Titel: Oberschlächtiges eisernes Zellenwasserrad mit 10 m Durchmesser.
Autor: Wilhelm Müller
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 557
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Oberschlächtiges eisernes Zellenwasserrad mit 10 m Durchmesser. Von Wilhelm Müller, Cannstatt. Oberschlächtiges eisernes Zellenwasserrad mit 10 m Durchmesser. Textabbildung Bd. 315, S. 557 Fig. 1.Längenschnitt durch den Wasserbau. Textabbildung Bd. 315, S. 557 Fig. 2.Grundriss der Anlage. Die Anlage eiserner Wasserräder anstatt Turbinen bildet auch gegenwärtig, wo die Ausführung von Turbinen bevorzugt ist, keineswegs eine so seltene Ausnahme, als in Fachkreisen allgemein angenommen wird. Seitens der Werksbesitzer besteht eine andauernde Nachfrage besondersnach zwei Radsystemen, welche fortwährend in grosser Anzahl gebaut werden: es sind dies für kleine und mittlere Gefälle bei stark veränderlichem Zufluss die Ueberfallräder nach verbessertem System Zuppinger mit schmiedeeisernem Radkörper und evolventenförmig gekrümmten Holzschaufeln, für höhere Gefälle bei massigen Wassermengen die vollständig aus Eisenblech gefertigten oberschlächtigen Zellenräder. So hat sich die Uhrenfabrik Gebr. Junghans in Schramberg (Schwarzwald), jetzt Vereinigte Uhrenfabriken von Gebr. Junghans und Thomas Haller, A.-G., Schramberg, beim Neubau einer im vorigen Jahre abgebrannten Filiale in Lauterbach zur Anlage eines Wasserrades entschlossen (obgleich die Firma bereits Turbinen aus Fabriken von bewährtem Ruf im Betrieb hat) und den Verfasser mit Ausführung desselben beauftragt. Die. Anlage wurde kürzlich dem Betrieb übergeben. Bisher war das Gefälle durch zwei hintereinander gesetzte hölzerne Räder mit 4,3 bezw. 4,8 m Durchmesser nur unvollständig ausgenutzt. Durch Vereinigung dieser seither getrennten Wassergefälle, sowie rationelle Fassung und Leitung des Aufschlagwassers konnte über ein Totalgefälle von 10,64 m verfügt werden. Das bestehende Stauwehr und der vorhandene Kanaleinlass wurde unverändert wieder benutzt, die ältere Rohrleitung, bestehend aus 50 cm weiten Cementröhren, als zu eng und übergrossen Gefällsverlust verursachend, beseitigt und das Aufschlagwasser durch 60 cm weite Cementröhren geleitet, die an der Bergseite des schmalen Lauterbachthales entlang auf eine Strecke von etwa 200 m in den Boden verlegt sind. Für das durch die Rohrleitung verbrauchte Gefälle wurden 0,29 m, für die Wasservorlage im Zulaufgerinne 0,28 m, für den Spielraum zwischen Radscheitel und Einlaufgerinne 0,02 m, für Freihängen des Rades 0,05 m in Abzug gebracht, so dass eine Radhöhe von 10 m verblieb (Fig. 1). Der Oberwasserspiegel hat sich in Wirklichkeit etwas günstiger eingestellt, als die Berechnung voraussetzt. Die Triebwassermenge beträgt 100 bis 220 l in der Sekunde, dieselbe sinkt bei trockener Jahreszeit auf 50 Sek./l, erhebt sich jedoch bei starken Regenfällen zufolge raschen Abfliessens der Bergwasser weit über den normalen Stand. Durch die Neuanlage ist unter möglichster Vermeidung von Gefällsverlusten auf diese Weise die Wasserkraft aufs rationellste ausgebaut. Die Rohrleitung mündet unmittelbar vor dem Motorenhaus in einen 1,25 m breiten offenen cementierten