Titel: Das exzentrische Kreisradgetriebe für ein Umdrehungsverhältnis 1 : 2.
Autor: O. Herre
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 360
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Das exzentrische Kreisradgetriebe für ein Umdrehungsverhältnis 1 : 2. Von O. Herre. Das exzentrische Kreisradgetriebe für ein Umdrehungsverhältnis 1 : 2. Die Anwendung von Zahnrädergetrieben mit wechselndem Verhältnis der Winkelgeschwindigkeiten tritt im Maschinenbau nur vereinzelt auf, weil sich der Zweck dieser Getriebe, nämlich die Umwandlung einer gleichförmigen Drehbewegung in eine abwechselnd nach bestimmten Gesetzen beschleunigte und verzögerte Drehbewegung, gewöhnlich durch andere Hilfsmittel in bequemerer Weise erzielen lässt. Die Gründe für die beschränkte Anwendung „unrunder“ Zahnräder bestehen einerseits in den praktischen Schwierigkeiten, welche die genaue Herstellung dieser Räder bietet, andererseits aber auch in den theoretischen Schwierigkeiten bei der Entwickelung der Form und der Bewegungsgesetze der Räder. Die einfachsten Zahnrädergetriebe mit wechselndem Winkelgeschwindigkeitsverhältnis sind die bekannten, mehrfach verwendeten elliptischen Räder, bei denen die Teilrisse der beiden Räder durch zwei kongruente Ellipsen gebildet werden, während die gleichliegenden Brennpunkte der beiden Ellipsen die Lage der Drehachsen bestimmen. Die elliptischen Räder sind jedoch in ihrer Anwendung auf solche Fälle beschränkt, in denen die Umdrehungszahlen der beiden Räder gleich sind. Soll das Verhältnis der Umdrehungszahlen nun 1 : 2 betragen, so kann das in Fig. 1 dargestellte Getriebe Verwendung finden. Das kleinere Trieb, welches die doppelte Umdrehungszahl des anderen Rades erhalten soll, ist ein Kreisrad, dassich um eine exzentrisch liegende Achse dreht. Das zweite Rad muss nun einen Teilrissumfang gleich dem doppelten Teilkreisumfang des Kreisrades und ausserdem eine solche Form erhalten, dass in allen Stellungen die Summe der beiden augenblicklich zusammenwirkenden Strahlen von den Drehpunkten der Räder nach den sich berührenden Teilrisspunkten konstant und zwar gleich der Achsenentfernung ist. Textabbildung Bd. 315, S. 359 Fig. 1 Für die Form des grösseren Rades findet man in der Litteratur die Angabe, dass der Teilriss eine Ellipse ist. Dies ist jedoch nicht ganz zutreffend. Die genaue Form des Teilrisses ist nur ellipsenähnlich; der wirkliche Teilriss weicht von der Ellipse mit gleichen Halbachsen in der Weise ab, dass die Kurvenzweige zwischen den Endpunkten der Hauptachsen innerhalb der Ellipse fallen, und zwar sind die Abweichungen um so grösser, je grösser die Exzentrizität des Kreisrades gewählt wird. Für die in Betracht kommenden praktischen Werte der Exzentrizität fällt die Abweichung nun so gering aus, dass man die Ellipse als Grundlage für die Ermittelung der genauen Form benutzen kann. Die Ermittelung des genauen Teilrisses und überhaupt die Berechnung der Räderform für bestimmte Achsenentfernungen und gegebene Werte der Geschwindigkeitsveränderungen des angetriebenen Rades kann nun nach den Untersuchungen des Verfassers auf Grund des nachstehend entwickelten Verfahrens erfolgen. Es bezeichne mit Bezug auf Fig. 2 s = AB den Abstand der Achsen der beiden Räder; r = MC= CN den Teilkreishalbmesser des Kreisrades I; e= BC die Exzentrizität des Kreisrades, also die Entfernung des Teilkreismittelpunktes vom Drehpunkt des Rades I; a = AM die grosse Halbachse des ellipsenähnlichen Teilrisses