Titel: Flugtechnik.Ein lenkbarer Flugapparat.
Fundstelle: Band 310, Jahrgang 1898, S. 162
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Flugtechnik.Ein lenkbarer Flugapparat. Mit Abbildungen. Ein lenkbarer Flugapparat. Textabbildung Bd. 310, S. 161 Fig. 1. Ballon „Pilström“. Eine Reihe interessanter Mittheilungen machte Dr. Constantin Danilewsky in der X. Versammlung der Naturforscher und Aerzte in Kiew am 27. August 1898 über einen von ihm erfundenen Flugapparat, welcher nach dessen Angaben ohne Hinauswerfen von Ballast oder Auslassen von Gas ein freies Aufsteigen auf eine beliebige Höhe und ein gefahrloses Niedersteigen gestattet, ohne dass dabei die Zahl der Aufstiege und Senkungen irgend beschränkt zu werden brauchte, wodurch man in Stand gesetzt ist, den günstigsten Wind in den verschiedenen Höhen aufzusuchen und auszunutzen. Als einen weiteren Vorzug von eminenter Bedeutung wird von dem Erfinder des Apparates die durch Versuche erwiesene Möglichkeit bezeichnet, auch bei windlosem Wetter den Flug nach jeder beliebigen Richtung hinzulenken. Dagegen ist es dem Erfinder bislang noch nicht gelungen, mit seinem Apparate gegen den Wind zu fliegen. Auf Grund einer 18 Monate andauernden Versuchsperiode und der dabei gewonnenen Erfahrungen hofft der Erfinder, der Lösung des Problems des menschlichen Flugs so weit nahe gekommen zu sein, dass die Nutzanwendung dieser Lösung aus dem Stadium der Versuche Einzelner herauszutreten vermag, um auf praktische Bedürfnisse des Lebens übertragen werden und Tausenden ein einfaches und auch gefahrloses Beförderungsmittel sein zu können. Textabbildung Bd. 310, S. 161 Fig. 2. Ballon „Embryon“. Das Unterpfand für eine rasche Verbreitung seines Apparates will der Erfinder in der Einfachheit der Construction desselben, welche die Verfertigung des Apparates durch jeden Schlosser gestattet, in der damitin Hand gehenden Billigkeit und, nach Versicherungen des Erfinders, in der Gefahrlosigkeit des Fluges erblicken. Textabbildung Bd. 310, S. 162 Fig. 3. Ballon „Pilström“. Die der Construction zu Grunde liegende Idee ist sehr einfach und durchaus nicht neu; sie lässt sich dahin aussprechen, dass, wenn auch der Mensch nicht im Stande ist, sich ausschliesslich durch eigene Kraft vom Erdboden frei emporzuheben, er dies doch bei Anwendung eines Wasserstoffballons, der einen bestimmten Theil vom Gewichte des Luftfahrers vernichtet, vollkommen erreichen kann; die weitere Arbeit des Emporhebens wird vom Menschen unter Anwendung von Mügeln verrichtet, und die Lenkbarkeit durch Benutzung von Segeln und Steuer erzielt. Ueber die Einzelheiten dieser aufgeführten Theile stehen nähere Mittheilungen noch aus, dagegen hat uns der Erfinder einige photographische Abbildungen (Fig. 1 bis 6) von seinem Apparate freundlichst überlassen. Die ursprüngliche Form desselben ist aus Fig. 2 ersichtlich; mit diesem, „Embryon“ genannten, Ballon wurden am 8. October 1897, Morgens 7 Uhr, während 1½ Stunden 25 Aufstiege bis auf eine Höhe von 300 Fuss ausgeführt; Aeronaut war ein 19jähriger Schlosser mit Namen Peter Kosiakow. Diese Versuche mussten in Folge eines Defectes am Wasserstofferzeuger eingestellt werden. Am 14. Juni 1898 wurden Abends 8 Uhr mit demselben Ballon und bei einer Flügellänge von 5 m zehn Aufstiege auf eine Höhe von 