Titel: | Allgemeine Fragen der Technik. |
Autor: | Peter Klimentitsch von Engelmeyer |
Fundstelle: | Band 311, Jahrgang 1899, S. 21 |
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Allgemeine Fragen der Technik.
[Allgemeine Fragen der Technik.]
Die Techniker glauben im allgemeinen, ihre gesellschaftliche Aufgabe vollkommen
erfüllt zu haben, wenn sie billiges und gutes Fabrikat liefern. Dies bildet jedoch
nur einen Teil ihrer Berufsaufgabe. Die hochgebildeten Techniker der Jetztzeit
bevölkern nicht nur Fabriken. Der Verkehr auf Land- und Wasserstrassen, die
städtische Wirtschaft u. dgl. stehen schon jetzt unter der Leitung von Ingenieuren.
Unsere Berufsgenossen steigen die gesellschaftliche Leiter noch höher empor: der
Ingenieur wird hie und da zum Staatsmanne. Und dabei muss doch der Techniker stets
wieder Techniker bleiben. Darin liegt wieder eine neue Anforderung an den
technischen Beruf, welche das scheidende Jahrhundert seinem Nachfolger
hinterlässt.
Diese Erweiterung des technischen Berufs erscheint nicht nur willkommen, sie ist die
notwendige Folge des grossartigen wirtschaftlichen Aufschwunges der modernen
Gesellschaft und ist für die weitere Evolution höchst segensreich.
Es wirft sich dabei die Frage auf, ob der moderne Techniker genügend dazu vorbereitet
ist, den neuen Anforderungen zu entsprechen. Diese Frage ist kaum mit „ja“ zu
beantworten. Denn dazu gehört nicht nur die Beherrschung unseres Faches im Sinne der
ausführenden Technik, sondern wir müssen mit weiterem Blick die Wechselwirkungen
zwischen der Technik und den übrigen sozialen Faktoren zu durchschauen suchen.
Immer öfter ertönt die Klage, der Ingenieur geniesse nicht die ihm gebührende
Anerkennung von Seiten der anderen Klassen. Ob aber wir selber die Grundlagen für
unsere Hochschätzung genügend klar erkennen, darüber möge hier die Frage aufgeworfen
sein. Mit der Tagesplage unserer Berufsthätigkeit erfüllt, schauen wir nur auf den
Ast, auf dem wir sitzen, auf den Stamm achten wir jedoch nicht. Wie anders ist es
bei den anderen Gesellschaftsklassen! Der Histologe, sein Leben lang am Mikroskope
sitzend, ist zwar auch in seinem Mikrokosmos versunken, jedoch ist er von seiner
Angehörigkeit zur grossen Forscherwelt durchdrungen. Ihn beseelt das Bewusstsein,
seinen kleinen Beitrag zu liefern in die Schatzkammer der Wissenschaft. Vor ihm
schwebt das Ideal der Wissenschaft als Ganzes. Dasselbe gilt auch vom Militär, vom
Geistlichen und von dem Lehrerstande; der Richter und der Staatsmann fühlen die
Funktion ihrer Berufe auch im gesellschaftlichen Organismus. Nur beim Techniker ist
es anders. Für uns bedeuten nur technische Fächer ein Etwas: was aber in allen
Fächern Gemeinsames ist, das Ganze, welches, in dieselben zerfallend, den Begriff
„Technik“ ausfüllt, darüber nachzugrübeln, fehlt uns Zeit und Lust. So
ist der moderne Techniker der erste, der das Grundwesen der Technik verkennt. Was
Wunder, wenn es auch die anderen thun!
