Titel: | Ueber Strahlturbinen und das Pelton-Rad. |
Autor: | W. Müller |
Fundstelle: | Band 312, Jahrgang 1899, S. 139 |
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Ueber Strahlturbinen und das
Pelton-Rad.
Von W. Müller in
Cannstatt.
(Schluss des Berichtes S. 116 d. Bd.)
Ueber Strahlturbinen und das Pelton-Rad.
Eine bemerkenswerte Anlage unter den zahlreichen Anwendungen, welche das
Arbeitsvermögen des Wassers täglich aufs neue findet, verdient insofern besondere
Beachtung, als es sich um eine sinnreiche und vereinzelt dastehende Anpassung
hydraulischer Triebkraft an die Erfordernisse der Textilindustrie handelt. Zugleich
bildet sie ein hervorragendes Beispiel, mit welcher Leichtigkeit sich die Kraft des
unter hohem Druck stehenden Wassers nach Bedürfnis verteilen oder den verschiedenen
örtlichen Bedingungen und den verwickeltsten Forderungen anpassen lässt. Ebenso
gewährt die Beschreibung einen Ueberblick über die in den letzten Jahren gemachten
Fortschritte auf dem wichtigen Gebiet der Konstruktion von Wassermotoren und deren
Regelung.
Die Betriebskraft der grossen Baumwollspinnerei in Campione (Italien), um die es sich
in vorliegendem Falle handeltVgl. Prof. W. Grenier-Lausanne, Bulletin de la Société vaudoise des Ingenieurs et des Architectes,
Oktober 1897, Nr. 6., umfasst:
a) einen Motor für elektrische Beleuchtung,
b) einen eigenartigen Motor, vielmehr eine aus mehreren miteinander verkuppelten
Motoren bestehende Gruppe, dazu bestimmt, drei Haupttransmissionen, diejenige der
Batteure, diejenige für die Vorbereitungsmaschinen und schliesslich die eigentliche
Spinnerei anzutreiben (Fig. 17).
Es ergab sich die Notwendigkeit, Motoren und Transmissionen wechselseitig zu
verbinden, um auf diese Weise ein zusammenhängendes System zu schaffen, da die
gegenwärtig am meisten in Aufnahme gekommenen Spinnstühle, insbesondere die
Selfaktoren, äusserst veränderliche Widerstände veranlassen, welche zeitweilig
zwischen Null und Maximum schwanken können.
Zufolge dieser ausserordentlichen Veränderung des Kraftbedarfes treten Aenderungen
der Geschwindigkeit unvermeidlich ein, welche für die Güte des Fadens von äusserst
nachteiligen Folgen sind. Um diesem Uebelstand auszuweichen, sind die Transmissionen
der verschiedenen Betriebe miteinander verbunden worden. Es ergibt sich von selbst,
dass diese Art des Antriebs eine weitverzweigte, kostspielige und teuer zu
unterhaltende Anlage bedingt, welche überdies noch einen wertvollen Platz versperrt.
Um diesen bedenklichen Nachteilen entgegenzuwirken, bot sich nur ein Ausweg:
Anwendung von an sich unabhängigen Motoren mit selbstthätiger
Geschwindigkeitsregelung, wovon jeder eine der drei Haupttransmissionen antreibt.
Die seit einigen Jahren an Präzisionsregulatoren für Betriebsmotoren angebrachte
Verbesserung liess nach dieser Hinsicht eine Lösung, so gewagt sie auch scheinen
mochte, hoffen.
Am Rand des Gardasees gelegen, zwischen Gebirg und Ufer eingezwängt, verfügt die
Anlage in Campione über eine ziemlich gleichmässige Wassermenge von mindestens 900 Sek./l unter einer
absoluten Höhe von 119 m über dem Seespiegel, somit über eine Bruttokraft von nahezu
1400 .
Beim Wettbewerb zwischen italienischen und schweizerischen Firmen von bewährtem Ruf
zur Nutzbarmachung der Wasserkraft und Inwerksetzung für ihre Spinnerei wiesen die
Besitzer Feltrinelli und Co. in Mailand besonders auf
die Vorteile hin, welche aus einer Kraftverteilung entspringen und gaben bekannt,
dass sie demjenigen Entwurf den Vorzug einräumen, welcher den Antrieb der drei
Haupttransmissionen durch getrennte und unabhängige Motoren bewerkstelligt, die
gleichmässigen Gang der einzelnen Transmissionen gewährleisten.
Das von den Ateliers de Constructions mécaniques vorm. B. Roy
und Co. in Vevey vorgelegte Projekt, welches letztere Lösung anstrebte,
erlangte ohne weiteres die Zustimmung der Sachverständigen und wurde sofort zur
Ausführung gebracht. Die Aufstellungsarbeiten waren Anfang 1897 beendigt und
erfolgte die Inbetriebsetzung der Werke unmittelbar darauf.