Kanal, der sich in einer halbkreisförmigen Krümmung rechwinklig zur Berghalde an das eiserne, 7,50 m lange Zulaufgerinne anschliesst, welches das Aufschlagwasser aufs Rad führt. Oertliche Verhältnisse bringen es mit sich, dass der 1,50 m breite Ablaufkanal ausserhalb des Maschinenhauses im rechten Winkel zum Rad abzweigt (Fig. 2). Der Radeinlauf einschliesslich Schützengestell und Leerschuss, sowie das Wasserrad selbst sind durchaus in Schmiedeeisen ausgeführt; die Verbindungen mit rotwarm geschlagenen Nieten hergestellt. Die Wasserstube für das Rad konnte nicht unmittelbar an den Fabrikneubau angeschlossen, sondern musste an der Bergseite, wo die Zuleitung ausmündet, erstellt werden. Abweichend vom ursprünglichen Plan wurde auf das einstockig vorgesehene Radhaus eine Wärterwohnung aufgesetzt, was sich bezüglich der Wartung des Motors und Bedienung der Fallen als zweckmässig erwiesen hat. Die Berechnungsgrundlagen für das Wasserrad sind folgende: Wassermenge in der Sekunde Q = 0,1 bis 0,22 cbm Nutzgefälle am Rad H = 10,350 m Leistung in Pferdekräften N = 10 bis 24 Raddurchmesser D = 10 m Zellenbreite B = 1,250 m Radiale Tiefe a = 0,300 m Anzahl der Radzellen Z = 80 Zellenteilung am Radumfang t = 0,3927 m Umdrehungen in der Minute n = 2,2 bis 2,5 Umfangsgeschwindigkeit in der  Sekunde v=\frac{\pi\,.\,D\,.\,n}{60} v = 1,315 m Zur Bestimmung der Wassergeschwindigkeit v1 im Schwerpunkt bei ⅓ Schaufelfüllung hat man den Durchmesser des Radkreises D_1=D-2\,a+\frac{a}{3} D_1=10,0\mbox{ m}-2\,.\,0,30+\frac{0,30}{3}=9,50\mbox{ m} v1 = 1,242 m/Sek. Die vom Rad verarbeitete Wassermenge ergibt sich bei einem Reduktionskoeffizienten k = 0,95 wegen Verminderung des Fassungsraumes durch Konstruktionsglieder zu Q = 0,95 . 1,25 . 0,10 . 1,242 = 148 l in der Sekunde, desgleichen bei ½ Füllung D_1=10,0-2\,.\,0,3+\frac{0,30}{2}=9,550\mbox{ m} v1 = 1,25 m/Sek. Q = 0,95 . 1,25 . 1,25 . 0,15 = 222 l in der Sekunde. Bei Berechnung der Stärke der Radachse kommt neben dem Eigengewicht des Rades und eines Teils der Welle hauptsächlich noch das Wassergewicht im Rad und das Drehmoment auf die beiden Rosetten in Betracht. Bei ½ Füllung beträgt das Wassergewicht Q1 im Rad nach der Beziehung D1, = 9,550 m (Umfang U = 30 m) \frac{U}{2}=15\mbox{ m} oder 150 dem Q1 = 150 . 12,5 . 1,5 = 2812,5 kg rd. 3000 kg. Beim Bau des Radkörpers waren folgende Gesichtspunkte massgebend: Da das Radgewicht von erheblichem Einfluss auf die Herstellungkosten und die zu bewegenden toten Lasten, so ist man bei Bemessung der Blechstärken an die äussersten Grenzwerte herangetreten, die noch ausreichende Haltbarkeit und Dauer versprechen. Bei Ausgestaltung der Zellenräume wurde besonders auf genügenden „Schluck“ Bedacht genommen (Fig. 3) und der Füllungsgrad möglichst hoch gewählt, aus konstruktiven Rücksichten sowohl, als auch um die im Rad wirksame Wassermasse bei schwächeren Beaufschlagungen gegenüber dem Radgewicht nicht auf ein ungünstiges Verhältnis herabzudrücken. Textabbildung Bd. 315, S. 558 Fig. 3.Längenschnitt durch den Radkranz. Für die Radarme ist ein möglichst leichtes U-Profil verwendet, das neben genügender absoluter Festigkeit noch reichliche Querschnitte für die