Titel: Zusammenhang zwischen der kinetischen und der Vibrations-Theorie der Gase.
Autor: Rudolf Mewes
Fundstelle: Band 318, Jahrgang 1903, S. 75
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Zusammenhang zwischen der kinetischen und der Vibrations-Theorie der Gase. Von Rudolf Mewes, Ingenieur und Physiker. (Fortsetzung und Schluss von S. 45 d. Bd.) Zusammenhang zwischen der kinetischen und der Vibrations-Theorie der Gase. III. Am eingehendsten und genauesten ist die kinetische Gastheorie an der Hand der Versuche über die Reibung der Gase geprüft worden, so dass gerade bei dieser Frage die kinetische und die Vibrationstheorie der Gase sich besonders scharf einander gegenüberstellen und abgrenzen lassen. Da jedoch die Versuche, welche von Ingenieuren wie Weisbach, Hagen u.a. über die Reibung angestellt worden sind, nicht nach ausreichend genauen Messmethoden ausgeführt sind, so können für den vorliegenden Zweck in erster Linie nur die rein physikalischen Versuche von Maxwell, O. E. Meyer, Kundt und Warburg über die Reibung der Gase benutzt werden. Bei der Reibung hat man es ausser mit den äusseren Druckkräften, welche auf zwei sich aneinander vorbei bewegende Flüssigkeitsschichten pressen, noch mit den inneren Zugkräften zu thun, welche von der Adhäsion undKohäsion herrühren, d.h. also mit den subtilen Aeusserungen der zwischen den kleinsten Körperteilchen wirksamen Molekularkräfte. Will man daher einen sicheren und klaren Aufschluss über das Wesen der Reibung erhalten, so muss man vor allen Dingen eingehend über die Gesetze der Molekularphysik unterrichtet sein. Bevor ich jedoch von diesem Standpunkte aus die Reibungsgesetze darzulegen versuche, möchte ich nach dem oben angeführten Buche von O. E. Meyer die übliche Auffassung über das Wesen der inneren und äusseren Reibung kennzeichnen. „Mit dem Namen der inneren Reibung hat Newton (Philosophiae naturalis principia mathematica, 1687, Liber II, sectio IX) eine Eigenschaft der flüssigen Medien bezeichnet, welche auch Viscosität oder Zähigkeit genannt wird. Diese Eigenschaft äussert sich in Erscheinungen, welche man – und zwar bei tropfbaren Flüssigkeiten vielleicht nicht mit Unrecht – einer Kohäsion zuzuschreiben geneigt sein möchte, die sich bei der Bewegung äussert und einer solchen widerstrebt. Um auf einer ruhenden Flüssigkeit einen festen Körper oder auf einer ruhenden Flüssigkeitsschicht eine andere, jene berührende fortzuschieben, bedarf man einer gewissen Kraft, ähnlich wie Kraft aufzuwenden nötig ist, wenn ein fester Körper auf einer ruhenden festen Unterlage rollend oder gleitend fortgeschoben werden soll. Die Analogie rechtfertigt, auf alle drei Erscheinungen die Bezeichnung Reibung anzuwenden, also nicht bloss den festen, sondern auch den flüssigen Stoffen eine Reibung zuzuschreiben. So nennt man äussere Reibung einer Flüssigkeit die auf der Grenzfläche. der Flüssigkeit und eines festen Körpers oder auch einer anderen Flüssigkeit wirksame Reibung, während man als innere Reibung die zwischen den verschieden rasch bewegten Schichten einer und derselben Flüssigkeit thätige Reibung bezeichnet. Es ist nicht schwer, den Grund zu erkennen, weshalb Kraft aufgewandt werden muss, diese vielleicht nur scheinbare Reibung der Flüssigkeit zu überwinden. Bewegt sich ein Körper in oder auf einer Flüssigkeit, so setzt er auch diese in Bewegung; er verliert also einen Teil seiner Energie, wie durch Reibung, und es muss, um diesen Verlust zu ersetzen, Kraft aufgewandt werden. Ebenso büsst eine Flüssigkeit, die sich längs der Oberfläche