Titel: Die elektrische Eisenbahnlinie Hartford-Berlin (Nordamerika).
Fundstelle: Band 311, Jahrgang 1899, S. 32
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Die elektrische Eisenbahnlinie Hartford-Berlin (Nordamerika). Die elektrische Eisenbahnlinie Hartford-Berlin (Nordamerika). Unter die ursprünglich mit Dampf betriebenen, normalspurigen Eisenbahnlinien, welche nach dem sogen. Dreischienensystem, das auf der Strecke Nantasket-Beach der New York-New Haven- und Hartford-Eisenbahn seine erste Anwendung gefunden hat, für den elektrischen Betrieb umgestaltet worden sind, zählt auch die in der Ueberschrift genannte Bahnlinie im Staate Connecticut. Es ist um so interessanter, den neuen Einrichtungen dieser Bahnlinie ein wenig nachzugehen, als in Kürze bekanntlich auch das europäische Berlin eine ähnliche elektrische Zugförderung auf der Wannsee-Bahn erhalten wird. Die obengenannte amerikanische Bahnlinie besteht, wie wir aus La vie scientifique, 1898 S. 97, entnehmen, aus den beiden Strecken Hartford-New Britain und New Britain-Berlin, welche zusammen eine Länge von 20 km besitzen und von einem gemeinsamen, am Ende der Linie bei Berlin befindlichen Elektricitätswerk mit der erforderlichen Energie versehen werden. Längs der Bahn ist die Arbeitsleitung in Form einer dritten Schiene s (Fig. 1) ausgeführt, die in der Mitte des Geleises liegt, und auf welcher der am Untergestelle jedes Wagens angebrachte Stromabnehmer entlang gleitet. Bevor Erfahrungen vorlagen, hatte man allgemein die Anwendung einer niedrig verlegten Stromleitung für ausserordentlich bedenklich erachtet, mit Rücksicht auf die Gefahren, welche für diejenigen daraus erwachsen, welche zufällig oder bei dienstlichen Verrichtungen aufs Geleise und mit den stromführenden Leitern in Berührung geraten können. Es ist dies theoretisch auch vollkommen richtig, allein die Erfahrungen jener amerikanischen Eisenbahnverwaltungen, auf deren Strecken das Dreischienensystem im Gebrauche steht, sind erfreulichermassen bis jetzt weit günstiger, als befürchtet worden war. Es mag dies vielleicht zum Teile darin seinen Grund haben, dass die angewandten Ströme unter verschiedenen zufälligen, abschwächenden Verhältnissen für den menschlichen Körper gar nicht von jener verderblichen Einwirkung sind, als angenommen wird, zum grösseren Teile jedoch darin, dass das Publikum und die Bahnbeamten eingehend über das Vorhandensein der dritten Schiene und ihre Gefahren aufgeklärt wurde, und gelernt haben, sich in acht zu nehmen. So erklärt es sich denn, dass beispielsweise seit der Einführung des elektrischen Betriebes auf der Nantasket-Beach-Linie, also im Verlaufe zweier Jahre, auch nicht ein solcher Unfall vorgekommen ist, welcher die Bezahlung irgend einer Entschädigung zur Folge gehabt hätte. Textabbildung Bd. 311, S. 32 Fig. 1. Anordnung der Schienen. Textabbildung Bd. 311, S. 32 Fig. 2. Stossverbindung bei der Zuleitungsschiene. In der Linie Hartford-Berlin ist der Querschnitt der dritten Schiene (Fig. 1 und 2) derart bemessen, dass ihr Leitungsvermögen dem eines Kupferdrahtes von entsprechend grossem Querschnitte gleichkommt, weshalb weitere besondere Stromzuführungen entbehrlich sind. Zwischen der Schiene und den durch Federkraft an dieselbe gepressten Gleitschuh des Stromabnehmers sprühen nur in ganz geringfügigem Masse Funken über, und der an dieser Stelle aus der Reibung entspringende Stromverlust ist kaum messbar. Das elektrische Potential der Zuleitungsschiene s belauft sich auf 600 Volt; diese Schiene besitzt einen sattelförmigen Querschnitt und ruht auf einer passend behauenen, mit Kreosot getränkten Längsschwelle, die auf den gewöhnlichen Oberbauschwellen des Geleises befestigt ist. Man hat der Leitungsschiene dieses Profil gegeben, um den durch Regen, Schnee oder Eis hervorgerufenen