Titel: | Das Ziehen auf Ziehpressen in Theorie und Praxis. |
Autor: | K. Musiol |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 442 |
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Das Ziehen auf Ziehpressen in Theorie und Praxis.
Von Ingenieur K. Musiol, Warschau.
(Schluss von S. 428 d. Bd.)
Das Ziehen auf Ziehpressen in Theorie und Praxis.
Die Ziehgeschwindigkeit.
Schon bei Besprechung der inneren Vorgänge im Anschlage wurde die Bedeutung der Ziehgeschwindigkeit hervorgehoben. Sie erscheint
ähnlich wie beim Blechwalzenoder Drahtziehen auch hier an gewisse Grenzen gebunden und darf weder zu klein, noch zu gross sein, weil dann im ersten Falle
die Leistung zu gering ausfällt, im zweiten nicht die nötige Zeit zur neuen Anordnung der Metallteile gelassen ist, und eine Beschleunigung der Bewegung über ein bestimmtes Mass hinaus die Gefahr des Abreissens des Arbeitsstückes
zur Folge haben würde.
Die Art und das Mass der Geschwindigkeit sind lediglich von der kinematischen Durchführung der Maschine abhängig; die Geschwindigkeit
kann eine gleichmässige sein, wie dies bei hydraulischen Ziehpressen der Fall ist, oder eine veränderliche, wie sie bei allen
mit Kurbelantrieb versehenen Ziehpressen auftritt.
Textabbildung Bd. 315, S. 443
Fig. 11
Textabbildung Bd. 315, S. 443
Fig. 12
Bei Maschinen der letzten Gattung ist eine doppelte Anordnung gebräuchlich, und zwar eine solche wie in Fig. 11, oder eine solche, wie in
Fig. 12 wiedergegeben ist. Bei beiden Anordnungen hängt das Mass der Geschwindigkeit von der Ziehtiefe ab und ändert sich während
des Ziehens von einem Maximum bis Null.
Bezeichnet:
v die Umfangsgeschwindigkeit im Kurbelkreise,
r den Kurbelhalbmesser,
l die Schubstangenlänge,
λ das Längenverhältnis r : l,
h die Ziehtiefe,
α den zugehörigen Kurbelwinkel,
β den zugehörigen Anschlagwinkel der Schubstange,
c die gesuchte Ziehgeschwindigkeit,
so bestimmt sich die letztere aus der Formel:
c=v\,\frac{sin\,(\alpha\,\pm\,\beta)}{cos\,\beta} . . . . 1)
wobei das obere Zeichen bei der Drehung im Sinne des Pfeiles in Fig. 11, das untere Zeichen bei der Drehung im Sinne des Pfeiles in Fig. 12 gilt.
Für einige Ziehpressen hat der Verfasser die maximalen Ziehgeschwindigkeiten in dieser Weise berechnet und in nachfolgender
Tabelle zusammengestellt:
Tabelle der Geschwindigkeiten.
Ziehpresse
Max.Ziehtiefe
Anzahlder Hübe
\frac{r}{L}
Max. Zieh-ge-schwindig-keit
Herkunft
Modell
Schuler
TGTATGTATKRF
300250300250140100
688111519
0,0970,1030,0970,1030,0740,074
170192208264186197
Bliss
3¾ A §
203
8
0,305
263
Kircheis
RP III
40
50
0,163
275
Danach pflegt die maximale Ziehgeschwindigkeit von 170 bis 275 mm in der Sekunde zu betragen.
Die Thatsache, dass bei Ziehpressen mit Kurbelantrieb die Ziehgeschwindigkeit in ihrer höchsten Wirkung zur Aeusserung gelangt,
was durch Anprallen des Ziehstempels an die festgeklemmte Metallscheibe vernehmbar ist, und viel Bruch veranlasst, verdunkelt
die sonstigen Vorzüge dieser Maschinen und drängt zur Anwendung der hydraulischen Ziehpressen, soweit diese in Bezug auf Leistungsfähigkeit
jenen nicht nachstehen.
Blechhalterspannung.
Die Feststellung der im Inneren des Bleches stattfindenden Vorgänge ergab, dass im Scheibenrande bezw. Kegelstumpfe Druckspannungen
vorherrschen, welche eine Stauchung dieser Stellen nach sich ziehen, sobald die letzteren unter einem Blechhalter sich befinden,
im unbelasteten Falle jedoch eine Faltenbildung hervorrufen.
