Titel: Ueberseeische Luftschiffahrt.
Autor: W. Schenker
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, Miszellen, S. 529
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Ueberseeische Luftschiffahrt. Ueberseeische Luftschiffahrt. In jenem interessanten Berichte des Ingenieurs G. Espitallier über die Fortschritte der Luftschiffahrt, aus dem wir bereits auf S. 287 d. Bd. den die Leistungen Santos-Dumont's betreffenden Abschnitt auszüglich wiedergegeben haben, findet sich auch eine eingehende Darstellung (vgl. Le Génie civil, 1902 S. 329) des jüngsten französischen Versuches hinsichtlich jener Bedingungen und Hilfsmittel, welche die Fahrt mit dem Luftballon über grosse Wasserflächen ermöglichen oder wenigstens ungefährlich gestalten sollen. Urheber dieser Veranstaltung war der schon von früheren Luftfahrten her einen vorzüglichen Ruf geniessende Graf De la Voulx und sein Hauptmitarbeiter Henri Hervé; als weitere werkthätige Teilnehmer sind dann noch zu nennen Castillon de Saint-Victor, gleichfalls ein erfahrener Fachmann und die Offiziere des Kriegsschiffes Du Chayla, welches die Ballonfahrt begleitete und von wo aus der Verlauf der Fahrt aufs sorgsamste beobachtet und genau registriert wurde. Wie gesagt, handelte es sich bei diesem Versuche, bei dem wieder dieselben Vorrichtungen von Henri Hervé zur Ausprobung gelangten, welche dieser ebenso kühne als gewandte und sachverständige Luftschiffer in kleinerem Massstabe schon gelegentlich seiner im Jahre 1886 mit dem Ballon „National“ quer über die Nordsee durchgeführten Fahrt erfolgreich angewendet hatte, nicht eigentlich um die Lösung der Lenkbarkeitsfrage, sondern vorläufig nur um Feststellungen darüber, ob und in welcher Weise den Luftschiffen der Weg über das Meer ohne schwere Gefährdungen zugänglich gemacht werden könne? Es darf dies wahrhaftig als kein unnützes Ziel gelten, wenn man die zahlreichen schweren Unfälle solcher Luftschiffe bedenkt, welche durch verhängnisvolle Zufälle oder infolge unüberlegter, vermessener Waghalsigkeit ihres Lenkers auf grosse Wasserflächen entführt worden sind. So verunglückten beispielsweise mehrere der Ballons, welche im Verlaufe der letzten Belagerung von Paris während der Nacht aufgestiegen und übers Meer verschlagen worden waren, bevor noch das Tageslicht es den Lenkern gestattete, sich über den Ort, wo sie sich befanden, zu orientieren. Ein während des Krieges im Jahre 1870 mit den Luftschiffern Paul Rolier und Deschamps in Orleans aufgestiegener Ballon wurde nach der Nordsee getrieben und nur mit schwerer Mühe und seltenem Glück solange flott erhalten, dass endlich die norwegische Küste erreicht und hier die Landung bewerkstelligt werden konnte. Weniger glücklich waren Prince und LacazePrince und Lacaze waren keine Luftschiffer, sondern der erstere ein Matrose, der letztere ein Liniensoldat, welche sich freiwillig als Ballonbegleiter gemeldet und nur in aller Eile und Kürze betreffs der Füllung des Ballons und namentlich über das Vorgehen bei der Landung die notwendigsten Unterweisungen erhalten hatten. Anm. d. Red., von denen der erstere am 30. November 1870 in Paris mit dem Ballon Jacquard aufstieg und nächst Plymouth ins Meer versank, wogegen letzterer, welcher Paris am 25. Januar 1871 mit dem Ballon Richard Wallace verlassen hatte, bei La Rochelle verunglückte und spurlos in der See verschwand. Diese wenigen Beispiele und viele ähnliche, tragisch verlaufene Luftfahrten erhärten es mit schrecklicher Deutlichkeit, dass für die sogen. freien Luftballons die Möglichkeit, aufs Meer zu geraten, stets eine schwere Gefahr in sich birgt, der ein erfahrener Luftschiffer stets dadurch auszuweichen trachten wird, dass er um jeden Preis vorher landet. Allerdings hat in neuerer Zeit die Luftschiffahrt nach manchen Richtungen hin wertvolle Verbesserungen erfahren und Fortschritte gemacht, welche den Luftschiffern natürlich auch in den oben betrachteten Fällen zu gute kommen. Namentlich ist es gelungen, die Zeitdauer der Fahrten gegen früher wesentlich zu verlängern, wie dies beispielsweise Graf De la Voulx gelegentlich der im Jahre 1900 in Vincennes stattgehabten Wettfahrten bewiesen hat, indem er damals durch 35 Stunden 35 Minuten seinen Weg verfolgte, ohne zu landen, und erst nach Zurücklegung einer 1925 km langen Strecke in Russland seine