Titel: Zur philosophischen Begründung der Technik.
Autor: P. K. von Engelmeyer
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 518
Download: XML
Zur philosophischen Begründung der Technik. Von Ingenieur P. K. von Engelmeyer, Moskau. (Schluss von S. 421 d. Bd.) Zur philosophischen Begründung der Technik. Das Sparprinzip „do ut des“. Die Zwecke des Menschen sind grenzlos, begrenzt sind aber seine Mittel, seine Kraft und Zeit. Um einen gegebenen Zweck zu erreichen, muss er an den Mitteln sparen, denn mit gegebenen Mitteln muss er suchen, das Meiste zu erlangen. Nur dann handelt der Mensch vernünftig, nur dann geht er die Wege des Fortschrittes. In jedem Einzelfalle sucht er das Geringste herauszugeben und das Meiste einzunehmen. So ist jede Handlung ein Handel und jede That ein Kauf. „Do ut des“ zieht die Bilanz aller vernünftigen Thätigkeit. Ehe wir nun weiter schreiten, erscheint es geboten, einem Einwände zu begegnen, der in ethischer Hinsicht dem Sparprinzip „do ut des“ entgegengestellt werden kann. Manche werden sagen: „Wie kann man in jeder Handlung bloss das Bestreben sehen, möglichst wenig auszugeben und möglichst viel entgegenzunehmen? Dasselbe Grundbestreben, welches der Habsucht und der Trägheit zu Grunde liegt, in jeder Heldenthat, bis zum Opfer der Golgatha, erblicken?“ Wirklich wollen wir im folgenden das „do ut des“ in den Thatgebieten des Guten, des Wahren, des Schönen und des Nützlichen überall entschleiern. Wir werden uns aber überzeugen, dass dabei nichts Hohes herabgewürdigt wird. Andere werden vielleicht sagen: „Wie kann man auf dem flachen Egoismus die Harmonie der Gesellschaft aufbauen?“ Nehmen wir einen Ring, binden an denselben eine beliebige Anzahl Gummischnüre und ziehen letztere nach allen Richtungen auseinander. Jede Schnur möchte den Ring nach ihrer Richtung allein ziehen, und doch bleibt der Ring ruhig hängen, weil jede andere Schnur das Gleiche möchte. Alle auf den Ring wirkenden Kräfte halten sich das Gleichgewicht, und dieses dynamische Gleichgewicht dauert so lange, als die Kräfte ihre Grössen beibehalten. Aendern sich die Kräfte, so tritt eine neue Gleichgewichtslage ein. Die Harmonie der Gesellschaft stellt ein ähnliches dynamisches Gleichgewicht vor, das sich als Gesamtwirkung aller individuellen Kräfte notwendigerweise einstellt. Jedes Individuum möchte für sich das Meiste; jedes andere für sich. Alle stehen sich mit „do ut des“ gegenüber. Die individuellen Sphären sind aber begrenzt, und alle zusammen bilden die Gesellschaft. Jetzt gilt es, das „do ut des“ in aller Thätigkeit nachzuweisen und darzuthun, dass weder das Gute und Wahre, noch das Schöne oder Nützliche darunter leidet. „Do ut des“ in der Technik. Derweil die Zwecke und die Mittel in der Technik mit Mass und Wage geschätzt werden, tritt auch das Sparprinzip am deutlichsten in derselben hervor. In der Energietechnik, z.B. in den Kraftmaschinen, wird die Bilanz durchweg gezogen und ergibt das, was genannt wird Wirkungsgrad oder Nutzeffekt η und wird ausgedrückt in einem Bruch, wo im Nenner die aufgewendete, im Zähler die erhaltene Energie geschrieben wird. Diese Handlungsweise ist jedem Techniker derart geläufig, dass wir darauf gar nicht einzugehen brauchen. Wo nicht Energie, sondern Stoff in die Bilanz kommt, spricht der Techniker zwar nicht mehr von Nutzeffekt, allein auch hier ist er überall bestrebt, den Aufwand thunlichst zu vermindern und die