Titel: Allgemeine Fragen der Technik.
Autor: P. K. von Engelmeyer
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 197
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Allgemeine Fragen der Technik. Von Ingenieur P. K. von Engelmeyer, Moskau. (Fortsetzung von S. 169 d. Bd.) Allgemeine Fragen der Technik. Zur Erfindungsfrage. Ingenieur Emil Capitaine, Erfinder eines bekannten Petroleummotors, verfasste eine Schrift: „Das Wesen des Erfindens“ (1895), welche viel Beachtenswertes bringt. Und abermals machen wir die Wahrnehmung, dass ein guter Erfinder nicht immer ein guter Selbstbeobachter ist. Capitaine verkennt aus Prinzip das eigentliche schaffende Vermögen, die Intuition, indem er sich die Aufgabe stellt, im Erfinden nur dessen besonnene Seite zu sehen. Seine Absicht ist, „eine Erklärung der schöpferischen Geistesthätigkeit an Beispielen planmässiger Aufstellung und Lösung erfinderischer Aufgaben“ zu liefern. Zunächst bringt er eine Reihe Aeusserungen (von Schopenhauer, Goethe, Windelband, Hartig, Paulsen u.a.), wo auf die Intuition das Hauptgewicht gelegt wird; doch betont er nicht, wie er sich selbst zu dieser Anschauung stellt. Er sagt zwar später: „mit ihr (der schöpferischen Phantasie) überhaupt beginnt die schöpferische Thätigkeit, denn das Wesentliche der letzteren besteht in der Verbindung des Gegebenen zu Neuem, sowie die Zerlegung eines bisher Bestehenden, aber noch nicht Erkannten“ (S. 45, 46); „nun ist aber dieses Ergebnis, nämlich das Neue, ganz unabhängig von dem Willen des Betreffenden, er kann es nicht voraussehen, denn was er voraussieht, kann nur ein Bekanntes sein“ (S. 56); allein Capitaine eilt darüber hinaus in das Stadium der besonnenen Arbeit: „Im allgemeinen wird jede Erweiterung der kontinuierlichen Auffassung der Dinge, d.h. ein Zusammenhang erkennen, eine neue Erkenntnis und damit eine schöpferische Geistesthätigkeit darstellen, und sie muss Keime zu Neuem in sich tragen“ (S. 58). Sieht man ab von der grammatischen Unklarheit des Satzes, so erkennt man Capitaine's Grundgedanken, der überall auf eine kontinuierliche Zusammenstellung des Bestehenden das grösste Gewicht legt. Kontinuierlich soll bei ihm heissen: erschöpfend und systematisch zugleich. Als Beispiel einer solchen Zusammenstellung finden wir am Ende des Buches eine Tabelle, wo Abschlussorgane für Flüssigkeiten und Gase verschiedenster Konstruktion systematisch geordnet und schematisch dargestellt sind. Einen Grundgedanken, der wie ein roter Faden durchs ganze Werk hindurchzieht, formuliert Capitaine, indem er die Hilfsmittel für das planmässige Erfinden aufzählt, in folgenden Worten: „Erstens soll die Arbeit des Aufsuchens des Bekannten erleichtert werden durch vollständige systematische Zusammenstellung desselben, zweitens soll die Arbeit des Erkennens des Bekannten durch eine kontinuierliche Darstellung vermindert und das Ueberschauen eines unvergleichlich grösseren Gebietes wie bisher ermöglicht werden, drittens soll ein Aufsuchen und kontinuierliches Zusammenstellen aller Verfahrungsweisen bei der Verbindung des Bekannten zu Neuem stattfinden, und viertens sollen die beim Auswahltreffen des Bekannten massgebenden Gesichtspunkte aufgesucht und übersichtlich geordnet für jedes einzelne Gebiet vorgeführt werden.Sonach handelt es sich hier in der Hauptsache um die Beseitigung von Schwierigkeiten bei der Denkthätigkeit, die bisher nur besonders veranlagte Menschen mehr oder minder zu überwinden