Textabbildung Bd. 312, S. 139
Fig. 17. Pelton-Turbine mit 500 der Spinnerei in Campione, ausgeführt
durch die Ateliers de Constructions in Vevey.
Die in Frage kommende Wassermenge ist einer Art Giessbach entnommen, dessen Bett bis
auf einige hundert Meter an den Bauplatz der Spinnerei angrenzt. Sie wird durch
einen offenen Kanal, der mit einem Tunnel abschliesst, zu einem Sammelschacht
geführt und von da mittels einer eisernen, stark abfallenden Rohrleitung zur Fabrik
geleitet.
Der am Felsen angebaute Sammelschacht, durch eine schräge in Hufeisenform ausgeführte
Aufmauerung gebildet, dient einesteils als Kiesfang, während die andere Seite
mittels eines Wehrgestelles gegen den Einfluss fester Körper geschützt wird. Der
Kiesfang ist mit einem Grundablass versehen, ebenso schliesst eine Schütze den
Einlauf in die Rohrleitung ab. Vom Sammelschacht bis zum Werke folgt die Leitung dem
jähen Absturz des Felsen, den derselbe aufweist; sie senkt sich anfangs mit der
beträchtlichen Abschüssigkeit von 83 % auf eine Länge von etwa 153 m, ihre
Verlängerung um weitere 80 m besitzt nur 24 % Neigung. Aus genieteten Stahlblechen
hergestellt, ist sie bis zum Eintritt in das Erdgeschoss der Spinnerei über dem
Boden verlegt und mit starken Grundmauern oder mit gemauerten, in kurzen
Zwischenräumen errichteten Pfeilern aufs solideste verankert. Die Lichtweite beträgt
800 mm, dem Druck entsprechend wächst die Blechstärke von 4 bis 9 mm. Die
Rohrlängen mit 6,10 m sind unter sich an den Stössen durch zwischen die
angenieteten Winkelflanschen gelegte Gummidichtungen verbunden, das erste Glied am
oberen Ende mit einer Ausdehnungsmuffe versehen. Im Werke selbst liegt die Leitung
wagerecht, deren Rost gleichzeitig als Abflusskanalsohle dient; an ihrem Ende ist
sie mit einem Freilaufhahn als Sicherheitsapparat, der den Zweck hat, bei starken
Wasserstössen sich selbstthätig zu öffnen, sowie mit einer Reinigungsschütze
versehen. Die Zweigrohre, welche zu den Turbinen führen, sind wie die Hauptleitung
aus Blech gefertigt, ihre Lichtweite wechselt entsprechend der Kraft des Motors,
welchen sie versorgen, zwischen 200 und 400 mm.
Die ausgedehnte Anlage der Spinnerei in Campione bedarf zu vollem Betrieb einer Kraft
von nahezu 1000 , die sich auf die einzelnen Abteilungen folgendermassen
verteilt:
Elektrische Beleuchtung
100
Batteure
70
„
Vorbereitungsmaschinen
300
„
Spinnerei
500
„
–––––––––––
Zusammen
970
Dem Konstrukteur standen 119 m Gefälle zur Verfügung, so dass nach Abzug von 3 m
Reibungsverlust noch 116 m an den Turbinen verbleiben.
Die Rohrweite ist im Hinblick auf 900 Sek./l berechnet worden, welche Wassermenge bei einem
Nutzeffekt von 75 % im stande ist, unter vorstehender Voraussetzung 1040 zu
entwickeln.
Bei voller Belastung der Motoren werden 900 l nicht vollständig verbraucht, da der
Wirkungsgrad, wie wir später sehen werden, thatsächlich die Ziffer 75 % übersteigt,
wodurch etwa 100 für anderweitige Zwecke verfügbar bleiben.
Auf Grund dieser Festsetzungen erhielt jeder der Einzelbetriebe einen besonderen, von
den anderen unabhängigen und unmittelbar mit der Antriebwelle verbundenen Motor. Die
mit den Haupttransmissionen verkuppelten Turbinen sind in die Mitte der betreffenden
Wellenstränge gelegt, wodurch den Achsen eine geringere Stärke gegeben werden
konnte, als dies sonst gewöhnlich der Fall ist, wenn die Kraft an einem Ende
derselben angreift. Die vier Motoren gehören der gleichen Type an: es sind
Löffelräder (System Pelton) mit wagerechter Achse. Die
zum Antrieb der Generatordynamo bestimmte Turbine macht 600 Umdrehungen in der
Minute, sie besitzt deshalb einen verhältnismässig kleinen Durchmesser und wurde auf
Betonmauerwerk, das 0,9 m über dem Fabrikboden vorsteht, aufgestellt. Was die
Geschwindigkeit der übrigen drei Motoren anbelangt, so ist dieselbe gewissermassen
das Ergebnis eines Ausgleiches zwischen den sich entgegenstehenden Forderungen der
Transmissionen und des Motors.