Textabbildung Bd. 315, S. 443
Fig. 13
Um die Entstehung dieser zu illustrieren, werde zu der in eine beliebige Kreissektorenzahl n eingeteilte Metallscheibe zurückgekehrt und einer von diesen Kreissektoren in Fig.
13 näher betrachtet.
Bedeutet P die zur Deformation erforderliche Zugkraft von Seiten des Ziehstempels, so wird solche für einen Kreissektor \frac{P}{n} betragen. Unter Wirkung dieser Kraft wird der keilförmige Kreissektor gleichsam genötigt, durch die ihm freigelassene Oeffnung
ab sich durchzuzwängen, wobei natürlich die seitlich in den benachbarten Teilen auftretenden Druckkräfte gleichmässig auf die
ganze Keillänge wirken und den in der Stärke sehr gering bemessenen Keil gleichsam wie einen in beiden Enden eingespannten,
in der ursprünglichen Achse geführten Stab auf Knickung beanspruchen.
Wird mit E der Elastizitätsmodul des Materials, mit J das kleinste Trägheitsmoment des Querschnittes, mit
l die Länge des gedrückten Keiles, mit δ seine Stärke und mit b seine Breite bezeichnet, alsdann bestimmt sich für den ersten Augenblick des Ziehens die Knickbelastung aus der Gleichung:
\frac{H}{n}=\frac{P}{2\,n\,tg\,\alpha}=H\,\pi^2\,\frac{E\,J}{l^2} . . . 2)
Auf eine ziffermässige Berechnung der Knickbelastung einzugehen, wäre zwecklos; die allgemeine Formel soll nur erleichtern,
festzustellen, in welchen hauptsächlichsten Beziehungen die äusseren knickenden Kräfte, die inneren Widerstände, sowie die
Geschmeidigkeit und Dimensionen der Arbeitsstücke gegenseitig zu einander stehen.
Die Zugkraft P ist – wie weiters noch nachgewiesen wird
– vom inneren Matrizendurchmesser d, der Blechstärke
δ und der Zugfestigkeit S des Materials abhängig, weshalb auch die Komponente H, infolge der oben ausgedrückten Abhängigkeit zwischen ihr und der Zugkraft P mit den Grössen d, δ und S in unmittelbarem Zusammenhange zu stehen hat.
Bei der Anwendung derselben Werkzeuge, desselben Materials gleichen Durchmessers, jedoch verschiedener Stärke, werden, da
E, J, b, l2 und d konstant sind, folgende Beziehungen bestehen:
H : H1 = δ : δ1 . . . . . . . 3)
H1: H11= δ3: δ13 . . . .
4)
Die das Blech auf Knickung beanspruchenden Kräfte sind den Blechstärken direkt proportional (nach 3). Laut Gleichung 4) ändern sich die, im Material auftretenden, der Knickung entgegenwirkenden Spannungen – Widerstände – mit der Blechstärke im
dritten Grade. Das Mass der Faltenbildung hängt also bei sonst gleichen Umständen von der Blechstärke ab, je geringer die letztere, desto eher tritt jene ein.
Die Verhältnisse ändern sich, wenn auf denselben Werkzeugen gleichbemessene Platten jedoch verschiedenen Materials gezogen
werden:
H : H1= S : S1 . . . . . .
5)
H1: H11= E : E1 . . . . .
6)
Gleichung 5) besagt: Die die Faltenbildung hervorrufenden Kräfte hängen direkt von der Zugfestigkeit des Materials ab; der besseren oder geringeren Qualität des letzteren entsprechend vergrössern oder verkleinern sie sich. Nach 6) verhalten sich die Widerstände wie die Elastizitätsmodule, d.h. sie ändern sich dem Begriff des Elastizitätsmoduls gemäss nicht nur mit der Zugfestigkeit, sondern auch mit der Dehnung.
Ist die Aenderung dieser eine raschere als die der Zugfestigkeit, dann wechseln auch die Widerstände jedoch im umgekehrten
Sinne. Wegen seiner Wichtigkeit wird dieser Fall nochmals einer Besprechung unterworfen. Zieht man Scheiben gleichen Materials
und gleicher Dimensionen auf Werkzeugen von verschiedenem innerem Durchmesser, alsdann sind die knickenden Kräfte den Ziehstempeldurchmessern direkt proportional:
H : H1= d : d1 . . . . . . .