Will der Techniker bei den anderen Klassen eine höhere Achtung finden, so muss er
damit anfangen, sich selber eine solche zu erwerben. Wir müssen untersuchen, was die
Technik in sich bildet, welche Grundziele sie in ihren Zweigen verfolgt, was für
Methoden sie anwendet, wo ihr Gebiet aufhört, von welchen Nachbargebieten der
menschlichen Thätigkeit sie umgeben ist, in welcher Beziehung sie steht zur
Wissenschaft, zur Kunst, zur Ethik u.s.w. Kurzum, wir müssen den Begriff
„Technik“ begründen und ergründen. Die Aufstellung der Begriffe
„Wissenschaft“, „Kunst“ u. dgl. mag uns dazu beherzigen: in der
Wirklichkeit werden ja keine Wissenschaft, keine Kunst, sondern nur Wissenschaften
und Künste getrieben. Und doch hat die Spekulation jene Begriffe aufgestellt und
allseitig ausgebildet. In gleicher Weise sollen wir uns ein Gesamtbild von der
Technik machen, indem wir möglichst viele technische Erscheinungen analysieren und
alles Zufällige, Zeitliche und Oertliche in Gedanken ausscheiden. Alsdann wird sich
von selbst der Vergleich zwischen Technik, Wissenschaft, Kunst u.s.w. aufdrängen.
Und auf diesem Pfad gelangen wir zur richtigen Würdigung der hohen kulturellen
Bedeutung, welche der Technik von jeher innewohnte. Denn die Technik ist die Feder
in der grossen Weltenuhr der menschlichen Entwickelung.
Dann erst erwacht in uns das volle Bewusstsein, dass wir nicht nur Chemiker,
Bergingenieure, Elektrotechniker, Maschinenbauer, sondern auch zugleich
„Techniker“ sind. Dann erst sind wir unserer hohen Mission bewusst und
können sie erfüllen.
Hat denn so, ganz und gar niemand bis jetzt die Technik mit den Augen des Philosophen
angesehen? Gewiss, jedoch derweil die Techniker schwiegen, haben andere die neue
Denkrichtung eingeschlagen. Dass dabei das üppige Feld der technischen
Errungenschaften, insbesondere jener der letzten Zeiten, nur mangelhaft
berücksichtigt wurde, ist selbstverständlich: nur die volle Beherrschung des
Faktischen führt zur sachgemässen Abstraktion. Und dennoch ist bereits, schon
manches Grundlegende zu Tage gefördert worden.
Archäologen und Sprachforscher (wie Taylor, Geiger,
Noiré) haben uns nicht nur ein Bild von den Anfängen der Technik entworfen,
sondern auch nachgewiesen, dass Technik, Vernunft und Sprache untrennbar miteinander
verbunden sind. Juristen (wie Kohler, Klostermann)
haben die rechtmässige Seite der Erfindung begründet. Die Erfindung ist aber das
Differential der Technik; die Richtigkeit dieser Behauptung wird im folgenden
hoffentlich bewiesen werden.
Ein Hegelianer (E. Kapp) hat aus dem vorhistorischen
Lallen der Technik eine Philosophie der Technik aufschäumen lassen wollen und mit
diesem missglückten Versuch die Abgeschmacktheit, über technische Dinge zu
philosophieren, nur noch verstärkt. Dagegen wurde seitens der Oekonomisten (wie Babbage, Fr. Neumann, Em. Herrmann, Hobbson) der
erfolgreiche Anfang gemacht, die kulturelle Bedeutung der Technik von ihrem
Standpunkte aus in das wahre Licht zu stellen. Diesem Beispiele müssen nun die
Techniker folgen.
Unsere Vorkämpfer der Technologie (wie Beckmann, Wagner,
Prechtl, Karmarsch) und der Maschinenlehre (wie Poncelet, Redtenbacher und auch Rühlmann)
enthalten sich grundsätzlich, breiter fundierte Aussichten zu entwickeln.
Nur Reuleaux, Hartig, Popper und noch eine kleine Schar
Techniker darf man als Pioniere der neuen Richtung nennen. Ihre, wenn auch
vereinzelte, Schriften liefern aber wertvolle Bausteine für die zukünftige
Philosophie der Technik.
Man darf schlechterdings nicht glauben, das Philosophieren über technische Dinge
diene nur abstrakten Interessen und könne nur in entfernter Zukunft etwas
Handgreifliches fertigstellen. Der mächtige Fortschritt der Jetztzeit fördert schon
praktische Tragen zu Tage, die nur auf dem Wege der Spekulation zu lösen sind. Es
genügt uns, hier nur auf das Patentwesen hinzuweisen.
Alle grundlegenden Patentbegriffe fussen in der Technik und im Rechte zugleich.
