Titel: | Elektrizitätswerk Beznau. |
Autor: | Wilh. Müller-Cannstatt |
Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 144 |
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Elektrizitätswerk Beznau.
Elektrizitätswerk Beznau.
In der Nähe der Eisenbahnstation Turgi vereinigen sich die Flüsse Reuss und
Limmat mit der Aare, welche, durch diese Zuflüsse wesentlich vergrössert, von da an,
nach etwa 15 km langem und von der Natur mit vielem Gefälle bedachtem Laufe bei
Waldshut den Rhein erreicht. Der obere, besonders gefällsreiche Teil dieses
Flusslaufes ist es, der bei der Beznau gegenüber Böttstein zur Anlage eines grossen
Elektrizitätswerkes benutzt wird.
Textabbildung Bd. 316, S. 143
Fig. 1.Masstab 1 : 100000
1. Wasser- und Gefällsverhältnisse. Aus der Kartenskizze
(Fig. 1) ist der etwa 1,20 km lange Kanal zu
ersehen, an dessen unterem Ende sich das Turbinenhaus befindet. Das natürliche
Gefälle, das dieser Kanal durch Abschneiden der Flussserpentine bei der Beznau
nutzbar macht, wird wesentlich vermehrt durch den Einbau eines beweglichen Wehres,
welches rechtwinklig zum Flusslaufe gelegen ist und ermöglicht, den Fluss so zu
stauen, dass dessen natürliches Gefälle vom Zusammenfluss der Aare, Reuss und Limmat
an, bis zu genanntem Wehre ebenfalls ausgenutzt werden kann. Die Stauung findet dort
statt, wo der Fluss sein Bett zwischen zwei Felsbänken tief in die Geschiebe
eingegraben hat, und ist daher die Stauung selbst bei den höchsten Wasserständen für
das anstossende Kulturland ohne Nachteil. Das Stauwehr und die Einlaufschützen am
Kanaleinlauf stehen auf demselben Felsuntergrund, aus welchem der Oberkanal
ausgehoben ist.
Die Wassermenge der Aare ist auf der in Benutzung genommenen Strecke einerseits
infolge der sehr verschiedenen Gestaltung und Beschaffenheit des in Frage kommenden
fast ⅔ der Bodenfläche der Schweiz umfassenden Niederschlagsgebietes, andererseits
durch die regulierende Einwirkung der vielen, die Flussläufe unterbrechenden Seen
eine sehr regelmässige und es beträgt dieselbe im Minimum 165 cbm in der Sekunde.
Dieser Wasserstand tritt jedoch gemäss der über eine lange Reihe von Jahren
geführten Pegelbeobachtungen pro Jahr im Durchschnitt nur 8 Tage lang ein und führt
der Fluss während der übrigen Zeit inden Wintermonaten mindestens 190 cbm, in
den Sommermonaten gewöhnlich etwa 600 cbm in der Sekunde.
Der erlaubte Aufstau variiert je nach der Wassermenge, welche der Fluss führt, und es
ergeben sich aus den durch Stauung und Kanalanlage resultierenden Nutzgefällen von
3,5 bis 5,7 m und den entsprechenden Wassermengen die Kraftleistungen von 8500 bis
etwa 13000 PS, wobei das Minimum von 8500 PS nur etwa 8 Tage andauert, und die
Kraftleistung im übrigen mindestens = 9500 PS beträgt.
2. Hydraulische Anlage. Ueber dieselbe ist bereits
mitgeteilt, dass ein Wehr quer zur Flussrichtung eingebaut werde. Dieses Wehr erhält
sechs Pfeiler im Flusse und ergeben diese mit den zwei Landpfeilern sieben
Oeffnungen von je 15 m Breite, die mit starken eisernen Schleusen bei Niederwasser
gänzlich, bei höheren Wasserständen teilweise abgeschlossen werden. Ebenso ist der
Kanaleinlauf bei abgelassener Stauung durch eiserne Schützen abschliessbar. Der etwa
1,20 km lange Oberwasserkanal hat eine Sohlenbreite von 42 m, die Kanalbreite auf
der Höhe des normalen Wasserspiegels beträgt etwa 60 m. In dieser Höhenlage sind die
Böschungen gepflastert.