. . . 7)
H1: H11= bl12: b1l2 . . . . . 8)
Die Widerstände und hiermit auch die Faltenbildung hängen von der Bandbreite ab; wird der Durchmesser der Matrizenöffnung kleiner, vergrössert sich also die Randbreite, dann nehmen die Widerstände zu,
die Möglichkeit der Faltenbildung wird geringer und umgekehrt.
Dass die hier entwickelte Anschauung über den Zusammenhang der betreffenden Grössen durch die Erfahrung sehr wohl bestätigt
wird, kann jeder Ziehtechniker durch eigene Beobachtungen und Versuche sich überzeugen.
Treten nun den die Knickung hervorrufenden Kräften H äussere, normal zur Knickungsachse gerichtete, gleich oder grösser bemessene Kräfte
L bezw. N entgegen, oder anschaulich gesprochen, gelangt der Blechhalter zur Wirkung, alsdann wird eine Faltenbildung nicht eintreten
können; die Körperteilchen werden, da sie seitwärts nicht entweichen können, gezwungen, den bei früherer Gelegenheit besprochenen
Verschiebungen sich zu unterwerfen. Selbstverständlich bleiben auch dann die aufgestellten Beziehungen bestehen.
Die Grösse dieser äusseren, das Material niederdrückenden Kraft – Blechhalterdruck, Blechhalterspannung – ist leider nur bei hydraulischen Ziehpressen direkt am Manometer messbar. Um sie bei einer Räderziehpresse mit beweglichem
Blechhalter zu bestimmen, wurden die vier den Blechhalterrahmen tragenden Schrauben mit Kegelfedern armiert und die oberen
Schraubenmuttern so lange angezogen, bis das Mass der Spannung ein richtiges war. Hierbei wurden drei Grenzen ausgesteckt:
und zwar die erste, bei welcher noch Faltenbildung auftrat, die zweite, von welcher ein regelrechtes Ziehen stattfand und
die dritte, bei der Bruch sich einstellte. Zu diesem von den Kegelfedern ausgeübten Drucke wurde das Gewicht des Rahmens und
des jeweiligen Blechhalters hinzugefügt und in der Weise die gesamte Belastung erhalten.
Gleichviel ob im An- oder Weiterschlage verteilt sich dieselbe gleichmässig auf die Fläche des belasteten Ringes.
Textabbildung Bd. 315, S. 444
Fig. 14
Im Anschlage (Fig. 14) wird also die gesamte Belastung betragen:
L=\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)\,.\,p_1 . . . . . 9)
worin p1 die spezifische Belastung, den Flächendruck proFlächeneinheit in mm2 bedeutet. Bei gegebenem L berechnet sich derselbe:
p_1=\frac{L}{\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)} . . . . . . 10)
Beim Weiterschlage ändern sich diese Verhältnisse insoweit, als an Stelle der wagerechten Ringfläche eine schiefe, unter einem
gewissen Winkel α geneigte kommt.
Textabbildung Bd. 315, S. 444
Fig. 15
In der Regel beträgt dieser Winkel α
= 45°. (Siehe Fig. 15.)
Von der gesamten Belastung L gelangt bloss die zur belasteten Fläche normal gerichtete Komponente N zur Wirkung; die sich wie oben auf die gesamte Ringfläche verteilt:
N=L\,cos\,\alpha=F\,.\,p_2=a\,\pi\,\frac{D+d}{2}\,.\,p_2 . 11)
Wird darin a durch den Durchmesser ausgedrückt, so resultiert die spezifische Spannung:
p_2=\frac{L\,cos^\,\alpha}{\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)} . . . . . 12)
Für den Fall, dass α = 45°, wird:
p_2=\frac{\frac{1}{2}\,L}{\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)} . . . . . 13)
Die in dieser Weise für eine Anzahl von Platten experimentell gefundenen, spezifischen Blechhalterdrücke finden sich in der
weiter unten folgenden Tabelle; an und für sich interessieren sie uns nicht, sie werden bloss in Verbindung mit dem Reibungskoeffizienten
zur Ermittelung der Reibungswiderstände durchaus nötig sein.
Die Reibungswiderstände.