eines festen Körpers oder einer zweiten Flüssigkeit bewegt, einen Teil ihrer Geschwindigkeit dadurch ein, dass sie jenem anderen festen oder flüssigen Körper Bewegung mitteilt. Ebenso wie in diesen Fällen äusserer Reibung, verhält es sich mit der inneren Reibung der Flüssigkeiten. Bewegt sich im Innern einer Flüssigkeit eine Schicht rascher als ihre Nachbarn, so zieht sie diese mit sich fort und verliert, indem sie an jene abgiebt, einen Teil ihrer eigenen Geschwindigkeit, ebenso wie ein bewegter Körper durch Reibung auf seiner Unterlage an Geschwindigkeit einbüsst. Die Reibung der Flüssigkeiten, und zwar sowohl die innere als auch die äussere, besteht also nur in einer Uebertragung der Bewegung; aber diese Uebertragung geht nicht ohne Verlust vor sich: ein Teil der fortschreitenden Bewegung der Schichten verwandelt sich in Wärme, und, da diese Umsetzung in Wärme fort und fort stattfindet, so verwandelt sich alle translatorische Bewegung mit der Zeit in Wärmebewegung und wird, wie bei der Reibung starrer Körper, als mechanische Bewegung vernichtet. Auch diese Verwandlung in Wärme ist leicht zu begreifen. Wärmebewegung unterscheidet sich von fortschreitender nur dadurch, dass nicht, wie bei letzterer, die Bewegung sämtlicher Teilchen als ein ganzes nach einer und derselben Richtung geschieht, sondern dass sich die einzelnen Teilchen, und zwar jedes für sich, nach allen möglichen Richtungen ohne Unterschied bewegen. Ich möchte hierzu besonders betonen, dass in der That, wie ja angegeben wird, die Reibung neben dem äusseren Druck, dem die sich aneinanderreihenden Stoffe ausgesetzt sind, lediglich auf der Wirksamkeit der Kohäsion und Adhäsion beruht. Es gilt dies Gesetz jedoch nicht nur für die festen und flüssigen Substanzen, sondern auch für die Gase; denn auch zwischen den einzelnen Molekeln der letzteren sind Kohäsionskräfte wirksam, obschon dieselben unter normalen Verhältnissen infolge der aus der Umgebung kommenden und absorbierten Wellen aufgehoben werden und daher nicht vorhanden zu sein scheinen. Die Definition des gasförmigen Aggregatzustandes, dass die Molekeln der Gase jeden ihnen gebotenen Raum ausfüllen, ist streng genommen nicht richtig, sondern nur unter der Bedingung, dass die durch Druckverminderung und entsprechende Volumvergrösserung bedingte Temperaturerniedrigung durch Wärmezufuhr aus der Umgebung ersetzt wird. Dass dagegen die Kohäsionskraft zwischen den Gasmolekeln bei genügender Temperaturerniedrigung sehr erheblich werden kann, wird durch die Verflüssigung der permanenten Gase nach dem Lindeschen Verfahren deutlich bewiesen. Die Kohäsion hängt eben bei jedem Stoffe in ganz bestimmter Weise von der Temperatur desselben und dem äusseren Druck ab. Ich betone daher hier nochmals, dass die Gesetze für die Reibung bei allen drei Aggregatzuständen dieselben sind und dieReibungserscheinungen sich nur dem Grade, aber nicht der Art nach von einander unterscheiden; denn auch die festen Körper können ebenso wie die flüssigen sich jeder Form anpassen, bei sehr starkem Druck in jede beliebige Form gepresst werden, ihre Molekeln sind also ebenfalls gegen einander verschiebbar, während durch entsprechende Temperaturerhöhung feste und flüssige Stoffe auch in den dampf- oder gasförmigen Zustand übergeführt werden können. Zur Erklärung aller dieser Vorgänge reicht die ältere Hypothese der Molekularphysik, welche auf anziehenden und abstossenden Fernkräften beruht, nicht mehr aus, es ist daher dieselbe, namentlich mit Rücksicht auf das immer weiter um sich greifende Prinzip