Titel: Allgemeine Fragen der Technik.
Autor: P. K. von Engelmeyer
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 258
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Allgemeine Fragen der Technik. Von Ingenieur P. K. von Engelmeyer, Moskau. Allgemeine Fragen der Technik. Aussichten für die deutsche Technik. Anlässlich der Verleihung des Promotionsrechtes an die technischen Hochschulen erhielt der zeitige Rektor der Berliner technischen Hochschule, A. Riedler, den Auftrag, Kaiser Wilhelm die Danksagung auszusprechen. In seiner Erwiderung äusserte sich Seine Majestät in einer Weise, die den deutschen Technikern die weitesten Aussichten offenbart. Seine Majestät hat zugestanden, die technischen Schulen ausgezeichnet zu haben, um sie „in den Vordergrund zu bringen, denn sie haben grosse Aufgaben zu lösen, nicht bloss technische, sondern auch grosse soziale“. Das Kaiserwort betont ferner, dass die Techniker „auf die sozialen Verhältnisse vielfach grossen Einfluss ausüben“ können, da ihre „vielen Beziehungen zur Arbeit und zu Arbeitern und zur Industrie überhaupt eine Fülle von Anregung und Einwirkung ermöglicht. Sie sind deshalb auch in der kommenden Zeit zu grossen Aufgaben berufen; die bisherigen Richtungen haben ja leider in sozialer Beziehung vollständig versagt“. Nachdem er die Bedeutung des technischen Berufes so hervorgehoben, spricht der Kaiser von der Anerkennung, die sich die deutsche Technik zu Hause und auch im Auslande erworben: „Das Ansehen der deutschen Technik ist jetzt schon ein sehr grosses. Die besten Familien, die sich anscheinend sonst ferngehalten, wenden ihre Söhne der Technik zu, und ich hoffe, dass das zunehmen wird. Auch im Auslande ist Ihr Ansehen sehr gross, und Ausländer sprechen mit grösster Begeisterung Von der technischen Bildung, die sie an Ihrer Hochschule Erhalten haben. Es ist gut, dass Sie auch Ausländer heranziehen. Das schafft Achtung vor unserer Arbeit.“ Anknüpfend an diese kaiserliche Ansprache entwickelt A. Riedler einige allgemeine Gesichtspunkte über die Bedeutung des technischen Standes und über die nächsten Aufgaben, die sich notwendig jetzt schon der technischen Hochschulbildung entgegenstellen. Es ist nun um so mehr interessant,den Gedanken Riedler's zu folgen, als sie die weitere Auslegung der kaiserlichen „Worte bilden und durch diese ihre Bedeutung erhaltenDas Folgende entnehmen wir der vor kurzem erschienenen Broschüre: „Ueber die geschichtliche und zukünftige Bedeutung der Technik. Zwei Reden zur Feier der Jahrhundertwende und zum Geburtsfest Seiner Majestät des Kaisers am 9. und 26. Januar 1900 in der Halle der Königl. technischen Hochschule zu Berlin, gehalten von dem zeitigen Rektor A. Riedler, Berlin 1900. (G. Reimer.). „Lange vor dem Zusammenbruch der Kleinstaaterei (in Deutschland) ist der Umschwung eingetreten durch technische und kaufmännische Arbeit, durch die Entwickelung der Wasserstrassen, durch die Aufschliessung des Hinterlandes, Schaffung grosser Verkehrswege, dann in grossartigem Massstabe, inmitten der traurigsten politischen Verhältnisse, durch die Entwickelung der Eisenbahnen.“ „Langsam und mühevoll war der Anstieg, beispiellos rasch und gross der Erfolg. Siegreich ist die Technik auf allen Gebieten vorgedrungen, alle Lebens- und Schaffens Verhältnisse, Menschen- und Völkerdasein hat sie tief eingreifend umgestaltet. Die Technik wird auch dem kommenden Jahrhundert sein Gepräge geben. Die Gegenwart zeigt ein erhebendes Bild wahrhaft grosser Entwickelung der Technik, wie der technischen Hochschulen, die zeitlich und auch nach ihrem innersten Werte zusammenfällt mit den machtvollsten Bestrebungen der Deutschen.“ Diesem Fortschritte liegen indes, nach Riedler, einige Ueberlieferungen im Wege, die beseitigt werden wollen. So die „überlieferte fachliche Ausbildung im Staatsbaudienst“. „Bisher hatte nur die Bauverwaltung staatlich voll anerkannte, aber nur für ihre Beamten tauglichen Prüfungsvorschriften und Titel.“ Diese Sachlage wäre auf Grund des Promotionsrechtes umzuändern. „Das zweite Hindernis einer richtigen wirtschaftlichen und sozialen Erziehung unserer Jugend liegt in ihrer Vorbildung, die bisher nur gelehrter Ueberlieferung folgte.“ „Die herrschende Vorbildung ist ungeeignet für die technische Hochschule und für das vielseitige Leben, ungeeignet gegenüber den Aufgaben der Zukunft, insbesondere den sozialen. Dazu gehört Kenntnis des vollen Lebens, der Wirklichkeit, der Lebensbedingungen der Gegenwart.“ Die Frage von der Vorbildung für die technische Hochschule bildet thatsächlich einen der Grundsteine, worauf heute schon weiter gebaut werden soll. Leider sind die ausschlaggebenden Kräfte, von denen die Reform im Schulwesen abhängt, wenig geneigt, sie zu Gunsten der technischen Bildung zu gestalten, weil sie selbst der Universitätsbildung genossen, Riedler sieht ganz richtig die Ursache vieler Missstände darin, „dass in unserer ganzen Erziehung bisher nur die reflektierende Bildung an der Spitze gestanden, nie die gestaltende Bildung. Diese letztere hat ihr Arbeitsgebiet bisher nur in zwei Richtungen gefunden: in Kunst und in Technik. Ein Einfluss auf das Staatsleben ist ihr bisher völlig verwehrt geblieben. Die Zukunftsaufgabeliegt darin, Männer zu bilden, die befähigt sind, die gestaltende Bildung nicht nur in enger Fachthätigkeit zu verwerten, sondern hinaustragen in das soziale und Staatsleben. Solche Bildung wird die Zukunft fordern, sowohl von der Volksvertretung wie von denjenigen Männern, welche staatliche oder andere Gemeinschaften zu leiten haben. Diese Bildung wird sich gleichweit entfernt halten von der Gestaltungskraft ohne Bildung, die im groben Materialismus oder in Erwerbsgier ihren Ausdruck findet, wie von der Bildung ohne Gestaltungskraft, die bisher fast allein herrscht“. Wir begnügen uns mit diesen wenigen Worten Riedler's, um die Aufmerksamkeit aller Interessenten auf seine kurze und doch so weittragende Schrift zu lenken, die noch eine Fülle tiefer Gedanken bringt. Unter anderem entwirft Riedler ein allgemeines Bild von der säkularen Bedeutung der Technik im Kultur fort schritte der Menschheit. Dieses Bild dürfte auch in den weitesten Kreisen die Augen öffnen und darthun, was Technik ist, und was sie für die nächste Zukunft sein soll.