Das Maschinenhaus ist so nahe an den Fluss gerückt, dass man von einem eigentlichen
Unterwasserkanal nicht sprechen kann. Das Turbinenhaus, dessen Unterbau mittels
pneumatischem Gründungs verfahren tief in den festgelagerten Kiesgrund versenkt
wird, erhält im Maschinensaal eine Länge von 100 und eine Breite von 12 m. Der
Unterbau enthält elf Turbinenkammern für die je 1000 bis 1200 PS leistenden
Hauptturbinen und zwei kleinere Kammern für die Erregerturbinen von je 450 PS. An
das Turbinenbaus schliesst sich ein Schaltgebäude an, mit einer Bodenfläche von 12,3
× 18 m im Lichten, welches die sämtlichen Schalt- und Messapparate, Transformatoren
und Hilfsapparate aufnimmt. Ein weiterer Anbau dient für eine kleine Werkstatt und
Bureauräume.
Die Turbinen werden als Drei-Etagenradialturbinen mit durch Patentzungenschieber
im Leitrade regulierbarer Beaufschlagung von der Firma Th.
Bell und Co. in Kriens bei Luzern ausgeführt; die Tourenzahl derselben ist
68. Die Turbinen der Erregerkammern unterscheiden sich von den Hauptturbinen nur
durch die Dimensionen. Die Drehung der Leitradzungenschieber und damit die
Regulierung der Turbinen erfolgt durch Oeldruck mit Hilfe je eines Servo-Motors pro
Turbine. Dieselbe Pressölanlage, welche die Servo-Motoren bedient, liefert auch das
Drucköl für die ringförmigen ausserhalb des Wassers liegenden und jederzeit
zugänglichen Turbinenstupfen. Die für den ersten Ausbau der Anlage erforderlichen
Turbinen und übrigen mechanischen Einrichtungen sind in der Montierung begriffen.
Das Gewicht einer kompletten Turbine beträgt etwa 75000 kg.
Textabbildung Bd. 316, S. 144
Fig. 2.Drei-Etagenturbine ausgeführt von Bell und Co. A.-G.
Ueber weitere Einzelheiten der Etagenturbinen (Fig. 2) mit vertikaler Achse ist bereits in D. p. J. 1900 315 646 bei
den in Paris ausgestellten Turbinen berichtet worden; einige allgemeine
Gesichtspunkte über diese Type mögen hier noch Platz finden.
Die Etagenturbinen eignen sich zur Ausnutzung von Gefällen von 3 bis 15 m und
beliebige Wassermengen bei hoher Tourenzahl. Die nach besonderer Konstruktion der
Aktiengesellschaft Th. Bell und Co. ausgeführte
Leitradregulierung (Schweizer Patent Nr. 14540/306) soll sich namentlich auch für
sehr grosse Kräfte bewährt haben. Die Regulierorgane sind möglichst entlastet und
derart konstruiert, dass Fremdkörper, Sand und Schlamm den sicheren Gang nicht
leicht stören. Die Auswechselungeinzelner Teile, auch eines ganzen Leitrades ist in
kurzer Zeit ermöglicht. Je nach Grosse und Geschwindigkeit soll der Nutzeffekt der
Turbinen 75 bis 80% betragen.
Die umlaufenden Teile sowohl der Turbine als auch zum grössten Teil des Generators
werden nach dem der Firma Bell und Co. eigenen System
(Schweizer Patent Nr. 14464) hydraulisch entlastet, so dass der Stupf nur noch den
der veränderlichen Gefällshöhe entsprechenden Druckunterschied aufzunehmen hat. Auf
welche Weise die Entlastung der Turbine bewirkt wird, ist in D. p. J. 1900 315 646 angegeben; ausserdem
werden die Turbinen mit zweckmässig gekühlten Ringspurlagern versehen und dürften
somit diejenige Betriebssicherheit bieten, die ganz besonders für sehr grosse Kräfte
mit hohen Tourenzahlen Bedingung ist.