Wenn die Matrizenöffnung mit dem Stempel im Durchmesser gleich bemessen wäre, müsste beim Vordringen des Stempels ein Lochen,
ein Abscheren des Materials eintreten; da jedoch der innere Matrizendurchmesser stets grösser, gewöhnlich um 3 bis 4 Blechstärken
mehr beträgt, wird der Ziehstempel bestrebt sein, die belasteten Blechränder in den Spielraum zu ziehen, was auch eintritt,
sobald die zwischen Arbeitsstück und Werkzeug auftretenden Reibungswiderstände überwunden werden. Bekanntlich sind diese von
dem Normaldrucke, der Beschaffenheit der Flächen, dem auf die Flächeneinheit entfallenden Drucke, sowie von der Geschwindigkeit
der Reibungsbewegung abhängig. Bei der Berechnung der Reibungswiderstände ist wohl zu beachten, dass das Blech zwischen zwei Körpern durchgezogen wird, somit zwei Oberflächen in Rechnung zu ziehen sind.
Wird mit u der Koeffizient der gleitenden Reibung bezeichnet, der für höhere Flächendrücke von Rennie gefunden wurde, so ergeben sich die gesamten Widerstände wie folgt:
für den Anschlag:
R_1=2\,F_1\,p_1\,u=2\,\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)\,.\,p_1\,u . 14)
für den Weiterschlag:
R_2=2\,F_2\,p_2\,u=2\,\frac{1}{cos\,\alpha}\,.\,\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)\,.\,p_1\,u . 15)
für den besonderen Fall α = 45 ist:
R_2=2,828\,\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)\,.\,p_2\,u . . 16)
Textabbildung Bd. 315, S. 445
Blech halterbelastung; Arbeitsweise; Laufende Nummer; Zug; Metall; Aluminium; Messing; Eisen
Falls die Blechhalterspannung bis zur Bruchgrenze gesteigert wird, stellen sich die Reibungswiderstände bezüglich ihrer Grösse
jenen Kräften gleich, welche im innersten eingespannten Ringe dem Zerreissen Widerstand leisten.
Diese Beziehung drückt sich in der allgemeinen Formel
R = 2 F p u = U . δ . S . . . . 17)
aus, wenn U den Umfang des eingespannten Ringes und S die Zugfestigkeit des Materials bedeutet.
Nach Einsetzung der betreffenden Werte ergibt sich für den Anschlag:
2\,\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)\,p_1\,u=\pi\,d\,.\,\delta\,.\,S . . . 18)
Weiterschlag:
2,828\,\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)\,p_2\,u=\pi\,d\,\delta\,S . . . . 19)
Für die weitere Folge von Wichtigkeit sind die spezifischen Reibungswiderstände pro mm2, welche für eine gegebene Zieh weise folgendermassen sich bestimmen:
Anschlag:
p_1\,u=2\,\frac{d}{D^2-d^2}\,.\,\delta\,S . . . . 20)
Weiterschlag:
p_2\,u=1,414\,\frac{d}{D^2-d^2}\,.\,\delta\,S . . . . 21)
Aus diesen beiden Gleichungen wurden folgende wertvolle Schlussfolgerungen abgeleitet:
Sind die Durchmesser der Platten- bezw. Cylinder-, sowie der Matrizenöffnungen konstant, ferner die Bleche von gleicher Festigkeit,
jedoch verschiedener Stärke, alsdann sind:
p u : p1
ul = δ : δ1 . . . . . . 22)
die spezifischen Reibungswiderstände den Blechstärken direkt proportional; also je grösser die Blechstärke, desto grösser die Reibungswiderstände und umgekehrt. Für die Richtigkeit dieses für den
Ziehvorgang höchst wichtigen Satzes sprechen nicht nur die hier in obiger Tabelle durch Versuche ermittelten Werte, sondern
auch die alltäglichen beim Ziehen sich beständig wiederholenden Erscheinungen. Diese bestätigen gleichfalls den Satz, dass
bei konstantem äusseren und inneren Matrizendurchmesser und Hatten gleicher Stärke, jedoch verschiedener Festigkeit,die spezifischen
Reibungswiderstände sich so verhalten wie die Festigkeiten der Materialien:
p u : p1u1 = S : S1 . . . . . 23)
Einen schlagenden Beweis hierfür liefert das Verhalten gleich bemessener Eisen- und Aluminiumplatten; jeder Zieharbeiter weiss,
dass bei letzteren die Blechhalterspannung eine bedeutend geringere sein muss, als bei ersteren. Da der Reibungskoeffizient
mit dem spezifischen Flächendrucke wächst oder abnimmt, entspricht dem geringeren Drucke selbstverständlich auch eine geringere
Reibung.