Misslichkeiten zu begegnen, indem durch die Abdachungen das Ablaufen der Niederschläge, also auch die Trockenhaltung der obersten Kontaktfläche wesentlich gefördert wird. Die Leitungsschiene s (Fig. 1) liegt mit ihrer Oberkante nur um 25 mm höher als die Oberkante der Fahrschienen s1 und s2; sie wiegt pro laufendes Meter 5 kg und ist aus Stücken von je 9 m Länge zusammengesetzt. An den Stössen wird die Längsverbindung durch zwei rechteckige schmiedeeiserne Laschenplatten p und p (Fig. 2) vermittelt, welche 300 mm lang, 112 mm breit und 25 mm stark sind, und an jeder der beiden aneinander stossenden Schienen durch vier sehr scharf angezogene Schraubenbolzen festgepresst werden. Zur Sicherung des Stromüberganges ist zwischen den Schienenflächen und jeder der beiden Laschen je ein ebensogrosses Kupferblech U eingelegt und es stellt sich der Leitungswiderstand an diesen Schienenverbindungen, wie die bezüglichen Messungen nachweisen, günstiger als in der laufenden Schiene. Da die beiden Fahrschienen des Bahngeleises als Rückleitung dienen, hat sich auch bei denselben die Notwendigkeit ergeben, an den Schienenstössen den Stromübergang zu sichern. Die in Betracht kommenden Geleisestränge bestehen aus stählernen Breitfussschienen, welche an den schwebenden Stössen in gewöhnlicher Weise durch zwei lange Winkellaschen und sechs Schraubenbolzen verbunden sind; es ist dies selbstverständlich der Oberbau, welcher noch vom Betriebe mittels Dampflokomotiven herstammt. Zur leitenden Ueberbrückung der Schienenstösse dienen nunmehr je zwei Kupferbügel von der in Fig. 3 angedeuteten Form, deren Querschnitt dasselbe Leitungsvermögen besitzt, wie der laufende Schienenstrang. Textabbildung Bd. 311, S. 33 Fig. 3. Ueberbrückung der Schienenstösse. An den beiden Enden des doppelt gebogenen Kupferstückes b1 sind die aus weichem Kupfer bestehenden Zapfen z1 und z2 angeordnet, welche in der Mitte durchsägt, d.h. ihrer Länge nach mit einem Schlitze versehen und dazu bestimmt sind, in die Eisenbahnschienen eingefügt zu werden. Zu diesem Ende bohrt man 35 mm vom Schienenende im Schienenfuss zwei Löcher aus, in welche die Zapfen der zwei Bügel von unten her eingeschoben werden. Um dann die Verbindung ganz besonders sicher zu gestalten, wird schliesslich in den vorerwähnten Schlitz n (Fig. 3) jedes der vier Kupferbolzen ein harter Kupferkeil m eingetrieben, wodurch sich die Bolzenwände so dicht an die vorher sorgsamst reingefeilten Lochwände pressen, dass sich diese Kontaktstellen besser wie Lötstellen bewähren. Fig. 4 zeigt diese Schienenverbindung, von unten angesehen. Textabbildung Bd. 311, S. 33 Fig. 4. Schienenverbindung. Die zwei zusammenstossenden, durch die in der Zeichnung nur zum Teil ersichtlich gemachten Winkellaschen w1 und w2 mechanisch verbundenen Fahrschienen r1 und r2 sind durch die Kupferbügel b1 und b2 noch im besonderen in leitende Verbindung gebracht, indem die Zapfen z1, z2, z3 und z4 nach vorgeschilderter Art in den Fuss der beiden Schienen festgetrieben wurden. Die Bügel b1 und b2 sind, wie es Fig. 3 zeigt, in der Vertikalrichtung -förmig und in der Horizontalrichtung, wie Fig. 4 ersehen lässt, S-förmig gebogen, damit sie sich bei allfälligen Verschiebungen im Schienenstösse leicht und unbeschadet mitbewegen können. Wo Weichen oder Kreuzungen in der Strecke liegen, muss die stromzuführende Mittelschiene wegbleiben, doch haben diese Lücken in der Arbeitsleitung nichts zu bedeuten, solange sie nicht über 28 m lang sind, weil die mindestens aus zwei Wagen bestehenden Züge stets auch am letzten Wagen einen Stromabnehmer haben, der in solchen Fällen den Schluss des Stromkreises aufrecht hält, bis der Stromabnehmer des ersten Wagens die Schienenleitung wieder vorfindet. Wenn jedoch das Unterbrechungsstück der Arbeitsleitung in der Strecke grösser wird, als der