Fahrt abschloss. Freilich ist eine solche Leistung nur einem ganz gewandten, wohlerfahrenen Luftschiffer möglich, der es versteht, alle während der Fahrt auftretenden Zufälle und Umstände nicht nur möglichst unschädlich, sondern vielmehr seinen Zwecken thunlichst dienstbar zu machen, wobei ihm jedoch vor allem andern günstige atmosphärische Verhältnisse, also in erster Linie gutes Wetter und eine gleichmässige Luftströmung günstiger Richtung zu Hilfe kommen muss. Mag übrigens die Zeitdauer, in welcher ein Ballon unter normalen Verhältnissen dienstfähig bleibt, wie immer bemessen sein, immer muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass aussergewöhnliche Ereignisse eintreten, welche das plötzliche oder doch vorzeitige Niedergehen des Ballons nach sich ziehen. Selbst wenn in einem solchen Falle die Gondel derart angeordnet wäre, dass sie schwimmen kann, so würde sie doch durch die ungleichmässigen Bewegungen des Ballons einerseits, als durch jene des ungleich verdrängten Wassers andererseits in so heftige Schwankungen geraten, dass für die Insassen eine Katastrophe unvermeidlich erscheint. Den Gefahren dieser Art wird nun vorgebeugt, wenn man – was überhaupt bei solchen Ballons nie ausser acht bleiben darf, welche von vorhinein bestimmt sind, grosse Wasserflächen zu passieren – der Gondel einen möglichst unveränderlichen Zustand des Gleichgewichts dadurch erteilt, dass sie samt dem Ballon in zweckdienlicher Weise vom Wasser selbst festgehalten wird und demzufolge andauernd gezwungen bleibt, nur in einer bestimmten mittleren Höhe oberhalb der Wasserfläche ihren Weg zu verfolgen. Durch diese Massnahme lassen sich denn auch Luftschiffe eigens zum Befahren des Meeres geeignet machen, wobei die beiläufige Dauer der Dienstfähigkeit ziemlich genau nach dem Erfahrungssatze berechnet werden darf, dass die Gasverluste bei einem gut gearbeiteten Ballon während einer gewöhnlichen Fahrt und unter sonst normalen Nebenumständen innerhalb 24 Stunden nicht ganz 3 % betragen. Die Dienstzeit eines vom Wasser wie ein Fesselballon gehaltenen Luftschiffes hängt eben weit gleichmässiger von der Gewichtsmenge des mitgeführten Ballastes ab als in anderen Fällen, weil für Manövrierzwecke fast gar kein Bedarf erwächst, sondern so ziemlich der ganze Ballastvorrat lediglich zum regulären Ausgleich der laufenden Gasverluste verfügbar bleibt. Sobald aber eine Anordnung gefunden ist, die den über Wasser schwebenden Ballon innerhalb gleichbleibender Höhengrenzen festhält, macht sich allerdings sofort ein weiteres Erfordernis geltend, nämlich das nach einer Vorrichtung, welche es ermöglicht, die Fluglinie des Ballons aus der Windrichtung um' einen grösseren oder kleineren Winkel abzulenken, sei es zu dem Zwecke, eine bestimmte Uferstelle zu erreichen, sei es, um Klippen, Sandbänken oder anderen Hindernissen auszuweichen oder um in die Nähe eines Schiffes zu gelangen u.s.w. Das sind diejenigen zwei Aufgaben, welche sich Henri Hervé seit Jahren schon gestellt hatte, und die nun neuerlich den Hauptgegenstand der eingangs angeführten Versuche bildeten. Für die Lösung der ersteren dieser beiden Fragen, d.h. für die Schaffung eines sogen. Schleppankers (Stabilisateur), der den Ballon in ziemlich unveränderlicher Höhe über dem Wasser halten soll, steht ein ebenso naheliegendes als vorzügliches Hilfsmittel in der Ausnutzung des flüssigen Ballastes zur Verfügung, den das Meer an jeder Stelle und in jeder Menge darbietet. Weniger vorgezeichnet und begrenzt sind die Hilfsmittel zur Lösung der zweiten Frage, nämlich zur Schaffung der Lenkvorrichtung (Devinateur), wofür man bisher nur steuernde Schwimmer verschiedener Anordnung in Verwendung gebracht hat. Der Schleppanker für Luftschiffe, welche über grosse Wasserflächen ihren Weg nehmen, sei es zufällig, sei es mit Absicht des Luftschiffers, hat bereits seine Geschichte, denn der älteste Versuch, welcher mit einer solchen Vorrichtung gemacht wurde, rührt von Green her und stammt bereits aus dem Jahre 1837. Allerdings begnügte sich Green lediglich mit einigen, von der Gondel niederhängenden Leinen, an deren Enden Bojen befestigt waren, die auf der Oberfläche der See schwammen. Eine etwas verbesserte Form eben dieser Green'schen schwimmenden Anker bediente sich auch der Luftschiffer Lhoste, welcher später gelegentlich der