Titel: Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
Autor: M. Richter
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, S. 49
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Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. Von Ingenieur M. Richter, Bingen. (Fortsetzung von Bd. 316 S. 669.) Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. b) Wasserverbrauch. Wurde bisher für die Berechnung der möglichen Leistung der Weg der Wärme vom Rost bis auf die Schienen, d.h. von der Erzeugungsstelle bis zur Umformung zuerst verfolgt, so blieb die andere angedeutete Methode offen: nämlich die Wirkung der in das Kesselwasser eingetretenen Wärmemenge hinsichtlich der erzielten Dampfmenge zu untersuchen. Naturgemäss kann diese Untersuchung keine selbständige sein, sondern sie ist von der vorigen durchaus abhängig; eine analoge Behandlung ist unmöglich, da von den beiden Veränderlichen, welche den Brennstoff- und Wasserverbrauch darstellen, nur der erstere eine Unabhängige, der letztere dagegen stets eine Funktion des ersteren ist. Oben (S. 661 Bd. 316) wurde mit \frakfamily{W}=\eta_k\frakfamily{wB} die zur Verdampfung verwertbare stündliche Wärmemenge bezeichnet. Zur Verdampfung von 1 kg Wasser bezw. zur Erzeugung von 1 kg Dampf von der Temperatur t, welche einer gewissen absoluten Spannung p entspricht (Fliegner'sche Tabelle), ist nach Régnault bekanntlich erforderlich die „Gesamtwärme“ λ = 606,5 + 0,305 tKal./kg. Nun ist aber das Speisewasser im Tender bereits auf die Temperatur t0 durch die Sonne vorgewärmt (die Vorwärmung durch den Injektor darf natürlich nicht berücksichtigt werden, weil sie auf Kosten der im Kessel vorhandenen Energie geschieht), daher ist die entsprechende „Flüssigkeitswärme“ t0Kal./kg abzuziehen; ferner ist mit Rücksicht auf das mitgerissene Wasser (im Mittel 20 % der Dampfmenge), welches ebenfalls Dampftemperatur annehmen muss, die Gesamtwärme um die Grösse 0,2 (tt0) zu vermehren, so dass λ0 = 606,5 + 0,305t + 0,2 (t – t0) – t0 oder einfacher: λ0 = 606,5 + 0,505 t – 1,2 t0Kal./kg die zur Erzeugung von 1 kg nassem Dampf in einem Lokomotivkessel (genauer von 1,2 kg Gemisch von Dampf und Wasser) nötige Wärmemenge. Werden im ganzen nun \frakfamily{W} Kalorien in das Wasser geschickt, so ist die entstehende Dampfmenge \frac{\frakfamily{W}}{\lambda_0} oder ausführlicher mit Einsetzung des Wertes von \frakfamily{W}: \frakfamily{D}=\frac{\eta_k\,\frakfamily{w\,B}}{\lambda_0}=\frac{\eta_k\,\frakfamily{w}}{\lambda_0}\,\left(\frac{\frakfamily{B}}{R}\right)\,R kg stündl. Was über die in der Zeiteinheit zu erzeugenden Kalorien gesagt wurde, gilt infolge dieser Form nun auch von der Dampfmenge in der Zeiteinheit. Wie nicht anders zu erwarten, steigt diese Dampfmenge mit besserer Kesselwirkung ηk, besseren Kohlen \frakfamily{w} und mit der stündlichen Brennstoffmenge \frakfamily{B}, wobei allerdings eine Erhöhung der letzteren ein Fallen von ηk zur Folge hat in der Art, dass \frakfamily{B} rascher wächst, als ηk sinkt. Dass nebenbei die stündliche Dampfmenge bei einer Steigerung des Kesseldruckes (enthalten in λ0) kleiner werden muss, kann