von der Einheit der Naturkräfte, durch die überall in der exakten Naturforschung giltige Vibrationstheorie zu ersetzen. Nach derselben werden die Molekularkräfte durch die von Molekül zu Molekül strömenden Wellen bedingt und bestimmt. Ist dies richtig, so müssen nach der in „Elementare Physik des Aethers“ entwickelten Theorie die Kohäsionskräfte der einzelnen Stoffe den brechenden Kräften direkt proportional sein. Da nun die festen Körper im allgemeinen grössere Brechungsexponenten und somit auch grössere brechende Kräfte als die flüssigen Substanzen besitzen, so müssen die Kohäsionskräfte der festen Körper grösser als diejenigen der flüssigen sein; ja, es muss sogar die Anziehung, welche die Moleküle des festen Körpers auf diejenigen der Flüssigkeit ausüben, grösser sein als diejenige der Flüssigkeitsmoleküle untereinander. In der That bestätigt die Beobachtung diese Folgerung der Theorie, denn wirklich ist beispielsweise die Adhäsion des Wassers an einem Glasstabe grösser als die Kohäsion der Wasserteilchen untereinander. Taucht man nämlich ein reines Glasstäbchen ins Wasser und zieht es dann heraus, so sieht man, dass eine Wasserschicht an demselben haftet. Hält man dasselbe vertikal, so sammelt sich an seinem unteren Ende ein Tropfen an, der nicht herabfällt, sondern der Wirkung der Schwere entgegen an dem Stäbchen haften bleibt. Diese einzige Thatsache beweist das Dasein der Adhäsion des flüssigen Körpers an dem festen, wie auch das der Kohäsion der einzelnen Teile der Flüssigkeit. Denn die zunächst am Glase anhängende Wasserschicht wird durch die Adhäsion des Wassers am Glase getragen und der übrige Teil des Tropfens durch die Kohäsion der Wassermoleküle. Da also der Tropfen entgegen der Schwere getragen wird, so muss in diesem Falle sowohl die Kohäsion der Flüssigkeit als auch die Adhäsion derselben am Glase grösser als die Wirkung der Schwere sein. Der Versuch zeigt aber ferner, dass die Adhäsion des Wassers am Glase grösser ist als die Kohäsion der Wasserteile untereinander; denn beim Herausziehen des Stabes wurden die an dem Stabe haftenden Wassermoleküle von ihren Nachbarmolekülen losgerissen, mit welchen sie durch die Kohäsion zusammenhingen. Indessen ist dies nicht immer der Fall. Das bemerkenswerteste Beispiel für die entgegengesetzte Erscheinung bietet das Quecksilber, das an einem eingetauchten Glasstabe beim Herausziehen desselben nicht haften bleibt. Gleichwohl aber adhäriert das Quecksilber stärker am Glase als das Wasser, wie die von Gay-Lussac mit Glasplatten angestellten Messungen beweisen. Die theoretische Erklärung dieser Thatsachen ergiebt sich aus der Absorptionstheorie Sellmeiers und der Giltigkeit des Reaktionsprinzips für die Aetherwellen. Nach den ausführlichen theoretischen Darlegungen und experimentellen Untersuchungen in „Die elementare Physik des Aethers“ (Verlag von M. Krayn-Berlin) erleiden die einströmenden Aetherschwingungen keinen Widerstand, können daher auch keine mechanische Arbeit in diesem Falle leisten; dagegen haben dieselben beim Ausströmen aus dem dichteren in das dünnere Medium infolge der fast totalen Reflexion einen Widerstand zu überwinden und müssen daher nach dem Segnerschen Prinzip einen Rückstoss ausüben. Die Grösse dieses Rückstosses ist dem Emissionsvermögen direkt proportional und damit im Falle des stationären Zustandes, in welchem Absorption und Emission einander gleich sind, auch dem Absorptionsvermögen, also nach den Auseinandersetzungen im ersten Abschnitt der Grösse V=(n^2-1)\cdot \frac{2\,\pi^2}{\tau^2}\cdot m'\,(a')^2. Da