Sämtliche Patentgesetze enthalten z.B. die Bestimmung, ein Patent solle nur eine
einzige Erfindung decken, die blosse Idee sei nicht patentfähig. In den meisten
Ländern ist den Entdeckungen der Patentschutz versagt. Was aber in der Erfindung
unter Einheit und Idee zu verstehen sei, worin der Unterschied zwischen Erfindung
und Entdeckung liege u.a.m., ist nirgends gesagt, und ist zur Zeit die jedesmalige
Entscheidung dieser und ihnen verwandter, für die Technik so wichtiger Fragen der
juristischen Entscheidung überlassen. Werden auch Techniker zu Rate gezogen, so
macht sich erst der Mangel solcher technischen Begriffe, denen die nötige logische
Klarheit innewohnt, kund. Denn nur die Logik besitzt für einen jeden die bindende
Kraft. Auf diesen Umstand hat zuerst Hartig
nachdrücklich hingewiesen und zugleich die Ausarbeitung einer neuen Disziplin
vorgeschlagen, die in gleichen Stücken aus Technologie und Logik entstehen und nach
ihm „Technologik“ heissen sollte. Diesem Vorschlage im Prinzip beistimmend,
könnte man nur hinzufügen, dass die Resultate der erfinderischen Thätigkeit nur auf
Grund dieser Thätigkeit selber verstanden werden können. Zur Analyse derselben muss
aber auch noch die Psychologie herangezogen werden.
Aehnlich verhält es sich mit dem Entwerfen einer neuen technischen Schule, der
Umgestaltung einer bestehenden u.a.m. Wer sich an solchen Aufgaben beteiligt hat,
der hat auch gewiss empfunden, wie gebieterisch ihn ein dunkles Etwas leitet, das er
zwar nicht zu nennen im stände ist, das jedoch über die Einzelheiten sich erhebt und
seinem Wirken ein festes Ziel verleiht. Dieses Etwas ist aber nichts anderes, als
der richtig empfundene, jedoch nicht geistig bewusste Begriff der Technik. Dieser Begriff will aber, wie gesagt, von
Denkern und Technikern insgesamt ausgearbeitet werden; denn was manche Denker
hierüber geschrieben, ist nicht genügend technisch behandelt, und was von Technikern
geschrieben wurde, ist nicht immer logisch genug gewesen.
Indem wir nun die denkenden Techniker dazu einladen, an der Lösung allgemeiner Fragen
der Technik teilzunehmen, danken wir der Redaktion dieser Zeitschrift für die
Bereitwilligkeit, mit welcher sie solche Veröffentlichungen erleichtert und fördert.
Zugleich erblicken wir hierin nur einen neuen Beweis dafür, wie treu der Dingler'sche Veteran stets seinem Bestreben bleibt, den
jeweiligen Anforderungen der Zeit Rechnung zu tragen.
Die neue Aufforderung der Zeit lautet aber: der Techniker soll wissen, was die
Technik ist. Der praktische Techniker sucht in seiner Fachlitteratur nur Tabellen,
Formeln und Zeichnungen. Was darüber, erscheint ihm vom Uebel. Gedanken
allgemeineren Charakters will er sich nicht einmal erlauben. Und doch besitzt gerade
der praktische Techniker das Nötige hierzu, das faktische Material.
Es ist zur Zeit kaum möglich, anzudeuten, was für Einzelfragen auftauchen, welche
Gebiete berührt, welche Wege betreten werden sollen. Darum muss man Abstecher nicht
zu sehr scheuen und sich etwas freien Spielraum gewähren. Das Geeignetste wird sich
bald finden.
Erreicht der Techniker den bezeichneten Standpunkt, so erschliesst sich ihm ein
ungeahnter Horizont. Denn die Technik hat den Menschen über die Tierwelt erhoben.
Sie verleiht das Uebergewicht der einen Nation über die andere. Ihr gehört das 19.
Jahrhundert. Und sämtliche Kulturpredigten auf das 20. Jahrhundert stimmen darin
überein, dass sie die höchste Ordnung der zukünftigen Gesellschaft auf den
Errungenschaften der Technik basieren.
Für diesmal genug! Bald hoffen wir den bezeichneten Fragen eingehendere Betrachtungen
zu widmen.
Moskau.
Peter Klimentitsch von Engelmeyer,
Ingenieur.