Nietverbindungen bot. Um den Armen grössere Steifigkeit zu geben, verbindet ein Winkelring konzentrisch zum Radkranz sämtliche Strahlen eines Armsterns (Fig. 1), überdies sind noch Querverbände aus Winkeleisen angebracht, um den Seitenschub der beiden Rosetten zu verhindern. Zur Erzielung weiterer Stabilität des Radkörpers sind fünf doppelte, aus Winkel- und Flacheisen erstellte Diagonalverbände (Fig. 4) zwischen die Arme eingelegt. Die gusseisernen Radrosetten (Fig. 6) sind zweiteilig verschraubt ausgeführt, um Materialspannungen beim Guss zu vermeiden und das Einbringen bei der Aufstellung zu erleichtern. Bei der Gesamtausführung wurde getrachtet, das Material in vorteilhaftester Weise zu verteilen, demzufolge die Welle in reichlichen Dimensionen ausgeführt ist, um dem Radkörper eine zuverlässige Stütze zu geben und Lockerung der Nietverbände zu vermeiden; dagegen wurde der Radkörper, wie bereits bemerkt, so leicht gehalten, als die Rücksichten technischer Erfahrung für die Kraftübertragung und Haltbarkeit es erlaubten. Das Wasserrad ist mit Rücksicht auf Eisbildung und Zugänglichkeit von allen Seiten in einer etwa 3 m lichtweiten gemauerten Radstube untergebracht, der Radschacht in einer Breite von 2,20 m ausgeführt. Die aus geschmiedetem Stahl hergestellte, in zwei Lagern mit Bronzeschalen ruhende Radachse reicht in den vom Wasserrad durch eine Scheidewand abgeschlossenen Triebraum hinein (Fig. 5), welcher die Vorgelege und die weiteren Uebertragungsorgane, sowie die Handräder zur Bedienung der Arbeits- und der Leerschütze enthält. Um von der geringen minutlichen Umdrehungszahl des Wasserrades von 2,2 bis 2,5 in der Minute auf die vorgeschriebene Geschwindigkeit der Haupttransmission von 180 bis 220 in der Minute zu gelangen, sind zwei Stirnräderpaare „Eisen in Eisen“ 180 : 36 und „Holz in Eisen“ 168 : 38, sowie ein 350 mm breiter Riementrieb, Uebersetzungsverhältnis 2,1 : 1, angeordnet. Textabbildung Bd. 315, S. 559 Fig. 4.Querschnitt. Die Kraftübertragung auf die Haupttransmission der Fabrik erfolgt mittels 40 mm dickem Hanfseil bei 10 m/Sek. Seilgeschwindigkeit. Die Seilscheiben im Verhältnis 1,88 : 1 sind zweirillig ausgeführt, bei schwächerer Leistung wird das zweite Seil abgenommen, da ein Seil für die Kraftübertragung genügt und weniger Reibungsverlust verursacht. Bei Rädern von so bedeutendem Durchmesser ist besonders darauf Bedacht zu nehmen, dass der Radkörper ein indifferentes Gleichgewicht erhält, sowie genau rundläuft und insbesondere seitliche Schwankungen ausgeschlossen sind. Zu diesem Zweck müssen die Zellen und Felgen einzeln verwogen, am Radkranz entsprechend verteilt und die Böden genau eingelegt werden. Verzeichnis der einzelnen Teile. Einlaufgerinne mit Regulierschützen. 1 schmiedeeisernes Einlaufgerinne 7470 mm lang,1250/750 kg 11111 Einlaufstück mit Hängeisen 1250/1050Regulierschützengestell 1250/1200 aus U-Eisen140/160gusseiserner Rahmen mit Deckel zum Abfallrohr820/250Winde zur Regulierschütze     „      „   Abfallklappe 1957 1 Abfallrohr 6850/820/250 345 Wasserrad. 