Ueberfahrt über den Kanal Lamanche sein Leben einbüsste. Textabbildung Bd. 317, S. 529 Fig. 1. Textabbildung Bd. 317, S. 529 Fig. 2. Textabbildung Bd. 317, S. 529 Fig. 3. Es liegt auf der Hand, dass Schwimmbojen allein nicht hinreichen konnten, die anzustrebenden Sicherungen zu erzielen, weil sie lediglich im Sinne der Entlastung einwirken, während doch auch durch Belastung Einfluss genommen werden muss, um den Ballon innerhalb gewisser Grenzen an die Oberfläche des Wassers zu binden und seinen Lauf nach Bedarf zu massigen. In letzterer Beziehung bedeutete es einen Sprung nach vorwärts, als im Jahre 1872 Sivel die Kegelanker (Fig. 1) einführte, wie dieselben ja auch vor langer Zeit schon von der Seeschiffahrt nicht selten benutzt worden sind und mitunter wohl noch heutigentags angewendet werden. Diese Vorrichtung besteht aus geteertem Segeltuch oder einem ähnlichen wenig durchlässigen Stoff, aus welchem ein kegelförmiger Sack hergestellt ist, dessen offener Rand auf einem steifen Ring befestigt wird. Letzterer hängt auf drei Leinenstücken abc und kann mittels der Hauptleine l1 von der Ballongondel aus gehoben oder niedergelassen Werden. Der mit Wasser gefüllte Kegel t bietet ersichtlichermassen einen namhaften Widerstand, welcher sich immerhin zum Bremsen der Fluggeschwindigkeit, dann als Gegenkraft gegen den Auftrieb des Ballons und endlich selbst zum Aendern der Fahrtrichtung um so günstiger ausnutzen lässt, als dieser Widerstand ziemlich gut reguliert werden kann, indem eine zweite mit der Spitze i des Kegelankers verbundene Leine l2, sobald sie vom Lubtschiffer angezogen wird, ein Kippen bezw. Entleeren des Gefässes t bewirkt, wie es Fig. 2 ersichtlich macht. Eine Verbesserung des Kegelankers, welche darin besteht, dass die Entleerung nicht durch Kippen, sondern, wie es Fig. 3 kennzeichnet, durch Stülpen erfolgt, weil in diesem Falle die bei i festgemachte Leine l2 im Kegelinnern läuft, wurde zuerst vom Luftschiffer Duté-Poitevin zur Anwendung gebracht. Auf Grund der Ergebnisse seiner ersten, im Jahre 1885 vorgenommenen Probefahrten hatte aber Henri Hervé die Ueberzeugung gewonnen, dass vor allem anderen von den Schleppankern, mögen sie wie immer angeordnet sein, nie gleichzeitig auch das Lenken der Fahrtrichtung verlangt werden soll, sondern dass die Vorrichtungen für das Halten und Lenken grundsätzlich nach der weiter oben schon dargelegten Methode stets getrennt für sich hergestellt und auch getrennt angewendet werden sollen. In diesem Sinne war denn auch der Ballon „National“ ausgestattet, mit dem Hervé am 12. September 1886 von Boulogne-sur-Mer abging, um dann durch 24 Stunden die Fahrt nicht zu unterbrechen und dabei einen Seeweg von beiläufig 300 km Länge zurückzulegen. Ein Teil dieser Fahrt wurde in voller Freiheit, d.h. ohne jede mittelbare Verbindung zwischen Ballon und Meer bewerkstelligt; als jedoch der Wind den National in die offene See entführte, wurde sowohl ein Schleppanker als eine Lenk Vorrichtung ins Wasser ausgesetzt, wodurch man im stände war, den Ballon aus dem Windstrich um beiläufig 70° abzulenken und zu zwingen, seinen Lauf gegen die schottische Küste zu nehmen. Leider war dieses Ziel noch lange nicht erreicht, als die Lenkvorrichtung eine bedenkliche Havarie erlitt, durch welche sie ihre Verlässlichkeit einbüsste. Da überdies zur gleichen Zeit der Ausbruch eines Sturmes drohte, fand es Hervé ratsam, das freiwillige Anerbieten eines in der Nähe vorüberkommenden Schiffes anzunehmen und sich von demselben bis nach Yarmouth schleppen zu lassen. Es bleibt jedoch besonders erwähnenswert, dass beim Landen des National derselbe noch eine reichliche Tragkraft besass und eine Beihilfe noch ganz gut hätte entbehren können, wäre eben nicht von Minute zu Minute das Hereinbrechen des Sturmes zu befürchten gewesen. Grossartiger angelegt und sorgsamer eingeleitet war die eingangs dieser Zeilen hervorgehobene überseeische Versuchsfahrt des Ballons „Le Méditerranéen“, welch letzterer in einem Schuppen erbaut und eingerichtet wurde, den man eigens für diesen Zweck am Strand von Lagoubran nächst Toulon errichtet hatte. Allein verschiedene Verhinderungen der fachmännischen Mitglieder des Unternehmens sowie ein heftiger Orkan, welcher den Schuppen so arg beschädigte, dass er fast ganz neu wieder aufgebaut werden