70 Fuss ausgeführt; dabei brach der Scharnierbolzen an einem der Flügel, so dass mit einem gebrochenen Flügel gearbeitet wurde; trotzdem ging das Aufsteigen und insbesondere das Niedersteigen, wegen der Kegelform der unteren Hälfte des Ballons, sehr rasch von statten. Am 18. Juni 1898 führte der Erfinder in Begleitung des Aeronauten Kosiakow und des Ingenieurs Tscharuschnikow auf seinem Ballon „Pilström“ (Fig. 1 und Fig. 3 bis 6) mehrere Aufstiege bis auf 100 Fuss Höhe; dabei brach der Rahmen an einer Löthstelle, ohne jedoch den Flug in Gefahr zu bringen; am darauf folgenden Tage erzielte man es, bei drei Insassen durch Benutzung nur eines der Flügel, mit dem Ballon einen vollen Kreis zu beschreiben; die 4,2 m langen Flügel erwiesen sich dabei als noch zu lang und zu schwach. Am 23. Juni wurde mit Flügeln von 3,6 m und vergrösserter Arbeitsfläche experimentirt, wobei man ermittelte, dass beim Niedersteigen mit den Flügeln nicht gearbeitet werden dürfe, sondern dass man dieselben als Fallschirme benutzen müsse, um das Niederfallen aufzuhalten; auch machte sich dabei das Bedürfniss nach Benutzung eines besonderen Fallschirmes stark geltend. An dem darauf folgenden Tage erreichte es der Aeronaut, sich auf Befehl in einer beliebigen Höhe dauernd zu halten. Am 4. Juli 1898 wurde mit dem Ballon „Pilström“ nach einem Aufstieg auf 350 Fuss Höhe langsam niedergestiegen und bei einer Flügelstellung unter einem Winkel von 45° etwa 100 Fuss in wagerechter Richtung geflogen. Textabbildung Bd. 310, S. 162 Fig. 4. Ballon „Pilström“. Am 14. Juli wurde die Aufgabe zu lösen gesucht, nach einem 400 Fuss entfernten Ort in wagerechter Richtung zu fliegen; nachdem jedoch der Ballon eine gewisse Höhe erreicht hatte, gerieth er in einen Luftstrom, derihn aus der gewählten Richtung herausbrachte; der Aeronaut versuchte es, in einer höheren Luftschicht dem gesteckten Ziele näher zu kommen, aber je höher er stieg, um so stärker wurde der Apparat zur Seite getrieben; durch eine energische Wendung des Vordertheiles des Ballons gegen den Luftstrom erreichte der Luftschiff er es schliesslich, mit den Flügeln unter einem Winkel von 45° arbeitend, sich während 5 Minuten unbeweglich in der Luft zu erhalten. Erst am 14. August 1898 gelang es, wiederum bei einer Flügelstellung unter 45°, in einer Höhe von 300 Fuss gegen 200 Fuss in wagerechter Richtung zurückzulegen. Textabbildung Bd. 310, S. 163 Fig. 5. Ballon „Pilström“. Nach den Berechnungen des Erfinders stellen sich die Herstellungskosten seines Apparates auf etwa 800 Rubel, gegen 3000 Rubel eines gleichwerthigen Luftballons der üblichen Ausführung; die Füllung seines Ballons kann leicht durch 3 bis 4 Mann ausgeführt werden, gegen etwa 15 Mann beim gewöhnlichen Ballon; die zum Transport erforderlichen Arbeitskräfte stehen in einem Verhältniss von 3 zu 15. Textabbildung Bd. 310, S. 163 Fig. 6. Ballon „Pilström“. In seinem Vortrag gelangte der Erfinder zu dem Schlusse, dass es eine Sünde wäre, bei solchen Resultaten auf halbem Wege stehen zu bleiben, wie es auch als eine Sünde bezeichnet werden müsste, wenn seine Erfindung Russland entgehen und mit einem ausländischen Stempel versehen nach seiner Heimath zurückkehren würde. Der weiteren Entwickelung dieses Flugapparates dürfte das Interesse der Fachwelt gesichert sein.