vermochten. In gleicher Weise wie bei der Verbindung von Bekanntem zu Neuem lassen sich auch für das Aufsuchen von Problemen für die schöpferische Geistesthätigkeit Verfahrungsweisen oder Regeln aufstellen“ (S. 105). Nur das Ende erweckt einen recht begründeten Zweifel. Das übrige begrüssen wir aber als einen praktischen Vorschlag, der wirklich dazu geeignet erscheint, die besonnene Arbeit beim Erfinden thunlichst zu vermindern. Ganz richtig weist Capitaine auch darauf hin, dass das heutige Schulwesen keine „Kontinuität im Wissen herstellt“ (S. 49). Indem er eine solche anstrebt, erscheint ihm der Vorschlag von Fr. Bacon willkommen, „Tafeln der Erfindungen“ aufzustellen, d. i. das gesamte Wissen in Tafeln zu ordnen. „Bei einer Ordnung des Bestehenden auf dem Gebiete der Technik würden die Millionen von Schriften, welche grosse Bibliotheken ausfüllen, auf vielleicht 30 bis 50 Bände gleich denen eines Konversationslexikons zusammenschmelzen“ (S. 90). Verfasser erzählt, ein solches Unternehmen begonnen und nur aus Mangel an Mitarbeit aufgegeben zu haben. Eine solche Encyklopädie wäre von grosser Bedeutung, nur erscheint es schwer, auf eine allgemein gültige Einteilung des Bestehenden zu verfallen, denn eine jede bringt notwendigerweise eine Beschränkung mit sich, indem sie das Suchen inmitten der von ihr gezogenen Grenzen erleichtert, dagegen führt sie die Schwierigkeit mit sich, wo eben diese Grenzen gezogen werden sollen. Auf meiner dreiaktigen Theorie fussendD. p. J. 1899 312 30 u. ff., muss ich sagen: Capitaine erwähnt zwar den ersten Akt des Schaffens, thut aber sein Mögliches, um den Anteil der Intuition thunlichst zu verringern und das Hauptgewicht in die wissenschaftliche Denkarbeit zu verlegen. Wäre Capitaine zu einer dreiaktigen Einteilung des Erfindens gelangt, so hätte er wahrscheinlich sein Buch als eine Monographie über den zweiten Akt präsentiert und dementsprechend bearbeitet. Das wäre das Richtige gewesen. Er hätte auch der Versuchung widerstehen können, das Wollen vor dem Wissen zurückzudrängen. Indem er sich aber bemüht, als Schaffen lediglich nur den zweiten Akt anzuschauen, überschreitet er die Grenze des Sachgemässen: „Es erhellt hieraus, dass die vorgeschlagene übersichtliche und kontinuierliche Ordnung des Bekannten von grösstem Wert ist für das Gewinnen einer sicheren Grundlage zum Schaffen“ (S. 124). Hier ist die Grenze; Capitaine geht aber weiter: „Man sieht hier den Schleier fallen (?), der bisher über dem erfinderischen Schaffen lag, und wie einfach und natürlich das einzelne Neue sich häuft zu einem neuen Ganzen“ (S. 124). Sein Buch gibt immerhin keine „Erklärung der schöpferischen Geistesthätigkeit“, sondern höchstens einige praktische Ratschläge zur Erleichterung dieser Thätigkeit. Capitaine meint, um Erfindungen zu machen, braucht man nur eine „kontinuierliche“ Zusammenstellung des bereits im betreffenden Gebiete Bestehenden vor Augen zu haben und dabei etwas zu experimentieren. Dann ergibt sich das gewünschte Neue von selbst, „ohne in allen Fällen erfinderische Anlage zu besitzen. Die praktischen Versuchsresultate ergeben von selbst dasjenige, was not thut“ (S. 83). Modifikation der Grösse, „Materialwechsel, Gebrauchswechsel, Umkehrung der Bewegung, Wechsel in dem weitesten Sinne gehören zu den bekannten Mitteln, mit denen man Bekanntes kombiniert, um einen Zweck zu erreichen, woraus sich das Neue von selbst ergibt“ (S. 97). „In den verschiedenen Zweigen der