1 Wasserradwelle 4530 lang, 290/240/190/170 1840 2 gusseiserne zweiteilige Rosetten, 1400 Dtr., 290Bohrung für je 10 U-Arme, 153 hoch mit Naben-ringen, Schrauben, Splinten und Keilen 1902 schmiedeeiserner Radkörper, bestehend in: 1 20 Arme mit Winkeln und LaschenU-Profil, 153 mm hoch 1717 10 Strebensegmente 305 10 Felgensegmente mit angenieteten Winkeleisen 1355 10 Winkel- und Flachstreben zu 5 Diagonalverbände 355 10 Bodenbleche 888 80 Zellen, 1250 breit, mit angenieteten Winkeleisen 2456 Nieten 257 1 Wasserradlager 190/260 mit Hohlgussuntersatz 340 1             „           170/240 Gewichtsangabe s. unter „Vorgelege“. Textabbildung Bd. 315, S. 559 Fig. 5.Getrieberaum. Getriebe. kg 1 zweiteiliges Stirnrad, 180 Eisenzähne, 63,09 Tei-lung, 3615 mm Dtr., 200 mm breit, 240 Bohrungmit 2 Nabenringen, Schrauben und 2 Keil 2110 1 Trieb dazu 36 EZ., 723 Dtr., 160 Bohrung mit 1 Keil 281 1 zweiteiliges Stirnrad, 168 HK., 50,27 Teilung,2688 mm Dtr., 130 mm breit, 160 Bohrung mitNabenringen, Schrauben und 1 Keil 1125 1 Trieb dazu 38 EZ., 608 Dtr., 115 Bohrung, 1 Keil 152 1 Riemenscheibe 1850/350 512 1            „             905/350 142 1 Seilscheibe, 1700 mm Dtr. 316 1 „             950  „    „   zwillig für 40 mm Seile 142 ––––– 18497 Vorgelege. Uebertragkg18497 1 Vorgelegewellenlager, gemeinschaftlich mit einemWasserradlager auf einem Hohlgussuntersatz    522 1 Vorgelegewelle 2080/160/135    300 1 Bodenlager dazu 135/220    215 1           „         „    160/240    303 1 Welle 2130/115/95    160 1 Bodenlager dazu 95/180    147 10 Anker mit Rückplatten und Keil, 2 Steinschrauben    418 1 Vorgelegewelle 2500/85 mit 2 Bund    111 1 Ringschmierlager, 85 Bohrung mit Weissmetall ineinem Mauerkasten    146 1 Ringschmierlager, 85 Bohrung mit Weissmetallauf 1 Lagerkonsol 550 Ausladung    115 1 Rückplatte und 3 Schrauben dazu     56 –––––– Gesamtgewicht 20990 Textabbildung Bd. 315, S. 560 Fig. 6.Zweiteilige Rosette. Der Nutzeffekt des Rades hat sich bei so vollständiger Ausnutzung von Gefälle und Wassermenge als ein überaus günstiger erwiesen, indem der Motor bei allen Wasserständen den betreffenden Teil der Arbeitsmaschinen, welcher durch ihn zu betreiben ist, ununterbrochen imGang erhält (die Fabrikanlage umfasst Dampf- und Wasserkraft), dabei äussert sich der aus der Verminderung des Wasserzuflusses folgende Kraftrückgang in einer massigen Abnahme der Transmissionsgeschwindigkeit, die jedoch bei den betreffenden Arbeitsmaschinen ohne nachteiligen Einfluss auf deren qualitative Leistung bleibt. Das Rad nutzt jeden Tropfen ohne Wasserverlust aus, verursacht infolge seines langsamen Ganges trotz des relativ grossen Eigengewichtes keine übermässige Reibung, Ein- und Austrittsverlust werden bei verminderter Beaufschlagung prozentual klein, die Füllung im Rad bleibt, wie die Berechnung zeigt, in praktischen Grenzen, die Zapfenreibung erhöht sich nur unwesentlich, der Gesamtverlust fällt somit bei vermindertem Wasserzufluss nicht überwiegend in die Wagschale. Was den Nutzeffekt und die Gangfähigkeit der Neuanlage anbetrifft, so dürfte unter ähnlichen Verhältnissen, woselbst starke Verunreinigung des Wassers durch Laubfall und Grundeisbildung eintreten, eine Turbine mit ihren engen Ausflussöffnungen dem Leistungsvermögen eines gutkonstruierten oberschlächtigen Zellenrades wohl nicht gleichkommen.