Titel: | Turbinenmotor mit Selbstregelung. |
Autor: | Wilh. Müller |
Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 81 |
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Turbinenmotor mit Selbstregelung.
Turbinenmotor mit Selbstregelung.
Auf der Ausstellung in Vincennes, die eine Ergänzung der Hauptausstellung in
Paris bildete, befand sich eine Hochdruckturbine, System Cassel, auf welche zufolge ihrer eigenartigen Regelanordnung im
nachstehenden näher eingegangen werden sollGénie
Civil, 1900, S. 113..
Zum Zweck der Geschwindigkeitsregelung hat man zahlreiche Systeme von Regulatoren in
Anwendung gebracht, wovon einige sehr gute Resultate ergeben, im allgemeinen bilden
dieselben jedoch meistens verwickelte und kostspielige Einrichtungen. Die
Regulatoren wirken entweder in der Weise, dass sie die Beaufschlagung verändern,
oder Zusatzwiderstände einschalten. In ersterem Falle geschieht die Regulierung des
Motors wie bei Dampfmaschinen durch Verkleinerung des Einströmungsquerschnitts, wenn
die Geschwindigkeit infolge Verminderung der Widerstände sich steigert.
Rücksichtlich der Unzusammendrückbarkeit des Wassers kann dieses System jedoch keine
ebensoguten Resultate bei Turbinen als an Dampfmaschinen ergeben. Die Trägheit der
im Zulaufrohr in Bewegung befindlichen Masse verursachtWasserstösse, wenn der
Regulator eine zu schroffe Thätigkeit auf die Beaufschlagung ausübt und bleiben die
verschiedenen angewendeten Mittel, um die gefährlichen Stösse zu vermeiden, weit
davon entfernt, volle Befriedigung zu gewähren.
Als bester Ausweg wäre vielleicht derjenige zu bezeichnen, welcher dem Wasser eine
Abflussöffnung, in gleichem Verhältnis wie die Schliessung der Schütze erfolgt,
verschafft.
Der Erfinder des Turbinenmotors hat die vorteilhafteste Lösung dieses Problems in der
Regelung des Ganges versucht, ohne die Geschwindigkeit in der Zuleitungsröhre zu
beeinflussen, und einen Apparat ausgeführt, welcher die Eigenschaften, die ein Motor
für hohe Gefälle besitzen muss, zu vereinigen scheint.
Der eigentliche Motor ist ein Rad mit partieller Einströmung, System Pelton, dessen Wirkungsgrad bei voller Beaufschlagung
als günstig bekannt ist. Die Neuerung besteht darin, dass der Radkörper in zwei
gleiche Hälften A und B
geteilt ist, deren Durchschnittslinie durch die Mitte der Schaufeln pp und den Mittelpunkt des oder der Wasserstrahlen J hindurchgeht. Die beiden Körperhälften A
und B können sich längs der Achse O bis zur vollständigen Berührung bewegen, oder auch sich voneinander
entfernen, wobei der Mechanismus derart eingerichtet ist, dass die Verbindung mit
der Welle gesichert bleibt. Rücken beide Teile A und
B des Radkörpers zusammen, so arbeitet das Ganze
wie die gebräuchlichen Löffel- oder Becherräder; sobald sich dieselben jedoch
voneinander entfernen, fliesst ein Teil des Wassers, ohne die Schaufeln p zu berühren, frei weg; durch eine nur mässige
Weiterbewegung erzeugt die zwischen den Strahlen sich bildende Oeffnung ganz
beträchtliche Veränderungen in der Triebkraft.
Textabbildung Bd. 316, S. 82
Hochdruckturbine System Cassel. Schnitt XY. Schnitt SV.
Ein einfaches System von Zentrifugalgewichten und die Kraft der Federn B genügen für die Verstellung der Radhälften, sobald es
sich um eine geringe Aenderung der Geschwindigkeit handelt. Vom Standpunkt der
Empfindlichkeit, Raschheit und Sicherheit der Regelung aus soll der Apparat in der
Praxis nichts zu wünschen übrig lassen.
Aus den Fig. 1 bis 3 ist das Prinzip des
Motors zu ersehen.
Bei einem nach diesen Angaben hergestellten Rade halten die Spannfedern die
Körperteile A und B
zusammen, so lange, als die normale Belastung anhält; bei Ueberschreitung dieses
Momentes stellt sich Gleichgewicht zwischen dem Zug der Federn B und der durch die Gegengewichte G ausgeübten Zentrifugalkraft ein und wirkt die
Regelung selbstthätig in vorbeschriebener Weise.
Wie man sich leicht überzeugen kann, verursacht dieses Regelsystem keine besonderen
Unkosten und vermeidet Wasserstösse im Zuleitungsrohr vollständig, dadasselbe
in keiner Weise die Bedingungen des Durchflusses in der Röhre ändert.
Es ist zwar hervorzuheben, dass das überschüssige Wasser, welches zwischen den beiden
Radteilen entweicht, verloren geht, in den meisten Fällen ist dies jedoch nicht von
Belang und findet sich übrigens dieser Umstand auch bei Regulatoren mit
Hilfsöffnungen, von denen bereits die Rede war. Für Fälle, in denen es unerlässlich
ist, das Wasser nicht zu verlieren, hat der Erfinder eine spezielle Regelanordnung
ausgedacht, welche die Verzögerung des Wassers in der Zuführungsröhre
herbeiführt.
Der Turbinenmotor von Cassel hat seine Proben bereits
abgelegt und arbeitet eine Einrichtung für elektrisches Licht in Alaska seit mehr
als einem Jahre mit befriedigendem Resultat. Bei einer Prüfung dieser Anlage haben
die Sachverständigen einen sehr guten Wirkungsgrad festgestellt. –
Als schwacher Punkt der Konstruktion darf das Verschieben der Nabenhülsen auf der
Achse angesehen werden, da solche Vorrichtungen nur so lange wirksam bleiben, als
sich nicht Rost und Wassersteinansatz an den Gleitflächen bildet. Derartige
bewegliche Einrichtungen sind nur in neuem Zustande betriebssicher, weil auch durch
den stattfindenden unausweichlichen Verschleiss die Festigkeit des Apparates und
damit die sichere Wirkung leidet. Ferner sollten bei rasch umlaufenden Motoren frei
schwingende mitrotierende Nebenteile vermieden werden. Da die Turbine
ausschliesslich für grossen Druck geeignet ist und demzufolge mit hohen Tourenzahlen
gerechnet werden muss, so verursachen diese mitlaufenden Organe Wasserstösse im
Gehäuse. Ebenso wird bei gespaltenem Rad durch den freien Strahl Spritzwasser
erzeugt, das eine hemmende Wirkung auf den Gang desselben ausübt. Zweifellos lockern
sich auch die Reguliergelenke nach kurzer Zeit und wird dadurch das dauernd gute
Funktionieren des ganzen Apparates in Frage gestellt.
Immerhin aber scheint dieser selbstregelnde Motor für die Entwickelung der Ausnutzung
von Wasserkräften beizutragen, indem er die Nutzbarmachung von weniger bedeutenden
Wassergefällen erlaubt, welche geringe Aufstellungskosten bedingen und wenig
Ueberwachung erfordern.
Wilh. Müller-Cannstatt.