Technik hat man eine so grosse Anzahl von Mitteln und Verfahrungsweisen bereits in Anwendung gebracht, dass man nur diese kennen zu lernen und die geeignetsten für den jeweiligen Zweck auszuwählen und zusammenzusetzen hat“ (S. 86). Hier übersieht Capitaine den Umstand, dass erstens jene „grosse Anzahl von Mitteln und Verfahrungsweisen“ nicht anders als erfunden werden konnte, dass zweitens dies alles nur Material zur Auswahl ist, die Auswahl selbst aber von der wählenden, zielanstrebenden, kurz schöpferischen Geisteskraft vollbracht werden muss, dass alles faktisch Bestehende, an einen Ort zusammengetragen, doch nicht, wie etwa ein Gemenge aus verschiedenen Salzen, von selbst, durch Affinität, ein neues Werk zu stände bringt. So viel Zahnräder man in einen Sack auch hineinthut, es entsteht doch keine Uhr daraus. Die vollständigsten Maschinentabellen helfen wenig demjenigen, der weder angeborenes noch ausgebildetes Kombinationsvermögen besitzt. Ein Wörterbuch ist eine „kontinuierliche“ Zusammenstellung aller Elemente einer Sprache. Nach Capitaine genügt es, auf seinem Schreibtisch ein gutes Wörterbuch zu haben, um ein Schriftsteller zu sein. Seine theoretischen Auslegungen verdeutlicht Capitaine durch eine Reihe von Beispielen. Der Leser erwartet ganz natürlich eine Mitteilung über seine eigenen Erfindungen und ist dabei doppelt gespannt: erstens ist jede autentische Geschichte praktischer Erfindungen von grossem Interesse, zweitens bietet sich auch dem Verfasser die Möglichkeit, seine Theorie auf solche Belege zu stützen, die ihm bis ins Detail bekannt sind. Mit Verwunderung findet aber der Leser keine thatsächlichen Erfindungen, sondern erdichtete Fälle. Aus seiner wirklichen Praxis erwähnt Capitaine nur das Mindeste: die Ausarbeitung der Zündröhre an seinem Motor, wo es sich lediglich nur um Materialwechsel handelte bezw. um Anwendung von Porzellan anstatt Metall. Zu diesem Behufe liess Verfasser „eine grosse Anzahl solcher Röhren in den verschiedensten Wandstärken, Durchmessern und Längen machen“ (S. 101) und wählte sich daraus das passende. Mit der richtigen Bemerkung: „Wir finden dieses ‚an der Praxis Erproben' da, wo die Erkenntnis der Sache unzureichend ist, auf allen Gebieten“ (S. 102), schliesst er die kurze Auseinandersetzung seiner faktischen Erfindung. Dagegen macht er sich breit in einer Reihe erdachter Erfindungen (Apparate zum Aufzeichnen des Blutlaufes, der Atmung, der Transpiration, des Klavierspieles, eine Flugmaschine u.s.w.). Besonders eine bespricht er eingehend (auf 12 Seiten) und versieht sie mit einer Menge Zeichnungen: er habe sich die Aufgabe gestellt, einen Apparat zu konstruieren, der jede Musik mit Rhythmus und Klangfarbe nachzuahmen im stände wäre, ohne Phonograph zu sein. Indem Capitaine eine kontinuierliche Reihe Versuchskonstruktionen darstellt und beschreibt, die alle einer Verschmelzung des Telephons mit der Harmoniumzunge entspringen und die Aufgabe immer noch nicht lösen, macht er folgenden unerwarteten Schluss: „Auf diese Anordnung muss man mit Notwendigkeit gelangen“ (S. 120). „So wäre nun eine Erfindung gemacht und damit die Grundlage zu einem neuen Instrument geschaffen, welches an Bedeutung den Phonographen erheblich überragen dürfte“ (S. 122). In einer Fussnote verspricht Capitaine diesen Apparat „innerhalb Jahresfrist der Oeffentlichkeit übergeben zu können“ (S. 124). Inzwischen sind aber 4 Jahre verstrichen, ohne dass wir einen solchen