Einnahme zu vergrössern. Es werden immer zweckmässigere Methoden angewandt, die aus einer gegebenen Menge Rohstoff eine grössere Menge Produkt liefern und minderwertige Stoffe verarbeiten. An mechanischer und menschlicher Arbeitskraft wird gespart. Abfälle werden vermieden oder zu anderweitiger Ausnutzung verwertet (Anilinfabrikation aus Kohlenteer). Surrogate werden eingeführt (Kunstbutter, Kunstseide, Kunstwolle, Papierwäsche, Holzpapier). „Do ut des“ in der Kunst. Das rechte Talent erzielt die grösste Wirkung mit den geringsten Mitteln: eintreffendes Wort offenbart einen Charakter, eine Scene entschleiert eine ganze gesellschaftliche Ordnung. Schattenfiguren und Skizzen des Meisters sind wahrhaft lebendig und je grösser das Talent, desto mehr leben sie. Unerreicht steht die Bildhauerei der alten Griechen: ein Stück Marmor versinnlicht die höchsten Ideale der Schönheit, und das Greifen zu reicheren Mitteln, wie das Bemalen der Bildsäulen oder auch die Zusammensetzung derselben aus Buntstein, Edelmetallen u. dgl. bekundete schon den Verfall jener Kunst. Oder auch: ein paar Quadratfuss Leinwand mit einem ½ kg Oelfarbe darauf, was wir Madonna nennen, offenbart uns ein ganzes Paradies der ethischen Schönheit und erfüllt unser ganzes Gemüt mit den erhabensten Gefühlen. Der Zuschauer vergisst darüber sein irdisches Dasein mit all seinem trivialen Handel und Wandel und kehrt zu demselben mit einem Seufzer wieder, veredelt und getröstet. Oder auch das Schwarz auf Weiss der Musik, die Sonate und das Quartett. Der musikalisch Fühlende weiss ganz gut, wie viel ein Klavierstück verliert, ins Orchester übertragen, und der rechte Musiker will einen ver-Berlioz-ten Beethoven gar nicht mal anhören. Auch sind die grössten Orchester durchaus nicht die besten, im Gegenteil: der rechte Kapellmeister bringt sich lieber ein kleines aus Artisten zusammen. Und was ist das Wort, das stärkste aller Künste? Ein blosser Schall. Das gedruckte Wort ist noch weniger: ein Klachs, das Jahrtausende schweigt, und eben darum das Meiste sagt, weil es sich bei der Ausübung seiner Wirkung nicht abnutzt. Dieses Nichts bedeutet alles für die vorangehende Menschheit. Das gesprochene Wort fordert schon einen grösseren Aufwand an Mitteln. Seine Wirkung ist aber umgekehrt proportional verringert, denn sie ist auf den engen Kreis der Zuhörer reduziert. Nur das gedruckte Wort, wo an den Mitteln das Möglichste gespart wird, übt die grösste, ja grenzenlose Einwirkung auf Millionen ein. Aehnliches lässt sich über die Schriftsteller sagen. Die besten unter ihnen sind lakonisch. Nur die mangelnde Begabung und die fehlende Inspiration machen sich breit. „Le secret d'ennuyer, c'est tout dire,“ das gilt international. „Do ut des“ in der Wissenschaft. JE. Mach hat unwiderleglich festgestellt, dass das Denken des Gelehrten sich von dem des Alltagskopfs nur in dem unterscheidet, dass es ökonomisch ist, d.h. mit geringerer Gedankenarbeit mehr Thatsachen beherrscht. Was heisst aber Thatsachen in Gedanken zu beherrschen? Am besten und kürzesten hat dies H. Hertz ausgedrückt, indem er sagt: „Wir machen uns Scheinbilder von den natürlichen Sachen, und zwar machen wir sie von solcher Art, dass die denknotwendigen Folgen der Bilder wieder die naturnotwendigen Folgen der Sachen seien.