man, wie oben auseinandergesetzt ist, den Faktor \frac{2\,\pi^2}{\tau^2}\cdot m'\,(a')^2 bei gleichem Druck und gleicher Temperatur als konstant ansehen kann, so verhalten sich somit die Kohäsionskräfte nach der Vibrationstheorie direkt wie die brechenden Kräfte n2 – 1. Die Richtigkeit dieser Schlussfolgerung wird durch die nachfolgende Tabelle bestätigt, welche ich a. a. O. Th. II S. 98 veröffentlicht habe. Das Mass der Kohäsionskräfte bildet bei den Versuchen von Quincke die Oberflächenspannung H der gerade noch cohärierenden Flüssigkeitstropfen; dieselbe ist in der dritten Reihe der nachstehenden Tabelle durch Division mit der Zahl 38,36 auf die der brechenden Kraft entsprechende Masseinheit umgerechnet worden. Flüssigkeit Temperatur(C.) Oberflächen-spannung\frac{H}{38,36} n2 – 1 Zn 360 4,56 4,31 Cd 320 3,66 3,4 Sn 230 3,12 3,31 Hg –40 3,06 3,1 Pb 330 2,38 2,4 Bi 265 2,03 2,3 Sb 432 1,30 1,39 Ganz entsprechend erhält man die Grösse der Kohäsionskraft der Gase gleich ihrer brechenden Kraft n2 – 1, so dass dieselbe im Verhältnis zu derjenigen der flüssigen und festen Körper fast ganz verschwindet, da die brechenden Kräfte der permanenten Gase, wie Luft, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenoxyd, rund gleich 0,0005 sind. Die Kraft, mit welcher die Flüssigkeitsteilchen des Zinks zusammengehalten werden, ist demnach mindestens etwa 9000 mal so gross als diejenige, welche bei gleichem äusseren Drucke zwischen den Luftmolekeln zur Wirkung kommt. Aus den vorstehenden Untersuchungen folgt mit Rücksicht darauf, dass die äussere Reibung von dem äusseren Drucke und von der Adhäsions- bezw. Kohäsionskraft eines Stoffes abhängig ist, ohne weiteres, dass bei gleichem äusseren Drucke der Reibungskoeffizient verschiedener Stoffe der brechenden Kraft n2 – 1 oder richtiger der infolge der Reibung erzeugten Wärme A\cdot (n^2-1)\,\frac{2\,\pi^2}{\tau^2}\cdot m'\,(a')^2 direkt proportional sein muss. Bei verschiedenen Geschwindigkeiten ist natürlich die Reibung noch von der Geschwindigkeit abhängig und zwar, wie die Versuche bestätigt haben, der Geschwindigkeit direkt proportional. Die innere Reibung η ist natürlich der lebendigen Kraft der gesamten Molekularenergie n^2\cdot \frac{2\,\pi^2}{\tau^2}\cdot m'\,(a')^2 direkt proportional. Man erhältdaher für den Quotienten der inneren und äusseren Reibung bei gleichem Druck, gleicher Temperatur und gleicher Strömungsgeschwindigkeit, d.h. für den Quotienten der Reibungskoeffizienten, die sogenannte Gleitungskonstante ξ, die Gleichung, \xi=\frac{\eta}{\varepsilon}=\frac{n^2\cdot \frac{2\,\pi^2}{\tau^2}\cdot m'\,(a')^2}{(n^2-1)\cdot \frac{2\,\pi^2}{\tau^2}\cdot m'\,(a')^2}=\frac{n^2}{n^2-1} folglich für den Reibungskoeffizienten \frac{1}{\xi} \frac{1}{\xi}=\frac{n^2-1}{n^2}=1-\frac{1}{n^2} . . . . (23) Aus den Transpirations- und Schwingungsbeobachtungen von Graham (Philos. Transactions 1846 und 1849), von Kundt, Warburg und O. E. Meyer (Pogg. Ann.) und von Obermeyer (Repertorium der physikalischen Technik, Karl), ergiebt sich, dass die Gleitungskonstante die in der nachstehenden Tabelle angegebenen Werte besitzt; daneben stehen die reciproken Werte und diejenigen für 1-\frac{1}{n^2} Luft als Masseinheit gewählt. Ich bemerke zu der untenstehenden Tabelle, dass die Beobachtungen, aus welchen die dritte Reihe \frac{1}{\xi} berechnet ist, höchst unsicher sind und Abweichungen bis zu 20% bei verschiedenen Beobachtern vorkommen; so betragen die Beobachtungsunterschiede beim Wasserstoff nach den Versuchen von O. E. Meyer, Kundt und Warburg 