Alles erwogen, kamen Konstrukteur und Besitzer dahin überein, die Zahl von 290
Umdrehungen in der Minute als gleichmässig für die drei Werksbetriebe
festzulegen.
Wie die Transmissionen, an welche sie angeschlossen sind, liegen auch die Achsen der
Turbinen 4,20 m über dem Fussboden der Fabrik, arbeiten somit, oberhalb des
Zuleitungsrohres; die Steigröhren für das Aufschlagwasser erhielten Rohrkrümmer und
vom Fussboden aus bedienbare Abstellschützen. Die Wasserzuführung erfolgt durch eine
einzelne Oeffnung, deren Querschnitt vom Regulator leicht und sicher mittels einer
neuartigen Schütze, die den Vorteil einer guten Wasserführung für alle
Beaufschlagungsgrade besitzt und sich vorzüglich der selbstthätigen Regelung
anpasst, beeinflusst wird (Fig. 18). Der Apparat ist
durch schweizerisches Patent Nr. 14278 geschützt. Die am Umfang des Rades
aufgesetzten Löffel sind nach eigenem Modell der Werkstätten in Vevey konstruiert,
sie hatten auf der letzten Ausstellung in Genf 1896 die Aufmerksamkeit der Fachleute
auf sich gezogen. Die Höhenlage der Transmissionen über dem Fussboden der Spinnerei
entschied auch über diejenige der Achse der Laufräder. Die Folge aus dieser
unvermeidlichen und ungewöhnlichen Höherstellung der Turbinen über dem Unterwasser
wäre ein entsprechender Arbeitsverlust. Nun beträgt gemäss dieser Verschiebung der
Höhenunterschied zwischen der Mittellinie der Transmission und der Oberfläche des
Wassers im Abflusskanal 7,20 m, und – um von diesem Gefälle nichts zu verlieren –
war der Konstrukteur gezwungen, als Aushilfsmittel zum Saugrohr zu greifen, welches
unter gewissen Vorsichtsmassregeln ebenso an Turbinen mit freier Abweichung als auch
an solchen mit Ueberdruckwirkung angebracht werden kann. Aus diesem Grunde ist jeder
Motor auf der Oberfläche eines durchbrochenen Betonblocks aufgestellt, welcher ihm
selbst, sowie dem Abfallrohr als Stützpunkt dient und von dem aus der inwendig
liegende Kanal als ein luftdichtes Blechrohr bis unter den Wasserspiegel des
gemeinschaftlichen Ablaufkanals hinabreicht.
Textabbildung Bd. 312, S. 140
Fig. 18. Leitapparat, System Cachin, Schweizer Patent Nr. 14278.
Die im senkrechten Bohr hängende Wassersäule übt eine ihrer Höhe entsprechende
saugende Wirkung, die sich auf alle Punkte des das Laufrad bedeckenden und
umschliessenden Gehäuses erstreckt, aus. Um nun zu erreichen, dass sich dasselbe in
Luft und nicht im Wasser dreht, muss fortwährend eine geringe Menge äusserer Luft
derart Zutritt ins Gehäuse erhalten, dass die Wasseroberfläche niemals den Umfang
des Rades erreicht. Diese Speisung wird durch ein schwimmendes selbstthätiges Ventil
bewerkstelligt, das sich öffnet, wenn der Wasserspiegel im Saugrohr infolge zu
starken Zuflusses oder Drucküberschusses durch mitgerissene Luft steigt, sich
dagegen sofort schliesst, sobald die von aussen entnommene Luft ein erneutes Fallen
der Wasserfläche bewirkt hat.
Textabbildung Bd. 312, S. 140
Fig. 19. Isolierende Riemenkuppelung, System Cachin, Schweizer Patent Nr.
14279.
Sämtliche Turbinenlager sind mit Ringschmierung versehen; durch Einschaltung einer
isolierenden Riemenkuppelung (Schweizerisches Patent Nr. 14279) ist die
Beleuchtungsturbine mit der Dynamo verbunden. Bei allen vier Turbinen hat der mit
bewährtesten Verbesserungen ausgerüstete Servomotor-Regulator, der dieser
Vorrichtung grösste Regelfähigkeit verleiht, Aufstellung gefunden. Die mit demselben
erzielten Resultate sind bemerkenswert; so wurde z.B. die 500pferdige Turbine,
welche die Kraft für den Spinnsaal liefert, häufig ganz schroffem Widestandswechsel
(bis zu 80 %) unterworfen, es soll sich bei diesen beträchtlichen Kraftschwankungen
eine Geschwindigkeitsänderung von nur 2 % ergeben haben.