“ Vor einem bunten Thatsachengebiete stehend, sucht der Mensch etwas Bleibendes in der Mosaik, etwas sich Wiederholendes, eine Aehnlichkeit zwischen den Sachen. Das sind aber immer nur Merkmale der Sachen, nicht die Sachen selbst. Diese Merkmale, die wir in einer Reihe Sachen wiedererkennen, nehmen wir als Vertreter der ganzen Sachenreihe in unseren Gedankenvorrat auf. Das heisst logisch oder wissenschaftlich denken. Es gibt indes noch ein anderes Denken, welches noch wenig oder gar nicht hervorgehoben zu sein scheint, das künstlerische Denken. Aus einer Reihe ähnlicher Sachen sucht man sich nicht Attribute, sondern einzelne typische Sachen, um sie als Vertreter der Reihe aufzunehmen. Die Gattung des Logikers wird durch einen Begriff, die des Künstlers durch einen Typus gekennzeichnet. Der Gelehrte spricht uns von Eifersucht und Willensschwäche, der Künstler führt uns einen Othello, einen Hamlet vor. Es ist eigentlich nur halbwahr zu sagen, Kunst erziele Schönheit. Daneben erzielt die Kunst auch Wahrheit, d. i. Wissen, nur auf einem ihr eigentümlichen Wege. Abstrakte Spekulation ist der Weg des Denkens, konkretes Vorstellen – der des Künstlers. In der Praxis lässt sich allerdings zwischen Logiker und Künstler keine Scheidewand errichten: sobald der Gelehrte ein Beispiel führt, denkt er schon künstlerisch. Darum Kant, der „reine Denker“, das Beispiel als „Stelzfuss des Denkens“ brandmarkt und dabei vergisst, dass seine Leser keine Kant's sein werden, sondern volle Menschen, mit Verstand und Gefühl, Intuition und Phantasie. Denn wir Menschen denken nach beider Art, und Weiber und Kinder halten sich mit Vorliebe an konkreten Beispielen, die das Gefühl befriedigen. Das Denken geht indes weiter. Was die Gedankenvertreter der Sachen auch seien, Begriffe oder Typen, das sind nur noch Gedankenobjekte, mit denen das eigentliche Denken erst operirt. Das Denken ist ein Experimentieren (E. Mach). Wir kombinieren die Bilder verschieden und sehen, was daraus wird. Das heisst einen Schluss ziehen. Ich brauche nicht jedesmal meine Hand über die Lampe zu strecken: in Gedanken sehe ich im voraus, was daraus wird. Ein Gedankenexperiment macht mir eine enorm lange Reihe faktischer Experimente überflüssig. Darin liegt die Oekonomie des Denkens, und die Wissenschaft ist nichts als höchst ökonomisch eingerichtete Wirtschaft (Mach). Wäre ein Begriff nur das Spiegelbild einer einzigen Sache, so hätten wir an ihm nichts gewonnen. Der Begriff vertritt (beherrscht) aber eine ganze Reihe Sachen. Darin liegt schon ein Vorteil. Letzterer wächst aber noch ungemein, indem wir mehrere Begriffe abermals nach derselben Art und Weise in eine höhere Idee vereinigen. Darin liegt die magische Kraft der Wissenschaft, die unendlich grösser ist, als die Kraft jeder eigentlichen Magie, und jeder Fortschritt der Wissenschaft ist ein Schritt vorwärts zum Ziele, mit dem geringsten Gedankenvorrat das weiteste Sachengebiet darzustellen, oder wie man sagt zu beherrschen. „Do ut des“ in der Ethik. Um nicht lange auf Abstechern zu verweilen, wollen wir jetzt recht kurz sein, obwohl die Kürze aus dem Grunde erschwert ist, als schon der Begriff des Wohles und der Wohlthat ein schwankender ist, wie oben betont. Den in der Westminsterabtei begrabenen James Watt nennt die Grabschrift auch „Wohlthäter der Menschheit“. Wollten wir dem Worte „Wohl“ diese Deutung beimessen, so wären wir in ein paar Zeilen fertig. Wir nehmen aber diesen Begriff in seiner höchsten moralischen Deutung, die auch ohne Definition einem jeden Menschen geläufig