Zug lang ist, dann hat der Wagenführer die Weisung, den Stromkreis schon vorher selber zu unterbrechen und die leitungslose Strecke mit Hilfe der lebendigen Kraft des Zuges zu überwinden. An derartigen Lücken der dritten Schiene wird der Stromweg durch Leitungskabel l (Fig. 1) vermittelt, welche in Kanälen aus kreosotiertem Holze untergebracht werden. Letztere sind rings um das Kabel mit einer isolierenden Masse vollständig ausgefüllt und in den Bahnkörper verlegt. Bisher verkehren auf der Linie New Britain-Hartford regelmässig zwei Züge gleichzeitig, von denen jeder 52 t schwer ist, und die nach den angestellten Messungen einen mittleren Verlust von 26½ % ergaben. Der Arbeitsstrom hat dabei an der Erzeugungsstelle eine Stärke von 300 Ampère mit einem erreichbaren Maximum von 700 Ampère und einer Spannung von 600 Volt. Bei einer erhöhten Verkehrsbelastung der Strecke müsste natürlich auch der Arbeitsstrom angemessen verstärkt werden. Die in Verwendung stehenden Wagen sind 15 m lang und mit 16 Querbänken versehen, von welchen jede sechs Sitzplätze hat, so dass im ganzen 96 Fahrgäste Platz finden können. Zwei derartige aneinander gekuppelte Wagen, von denen der vordere als Motorwagen dient, bilden einen Zug. Jeder der beiden Wagen ist zu dem schon weiter oben erläuterten Zwecke mit einem Stromabnehmer ausgerüstet. An jedem Motorwagen befinden sich zwei Elektromotoren von 125 . Die Bremsvorrichtung der Züge, welche eine äusserste FahrgeschwindigkeitAus den in unserer Quelle vorfindlichen Darstellungen der Wagen ist zu ersehen, dass die letzteren nach Art der offenen Sommerwagen unserer Pferdebahnen ohne Seitenwände ausgeführt sind (vgl. Fig. 5); es lässt sich schwer denken, wie solche luftige Fahrzeuge selbst bei bester Witterung zur Verwendung kommen können, nachdem sich doch die Fahrgeschwindigkeiten bis zu 65 und selbst bis zu 95 Stunden-km belaufen sollen. von 65 bis 95 km in der Stunde erreichen sollen, war der Gegenstand ganz besonders eingehender Studien und Erwägungen gewesen; man hatte sich schliesslich entschlossen, sämtliche Wagen jeden Zuges mit Westinghouse'schen Pressluftbremsen zu versehen. Ein eigener Elektromotor von 10 ist auf der vordersten Plattform des ersten Wagens, dem Führerstande, angebracht, welcher in Fig. 5 besonders dargestellt erscheint, und mit der Luftpressmaschine derart in Verbindung gebracht, dass der Motor selbstthätig zu arbeiten beginnt, sobald der Druck im Pressluftbehälter unter eine gewisse Grenze fällt und ebenso selbstthätig seine Arbeit wieder einstellt, sobald der erforderliche Luftdruck wieder erreicht ist. Textabbildung Bd. 311, S. 33 Fig. 5. Erster Wagen. Den Betriebsstrom der Bahn liefert ein in Berlin errichtetes Elektrizitätswerk; dasselbe ist ein Backsteingebäude mit einer bebauten Grundfläche von 32 . 36 in, rings umgeben von ausgedehnten Grundstücken, die für jede künftige Erweiterung der Anlage reichlichen Platz darbieten. In dem 36 m langen, 16 m breiten Maschinensaal befinden sich zwei Zwillingsmaschinen von je 1300 ; das Kesselhaus hat dieselben Abmessungen wie der Maschinenraum und ist mit Förderrampen ausgestattet, welche es ermöglichen, das Brennmaterial unmittelbar auf die Trichter der Heizröste zu schütten. Die beiden nach dem Verbundsystem mit horizontal verbundenen Cylindern angeordneten Dampfmaschinen haben eine Achsengeschwindigkeit von 100 Umdrehungen in der Minute und sind mit einem Schwungrade versehen, das ein Gewicht von 52 t besitzt. Jede von ihnen treibt eine Dynamomaschine an, deren hohle, aus Schmiedeeisen hergestellte Achse mit der Dampfmaschinenwelle direkt verbunden ist. Beide Generatoren sind 10polig und leisten 850 Kilo-Watt; bei gewöhnlicher Inanspruchnahme liefern sie 600 Volt, sie können aber auch übergeschaltet werden, so dass sie bis 650 Volt erreichen lassen.