musste, verursachten wiederholte Verzögerungen in der Ausführung des Versuches und eine Reihe von Schwierigkeiten, die sich schliesslich auch noch beim Füllen des Ballons und bei der Abfahrt ergaben, thaten dem Gesamtergebnis der Probefahrt bedauerlichen Eintrag. Der Ballon besitzt 3100 cbm Rauminhalt, konnte aber nur unvollkommen gefüllt werden, weshalb er einen Auftrieb von bloss 2600 kg erreichte und sonach unfähig war, alle Einrichtungen, welche ursprünglich zu seiner Ausrüstung bestimmt worden waren, mitzunehmen. So mussten 800 kg trockener Ballast und eine Anzahl Instrumente, namentlich die elektrischen Scheinwerfer und die Heberpumpen zur Beschaffung flüssigen Ballastes zurückgelassen werden. Von den beiden Lenkvorrichtungen, welche benutzt werden sollten, nämlich einem sogen. Maximallenkanker mit 70° und einem Minimallenkanker mit 30° Ablenkungswirkung, konnte aus obigem Grunde nur einer mitgenommen werden und zog es der die Expedition leitende Henri Hervé vor, den Maximallenkanker zurückzulassen, da dieser ohnehin bei der Probefahrt des „National“ seine Brauchbarkeit bereits nachgewiesen hatte. Unter diesen Beschränkungen erfolgte die Abfahrt mit nur 540 kg Ballast an Sand und Lebensmitteln am 12. Oktober um 11 Uhr 10 Minuten abends bei einem leichten Nordwind, der voll benutzt werden konnte, weshalb denn auch vorläufig kein Lenkanker ausgeworfen wurde. Zur Verbindung zwischen Ballon und Meer diente vorerst nur ein 600 kg schwerer Schleppanker. Behufs genauer Beobachtung der Fahrt, sowie gleichzeitig zum Schutz des Ballons begleitete ihn innerhalb eines angemessenen Abstandes, der niemals über 1 km hinausging, das Kriegsschiff Du Chayla, dessen Kommandant, Linienschiffsleutnant Serpette, selbst ein bewährter Luftschiffer ist. Die leichte, von Norden nach Süden gerichtete Prise, welche bei der Abreise herrschte, drehte sich jedoch bald nach Südost und als es am 13. Oktober gegen 5 Uhr morgens zu tagen anfing, trieb der Ballon ersichtlichermassen auf Marseille zu. Deshalb setzte man den Lenkanker aus, der bei einem beiläufigen Tiefgang von 5 bis 6 m unter dem Wasserspiegel die Fahrtrichtung prompt um 30° aus dem Windstrich brachte, was genügte, um dem Luftballon die Richtung nach den Balearen zu erteilen. Allein da der Wind sich späterhin immer mehr und mehr gegen Süden drehte, so wurde der Ballon gegen die Küste bei Perpignan getrieben, und daher kam es, dass man am 14. Oktober nachmittags vor der Frage stand, ob auf dem Festland gelandet oder die Beihilfe des Begleitschiffes in Anspruch genommen werden sollte. Man entschied sich fürs letztere, weil die gedachte Landung in Bezug auf die beabsichtigten Feststellungen und Untersuchungen nichts Neues hätten bieten können, wogegen es belehrenden Wert hatte, die Bergung des grossen Ballons seitens des Kreuzers ausführen zu lassen. Textabbildung Bd. 317, S. 530 Fig. 4. So wurde denn der ganze Ballon mit seiner Besatzung und seiner gesamten Ausrüstung an Bord des Du Chayla gebracht und von diesem wieder nach Toulon zurückbefördert, nachdem die Luftfahrt volle 41 Stunden gedauert und sonach alle bis dahin bekannt gewordenen ähnlichen Dauerfahrten weit überholt hatte. Während der ganzen Reise, deren Verlauf in Fig. 4 dargestellt ist, konnten die Orts- und Richtungsdaten des Ballons auf dem begleitenden Kreuzer genau aufgenommen und fortlaufend registriert werden. Obwohl sich also das Ergebnis der Probefahrt zufolge der erwähnten Abträglichkeiten weniger günstig herausstellte, als es andernfalls hätte sein können, so bildet dasselbe doch eine wertvolle Unterlage für weitere, sicherlich erfolgreichere Versuche, die wohl ehestens gewärtigt werden dürfen. Es hatte sich übrigens in Wirklichkeit keineswegs darum gehandelt, um jeden Preis Algerien zu erreichen, wie ein Teil der französischen Tagespresse es darstellte, denn darüber waren die beteiligten Luftschiffer von vorhinein völlig im klaren, dass der Wind eben nur bläst, woher er will, und dass ein heftiger Wind ungünstiger Richtung selbst durch die idealsten Lenkvorrichtungen nicht für alle Fälle in dem Masse bekämpft werden könne, um ein gestecktes Reiseziel unfehlbar zu erreichen. Immerhin sind nunmehr, wie Hervé sich äussert, zwei Thatsachen sicher gestellt, nämlich 1. dass die bisherigen Schrecken einer Ballonfahrt über das Meer durch