ist, indem er sich auf eine That bezieht, die eine moralische Pflicht gegenüber den Mitmenschen erfüllt, und deren Formel Jesus gegeben: „Und wie ihr wollt, dass euch die Leute thun sollen, also thut ihnen gleich auch ihr“ (Luk. 6, 31). Die Sache ist klar: der Mensch will für sich das Meiste. Ethisch handelnd, soll er das Meiste für die Mitmenschen zu erzielen suchen. Unendlich sind die ethischen Ziele, doch endlich des Menschen Kraft. Nur unter der grössten Sparsamkeit kann der Mensch seine Pflichten erfüllen, denn er darf nicht ausser Sicht lassen, dass man die Wohlthäter nach ihren Leistungen abschätzt: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Matth. 7, 16 und 20). Da von dem Wohlthäter faktisch unendliche Leistung gefordert wird, so ist alle Kraft und alles Leben des Einzelnen ein verschwindend kleiner Aufwand. „Niemand hat grössere Liebe, denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“ (Joh. 15, 13). Das eigene Leben ist wirklich das Meiste, was der Mensch zu geben im stände ist. Hätte aber Jesus gleich anfangs die Golgatha bestiegen, so hätte seine irdische That nicht so reiche „Früchte“ getragen. Dessen bewusst, entwich Er nach Galiläa, als Johannes verhaftet wurde (Matth. 4, 12). Erst an die Grenze Seiner irdischen Mittel herangerückt, nahm Er den Tod. Ganz richtig sagt der Volksmund: „Gott habe die Menschheit erkauft“. Die ethische That ist, wie jede andere, ein Kauf. Und was verbreitet zwischen Millionen die Wohlthat Jesu? Das gedruckte Wort, ein Fleck, das kleinste der menschlichen Mittel. Ist es darum nicht immer das stärkste? Schlussfolgerung. Die Bedürfnisse des Menschen, unendlichan Zahl wie sie sind, wachsen noch immer mit dem Fortschritte der Kultur, denn das Gegenteil, die Askese, wird nie aus einer Ausnahme eine Regel werden. Ob die Bedürfnisse geistiger oder körperlicher Natur sind, zu deren Befriedigung müssen gewisse Sachen in bestimmten Verhältnissen zu uns stehen. Da aber die Natur die uns nötigen Sachen zu geeigneter Zeit und in gewünschter Kombination uns nie zu Gebote stellt, so muss in der Natur eine zweckmässige Veränderung eingeleitet werden. Darauf beruht das technologische Prinzip, die zielbewusste Einwirkung des Menschen auf seine Umgebung. Die Befriedigung der Bedürfnisse kostet aber Arbeit, d. i. eines bewussten Aufwandes an Mühe mal Zeit. Mühe und Zeit vernünftig zu sparen, ist die Feder des Fortschrittes, der nur zu stände kommt, wenn der Mensch lernt, die Produktivität seiner Arbeit unaufhörlich zu steigern. Und dieses lehrt ihm die Technik, indem sie ins Detail auseinandersetzt, wie das „des“ zu vergrössern und das „do“ zu vermindern ist. Nur diejenigen Völker, die den Weg des technischen Fortschrittes wandeln, „machen die Geschichte“; die übrigen thun bloss „dieselbe erleiden“. Die Technik ist ein Rad in der grossen Weltenuhr der Menschheit. Wir haben dies Rad von innen und aussen erforscht und gesehen, wie es beschaffen ist und wie es in die anderen Räder eingreift. Ein jedes hat seine eigene Funktion im menschlichen Leben (G, W, S, N nach D. p. J. 315 373 ff.) und alle zusammen vereinigen sich zu einem harmonischen Ganzen, zu einem wundervollen Mechanismus, wo keines der Räder fehlen darf und wo sich alle gegenseitig fördernd, die Zeiger des Fortschrittes stetig bewegen, getrieben durch jene geheime Feder, die auch die Blüte aus der Knospe treibt und sich jedem, noch so scharfen Blicke