ausser Betracht bleiben, da die Erhöhung des Dampfdruckes gleichzeitig eine Verbesserung des Wirkungsgvades ηc der Expansion und der Gesamtleistung herbeiführt. Das Ergebnis ist: Die Dampfentwickelung hält nicht Schritt mit dem Brennstoffverbrauch, sondern steigt langsamer als dieser. Es steht dies in unmittelbarem Zusammenhang mit dem, was über die zur Umformung gelangende Wärmemenge \frakfamily{W} gesagt wurde. Setzt man im Mittel (für t = 180 bis 200° C. [10 bis 16 at absolut]) t = 190° Dampftemperatur, sowie (für t0 = 10 bis 20° C). t0 = 15° Speisewassertemperatur, so wird λ0 = 606,5 + 0,505 . 190 – 1,2 . 15 = ∾ 685 Kal./kg. Ferner wird für \frakfamily{w}=7500\mbox{ Kal./kg. }\frac{\frakfamily{w}}{\lambda_0}=11 im Durchschnitt, endlich wegen \frac{\frakfamily{B}}{R}=\frac{12\,n}{3+R}: \frakfamily{D}=11\,\eta_k\,\left(\frac{\frakfamily{B}}{R}\right)\,R=132\,\eta_k\,\frac{R\,n}{3+R} kg stündl. Da hierin die Gattung und Bauart der Lokomotive durch ηk R n sich spiegelt, so gibt die Gleichung ein Bild von der Wechselwirkung zwischen Dampferzeugung und Dampfverbrauch und wieder sind Tourenzahl und Rostfläche die innersten Argumente. Ist so die verfügbare Dampfmenge aus der Zahl der Kalorien in der Zeiteinheit berechnet, so muss damit die zur Abgabe einer gewissen Leistung erforderliche Dampfmenge gedeckt werden. Im Hinblick auf die verhältnismässig geringe Sparsamkeit in der Verwendung des Dampfes im Lokomotivorganismus und auf die mit der Wirklichkeit nie übereinstimmenden, immer viel zu tief gegriffenen Werte, welche eine theoretisch richtige Berechnung des Dampfverbrauchs liefern würde, ist die Genauigkeit gross genug, wenn man von der Zahl der nutzbaren Cylinderfüllungen in der Zeiteinheit ausgeht. Bei einer gewöhnlichen Zwillingsmaschine erfordert eine Erdumdrehung zwei Füllungen für jede Seite, somit ein Dampfvolumen von 2\,\cdot\,\frac{d^2\,\pi}{4}\,s\,\cdot\,\varepsilon\,\cdot\,2=\pi\,d^2\,s\,\varepsilon, wenn d der Cylinderdurchmesser, s der Kolbenhub, ε der Füllungsgrad ist. Bei n Umdrehungen in der Minute, welche in der Stunde 60mal wiederholt werden, und einer Dampfdichte γ (kg/dm3, Fliegner'sche Tabelle), ist somit nach kurzer Vereinfachung der Gesamtverbrauch: \frakfamily{D}=189\,(\gamma\,d_2\,s)\,\epsilon\,n kg stündl. Wird bei einer gegebenen Lokomotive der Dampfdruck konstant gehalten, so ist der Klammerausdruck eine Konstante. Der Dampfverbrauch ist dann nur von Füllung und Tourenzahl abhängig, jedoch ist von Proportionalität zwischen \frakfamily{D} und εn keine Rede, da die letzteren unter sich selbst Beziehungen haben; für eine gegebene Lokomotive muss ja mit wachsender Tourenzahl die Füllung sinken, gerade um den Dampf verbrauch unter der Leistungsgrenze des Kessels zu halten. Bei Verbundmaschinen ist nur ein grosser oder zwei kleine. Cylinder zu füllen, wofür aber ε um so höher ausfällt. Die Vergleichung der beiden für \frakfamily{D} gefundenen Werte ergibt: \frakfamily{D}=\frac{\eta_k\,\frakfamily{w}}{\lambda_0}\,\left(\frac{\frakfamily{B}}{R}\right)\,R=189\,(\gamma\,d^2\,s)\,\varepsilon\,n. Daraus folgt ein weiterev Wert für die „Forcierungsziffer“ \left(\frac{\frakfamily{B}}{R}\right), ferner ein Wert für die zu einer gewissen Tourenzahl für bestimmte Kesselanstrengung gehörige Füllung: \varepsilon=\frac{\eta_k\,\frakfamily{w\,B}}{189\,\gamma\,d^2\,s\,n\,\lambda_0}, im Mittel, \varepsilon=0,0583\,\frac{\eta_k\,R}{(\gamma\,d^2\,s)\,n}\,\left(\frac{\frakfamily{B}}{R}\right). In schönster Weise zeigt dieser Ausdruck, wie eine Vergrösserung der Füllung, d.h. der Zugkraft bei gegebener Geschwindigkeit, möglich ist bei besserer Kesselwirkung (ηk) besserer Kohle (\frakfamily{w}), grösserer Rostfläche (R) und Forcierung \left(\frac{\frakfamily{B}}{R}\right); wie dagegen eine Verkleinerung des Füllungsgrades mit steigender Tourenzahl (n) nötig wird. Für eine bestimmte Lokomotive ist auch R konstant und der Ausdruck so zu schreiben: a) Mittlere mögliche Füllung \varepsilon=0,0583\,\left(\frac{R}{\gamma\,d^2\,s}\right)\,\frac{\eta_k}{n}\,\cdot\,\frac{\frakfamily{B}}{R}. Die Grössen ηk \eta_k\,n\,\frac{\frakfamily{B}}{R} sind feindliche Gegensätze unter sich; nimmt man an, dass das Produkt aus ηk und \frac{\frakfamily{B}}{R} annähernd konstant ist, so ist die Füllung der Tourenzahl umgekehrt proportional, was von der Wahrheit nicht weit entfernt sein kann, wenigstens bei normalen Verhältnissen. Noch auf anderem Weg ist die mögliche Füllung, von deren Kenntnis die Ermittelung des zu erwartenden Dampfverbrauchs durchaus abhängt, zu finden. Eine Funktion des Füllungsgrades ist die mittlere nutzbare Spannung im Cylinder, welche in der Zugkraftsformel mitwirkt. Ist diese indizierte Spannung pi, der Triebraddurchmesser D, so ist die Zugkraft bekanntlich Z=\frac{d^2\,s\p_i}{D}, somit einerseits die indizierte Leistung N=\frac{Z\,\cdot\,V}{270} (erforderliche Maschinenleistung), während andererseits N = aH√n (verfügbare Kesselleistung). Daher N=\frac{d^2\,s\,p_i}{D}\,\cdot\,\frac{V}{270}=a\,H\,\sqrt{n}. Bedenkt man nun, dass die Umfangsgeschwindigkeit des Triebrades in Kilometer pro Stunde den Wert hat V=\frac{\pi\,D\,n}{60}\,\cdot\,3,6, so ist N=\frac{d^2\,s\,p_i}{D}\,\frac{\pi\,D\,n\,\cdot\,3,6}{60\,\cdot\,270}=a\,H\,\sqrt{n}, woraus nach Vereinfachung das Verhältnis c des mittleren Kolbendrucks zum Kesseldruck sich ergibt (d, s in Decimeter einzusetzen!). b) Druckverhältnis e=\frac{p_i}{p}=143\,\left(\frac{a\,H}{p\,d^2\,s}\right)\,\frac{1}{\sqrt{n}}. Entgegen dem Ausdruck a) zeigt diese Gleichung eine geringere Abhängigkeit der Grösse c von der Tourenzahl, als die Grösse ε dieser gegenüber aufweist. Durch Division der beiden Formeln a) und b) erhält man: c) \frac{\varepsilon}{e}=0,000407\,\left(\frac{p}{a\,\gamma}\,\cdot\,\frac{R}{H}\right)\,\cdot\,\frac{\eta_k}{\sqrt{n}}\,\cdot\,\frac{\frakfamily{B}}{R}. Die Bauart und Anstrengung der Lokomotive sind darin weitgehend berücksichtigt. Die so erhaltenen Werte stimmen gut zu den Ergebnissen der Handformeln in der Hütte: für Zwillingsmaschinen p_i=\frac{3\,\varepsilon\,(p'-1)}{1+2\,\varepsilon} wobei p' = 0,9 p ist; für Verbundmaschinen (bei normalen Füllungen) p_i=\left\{{{0,45\,(p-1)\mbox{ mit Schlepptender}}\atop{0,42\,(p-1)\mbox{ Tenderlokomotiven.