Bei verschiedenem Stanz verfahren von Platten gleicher Dimensionen und Festigkeit findet die Beziehung statt:
p\,u\,:\,p^1\,u^1=\frac{d}{D^2-d^2}\,.\,\frac{d^1}{D^2-d^2} . . . 24)
wobei die spezifischen Reibungswiderstände mit der Zunahme des Matrizendurchmessers d wachsen und umgekehrt.
Daraus folgt, dass bei Verringerung der spezifischen Reibungswiderstände die Möglichkeit sich darbietet, den Durchmesser des
Ziehstempels geringer zu bemessen, welcher Umstand das Stanzverfahren ökonomisch günstiger gestaltet. Ausserdem wird hierdurch
noch der Vorteil erreicht, dass auch Bleche von geringerer Stärke und Festigkeit mit gleichem Erfolg verwendet werden können;
aus dem Grunde ist die Verkleinerung des Reibungskoeffizienten durchaus anzustreben. Da derselbe – wie eingangs schon erwähnt
wurde – von der Beschaffenheit der Oberflächen und dem Schlüpfrigkeitsgrade des Schmiermittels abhängt, sollen die belasteten
wie die inneren Flächen der Matrizen im allgemeinen alle mit dem Bleche unmittelbar in Berührung kommenden Flächen glatt geschliffen
werden, die Eintauchflüssigkeit soll die möglichst grösste Schlüpfrigkeit besitzen, was durch Warmhalten des Seifenwassers
erreichbar ist; in besonderen Fällen, wie beim Ziehen von Platten geringer Festigkeit ist Oel zu verwenden.
Stellt man die Produkte aus den von Remie gefundenen Reibungskoeffizienten und den hierzu gehörigen Flächendrücken graphisch dar, so erhält man für die spezifischen
Reibungswiderstäde eine Gerade von der Gleichung für Stahl auf Gusseisen
p u = 0,4175 p
– 0,01875 . . . . 25)
Messing auf Gusseisen
p u = 0,2421 p
– 0,0065 . . . . 26)
Durch diese Beziehung ist die Möglichkeit geboten, die spezifischen Reibungswiderstände jedesmal zu ermitteln, wenn die spezifischen
Flächendrücke p bekannt sind.
Auf diesem Wege wurden auch bei den vom Verfasser angestellten Versuchen die spezifischen Reibungswiderstände aus den experimentell
gefundenen spezifischen Flächendrücken ermittelt und in die Tabelle S. 445 eingetragen; darin sind mit Indexen s und b, die der Streck- bezw. Bruchgrenze entsprechenden, mit w die experimentell gefundenen empirischen Werte bezeichnet. Bei den ersten zehn Versuchsnummern wurden die Zugfestigkeit auf
einer Zerreissmaschine, bestimmt, bei den weiteren angenähert der Blechgattung gewählt. Aus den Spalten der Tabelle erhellt,
dass die empirisch ermittelten Werte (p u)w, den nach Formeln 20) und 21) berechneten maximalen bezw. minimalen (p u)s, sowie (p u)b sehr nahe kommen.
Die Thatsache, dass zwischen den auf verschiedenem Wege ermittelten Grössen solche Uebereinstimmung sich ergibt, liefert für
die Richtigkeit der vorstehenden Berechnungsmethode einen hinreichenden Beweis.
Weitere Beispiele können hier wegen Mangel an vollendetem Versuchsmaterial nicht geboten werden; der Verfasser ist jedoch
bemüht, um der Methode Eingang ins praktische Leben zu verschaffen, eine ausführliche Tafel der spezifischen Reibungswiderstände
für praktischen Gebrauch zusammenzustellen.
Eigenschaften der Ziehbleche.
Den schlagendsten Beweis, dass diese bei dem Arbeitsvorgange eine sehr wichtige Rolle spielen, liefert die Geschichte der
Ziehtechnik, welche erst dann Erfolge zu verzeichnen hatte, als die Feinblechwalzwerke ein nach jeder Richtung hin gediegenes
Material zu liefern begannen.