entzieht, denn sie schwebt ausserhalb unseres Wissens, in den Regionen des Glaubens. Technik und Wirtschaft. Die vier Weltgegenden der menschlichen That (gerichtet auf das Gute, das Wahre, das Schöne und das Nützliche) haben wir durchstrichen. Indem wir nun die Grenze zwischen Technik und Wirtschaft ziehen, machen wir Schluss. Die Wirtschaft ist die Ausführungsform der Technik (vgl. D. p. J. 315 374). Die Technik bleibt nur Technik im Laboratorium, in der Fabrik verwandelt sie sich zur Wirtschaft. Die Unterscheidung zwischen Technik und Wirtschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchzuführen, wäre leichter als jetzt, weil die ökonomische Wissenschaft damals enge Grenzen gehabt, die seither gefallen. Jetzt weiss man nicht mehr recht, wo die Oekonomik anfängt und wo sie aufhört. Sie beschäftigt sich zwar immer nur mit Sachgütern und erforscht deren Entstehungs- und Wirkungsweise in der Gesellschaft, aber eben die letzten zwei Fragen haben sich in den letzten 50 Jahren so kolossal erweitert, dass die Oekonomik sich nun genötigt sieht, Völkerkunde, Rechtslehre, Soziologie und was sonst noch in sich aufzunehmen. Die moderne Oekonomik wurde nicht unpassend „die Soziologie der Arbeit“ genannt. Die Technik ist für sie eine Hilfswissenschaft, die ihr die naturnotwendigen Bedingungen ergibt, unter welchen die menschliche Arbeit zu stände kommt. Die Grenzen der Technik sind im Verlauf des 19. Jahrhunderts erst recht deutlich hervorgetreten, diejenigen der Wirtschaft dagegen haben sich beinahe verwischt. Dieser Umstand erschwert die Unterscheidung beider Gebiete der nützlichen Thätigkeit, doch macht er die Bemühungen in dieser Richtung nicht ganz aussichtslos. Früher schien es angebracht, das Wesen der Wirtschaft in der Formel des Sparprinzips „do ut des“ aufzufassen. Neuerdings (1895) hat aber Dietzel (vgl. Schanze, „Das Hecht der Erfindungen und der Muster“, 1900 S. 159) darauf hingewiesen, dass das Sparprinzip und die Oekonomik zwei verschiedene Dinge sind, dass nämlich das erstere jedes vernünftige Handeln einleitet. Dieser Korrektion stimmen wir vollends bei. Die Technik gibt die naturnotwendigen Bedingungen für die Oekonomik. Letztere gibt die gesellschaftlichen Bedingungen für die Technik. In einem Geschäft, z.B. in einer Fabrik, sind beide Gesichtspunkte vertreten durch zwei Personen: einem technischen Direktor und einem Geschäftsleiter. Der erste denkt technisch, der zweite – ökonomisch, und beide beraten sich, eine praktische Frage entscheidend. Aequivalenz in technischer Hinsicht deckt sich keineswegs mit der des Oekonomisten. Zucker in der Kübe, im Vakuumapparat und in der Kaffeetasse ist ein und dasselbe für den Techniker, doch durchaus nicht für den Wirtschafter. Der Oekonomist denkt an Wert, der Techniker an Nützlichkeit. Darum ist die freie atmosphärische Luft keine wirtschaftliche Einheit, d.h. ihr Wert solange gleich Null ist, bis sie einem jeden frei zu Gebote steht. Erst da, wo die Konsumption der Luft nicht mehr freisteht, etwa bei künstlicher Ventilation, tritt die Luft in die Reihe wirtschaftlicher Einheiten ein. Dieses ist schon längst gesagt und der Grund dafür gegeben worden, dass die freie Naturgabe nur unter Hinzutritt menschlicher Arbeit eine wirtschaftliche Einheit wird. Diesem Grundsatz wollen wir eine andere Fassung geben, indem wir sagen: „Ein Sachgut wird nur dann wirtschaftliche Einheit, wenn es zuvor eine technische Einheit geworden.