des Rades II; b = AP die entsprechende kleine Halbachse desselben Rades. Es möge nun vorausgesetzt werden, dass diese Bestimmungsstücke in Fig. 2 in den richtigen Verhältnissen angenommen worden sind; die Berechnung dieser Bestimmungsstücke wird später gezeigt werden. Die Konstruktion der Teilrisse ist dann folgende. Textabbildung Bd. 315, S. 360 Fig. 2 Man zieht um C mit dem Halbmesser r den Kreis und konstruiert für die Halbachsen a und b eine genaue Ellipse mit dem Mittelpunkt A. Die Ellipse ist in Fig. 2 strichpunktiert eingetragen; dann bestimmt man entsprechend der gewählten Exzentrizität e den Drehpunkt B des Kreisrades. Nunmehr teilt man den halben Umfang MN des Teilkreises in eine Anzahl gleicher Teile; in Fig. 2 sind acht Teile mit den Teilpunkten 0, 1, 2, 3 . . . 8 angenommen worden. Schlägt man jetzt mit der Achsenentfernung s = AB um B einen Kreis und legt man von B aus durch die vorhin erwähnten Teilpunkte 1, 2, 3 . . . 8 Strahlen bis zur Peripherie dieses Kreises, so erhält man die Punkte a, b, c . . . h. Nun besteht aber der Grundsatz, dass bei Rädern beliebiger Form, bei denen nur die Entfernung der Drehachsen konstant ist, die Summe der beiden zusammen arbeitenden Fahrstrahlen ebenfalls konstant und gleich der Achsenentfernung ist, weil der Berührungspunkt der beiden aufeinander abrollenden Teilrisse stets auf der Verbindungslinie der beiden Drehachsen liegen muss. Dann folgt aber nach Fig. 2 ohne weiteres, dass zu den Fahrstrahlen B1, B2, B3 . . . B8 des Kreisrades entsprechende Fahrstrahlen des Rades II gehören, die durch die Längen a1, b2, c3 . . . h8 bestimmt sind. Um den Teilriss des Rades II zu ermitteln, sind noch die Winkel festzustellen, welche diese Fahrstrahlen miteinander einschliessen. Zu diesem Zwecke teilt man nach Fig. 2 den Viertelbogen MP der Ellipse in ebenso viel gleiche Teile wie den halben Teilkreis des Rades I und verbindet die erhaltenen Teilpunkte 1', 2', 3' . . . 8' mit A. Auf diese Fahrstrahlen A1', A2', A3' . . . A8' trägt man jetzt von A aus die Längen a1, b2, c3 . . . h8 ab, wodurch die Punkte a', b', c' . . . h' entstehen, die durch eine Kurve zu verbinden sind, welche dann den Teilriss des Rades II darstellt. Allerdings ist zu bedenken, dass die Punkte a', b', c' . . . h' nicht mehr genau gleich weit voneinander entfernt sind, wie es verlangt werden müsste, doch sind die Abweichungen nur gering und können für die meisten praktischen Fälle vernachlässigt werden; für genauere Ermittelungen kann man übrigens dasselbe Verfahren mit Benutzung der gefundenen Kurve noch einmal anwenden. Das vorstehend beschriebene Verfahren ist natürlich nur für den Fall thatsächlich richtig, wenn die gefundene Teilrisslinie auch ebenso lang wie der doppelte Umfang des Teilkreises des Rades I ist, was nur bei einer richtigen Wahl der Bestimmungsstücke zutreffen wird. Die Berechnung der Bestimmungsstücke kann nun in folgender Weise geschehen. Wäre die genaue Ellipse der richtige Teilriss für das Rad II, so hätte man den Umfang derselben gleich dem doppelten Teilkreisumfang zu setzen; es wäre π . (a + b) x = 2 . π . 