richtige Anwendung von Schleppankern nahezu beseitigt erscheinen, und 2. dass sich mit Hilfe von Steuerankern wenigstens eine teilweise Lenkbarkeit des über grosse Wasserflächen ziehenden Ballons, d.h. eine Ablenkung seines Laufes aus der Windrichtung um 80° bis 140° erzielen lässt. Aus der untenstehenden Tabelle, welche durch Prof. Cailletet mit dem Bericht Hervé's am 28. Oktober 1901 der französischen Akademie der Wissenschaften vorgelegt worden ist, lassen sich alle Hauptumstände ersehen, unter welchen der weiter vorn besprochene Versuch mit dem Ballon „Le National“ und der zuletzt betrachtete mit dem Ballon „Le Méditerranéen“ stattgefunden haben, und hierüber Vergleiche anstellen. Le National Le Méditerranéen Versuchstage 12. bis 13. September 1886 12. bis 14. Oktober 1901 Rauminhalt des Ballons 1200 cbm 3100 cbm Füllung         „         „ Gereinigtes Leuchtgas Wasserstoff Auftrieb        „         „ 864 kg 2600 kg Gestalt          „         „ Birnförmig Kugelförmig Form   des Schleppankers Biegsames Seil Schachtelkette Gewicht „               „ 80 kg 600 kg Quotient zwischen Gewicht und Länge des Schleppankers 8 kg 120 kg Form des Lenkankers Maximalanker Minimalanker Grenzwinkel des Lenkankers 65° 40° Zugvorrichtung zum Lenkanker Leinen Flaschenzug Hydronautische Bremse Gewöhnliche Seile Eine Anzahl Kugelgefässe Gewicht der Lenktaue 12 kg 47 kg Gondelanordnung Gewöhnlicher Korb Mit Magazinen Aufhängung In Gelenksringen In Gelenksringen Durchschnittshöhe über den Wasserspiegel 8 m 3 m Die äussersten Wärmeunterschiede 15,5° C. 8° C. Gasverlust innerhalb 24 Stunden Annähernd 3 % Annähernd 3,5 % Mittlere Geschwindigkeit des Ballons 3,17 m in der Sekunde 1,70 m in der Sekunde Länge des durchlaufenen Weges 280 km 250 km Zeitdauer der Fahrt 24 Stunden 30 Minuten 41 Stunden 5 Minuten Textabbildung Bd. 317, S. 530 Fig. 5. Textabbildung Bd. 317, S. 530 Fig. 6. Der von Hervé bei der Touloner Versuchsfahrt angewendete, in Fig. 5 und 6 gekennzeichnete Schleppanker bestand aus zwei Teilen, von denen der obere, bei regelrechter Fahrt stets ausserhalb des Wassers bleibende Teil, das Hängeseil, oder wie im vorliegenden Fall der Flaschenzug o nur die Verbindung zwischen Anker und Gondel herstellt, und für alle Fälle ein möglichst geringes Gewicht erhalten soll. Der untere Hauptteil u (Fig. 5), d. i. der eigentliche Anker, welcher bestimmt ist, auf oder vielmehr unter der Meeresoberfläche zu schwimmen, darf demgemäss nur eine um weniges grössere Dichte besitzen als das Wasser, und hat die Belastungsänderungen des Ballons lediglich durch den Gewichtsverlust zu bewirken, welche sich beim Eintauchen ergibt. Die Leistungsfähigkeit des Schleppankers hängt daher, wie bei der für gewöhnliche Luftfahrten angewendeten Schleifleine, welcher er auch in seinem Gesamtwesen völlig entspricht, von dem Gewicht pro laufenden Meter ab. Selbstverständlich muss aber das Gesamtgewicht des Schleppankers von vorhinein der Grösse des Ballons und den Grenzen, innerhalb welcher der Auftrieb des letzteren sich ändern kann, angepasst sein. Ein Haupterfordernis des Schleppankers besteht ferner darin, dass er den Ballon zwar festhält, der fortschreitenden Bewegung desselben aber doch auch keinen störenden Widerstand entgegensetzt. Allen diesen Anforderungen war bei der in Fig. 5 und 6 dargestellten Vorrichtung zu entsprechen versucht worden, deren unterer Teil u (Fig. 5) die Anordnung einer Kette besitzt. Die 15 Glieder dieser Kette sind auf zwei Taue wie die Kugeln eines Rosenkranzes aufgefädelt und bestehen aus in Leinöl gesottenem Eichenholz; dieselben haben, wie Fig. 6 ersehen lässt, eine Form, vermöge welcher sie wie Gelenke ineinander greifen und eine grosse Biegsamkeit der Kette gewährleisten. Natürlich hat nur das erste Glied die Form g1, während alle übrigen die Form g2 besitzen; die ganze Länge des kettenförmigen Ankerstückes beträgt 5 m und sein Gesamtgewicht 600 kg, also 120 kg pro laufenden Meter. Die Schwimmkraft der Kette ist genügend schwach, um keinen unnützen Widerstand zu verursachen, und ihr Untertauchen erfolgt vollkommener als dies in Fig. 5 dargestellt erscheint. Textabbildung Bd. 317, S. 531 Fig. 7. Textabbildung Bd. 317, S. 531 Fig. 8. Textabbildung Bd. 317, S. 531 Fig. 9. Was nun die Lenkvorrichtung anbelangt, welche nach Hervé's Anordnung mit dem