Massgebend für die Beurteilung eines Ziehbleches ist vor allem seine Geschmeidigkeit, d. i. jene Eigenschaft des Metalles, unter Einwirkung der Zugkraft die erörterten Verschiebungen der Körperteilchen behufs
Formveränderung zu gestatten. Die Geschmeidigkeit ist bekanntlich von der chemischen Zusammensetzung und der Dichtigkeit des
Metalles abhängig und ihr Mass lässt sich durch die Grösse des Elastizitätsmoduls und der Festigkeit ausdrücken; je grösser
der Unterschied beider, desto geschmeidiger ist das Material. Durch das Ziehen ändert sich infolge der stattfindenden Dehnung
und Stauchung die Geschmeidigkeit aller Metalle, jedoch bei allen nicht in gleichem Masse, welcher Umstand eine verschiedene
Abstufung der Werkzeuge bedingt. Eine gelinde Abnahme würde bei manchen Metallen eine unnötige Verteuerung hervorrufen, dagegen
möchten schroffe Uebergänge bei Materialien, in denen raschere Steigerung der Elastizität als der Festigkeit erfolgt, Bruch
verursachen. (Siehe Gleichung 6.)
Geht die Geschmeidigkeit infolge längerer Bearbeitung verloren, alsdann ist es notwendig, das Metall auf eine seiner Eigenheit
entsprechende Temperatur zu glühen, wodurch die Gleichgewichtslage der durch die Verschiebungen unnatürlich gespannten Moleküle
hergestellt, d.h. die Elastizitätsgrenze und Festigkeit und hiermit auch die Geschmeidigkeit auf ihr früheres Mass zurückgebracht
werden.
Was das Aeussere der Bleche anbelangt, sollen sie so beschaffen sein, dass die Reibungswiderstände beim Ziehen sich sehr gering
beziffern; demnach sind die Oberflächen rein, frei von jeder Oxydhaut oder fremden Körpern, im allgemeinen glatt zu halten.
Diese Regel gilt selbstverständlich nicht nur für den Anschlag, sondern auch für den Weiterschlag. Behufs dessen sind die
Arbeitsstücke nach erfolgtem Glühen so zu beizen, dass die als Schleifmittel auftretende Oxydhaut beseitigt wird.
Grundlagen für die Ermittelung der Zuschnitte.
Da die Beziehung F0
= F1, wie nachgewiesen wurde, nicht besteht, fehlt es scheinbar an jedem Grundsatze, laut welchem eine genauere Berechnung der
Zuschnitte erfolgen könnte. Scheinbar, weil doch gewisse Beziehungen zwischen den Flächen vor und nach dem Ziehen aufstellbarsind, an deren Hand Ergebnisse erreicht werden, deren Genauigkeit für die Praxis vollauf hinreichend ist.
Bezeichnet F0 die Fläche und δ0 die Stärke des Zuschnittes, F1 und δ1 dieselben Grössen des fertig gezogenen Arbeitsstückes, V0 und V1 die Volumina der beiden Körper, alsdann besteht – wie schon bei früherer Gelegenheit erwähnt wurde – die Beziehung:
F0δ0= F1δ1 . . . . . . 27)
weil V0
= V1 und V0
= F0δ0, sowie V1
= F1δ1. Daraus bestimmt sich weiter
F_0=F_1\,\frac{\delta_1}{\delta_0}=F_1\,.\,\alpha . . . . . . 28)
Das Verhältnis \frac{\delta_1}{\delta_0}=\alpha heisst je nach Umständen, ob Dehnung oder Stauchung überwiegt, Verdünnungs- oder Stauchungsverhältnis. Hier werde es der
Kürze und Allgemeinheit wegen Ziehkoeffizient genannt. Es ist einleuchtend, dass dasselbe für verschiedene Metalle verschieden
sich gestalten wird, ebenso, dass es von dem Verhältnisse des Gefässdurchmessers zur Ziehtiefe abhängt. Wie aus Tabelle
Fig. 9 erhellt, war bei dem Versuchsstücke für den Boden und die sechs Ringe der durchschnittliche Ziehkoeffizient für den Anschlag
\frac{d}{h}=2,8,\ \alpha=0,058,
für den ersten Weiterschlag
\frac{d}{h}=1,7,\ \alpha=0,964
und für den zweiten Weiterschlag
\frac{d}{h}=1,\ \alpha=1,013.
Um den Ziehkoeffizienten für ein gegebenes Metall schnell und angenähert zu bestimmen, teile man ein gezogenes Gefäss mittels
Striche so ein, dass die Ring- und Bodenflächen einander gleich werden, zerschneide danach die Wand und messe innerhalb der
Striche die Blechstärke. Das Mittel aus diesen dividiert durch die Stärke der angewandten Platte ergibt schon den verlangten
Ziehkoeffizienten für ein gewisses Verhältnis \frac{d}{h}.