18,8%, beim Sauerstoff nach O. E. Meyer und Obermeyer 2%, bei der Kohlensäure nach Maxwell und Obermayer 4%. Es konnte daher zwischen der Beobachtung und Theorie kaum eine grössere Uebereinstimmung erzielt werden, weil die Beobachtungen selbst in so weiten Grenzen schwanken. Hiermit stimmt auch überein, dass Lothar Meyer seine Transspirationsbeobachtungen selbst nicht für genau genug hielt und daher, wie er mir 1885 schrieb, in meinen Untersuchungen über die Atome und Molekulvolumina eine Kontrole seiner Versuche zu erhalten hoffte. Vorbeschriebene Methode dürfte ihm sicher vorteilhafter erschienen sein. Gase Gleitungs-konstanteξ Reibungs-koeffizient\frac{1}{\xi} \frac{n^2-1}{n^2} Differenzin %von n2 – 1. n2 – 1 \frac{1}{n^2-1} LuftWasserstoffKohlenoxydStickstoffStickoxydSauerstoffChlorwasserstoffKohlensäureStickoxydulKyanSchweflige SäureChlor 0,00001000,00001860,000009850,000009860,000009590,000010590,000007340,000006800,000006810,000004190,000004850,0000474 1  0,54  1,02  1,02  1,04    0,9441,41,51,52,42,1  2,11 10,47  1,1571,021,03  0,924  1,526  1,5251,712,832,252,62         0   – 15   + 12        0   –   0,9   –   2,2   +   8,3   +   1,7   + 12   + 15   +   7   + 20   1  0,47  1,157  1,020  1,03  0,924  1,527  1,526  1,71  2,832  2,26  2,623 0,00001000,00002130,00000900,00000980,00000970,000010820,00000650,00000650,00000600,00000360,000004420,0000040 Mittlerer Fehler 7,84% IV. Aus der kinetischen Gastheorie ist auf Grund des in der Einleitung erwähnten Maxwellschen Wahrscheinlichkeits- oder Verteilungsgesetzes der Satz abgeleitet worden, dass die Leitungsfähigkeit eines Gases für Wärme den Gesetzen folgen muss, welche für den Reibungskoeffizienten und für die spezifische Wärme gelten. Die aus diesem Satze gezogenen Schlussfolgerungen können aus Mangel an sicheren und unantastbaren Beobachtungen nicht geprüft werden, so dass ich ein Eingehen darauf noch für verfrüht halte. Ich beschränke mich daher auf die Untersuchung der Frage, ob die Wärmeleitung thatsächlich demselben Gesetze wie die Reibung und die spezifische Wärme gehorcht, d.h. mit anderen Worten, ob die Wärmeleitungsfähigkeit der Gase, bezogen auf Luft als Masseinheit, ebenfalls dem Ausdrucke, \frac{n^3-1}{n^2} oder mit Rücksicht darauf, dass n2 sehr nahe gleich 1 ist, der brechenden Kraft n2 – 1 direkt proportional ist. Zur Beantwortung dieser Frage muss auf das Wesen der Wärmeleitung zurückgegriffen werden. Die Grundannahmen, welche zur Entwickelung einer mathematischen Theorie der Wärmebewegung durch Leitung notwendig und ausreichend sind, sind die beiden folgenden: Erstens findet bei der Wärmeleitung eine unmittelbare Wirkung der Wärme nur in unbeschränkt kleiner Entfernung statt, sei es nun, dass sie für weitere Entfernungen entweder wirklich aufhört oder nur wegen ihrer Kleinheit sich den Sinnen entzieht, zweitens ist die Wirkung zwischen zwei unbeschränkt nahen Teilen dem Unterschied der Wärmemenge oder Temperatur proportional und zwar erfolgt dieselbe als eine ausgleichende so, dass der wärmere Teil an den weniger warmen etwas abgiebt. Auf diese beiden Voraussetzungen kommt jede Lehre von der Wärmebewegung schliesslich zurück, mag man die Wärme als einen Stoff, wie früher, ansehen oder, wie die Analogie anderer physikalischer Erscheinungen fordert, als lebendige Kraft, hervorgebracht durch die wellenförmige Bewegung des Aethers. Die erste Annahme ist jedoch überflüssig und trifft in sachlicher Hinsicht für die diathermanen Körper und für die Gase nicht zu. Die zweite Annahme genügt jedoch nach der Vibrationstheorie