besitzen. Allerdings sagt dieser Umstand nichts gegen die Möglichkeit,dass er von heute auf morgen zu stände kommt, er beweist aber, dass es zu früh ist, eine Erfindung als fertig anzunehmen, bevor sie eben fertig ist. Es ist entschieden zu bedauern, dass Capitaine als Urheber anerkannt praktischer Erfindungen es vorzog, zur Begründung seiner Theorie nicht die ihm zu Gebote stehenden Fakta, sondern Fiktionen zu verwerten. Die Frage erscheint somit berechtigt: was wäre aus seiner Theorie, wollte er sie auf das Faktische anwenden? Ich glaube, diese Frage folgendermassen beantworten zu dürfen: seine Theorie hätte dabei die nötige Modifikation erhalten können, welche sie eben sachgemäss durchmacht und die darin besteht, der Intuition ihre volle Berechtigung anzuerkennen, und sie nirgends ausser Sicht zu lassen. Wir schliessen mit Capitaine's Behandlung der Frage von der Entdeckung. Den Unterschied zwischen Erfindung und Entdeckung sieht er darin, dass in der Erfindung ein Zusammensetzen, in der Entdeckung ein Zerlegen stattfindet. Diese Ansicht ist eigentümlich und wir wollen sie näher prüfen. Wir lesen: „es gibt Fälle, in denen irgend eine Zusammenstellung von Körpern und Vorgänge nicht ohne weiteres erkennbar sind, dass die Entwirrung des Thatbestandes die denkbar grössten Schwierigkeiten macht. In den niederen Graden bezeichnet man das Entwirren des Thatbestandes einfach mit Erkennen. . . . In den Fällen, wo eine Erscheinung auftritt, deren Merkmale nicht ein direktes Inbeziehungbringen zu dem bereits Bekannten gestattet, nennen wir das Entwirren des Thatbestandes – Entdecken“ (S. 125). Als Beispiel wird, ähnlich wie bei Hoppe, die Entdeckung des Ozons auseinander gesetzt, wo der Geruch als Führer diente für die Ausscheidung (Entwirrung) jenes Stoffes – des Sauerstoffes, der den Ozon bildet. Darf man nun sagen: Erfinden ist Verbinden, Entdecken ist Zerlegen? Nein, in beiden geschieht beides. Erfindung wie Entdeckung ist eine neue Gruppierung eines alten Materials, welches zu dem Behufe zerlegt wird. Die von aussen empfangenen Komplexe zerfallen im Geiste in Teile, die sich gegenseitig berühren und in anderer Gruppierung verbinden. Ein neues Konzept kann nur entstehen, indem das Baumaterial dafür aus früherer Erfahrung, durch deren Zerfall, entnommen wird. Ob man das neu entstandene Konzept Erfindung oder Entdeckung nennt, hängt davon ab, welche Anwendung das Konzept bekommt, eine technische oder eine wissenschaftliche. Wie gesagt, darf man im besprochenen Werk von Capitaine keine Erklärung des Erfindens, sondern nur eine Monographie über den zweiten Akt des letzteren suchen. Dann bleibt dem Werke seine volle Bedeutung gewahrt. Sehr interessant ist das von E. Rasch verfasste Werkchen „Zum Wesen der Erfindung“ (1899). Der Verfasser, Oberingenieur am Bayerischen Gewerbemuseum in Nürnberg, hatte offenbar zahlreiche Gelegenheit gehabt, mit Erfindern in Verbindung zu treten, was eine Stellung, wie die seinige, notwendig mit sich bringt. Sehr wertvoll ist es, wenn einer aus dem Leben einen Standpunkt erfasst, denselben in die Oeffentlichkeit bringt. Obwohl wir nicht mit allem einverstanden sind, so bietet uns dessenungeachtet auch dasjenige Interesse, was uns nicht zusagen will. Vor allem wird der intuitive Ursprung der Erfindung hervorgehoben, unter Bezugnahme auf E. Hartig, Helmholtz, Goethe, Voltaire, Lombroso, Schopenhauer. Alsdann fühlt sich Verfasser verpflichtet, sein Thema gegenüber der herrschenden