“ In der That unterscheidet die Oekonomik zwischen Tauschwert und Nutzwert und zieht nur den ersten in Betracht, indem sie den Nutzwert eines Sachgutes als vorausgesetzt und gegeben annimmt, ohne denselben zu diskutieren. Das, was der Oekonomist „Nutzwert“ nennt, ist nichts anderes, als was wir Techniker „technischen Effekt“ nennen. Auf diesen Standpunkt gelangt, erhellt die Sachlage ungemein. Die früheren Oekonomisten sind wohl auf den richtigen Kern geraten, wo der Unterschied zwischen dem Technischen und dem Oekonomischen ruht, nur haben sie ihn nicht endgültig ausgesprochen. In ihrer Sprache können wir sagen: „Technik verhält sich zur Oekonomik, wie Nutzwert zu Tauschwert.“ Man sieht, dass es nur zwei Seiten des Sachgutes sind, dass aber die technische Seite eine Vorbedingung für die ökonomische ist. Darum sagen wir: in der nach dem Nutzen gerichteten Thätigkeit ist Technik die Grundform, Wirtschaft die Ausführungsform. Betrachten wir den technischen Nutzeffekt mit den Augen des Oekonomisten, so stossen wir auf ein Paradox. Wie oben gesagt, wird unter diesem Ausdruck ein Bruchverstanden, wo im Nenner die aufgewendete, im Zähler die gewonnene Energie steht. Der Nutzeffekt η ist immer ein echter Bruch: an Energie wird stets weniger gewonnen als ausgegeben. Der Oekonomist würde sagen: So arbeitet denn immer die Technik auf Verlust? Und wir müssen antworten: Ja, solange man nur die quantitative Seite in Betracht zieht. Der technische Erfolg liegt aber in den qualitativen Verhältnissen. Die mechanische Triebkraft am Schwungrade. der Dampfmaschine erreicht nicht einmal das Fünftel Energie der im Kessel verbrannten Kohle. Wer aber einen Fisch braucht, den kann man nicht mit einer Schlange zufrieden stellen. Dürften wir den Nutzwert eines Sachgutes als eine ihm innewohnende Energie betrachten, so könnten wir sagen: Die Frage, wie eine Nutzenergieform in eine andere überzuführen sei, entscheidet der Techniker, und der Oekonomist befasst sich mit der weiteren Frage, was der Mensch aus diesen Energien macht. Der Kathederökonomist, der kein praktisches Geschäft zu führen hat, bedarf dessen, was die technische Wissenschaft ergibt. Der Techniker aber, solange er nur reiner Theoretiker bleibt, bedarf der ökonomischen Wissenschaft nicht. Reine technische Theoretiker sollten aber überhaupt nur auf ein Minimum reduziert werden. Ganz richtig sagen Riedler u.a., dass zwar die reine Wissenschaft an den technischen Hochschulen fortblühen soll, dass aber dem werdenden Ingenieur die Wissenschaft niemals um ihretwillen allein vorgetragen werden muss und niemals der Endzweck aller Technik, die Wirtschaft, ausser Sicht gelassen werden darf. Denn der Ingenieur wird immer die Leitung einer Wirtschaft zu führen haben. Derweil aber die moderne Oekonomik, wie gesagt, eine Soziologie der Arbeit bedeutet, so haben alle diejenigen recht, welche von der technischen Hochschule fordern, sie solle dem Ingenieur die tiefste und weiteste Bildung geben, sein Herz und sein Auge eröffnen und verschärfen, weit über die Enge des Faches in die Weite des Lebens. Nur der Ingenieur wird den kommenden Anforderungen des Lebens entsprechen können, der nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich, sozial, rechtlich und sittlich hoch ausgebildet sein wird. Unter dieser Voraussetzung schliessen wir mit den Worten: „Das 20. Jahrhundert gehört der Technik und den Technikern!“