie zeigen es. Zudem ist gerade die Erkennung und die Abscheidung des Bleis aus Flüssigkeiten eine der leichtesten chemischen Operationen. Ferner ist auch in der jahrelang stattgehabten Anwendung des gleichfalls giftigen Baryts zur Scheidung des Rübensaftes bezieh. zur Gewinnung von Zucker aus Melasse ein Jedermann beruhigender Präcedenzfall gegeben. Und doch ist der Baryt bei weitem schwieriger in seinen letzten Spuren aus Säften zu entfernen als das Blei, für dessen Abscheidung es ausser der Anwendung von Kohlensäure, Schwefelsäure, Schwefelwasserstoff und Schwefelverbindungen schliesslich noch den elektrischen Strom gibt. Und da fast alle Manipulationen des ganzen Verfahrens in feuchter Mischung und ferner in geschlossenen Behältern vorgenommen werden, so kann auch das Arbeiten nicht als gesundheitsschädlich angesehen werden; ein Herumstäuben bleihaltiger Substanz ist eben ausgeschlossen. Freilich ist eine beständige Ueberwachung der Fabrikation und Controle des Fabrikats durch geeignetes wissenschaftlich und technisch geschultes Aufsichtspersonal geboten. Dieses gibt es aber in der Industrie, zumal derjenigen Deutschlands, zum Glück jetzt in ausreichendem Maasse. Wie wenig Bedenken man im praktischen Leben gegen die Berührung mit Blei hat, zeigt übrigens auch die Anwendung von Bleiröhren zu Wasserleitungen. In diesen fliesst das Wasser über eine die Röhren auskleidende Schicht von Bleisalzen, unter denen auch das basische Bleicarbonat enthalten ist, derjenige Körper, welcher in obigem Verfahren bei der Saturation im Schlamm entsteht und durch sorgfältige Klärung und Filtration aus den Säften entfernt wird. Somit kann nach meiner Ueberzeugung gegen die Anwendung des vorgeführten Entzuckerungsverfahrens ein stichhaltiger Einwand nicht erhoben werden.Nachdem vorstehende Arbeit bereits dem Druck übergeben war, erhalte ich von dem deutschen Patentamt die Mittheilung, dass Dr. Alfred Wohl in Charlottenburg bereits 1893 eine am 23. September 1895 ausgelegte Anmeldung eingereicht habe, in welcher ebenfalls die Abscheidung von Zucker mittels Bleisaccharat behandelt wird. Abgesehen davon, dass diese Anmeldung Wohl's nicht soweit geht wie meine Ausführungen, so glaube ich doch aus dem Umstände die wissenschaftliche und technische Priorität des geschilderten Verfahrens für mich in Beschlag nehmen zu dürfen, als ich das letztere in allen seinen Details zum ersten Male in einer Jedermann zugänglichen und auch im Auslande verbreiteten Zeitschrift publicirt und damit der Allgemeinheit zugeführt habe. Bekanntlich gilt eine während der Einspruchsfrist im deutschen Patentamt nur einer beschränkten Zahl von Interessenten auf Befragen zugängliche Patentanmeldung nicht als öffentliche Druckschrift.