2 r . . . . . I) Der Wert x ist von dem Verhältnis \frac{a-b}{a+b} abhängig und wird durch Summation einer unendlichen Reihe erhalten; er schwankt zwischen 1 und 1,2732, je nachdem \frac{a-b}{a+b} zwischen den Werten 0 und 1 sich bewegt. Nun ist aber zu bedenken, dass der wirkliche Teilriss, wie schon erwähnt wurde, und wie es auch Fig. 2 zeigt, innerhalb der Ellipse liegt; daher wird der Umfang des Teilrisses auch kürzer sein als der Ellipsenumfang. Es wäre somit notwendig, in Gleichung I die Ellipse gleich von vornherein so viel grösser zu nehmen, dass nach vollzogener Konstruktion des Teilrisses dieser gerade den richtigen Umfang hat. Hierbei kann nun die Thatsache gute Dienste leisten, dass der Wert x etwa in demselben Verhältnis zu 1 steht, wie die Länge der Ellipse zur Länge des Teilrisses; infolgedessen erfüllt man die vorstehende Bedingung betreffs der Wahl einer grösseren Ellipse in ganz zweckmässiger Weise, wenn man in Gleichung I den Wert x durch den Wert 1 ersetzt; man erhält also die Bedingung π (a + b) = 4 . π . r . . . . . II) Für den Fall e = 0, wenn es sich also um zwei zentrische Kreisräder handelt, indem a = b wird, ist Gleichung II absolut richtig. Wächst e, so weicht der Teilriss zwar immer mehr von der Ellipse mit gleichen Achsenlängen ab; da aber der Wert x ebenfalls wächst, so wird auch durch die in Gleichung II vorgenommene Substitution eine um so grössere Ellipse zu Grunde gelegt. Für den Wert e = 0,3 r bis 0,4 r ist daher auch auf graphischem Wege eine Differenz zwischen der Länge des durch Konstruktion gefundenen Teilrisses und dem doppelten Kreisumfange kaum festzustellen. Erst für den Wert e = 0,7 r wird eine Differenz dieser Längen bemerkbar, doch bleibt der Fehler immer noch unter 1 %, was wohl noch in den Kauf genommen werden kann. Grössere Werte für e als 0,7 r dürften aber wohl kaum praktisch in Betracht kommen, da sich sonst die Welle zu sehr dem Teilkreise bezw. dem Fusskreise der Radzähne nähern würde, und die Herstellung der Räder kaum noch möglich bezw. zweckmässig wäre. In Fig. 1 ist e = 0,33 r, in Fig. 2 dagegen e = 0,7 r. Man erkennt aus Fig. 2, dass zwischen dem Wellenumfang des Rades I und dem eventuell anzuwendenden Zahnfusskreis kaum noch genügend Material verbleiben würde. Es ist daher die in Gleichung II vorgenommene Substitution für alle praktischen Fälle als hinreichend genau anzusehen. Aus Gleichung II folgt nun r=\frac{a+b}{4} . . . . . III) Ferner ergibt sich aus Fig. 2 \left{{s=a+r-e}\atop{s=b+r+e}}\right\}\ . . . . . IV) Durch Addition erhält man 2 s = a + b + 2r s=\frac{a+b}{2}+r. Nun kann man aber nach Gleichung III für \frac{a+b}{2} den Wert 2r setzen; infolgedessen erhält man aus vorstehender Gleichung die sehr einfache Beziehung s = 3 r . . . . . . . 1) Der Radius des Kreisrades I ist demnach stets gleich dem dritten Teile der Achsenentfernung zu wählen. Aus den Gleichungen IV folgt nun weiter a + r – e = b + r + e c=\frac{a-b}{2} . . . . . . . 2) Bezeichnet nun φ1 das kleinste und φ2 das grösste Verhältnis der Winkelgeschwindigkeit des Rades II zur konstanten Winkelgeschwindigkeit des Rades I, so folgt aus Fig. 2 \varphi_1=\frac{B\,M}{A\,M}=\frac{r-e}{a} \varphi_2=\frac{B\,N}{A\,P}=\frac{r+e}{b}. Hieraus folgt dann für Rad II das Verhältnis der kleinsten Winkelgeschwindigkeit zur grössten während einer halben Umdrehung \varphi=\frac{\varphi_1}{\varphi_2}=\frac{b}{a}\,\frac{r-e}{r+e} . . . . . V) Setzt man hierin für r und e die Werte aus den Gleichungen III und 2 ein, so folgt \varphi=\frac{b}{a}\ \frac{\frac{a+b}{4}-\frac{a-b}{2}}{\frac{a+b}{4}+\frac{a-b}{2}} Nach einer kurzen Umformung ergibt sich hieraus \varphi=\frac{3\,b^2-a\,b}{3\,a^2-a\,b} . . . . . VI) Nun folgt aber aus Gleichung III und 1 b=4\,r-a=\frac{4}{3}\,s-a . . . . . 