Abneigung gegen alles Philosophieren über technische Dinge zu rechtfertigen und sagt: „Die Lösung dieser Frage nach dem Wesen der Erfindung ist nicht müssige Spielerei und hat nicht lediglich erkenntnistheoretischen Wert, sie ist von grösster Wichtigkeit für das Industrierecht“ (S. 6), und erklärt sich einverstanden mit dem, was ich im ersten meiner Artikel über „Allgemeine Fragen der Technik“ (D. p. J. 1899 311 21) über den berufsmässig viel zu eng begrenzten Gesichtskreis der gegenwärtigen Ingenieure geäussert. Zu seinem eigentlichen Thema übergehend, sieht Rasch als „erste Phase einer Erfindung“ „das Erfassen eines Problems, das Erhaschen einer Aufgabe“ (S. 9). „Die Erkenntnis des Mangels, der Unvollkommenheit dringt stärker auf den feiner als gewöhnliche Sterbliche empfindenden Erfinder ein“ (S. 10). Der innere Vorgang, welcher meinen ersten Akt kennzeichnet, findet alsdann eine so treffende Darstellung, dass wir sie hier wiedergeben: „Jedes Ding, jeder Vorgang des Lebens wird mit geschärftem Blick gesehen und probierend mit seinem Problem in kausalen Zusammenhang gebracht. Jeder Mechanismus, jedes Getriebe, jeder physikalische Vorgang, der ihm zufällig aufstösst, wird seiner schemenhaften Erfinderidee probeweise eingefügt, wobei das stets wachende kritische Gewissen entscheidet, ob dieses neue Element zur Lösung der gesteckten Aufgabe geeignet ist oder nicht“ (S. 12). „Die überraschende Zweckmässigkeit irgend einer Kombination, die ihm häufig der Zufall in die Hände spielte, und die er bei systematisch bewusstem Suchen vielleicht nicht gefunden haben würde, bringt ihm die Möglichkeit der Lösung seines Problems plötzlich zum Bewusstsein“ (S. 13). „In demselben Augenblicke, in dem das Hilfsmittel, welches zur Lösung des Problems führt, von dem Spürsinn des Erfinders erhascht wird, in dem die Möglichkeit der Lösung seines Problems in dem Bewusstsein des Erfinders auftaucht, ist die eigentliche Erfinderthätigkeit beendet. . . . Die praktische Konstruktion einer Erfindung ist berufsmassige Arbeit eines Ingenieurs“ (S. 14). Im typischen Verlauf des Erfindens unterscheidet nun Hasch zwei Stufen: die erste Stufe fängt an mit dem Erfassen einer Aufgabe und endet mit dem Erhaschen der Möglichkeit der Lösung (notabene noch nicht der Lösung selber). Somit stimmt seine erste Stufe auf das vollkommenste mit meinem ersten Akte überein. Das übrige, die eigentliche Ausarbeitung, bezeichnet er mit einem Worte „Konstruktion“ und fasst mit demselben meinen zweiten und meinen dritten Akt zusammen. Das Konstruieren beziehe ich nur auf den dritten Akt, und mit dem zweiten Akte bezeichne ich die Ausarbeitung eines Schemas. Rasch fasst somit nicht den vollständig ausgebildeten Erfindungsvorgang, sondern eine seiner Verkürzungen, auf die ich seinesorts hingewiesen (D. p. J. 1899 312 145 bis 146), was durchaus keinen Vorteil darbietet, eher umgekehrt. Den psychologischen Mechanismus des Erfindens beschrieben, wendet sich Rasch zur logischen Feststellung des Begriffes Erfindung. Ganz richtig erblickt er nächste Verwandtschaft zwischen Erfindung, Entdeckung und künstlerischer Schöpfung. In der „unbekannten Wirkung“ einer Komplexion von bekannten Elementen sieht er das gemeinsame Wesen der drei Geschwister (S. 20). „Wenn es nun zutreffen dürfte, dass eine Kunstschöpfung einen ästhetischen, eine Entdeckung einen erkenntnis-theoretischen Effekt besitzt, so ist es schwieriger, den Effekt der Erfindung eindeutig