Schleppanker gemeinsam wirken soll, so ist sie es, welche mit Widerständen arbeitet und daher grössere Flächenabmessungen erhalten muss. Man gibt dem Lenkanker am besten die Gestalt eines der Länge oder der Breite nach kammartig mit Fächern versehenen Rahmens oder Kastens, der unter das Wasser gebracht und vom Ballon gezogen wird. Es ist klar, dass der letztere in der Windlinie verbleibt, wenn die Richtung der Fächerwände, beispielsweise des Lenkankers a (Fig. 7), mit dem Windstrich zusammenfällt, was stets der Fall sein wird, wenn die beiden Zugleinen l1 und l2 des Ankers dieselbe Länge haben und gleich gespannt sind. Ist dies jedoch nicht der Fall, so wird der Ballon, je nachdem der Anker herwärts, wie in Fig. 8, oder hinwärts, wie in Fig. 9, eine Winkelstellung erhält, im Sinne der eingezeichneten Pfeile von der Windlinie abgetrieben. Es erübrigt also, nur die günstigsten Flächenabmessungen für die Fächerwände des Lenkankers festzustellen und eine zweckmässige Anordnung der Verseilung zu treffen, welche die Aenderungen in den Winkellagen des Ankers unschwer und sicher ausführen lässt. Wenn die Fächer des Lenkankers der Breite nach angeordnet sind, wie es die Fig. 7 bis 10 kennzeichnen, so ist der Widerstand des Ankers selbstverständlich am geringsten, wenn die Fächerwände, wie in Fig. 7, direkt in die Windlinie fallen, unter dem letztangeführten Umstände ergibt sich hingegen umgekehrt der grösste Widerstand, wenn die Fächer, wie es Fig. 11 darstellt, der Ankerlänge nach aneinander gereiht werden. Aus diesem Grunde nennt Hervé die erstere Form Déviateur à minima und die letztere Déviateur á maxima. Wie der Minimallenkanker angeordnet war, welcher bei der Versuchsfahrt des „Méditerranéen“ benutzt wurde, lässt die schematische Fig. 10 ersehen. Die sechs Fächer des vorn wie rückwärts offenen Rahmens rr sind in der Mitte noch durch wagerecht eingesetzte Brettchen p1 p2 geteilt und haben eine grössere Höhe als Breite. Dieser Anker wird durch die bei p1 und p2 befestigten und zum Ballon führenden Zugleinen l1 und l2 mitgeschleppt und erhält die jeweilig erforderliche Winkelstellung, indem von der Gondel aus l1 entsprechend angezogen und l2 gleichermassen nachgelassen wird, oder im symmetrischen Sinne, wenn man l 2 anspannt und l1 nachlässt. Bei dem in Fig. 11 skizzierten Maximallenkanker, wie ein solcher bei der Versuchsfahrt des „National“ benutzt worden war, liegen die Fächer nicht nebeneinander, sondern hintereinander, derart, dass die einzelnen Tafeln f1 f2 f3 ... durch Gurten oder Gelenkstangen b1 b2 b3 b4 miteinander verbunden und an die beiden Zugleinen l1 und l2 befestigt sind. Wie beim Minimallenkanker wird die zur Steuerung des Ballons erforderliche Winkelstellung durch Anziehen und Nachlassen der beiden Zugleinen l1 und l2 bezw. l2 und l1 bewirkt. Vergleicht man diese beiden Formen von Lenkvorrichtungen, so ergibt sich, dass der Minimallenkanker mehr Raum fordert und wesentlich geringere ablenkende Wirkungen erzielen lässt als der Maximallenkanker, dafür aber beim Aussetzen ins Meer und namentlich beim Einholen viel leichter zu handhaben ist, und bei der Fahrt im Windstriche so wenig Widerstand darbietet, dass dadurch keine unnützen Verzögerungen der regulären Fahrt verursacht werden können. Dementgegen entwickelt der Maximallenkanker für alle Fälle einen grossen Bremswiderstand, der nun allerdings bei allzurascher Fahrt sehr wertvoll werden kann; auch stellt die Vorrichtung hinsichtlich ihrer Unterbringung, da sie dank ihrer jalousieartigen Anordnung dicht zusammengelegt werden kann, nur geringe Anforderungen. Textabbildung Bd. 317, S. 531 Fig. 10. Textabbildung Bd. 317, S. 531 Fig. 11. Wie bereits an anderer Stelle bemerkt wurde, besteht die wesentliche Neuerung Hervé's darin, dass er die beiden zum Halten und Lenken erforderlichen Elemente nicht in einer einzigen Vorrichtung zu vereinigen versuchte, wie dies von den älteren Luftschiffern stets angestrebt worden ist, sondern dass er diese beiden Fälle voneinander trennte, aber in ihren Arbeitsleistungen gegenseitig voneinander abhängig machte, indem er sie auf einen gemeinsamen Punkt des Tauwerkes unterhalb des Ballons und oberhalb der Gondel angreifen lässt. Hierfür war der theoretisch wie praktisch erhärtete, bekannte Umstand massgebend, dass ein Ballon B (Fig. 12), wenn derselbe