}}}\right Folgende Beispiele sprechen für die Anwendung der Gleichungen a) und b): 1. Für die 2/4 gekuppelte Schnellzuglokomotive der badischen Staatsbahn (Zwillingsmaschine) ist: d = 46 cm H = 137 qm (Serverohre) s = 60 cm R = 1,99 qm n = 227 (90 km/Std.) ηk = 0,6 geschätzt a =0,4p = 13 at (Ueberdruck) \frac{\frakfamily{B}}{R}=\frac{12\,\cdot\,227}{3+1,99}=545kg/qm-Std., γ = 0,007 kg/cdm somit a) \varepsilon=0,0538 \left(\frac{1,99}{0,007\,\cdot\,4,6^2\,\cdot\,6}\right)\,\frac{0,6}{227}\,\cdot\,545 =0,19 b) p_i=143 \left(\frac{0,4\,\cdot\,137}{4,6^2\,\cdot\,6}\right)\,\frac{1}{\sqrt{227}} =4,2\mbox{ at.} Setzt man andererseits p' = 0,9 . 13 = 11,7 at, so wird: p_i=\frac{3\,\cdot\,0,19\,(11,7-1)}{1+2\,\cdot\,0,19}=\frac{0,57\,\cdot\,10,7}{1,38}=4,4\mbox{ at.} Der Unterschied von 0,2 at ist jedenfalls ein geringer zu nennen. Es folgt noch: \frakfamily{D}=11\,.\,0,6\,.\,545\,.\,1,99 = 7200 kg stündlich \frakfamily{V}=545\,.\,1,99 = 1090   „       „ 2. Für die ⅖ gekuppelte Schnellzuglokomotive des „Atlantic Flyer“ (Vauclain'sche Verbundmaschine, Kl. III a2 der Tabelle S. 350 Bd. 316) ist: d = 33 cm (Hochdruck) H = 156 qm s = 66 cm R = 7,1 qm (System Wootten) n = 280 (113 km/Std.) ηk= 0,6 geschätzt a = 0,5 \frac{\frakfamily{B}}{R}=\frac{12\,\cdot\,280}{3+7,1}=330 kg/qm-Std., p = 14,1 at (Ueberdruck)γ = 0,0075 kg/cdm somit a) \vareosilon=0,0583\,\left(\frac{7,1}{0,0075\,\cdot\,3,3^2\,\cdot\,6,6}\right)\,\frac{0,6}{280}\,333=0,56 im Hochdruckcylinder. Nach Indikatoraufnahmen und vielen praktischen Untersuchungen, welche an dieser Lokomotive von der Baldwin'schen Lokomotivfabrik selbst vorgenommen worden sind, beträgt die normale Füllung des Hochdruckcylinders thatsächlich 56 % bei 113 km (70 engl. Meilen) Geschwindigkeit! b) e=\frac{p_i}{p}=143\,\frac{0,5\,\cdot\,156}{14,1\,\cdot\,3,3^2\,\cdot\,6,6}\,\frac{1}{\sqrt{280}} =0,66 daher     p_i=0,66\,\cdot\,14,1 =9,3\mbox{ at.} Anderseits ist      p_i=\frac{3\,\cdot\,0,56\,(12,7-1)}{1+2\,\cdot\,0,56}=\frac{1,68\,\cdot\,11,7}{2,12} =9,3\mbox{ at!} Bei dieser Art von Berechnung wurde natürlich das Verbundsystem völlig vernachlässigt und nur eine Zwillingsmaschine mit dem angegebenen Kolbendurchmesser zu Grunde gelegt; die Hauptsache war der Nachweis für die Uebereinstimmung der hier abgeleiteten Werte mit den aus einfacheren empirischen Formeln gefundenen. Hierher gehört noch \frakfamily{D}=11\,.\,0,6\,.\,333\,.\,7,1 = 15600 kg stündlich \frakfamily{B}=333\,.\,7,1 =   2370 Die Frage, wodurch sich in der Gleichung \varepsilon=0,0583\,\left(\frac{R}{\gamma\,d^2\,s}\right)\,\cdot\,\frac{\eta_k}{n}\,\cdot\,\frac{\frakfamily{B}}{R} der Einfluss verschiedener Zugsbelastungen auf die erforderliche Füllung bei einer und derselben Geschwindigkeit bemerkbar mache, ist dahin zu beantworten, dass dieser Einfluss nur in der Grösse \frac{\frakfamily{B}}{R} enthalten sein kann, welche ein Mass für den Dampf verbrauch und die damit zusammenhängende Anstrengung des Heizers ist. Die Koeffizienten a und b in \frac{\frakfamily{B}}{R}=\frac{a\,n}{b+R} sind keiner Vorschrift unterworfen, sondern a = 12 und b = 3 sind lediglich Durchschnittszahlen. (Fortsetzung folgt.)