zu kennzeichnen. Und zwar hat dies darin seinen Grund, dass wir vorderhand uns darüber noch nicht klar sind, was Technik ist und was Technik soll; kurzum, der Mangel an einer Realdefinition des Begriffes ‚Technik' macht sich hier schwer fühlbar“ (S. 21). Zur Motivierung dieses Seufzers wird meine Definition des Begriffes „Technik“ wiedergegeben: „Technik ist die Kunst, Naturerscheinungen planmässig und auf Grund der erkannten natürlichen Wechselwirkungen der Dinge ins Leben zu rufen“ (D. p. J. 1899 312 97). Obzwar ich ebenda die Thatsache blossgelegt habe, wie wackelnd und mehrdeutig der Sprachgebrauch des Begriffes „Technik“ zur Zeit immer ist, so sieht man doch gleich, dass jene Definition sie alle umfasst. Die Mehrdeutigkeit aber, sie ist ein Segen an sich: in ihr liegt verborgen das Rätsel, warum und wie unser technischer Beruf mit allen anderen verknüpft ist, warum und wie derselbe an die Spitze der gesellschaftlichen Leiter steigen wird, sobald das Rätsel dereinst gelöst werden wird. Es fragt sich nur, von welcher Seite darf man die Lösung erwarten? Dürfen wir etwa Juristen oder Philosophen, Historikern oder Medizinern zumuten, dass sie es sich zur Lebensaufgabe machen, die Abhängigkeit oder gar Unterordnung ihrer Stände von dem technischen in die allgemeine Ueberzeugung – uns, Technikern, zum Ostergeschenk – darbringen? Es scheint in der That, als ob die hohen Leitungen mancher technischen Hochschulen dieser Erwartung sich hingeben – oder vielleicht gar keine gesellschaftlichenFortschritte für den Ingenieurstand erwarten (vgl. meine „Propädeutik“ D. p. J. 1900 315 127). Auf Rasch zurückkommend, sehen wir ihn doch auf meinen Dreiakt kommen nach dem Schema: „Wollen, Wissen, Können“ (D. p. J. 1899 312 130). Nur will er in dieser Dreifaltigkeit nicht den ganzen Vorgang, sondern nur das Ergebnis der Schöpfung sehen – Sache des Gesichtswinkels – und ordnet nach derselben die Triade: Kunst, Wissenschaft, Technik: „Jedes Kunstwerk regt zu neuer Bethätigung des Willens an: es vermehrt die jeweilige Summe, das Integral des Gewollten“ (S. 23). „Das Ziel des Entdeckers ist Erkenntnis des Seins, das Wissen. Er will in erster Linie das Integral des Gewussten vergrössern, bereichern“ (S. 24). „Und nun der Erfinder . . . Die Erfindung ist dem Realen gewidmet: sie bereichert den Schatz menschlichen Könnens durch neue Hilfsmittel . . . Die Aufgabe der Technik besteht darin, das physische Können des Menschen durch räumlich oder zeitlich gekennzeichnete Hilfsmittel zu erhöhen“ (S. 24). Alsdann macht Rasch den interessanten Versuch, nach dem Dreiakt „Wollen, Wissen, Können“ die ganze Kulturgeschichte einzuordnen: „Die Kunst schuf zuerst vorhin nicht gekannte Gefilde, auf denen die Psyche sich ausleben, sich dem Schönen in Tönen und Bildern hingeben kann“ (S. 24). „Der zweite ‚Akt' in der Kulturgeschichte wurde durch die Entdeckung, durch die ständige Bereicherung des ‚Gewussten' eingeleitet. Die dritte Entwickelungsstufe wird durch die technische Erfindung beherrscht, die nunmehr die letzte Lücke in dem Dreiakt der schöpferischen Thätigkeit des Menschen ausfüllt“ (S. 25). Ich darf nicht sagen, dass mir diese Ansicht willkommen erscheint: mit ihr stellt man fatal ein Punktum auf die weitere Kulturentfaltung und man verfällt in eine doppelt unbehagliche Lage, zu entscheiden: entweder hat unsere Zeit wirklich den Kulturgipfel erreicht, die Bergsicht ist dann entschieden des Erklimmens nicht wert, oder es stehen uns noch höhere und schönere Aussichten bevor. Dann ist die Ansicht totgeboren. Ich bin für meine Person für den zweiten Glauben und bekenne mich zu dem Meliorismus von George Elliott. Wie oben gesagt, legt Rasch das Hauptgewicht, das Wesen der Erfindung nicht in die Neuheit der Komplexion selber, sondern in die Neuheit des Effektes der Komplexion. Er fragt aber in Verzweiflung: „Was ist überhaupt noch neu?