nur von einer Stelle A aus mit dem Meere durch eine Leine l in Verbindung steht, eine bestimmte Höhenlage über dem Wasserspiegel, doch nur ausnahmsweise, nämlich bei vollständiger Windstille oder während eines stetig gleich stark bleibenden Windes, einzuhalten vermag. Da nämlich der im Wasser befindliche Apparat A für alle Fälle, wenn er als Steuer dienen soll, der seitlichen Fortbewegung einen gewissen Widerstand entgegensetzen muss, welcher grösser ist als derselbe Widerstand des Ballons in der Luft, so wird unter dem Einflüsse des Windes der Ballon stets so weit vorauseilen, bis das Verbindungsseil l mit der Resultierenden r des Ballonauftriebes p und des Winddruckes q in eine Linie zusammenfällt, d.h. es werden die geringsten Veränderungen einer der Komponenten des Kräfteparallelogramms pq auch Aenderungen der Höhenlage des Ballons hervorrufen. Diesem Uebelstande kann begegnet werden, indem der Ballon noch einen zweiten Anker C (Fig. 13) erhält, der thunlichst in senkrechter Richtung auf B einwirkt und zugleich der seitlichen Bewegung im Wasser den geringst möglichen Widerstand entgegensetzt. Ist dieser Anker C danach eingerichtet, um die Komponente p stets so ausgleichen zu können, dass die Richtung der Resultierenden r so ziemlich dieselbe bleibt, so erleidet auch der Winkel x keine nennenswerte Veränderung, oder – was dasselbe sagen will – die Höhe des Ballons über dem Wasserspiegel bleibt fortwährend nahezu gleich. Textabbildung Bd. 317, S. 531 Fig. 12. Textabbildung Bd. 317, S. 531 Fig. 13. In diesem Sinne ist also auch bei der Probefahrt mit dem Méditerranéen die Anordnung des Schleppankers G (Fig. 14) und des Lenkankers A getroffen gewesen, und hatte sich hier der Grundsatz des Dreieckverbandes, der ja auch in verwandten Anordnungen mit Erfolg seit jeher von der Segelschiffahrt ausgenutzt wird, ganz trefflich bewährt. In Verbindung mit einer praktischen Aufhängung der Gondel und einer zweckmässig gewählten Angriffsstelle der Ankerseile l1 und l2 an der Ballontakelage wird mit der Hervé'schen Anordnung dem über grosse Wasserflächen seinen Weg nehmenden Luftschiffer in der That ein wertvolles Hilfsmittel geboten, den Lauf des Ballons bis zu einem gewissen Masse zu sichern und zu regeln. Textabbildung Bd. 317, S. 532 Fig. 14. Eine für die Zukunft der überseeischen Luftschiffahrt vielverheissende Vervollständigung des Schleppankers, die Hervé bereits bei der Nordseefahrt des „National“ versucht hatte, ist die Beigabe eines an der Ankerleine befestigten Gefässes, welches einen veränderlichen Vorrat von flüssigem Ballast aufzunehmen hat, der direkt dem Meere mittels einer Saugpumpe entnommen wird, die der Luftschiffer ganz nach Bedarf einfach mit der Hand antreibt. Ein verbesserter solcher Apparat musste leider in Toulon zufolge der unzureichenden Tragkraft des „Méditerranéen“ zurückgelassen werden und blieb also unversucht. Möglich, dass diese Vorrichtung, mit welcher allem Anscheine nach der Auftrieb des Ballons bei guter Anordnung der Pumpe leicht, rasch und genau auszuwiegen wäre, sich geeignet erweist, den Schleppanker völlig überflüssig zu machen und ganz allein an seine Stelle zu treten. Zuschriften an die Redaktion. (Unter Verantwortlichkeit des Einsenders.) Zu dem Aufsatz: „Zur Bestimmung und Beurteilung des Ventilerhebungsverlaufes u.s.w.“ des Herrn Ingenieur Schenker in Karlsruhe in den Nrn. 23 und 24 d. Js. Ihrer geschätzten Zeitschrift, die mir leider etwas verspätet zu Händen kamen, erlaube ich mir folgendes zu bemerken: „Während meiner Thätigkeit als Konstrukteur der Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe (1898 bis 1902) habe ich bereits die Konstruktion der unrunden Scheiben und Berechnung der Ventilfedern von Nockensteuerungen in genau der Weise durchgeführt, die Herr Schenker in den Abschnitten 1, 2 und 4 seines Aufsatzes beschreibt. Angeregt dazu wurde ich durch das schon seit Jahren bei genannter Firma geübte Verfahren der Rückwärtskonstruktion der Nockenformen aus einer gewählten Ventilwegkurve, ein Verfahren, auf welches der Herr Verfasser ausdrücklich den Prioritätsanspruch erhebt. Allerdings wurde dort die s-Kurve mit keiner anderen als erfahrungsmässigen Rücksicht auf die zugehörigen Geschwindigkeits- und Beschleunigungsverhältnisse gewählt und erst später stellte ich die letzteren auch