In den Lieferungsbedingungen war für jeden Motor ein Nutzeffekt von mindestens
75 % vertragsmässig festgesetzt, sowie dass die wirkliche Leistung durch
Bremsversuche nachzuweisen sei. Nachdem der Leiter der Spinnerei mittels
elektrischer Messungen nach Inbetriebsetzung sich überzeugt hatte, dass die
Beleuchtungsturbine ein ziemlich höheres Güteverhältnis ergab, und etwas später
zufolge vergleichender Versuche mit den Spinnmaschinen für die Turbinen von 70, 300
und 500 eine ähnliche Erscheinung sich herausstellte, erklärten die
Besteller aus freien Stücken, auf Bremsversuche zu verzichten.
Textabbildung Bd. 312, S. 140
Fig. 20 Pelton-Turbine zur Beleuchtungsanlage des „Hôtel des
Salines“ in Bex, ausgeführt durch die Ateliers de Constructions in
Vevey.
An vorstehende praktische Resultate mögen sich noch diejenigen mit einem Pelton-Rad
von 450 mm Durchmesser für 56 m Gefälle, 40 l in der Sekunde Aufschlag und 25
Leistung anschliessen, welches durch 'die Werkstätten in Vevey zum Betrieb
der elektrischen Beleuchtung des Grand Hôtel des Salines in Bex geliefert
worden war. Durch eine Kommission, bestehend aus den Herren Möhlenbruck, Eug. Schmidt, C. Rosset, Ls. Michot, F. Cachin, sind 21
Versuche, worunter 5 mit normaler Geschwindigkeit, angestellt worden. Letztere
ergaben bei vollständig geöffneter Düse nachstehende Resultate:
Nr.des Ver-suchs
Nutz-gefällein m
Wasser-menge inLiter inder
Sek.
Theo-retischeKraft
GewichtamHebelL = 1,432 m
Um-drehungs-zahl inder Min.
Ge-bremsteKraftin HP
Nutz-effekt%
1718192021
5858586161
Mittel aus vier Aichungen
4040404040
31,031,031,032,532,5
16 kg16 „16 „16 „16 „
795830821842804
25,426,626,326,925,7
81,9––82,779,1
Die Wassermessung erfolgte durch Aichung in einem Behälter von bekanntem Inhalt. Die
Sachverständigen heben hervor, dass bei Versuch Nr. 18 und 19 eine Unsicherheit in
der Manometerablesung vorliegt, die übrigen Messungen dagegen als völlig zuverlässig
angesehen werden können.
Die mittels Hochdruckturbinen bis jetzt erreichten Leistungen, sowohl was Anzahl der
Ausführungen, als auch erzielte Ergebnisse anbetrifft, berechtigen zu dem Schlusse,
dass im letzten Jahrzehnt auf dem Gebiete der hydraulischen Kraftmaschinen ein bedeutender
Fortschritt zu verzeichnen ist, an dem die Druckturbine mit wagerechter Achse,
System Schwamkrug, wie auch das Pelton-Rad in hohem
Masse mitbeteiligt ist, so sehr sich die Fachkreise gegen dessen Einführung zum Teil
anfangs ablehnend verhielten und der durch Prof. Releaux in der Zeitschrift des Vereins deutscher
Ingenieure gegebene Bericht über letzteres eine äusserst schroffe
Zurückweisung erfuhr.
Der alte Erfahrungssatz, dass es der Technik leichter gelingt, mässige Wassermengen
mit hohem Druck wirtschaftlich günstiger auszunutzen, als beträchtliche Zuflüsse bei
geringem Gefälle, hat, wie auch vorliegender Ueberblick erkennen lässt, bis heute
von seiner Richtigkeit wenig eingebüsst. Eine jüngste Bestätigung dieser Grundregel
findet sich in einem Artikel des Prof. Möller in
Braunschweig über die Verwendung der Schraubenturbine zur Ausnutzung kleiner
GefälleZeitschr. d. V. d. Ingenieure, Mai 1899, Nr.
13., also wo viel Wasser aber wenig Druck zur Verfügung steht.
Verfasser betreffender interessanter theoretischer Untersuchung gelangt zu dem
Schlusse, dass unter mässiger Veranschlagung der Reibungsverluste bei Gefällen von
0,50 m nur ein theoretischer Nutzeffekt von etwa 56 % des vollen Arbeitsvermögens zu
erwarten steht, vorher aber noch Versuche anzustellen wären, ob ein solches Resultat
thatsächlich überhaupt erreichbar ist. Es wird bei den erstrebten Anlagen deshalb
noch immer besonders wertvoll bleiben, mit so hohen Gefällen zu arbeiten, als sich
am Fluss ohne Benachteiligung der Anlieger erzielen lassen.