Als Anhalt für die Berechnung der Zuschnitte können folgende in nachstehender Tabelle eingetragenen, aus zahlreichen
Eisen
Neusilber
Messing
Aluminium
\frac{d}{h}
a
\frac{d}{h}
a
\frac{d}{h}
a
\frac{d}{h}
a
–
–
2,91
1,007
–
–
–
–
2,64
1,056
2,50
1,018
2,62
0,941
–
–
–
–
2,40
1,047
2,33
0,972
–
–
–
–
1,73
1,082
2,29
1,010
2,15
0,984
1,47
1,100
1,48
1,074
1,625
1,029
1,90
0,984
–
–
1,375
1,086
1,43
1,044
1,314
1,010
0,857
1,140
0,818
1,096
1,31
1,047
0,903
1,027
–
–
–
–
0,782
1,053
0,666
1,066
Versuchen ermittelten Werte dienen. Bei den vom Verfasser angestellten Berechnungen haben sie sich bewährt, womit jedoch nicht
gesagt sein soll, dass sie für alle Blecharten gleichermassen brauchbar sind.
Aus der Tafel ist ersichtlich, dass je tiefer ein Gefäss gezogen, d.h. je kleiner das Verhältnis \frac{d}{h}, ferner je weniger geschmeidig das Material ist, desto grösserer Zuschlag zu der berechneten Oberfläche des gegebenen Körpers
hinzugefügt werden muss, um den richtigen Zuschnitt zu erhalten.
Dimensionierung der Werkzeuge.
Unter Beachtung der den Ziehprozess beeinflussenden Faktoren hat sich dem Verfasser für die Bemessung der Werkzeuge folgender
Näherungsweg ergeben:
Schon aus den Formeln 18) und 19) liessen sich die Matrizendurchmesser angenähert, für die Praxis jedoch hinreichend genau
bestimmen; um genaue Werte zu erhalten, ist es notwendig zu beachten, dass in Wirklichkeit der Durchmesser des gezogenen Hohlcylinders
mit dem inneren Durchmesser des eingespannten Kreisringes nicht übereinstimmt, weshalb in den beiden Gleichungen die entsprechenden
Werte an Stelle jener einzusetzen sind.
Textabbildung Bd. 315, S. 447
Fig. 16
Textabbildung Bd. 315, S. 447
Fig. 17
Danach ergibt sich nach Fig. 16 für den Anschlag:
2\,\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)\,p\,u=\pi\,d_1\,\delta\,S . . . 29)
worin
d1= d – δ = d1– 2 e – δ
und da in der Regel,
e = 2 + 0,01 D,
so ist
d1= d1– 4 – 0,02 D – δ.
Nach Einsetzung dieses neuen Wertes erhält man vorerst:
2\,\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)\,p\,u=\pi\,(d^1\,\delta\,S-4\,\delta\,S-0,02\,D\,\delta\,S-\delta^2\,S) . 30)
und nachher aus dieser quadratischen Gleichung:
d^1=\frac{1}{p\,u}\,\left[\sqrt{\delta^2\,S^2+D^2\,p^2\,u^2+\delta\,S\,p\,u\,(8+0,04\,D+2\,\delta)}-\delta\,S\right] . 31)
Für den Praktiker genügt jedoch die grobe Regel:
d^1=\frac{1}{p\,u}\,\left[\sqrt{\delta^2\,S^2+D^2\,p^2\,u^2}-\delta\,S\right] . 32)
und
d = d1– 2e = d1– 2 (2 + 0,01 D) . .
33)
Im Weiterschlag ist in die Formel 19) statt d der Wert dl
= d – S einzusetzen:
2,828\,\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)\,p\,u=\pi\,(d-\delta)\,\delta\,S . 34)
woraus sich d bestimmt:
d=\frac{1}{2\,p\,n}\,\left[\sqrt{2\,\delta^2\,S^2+4\,(D^2\,p^2\,u^2+1,414\,p\,u\,\delta^2\,S)}-1,414\,\delta\,S\right] . 35)
Auch hier ist der Ausdruck 4 × 1,414 p u δ2
S sehr gering und kann vernachlässigt werden. Als praktische Regel kann gelten:
d=\frac{1}{2\,p\,u}\,\left[\sqrt{2\,\delta^2\,S^2+4\,D^2\,p^2\,u^2}-1,414\,delta\,S\right] . 36)
Diese beiden Formeln 32) und 36) sind demnach für die Konstruktion von Anschlag- bezw. Weiterschlagwerkzeugen grundlegend.