3. Elektrische Anlage. Es mag als selbstverständlich
gelten, dass die elektrischen Generatoren, wie jetzt allgemein üblich, unmittelbar
auf die Turbinenwelle aufgesetzt werden, wodurch jeder Kraft Verlust durch
Zwischenteile ausgeschlossen ist. Dasselbe gilt auch für die Erregermaschinen. Die
elektrischen Generatoren – geliefert von Brown, Boveri und
Cie. in Baden (Schweiz) – erzeugen direkt dreiphasigen Wechselstrom von
8000 Volt Spannung, welche für die meisten Kraftübertragungszwecke genügend ist. Für
die Uebertragung auf grössere Entfernungen ist die Transformation des erzeugten
Maschinenstromes auf 20000 Volt vorgesehen, welche Spannung beispielsweise für die
Speisung des Absatzgebietes imaargauischen Seethal (Umgegend des Hallwyler
Sees) zur Anwendung kommt.
Die Kartenskizze (Fig. 1) gibt ein annäherndes Bild
über einen Teil des vorgesehenen Leitungsnetzes zur Abgabe elektrischer Energie für
die verschiedensten Bedürfnisse der Industrie und der Gewerbe, sowie zur Beleuchtung
von Wohnhäusern u.s.w.
4. Stand der Arbeiten, Beginn der Kraftabgabe. Die
Bauarbeiten wurden im November 1898 begonnen und seither erfolgreich und
programmmässig durchgeführt. Der Aushub des Kanals ist beendigt. Fertiggestellt ist
das Mauerwerk des Kanaleinlaufes und beide Uferpfeiler des Wehres einschliesslich
des dortigen Fischpasses. Von den sechs Strompfeilern sind vier bis über Wasser
gemauert und vollzog sich diese Arbeit in einem beweglichen Caisson durchaus sicher
und ohne Anstand in der kurzen Zeit von 4 Monaten. Beim Turbinenhaus sind die Bauten
des Leerlaufes, der Kahnschleuse und des Fischpasses vollendet, ebenso die beiden
Widerlagerpfeiler des Turbinenhauses und dessen Fundamentierung und Sicherung gegen
Auskolkung auf der Unterwasserseite. Das zur Anwendung gelangende System der
Fundamentierung gestattet einen vom Wasserstande ganz unabhängigen Fortgang der
Arbeiten, so dass der Beginn der Kraftabgabe, wie vorgesehen, auf den Herbst 1901 zu
erwarten ist.
5. Betriebssicherheit. Grosse Sorgfalt wurde bei der
Projektierung
Fig. 2. der Anlage auf Erreichung eines möglichst
hohen Grades der Betriebssicherheit verwendet. Nicht nur ist für die zum Betriebe
unumgänglich erforderlichen Funktionen der Lieferung des Erregerstromes und des
Pressöles je eine Reserveanlage angeordnet, sondern es sind die Leitungen für das
Pressöl, sowie die Sammelschienen der Schaltanlage so angelegt, dass beliebige Teile
dieser Leitungen zeitweise ihrer Funktion enthoben, d.h. ausgeschaltet werden
können. Es ist demnach möglich, schadhafte Teile zu reparieren oder auszuwechseln,
ohne deshalb den Betrieb einstellen zu müssen.
Die vielfachen Erfahrungen, die infolge des Baues und Betriebes der verschiedensten
Elektrizitätswerke zu Gebote stehen, wurden bei Aufstellung des Projektes für das
Elektrizitätswerk Beznau durchweg zur Anwendung
gebracht, und es bürgen ausserdem die Namen der Firmen, denen die Lieferungen und
Arbeiten übertragen sind, nämlich: Prof. Conrad
Zschokke in Aarau (Spezialgeschäft für Wasserbauten) für die gesamten
Bauten, Th. Bell und Co. in Kriens für die Turbinen und
Brown, Boveri und Co. in Baden für den elektrischen
Teil, für eine sachgemässe erstklassige Ausführung der Gesamtanlage.
Wilh. Müller-Cannstatt.