“ (S. 29), indem er mit E. Kapp („Philosophie der Technik“, vgl. D. p. J. 1899 311 69) findet, „dass unsere meisten Erfindungen (?) von der Natur bereits vorerfunden sind, dass unsere Erfinder organische Vorbilder unbewusst kopieren“ (S. 29 bis 30). Man muss sich billig wundern, wie ein Rasch, der doch offenbar ein reger Geist und ein erfahrener Techniker ist, einer Kapp'schen Organprojektion huldigt! Zwar bestätigt dieser Umstand nur, was ich in meinem ersten Aufsatz gesagt: „. . . was manche Denker . . . geschrieben, ist nicht genügend technisch behandelt, und was von Technikern geschrieben wurde, ist nicht immer logisch genug gewesen“ (D. p. J. 1899 311 22); immerhin ist es zu bedauern, um so mehr, als Rasch von einem gesunden Gefühl geleitet ist und der Kapp'sche Nebel nur eine vorübergehende Trübung des klaren Gedankenflusses verursacht. Die trübe Stelle wollen wir doch hervorheben. Einstmals lesen wir, dass die Natur „nie irrt, dass die Lösung stets dem Zwecke angepasst ist“ (S. 30). Ein paar Zeilen weiter heisst es: „Unzweckmässige Anläufe und Auswüchse fielen dem Untergange anheim . . .“ (S. 30). Auf den ersten Blick scheint der zweite Satz den ersten nur zu bestätigen, ich sehe aber einen Widerspruch in beiden: dass die Natur zu irgend welchen Zeiten Unzweckmässigkeiten hervorgebracht, ist ein schlechter Beleg für das Dogma der Unfehlbarkeit der Natur. Bald sind wir aber über die trübe Stelle hinweg: „Es ist einleuchtend, dass manche Erfinderaufgaben in der Technik gestellt werden, die, wie sich gewöhnlich später zeigt, die Natur bereits gelöst hat“ (S. 31). „In der That beschränkt sich die Aehnlichkeit einer Organprojektion mit ihrem Vorbild nur in der Uebereinstimmung des Zweckes, der Aufgabe“ (S. 32). „Die naheliegende Konsequenz, welche aus der Theorie der Organprojektion gezogen werden könnte, bei Lösung technischer Probleme die Natur zu kopieren, würde heillose Irrungen und Enttäuschungen zeitigen“ (S. 41). Endlich trifft Rasch den Nagel auf den Kopf: „Zweck jeder Erfindung, jedes Werkzeuges, jeder Maschine war die Erhöhung der Leistungsfähigkeit in Erfüllung einer Aufgabe. Dieses Ziel scheint nun – wenn wir der Entwickelungsgeschichte der Technik überhaupt trauen und aus ihr eine Lehre ziehen können – durch die Anwendung zweier Prinzipien auf dem kürzesten Wege erreicht worden; einmal durch das bereits berührte Prinzip, das in der Beschränkung der Mannigfaltigkeit der Aufgabe besteht,und zweitens durch die Beschränkung der Bewegungswillkür (S. 32 bis 33). Passend sind auch die Erläuterungen dieses Prinzips aus den Beispielen des Hammers (S. 33), der Zange (S. 36), der optischen Apparate (S. 37 bis 38), des Telephons (S. 39), – und einen trefflichen Schluss des Werkchens bilden die Worte des grossen Helmholtz: „Wir suchen nicht mehr Maschinen zu bauen, welche die tausend verschiedenen Dienstleistungen eines Menschen vollziehen, sondern verlangen im Gegenteil, dass eine Maschine eine Dienstleistung, aber an Stelle von tausend Menschen versieht.“ (Fortsetzung folgt.)