In ihnen ist ebenfalls die schon bei früherer Gelegenheit erörterte Abhängigkeit des Matrizendurchmessers von den spezifischen
Reibungswiderständen,der Blechstärke, dem Durchmesser der Scheibe bezw. des Cylinders und endlich der Festigkeit des Materials zum Ausdrucke gebracht.
Die äusserste Grenze der einmaligen Abstufung, bei welcher schon Bruch eintritt, ergibt sich aus den Formeln, wenn der Wert
S der Zugfestigkeit des betreffenden Metalls gleichgesetzt wird.
Brauchbare, der Streckgrenze entsprechende Durchmesser werden erhalten, wenn an Stelle der Zugfestigkeiten die innerhalb der
Streck- bezw. Quetschgrenzen liegenden Spannungen eingesetzt werden. Dieselben sind bekanntlich für:
Eisen
Ss
= (0,66 ÷ 0,73) Sb
. . . 37)
Kupfer und Messing
Ss =
(0,4 ÷ 0,73) Sb
. . . 38)
Aluminium
Ss~ (0,4 ÷ 0,80) Sb
. . . 39)
Durch zwei Zahlenbeispiele möge man sich überzeugen, dass die vorliegende Berechnungsmethode sehr einfach ist, wenn auch bei
nur oberflächlicher Durchsicht dieselbe wegen der Anführung einer bedeutenden Menge von Formeln für zu kompliziert gehalten
werden könnte.
1. Es sei die Aufgabe gestellt, für eine Eisenscheibe von D
= 390 mm, δ = 0,60 mm und S = 17 kg/mm2, das Anschlagwerkzeug zu konstruieren: Laut Tabelle S. 445 ist für diesen Durchmesser und ungefähr diese Stärke
(p u)s
= 0,043
und
Ss = 0,66 Sb =
0,66 × 17= 11,2
zu wählen.
Nach Formel 32) ist:
d^1=\frac{1}{(p\,u)_s}\,\left[\sqrt{\delta^2\,S^2+D^2\,(p^2\,u^2)_s}-\delta\,S_s\right]=\frac{1}{0,043}\,\left[\sqrt{0,6^2\,\times\,11,2^2+390^2\,\times\,0,043^2}-0,6\,\times\,11,2\right]
und schliesslich
d = d1
– 2 e = d1
– 2 (2 + 0,01 × 390) = 263,7 – 11,8 = 251,9 ~ 252 mm.
2. Zwecks Konstruktion einer Ziehpresse für maximale Scheibendurchmesser D = 650 mm, Stempeldurchmesser d = 500 mm und Blechstärken δ = 1 mm von der Zugfestigkeit Sb 30 kg/mm2 ist die maximale Blechhalterbelastung, sowie die maximale Zugkraft zu bestimmen.
An der Hand der Formel 20) wird vorerst p ub bestimmt:
p\,u=2\,\frac{d}{D^2-d^2}\,.\,\delta\,S_b=2\,\frac{500}{650^2-500^2}-1\,\times\,30
daraus p berechnet:
p=\frac{p\,u+0,01875}{0,4175}=\frac{0,173+0,01875}{0,4175}=0,459\mbox{ kg/mm}^2
und hernach die gesamte Belastung:
L=\frac{\pi}{4}\,(D^2-d^2)\,p=135481\,\times\,0,459=62186\mbox{ kg.}
Die Zugkraft wird aus der Gleichung:
P = π d δ S
b
ausfindig gemacht.
Pmax =
1571 × 1 × 30 = 47130 kg.
Im Verlaufe dieser Abhandlung wurde demnach gezeigt, dass die Feststellung der Vorgänge im Blechinnern wie. auch die Kenntnis
der den Ziehprocess begleitenden Umstände sowohl in theoretischer als auch in praktischer Beziehung von Bedeutung sind. Beide
fördern das Verständnis der Zieharbeit, ermöglichen eine genauere, die Dehnung und Stauchung berücksichtigende Berechnung
des Zuschnittes und liefern eine theoretisch begründete Unterlage für den Bau der Ziehpresse und ihrer Werkzeuge.