zahlenmässig fest. Und nach meinen Erfahrungen bleibt auch stets der in der Praxis am besten und raschesten zum Ziel führende Weg dieser: zuerst mit Rücksicht auf Tourenzahl und Ventilhub eine s-Kurve zu wählen, daraus v- und p-Kurve zu konstruieren und nun die s-Kurve solange abzuändern, bis jene den gewünschten Verlauf angenähert zeigen. Eine weitere meines Erachtens vollkommen zulässige Vereinfachung des Verfahrens besteht darin, die Ventilwegkurve nur aus Kreisbögen und Geraden zusammenzusetzen, die dann einer analytischen Behandlung sehr leicht zugänglich sind, indem man die Gleichungen der einzelnen Teilstücke aufstellt und daraus durch ein- bezw. zweimaliges Differenzieren die zugehörigen Stücke der v- bezw. p-Kurve bestimmt. Denn was nützen schliesslich die besten theoretischen Nockenprofile, wenn man sie in der Werkstätte nicht oder nur mit einem unverhältnismässigen Aufwand von Zeit und Arbeit herstellen kann? Für die praktische Bearbeitung der Nocken und der Schablonen dazu wird man immer wieder auf Profile aus Kreisen und Geraden zurückkommen.“ Nürnberg, den 8. Juli 1902. Hochachtungsvoll Philipp Reuter, Ingenieur der Vereinigten Maschinenfabrik Augsburg und Maschinenbaugesellschaft Nürnberg A.-G., Werk Nürnberg. –––––––––– Auf die Zuschriften der Herren Ensslin-Stuttgart und Reuter-Nürnberg gestatte ich mir zu erwidern, dass ich in meinem Aufsatze in keiner Weise Ansprüche auf die Priorität der Anwendung der fraglichen Untersuchungsmethode gemacht habe, insbesondere auch nicht auf die Rückwärtskonstruktion der Nockenscheiben nach einer gewählten Ventilwegkurve. Da der eingeschlagene Weg ja der nächstliegende und genaueste ist, musste ich wohl annehmen, dass derselbe schon von anderer Seite begangen worden, obwohl ich diesbezügliche Wahrnehmungen während meiner vorherigen Thätigkeit in zwei grossen Maschinenfabriken nie machen konnte. Um verdächtigenden Kombinationen vorzubeugen, teile ich weiter mit, dass der in der Einleitung meines Aufsatzes gegebene Hinweis sich auf meine Thätigkeit bei Gebrüder Körting in Hannover bezieht (erst später siedelte ich nach Süddeutschland über), wo ich die erwähnte Methode bei der Konstruktion von 500- und 1000pferdigen Zweitaktgasmotoren benutzte. Was im besonderen die Bemerkungen des Herrn Reuter betrifft, so will ich gern zugeben, dass für Einzelfälle es genügend sein kann, wenn die gewählte s-Kurve so lange verändert wird, bis der Beschleunigungsverlauf günstig genug erscheint. Ich selbst bin anfänglich stets nur auf diese Weise vorgegangen. Diese Methode ist aber unter Umständen zeitraubender als die von mir im 5. Abschnitt gegebene und erfordert Sicherheit in der Beurteilung der Kurven, ansonst die Aenderung der s-Kurve leicht falsch vorgenommen werden kann. Der Ansicht, „dass die Werkstätte nur unter wesentlichem Mehraufwand an Zeit und Arbeit im stände sei, eine Schablone herzustellen, deren Umrisse nicht aus einzelnen Kreisbogen und Geraden zusammengesetzt sind“, kann ich mich nicht anschliessen, gibt es doch ein vielerorts übliches Verfahren, bei dessen Anwendung es der Werkstätte gleichgültig sein kann, wie die Nockenform aussieht; nämlich: Zunächst wird das Schablonenblech ungefähr zugeschnitten. Dann wird die Nockenform herausgearbeitet, wobei durch öfteres Auflegen auf die genaue Zeichnung (Originalzeichnung) die Form geprüft wird. Sind schliesslich keine Mängel mehr wahrnehmbar, so wird dazu geschritten, den Mittelpunkt der Schablone festzustellen, was mit grosser Genauigkeit möglich ist, der Grundkreis wird aufgerissen und erst jetzt wird der runde Teil fertig gestellt. Dieses Verfahren ist jedenfalls das genaueste und verdient, da es zugleich den umständlicheren Teil des Aufreissens erspart, auch da angewendet zu werden, wo es möglich wäre, die Form vollständig vorzureissen. Dass eine Nockenform, welche aus lauter Geraden und Kreisen zusammengesetzt ist, der analytischen Behandlung „leicht zugänglich“ sei, kann ich nicht glauben, noch viel weniger, dass diese letztere gar weniger Zeit als die graphischanalytische beansprucht. Vielleicht entschliesst sich Herr Reuter dazu, in dieser Zeitschrift hierfür einen Beweis zu erbringen. Legnano (Italien), den 21. Juli 1902. Hochachtungsvoll                                 W. Schenker,            Ingenieur der Firma Franco Tosi.