3) Benutzt man den ersten Wert, um b aus Gleichung VI zu eliminieren, so erhält man \varphi=\frac{3\,(4\,r-a)^2-a\,(4\,r-a)}{3\,a^2-a\,(4\,r-a)} \varphi=\frac{3\,(16\,r^2-8\,a\,r+a^2)-4\,a\,r+a^2}{3\,a^2-4\,a\,r+a^2} Zieht man den Nenner zusammen und multipliziert man mit ihm die Gleichung, so folgt φ (4a2 – 4 ar) = 48 r2 – 24 ar + 3 a2 4 ar + a2 4 a2φ – 4 arφ = 48 r2 – 28 ar + 4 a2. Dividiert man die Gleichung durch 4 und ordnet man die Glieder, so erhält man a2φ – a2– arφ + 7 ar – 12 r2 = 0 a2 (φ – 1) – ar (φ – 7) – 12 r2 = 0 a^2-a\,r\,\frac{\varphi-7}{\varphi-1}-\frac{12\,r^2}{\varphi-1}=0 a=\frac{r}{2}\,\frac{\varphi-7}{\varphi-1}\,\pm\,\sqrt{\frac{r^2\,(\varphi-7)^2}{4\,(\varphi-1)^2}+\frac{48\,r^2\,(\varphi-1)}{4\,.\,(\varphi-1)^2}} a=\frac{r\,(\varphi-7)\,\pm\,r\,\sqrt{(\varphi-7)^2+48\,(\varphi-1)}}{2\,(\varphi-1)} a=\frac{r}{2}\,\frac{\varphi-7\,\pm\,\sqrt{(\varphi-7)^2+48\,(\varphi-1)}}{\varphi-1} a=\frac{r}{2}\,\frac{\varphi-7\,\pm\,\sqrt{\varphi^2+34\,\varphi+1}}{\varphi-1} . . VII) Berücksichtigt man, dass φ stets kleiner als 1 ist und dass von den Vorzeichen der Wurzel nur das obere brauchbare Resultate liefert, so erhält man aus Gleichung VII, wenn man Zähler und Nenner der rechten Seite mit – 1 multipliziert die Form: a=\frac{r}{2}\,\frac{7-\varphi-\sqrt{\varphi^2+34\,\varphi+1}}{1-\varphi} . . 4) Sind für ein zu konstruierendes Räderpaar die Achsenentfernung s und das Verhältnis φ der Winkelgeschwindigkeiten gegeben, so kann die Berechnung der Bestimmungsstücke r, e, a und b ohne weiteres nach den Formeln 1, 2, 3 und 4 erfolgen; soll dagegen für ein gegebenes Getriebe der Wert φ bestimmt werden, so kann man Gleichung V oder VI benutzen. Die entwickelten Gleichungen genügen aber auch zur Berechnung des Getriebes unter anderen Bedingungen. Der Entwurf des Getriebes bietet sonach keine besonderen Schwierigkeiten; um die Anwendung der Formeln zu zeigen, sei hier der gewöhnlichste Fall, in dem s und φ gegeben sind, als Beispiel gewählt. Es sollen die Dimensionen der beiden Räder für eine Achsenentfernung s = 360 mm und ein Verhältnis der Winkelgeschwindigkeiten φ = 0,4 bestimmt werden. Der Halbmesser des Kreisrades folgt unmittelbar aus Gleichung 1 r=\frac{s}{3}=\frac{360}{3}=120\mbox{ mm.} Aus Gleichung 4 berechnet sich dann die Grösse Halbachse der Hilfsellipse a=\frac{r}{2}\,\frac{7-\varphi-\sqrt{\varphi^2+34+1}}{1-\varphi} a=\frac{120}{2}\,\frac{7-0,4-\sqrt{0,4^2+34\,.\,0,4+1}}{1-0,4}=276\mbox{ mm.} Nach Gleichung 3 berechnet sich die entsprechende kleine Halbachse der Hilfsellipse zu b = 4r – a = 4 . 120 – 276 = 204 mm. Schliesslich ergibt auch Gleichung 2 die Exzentrizität zu c=\frac{a-b}{2}=\frac{276-204}{2}=36\mbox{ mm.} Es würde daher e = 0,3 r sein. Die für die Konstruktion notwendigen Grössen sind daher: s = 360 mm, r = 120 mm, e =   36 mm, a = 276 mm, b = 204 mm. Mit diesen Werten hätte man dann die in Fig. 2 dargestellte Konstruktion zur Ermittelung des Teilrisses des Rades II vorzunehmen. Die Verzahnung kann wie bei den elliptischen Rädern erfolgen; man setzt die Mittellinie des Zahnprofiles stets normal zum Teilriss. Die Zahnform wird ermittelt, indem man die Teilrisse wie die Teilkreise gewöhnlicher Kreisräder behandelt. Verwendung können diese Räder z.B. finden, um bei Benutzung eines gewöhnlichen Schubkurbelgetriebes dem Schlitten für den grössten Teil des Hubes eine nahezu gleichbleibende Geschwindigkeit zu erteilen, indem man den Totlagen der Kurbel die grösste Winkelgeschwindigkeit, den Mittellagen der Kurbel dagegen die kleinste Winkelgeschwindigkeit zuweist.