zur Ableitung des für die Wärmeleitung giltigen Gesetzes. Unter der Wärmeleitung versteht man nicht die Fortpflanzung der Wärme durch Strahlung, d.h. durch alleinige Vermittelung des zwischen den Körpermolekülen befindlichen Aethers, sondern vielmehr die Fortpflanzung der Wärme durch Absorption der Wärmeschwingungen durch die Körperteilchen und die Abgabe der so aufgenommenen Wärmeenergie an benachbarte Körpermoleküle u.s.w. Es bleibt dabei vollkommen gleichgiltig, ob die Strahlen der Wärmequelle gleich in der ersten Körperschicht vollständig absorbiert und nunmehr von Schicht zu Schicht weiter gestrahlt werden oder ob ein Teil der Strahlen etwas weiter in den Körper eindringt und erst dort sich in Molekularschwängungen umsetzt oder unverwandelt als strahlende Wärme aus dem Körper wieder austritt, wie dies mit dem grössten Teile der den Gasen zugestrahlten Wärme geschieht. Wesentlich ist nur für die Wärmeleitung die wirklich von dem leitenden Medium in jeder Schicht aufgenommene Wärmemenge, denn nur diese kann weiter geleitet werden nach Stellen geringeren Schwingungszustandes. Nun ist aber diejenige Wärmemenge, welche ein Körper zu absorbieren vermag, nach der Grundgleichung der Vibrationstheorie A\,V=Q=A\,(n^2-1)\cdot \frac{2\,\pi^2}{\tau^2}\cdot m'\,(a')^2 dieser Grösse muss demnach bei allen Stoffen das Leitungsvermögen direkt proportional sein, d.h. je grösser das Absorptionsvermögen, um so grösser muss auch das Leitungsvermögen der Körper sein. Nun ist aber bei den Gasen der Faktor \frac{2\,\pi^2}{\tau^2}\cdot m'\,(a')^2 mit sehr grosser Annäherung als konstant zu betrachten; folglich erhält man für das Verhältnis des Leitungsvermögens der Gase die Beziehung L1 : L2 = n12 – 1 d.h. das Leitungsvermögen ist der brechenden Kraft n2 – 1 direkt proportional. Dasselbe Gesetz ergiebt sich auch, wie ich in der elementaren Physik des Aethers gezeigt habe, für das Leitungsvermögen der festen Stoffe. Dass auch die spezifische Wärme gleicher Volumina scp der brechenden Kraft direkt proportional ist, wurde bereits in Abschnitt I nachgewiesen; es bleibt daher nur übrig, den experimentellen Nachweis zu führen, dass dies auch für die Wärmeleitung der Gase zutrifft. In der nachfolgenden Tabelle sind die spärlichen hierfür wirklich brauchbaren Versuche zusammengestellt. Namen der Gase Brechungs-exponentenu BrechendeKraftn2 – 1 Leitungs-vermögenSilber = 10 Leitungs-vermögennachNatterer Luft 1,000294 0,000588 0,0005 Sauerstoff 1,000272 0,000543 0,0005 0,0005 Wasserstoff 1,000138 0,000276 ? 0,000275 Stickstoff 1,000300 0,000408 0,00049 0,0004 Chlor 1,000772 0,001542 ? 0,00145 Stickoxyd 1,000303 0,000611 ? 0,0004 Schwefelwasserstoff 1,000644 0,001288 ? 0,0011 Chlorwasserstoff 1,000449 0,000898 ? 0,0008 Angesichts der Schwierigkeiten, welche die Bestimmung der Wärmeleitung der Gase bereitet, ist die Uebereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung vollständig ausreichend. Es sei hier noch bemerkt, dass nach genauen Beobachtungen das Wärmeleitungsvermögen der Luft gleich 0,00005 ist, wenn dasjenige des Kupfers gleich 1 gesetzt wird; die Luft leitet also die Wärme 20000 mal schlechter als Kupfer. Nun ist der Brechungsexponent des Kupfers nach Wien rund 3, also n2 – 1 = 8, folglich \frac{0,000588}{8}=0,000074, also ziemlich nahe gleich dem Werte 0,00005, dem man bei genauerer Ermittelung des Brechungsexponenten noch näher kommen dürfte. Zum Schluss ist noch die Frage nach dem Zusammenhang der mathematischen Wahrscheinlichkeitstheorie Maxwells mit der Sellmeierschen Absorptionstheorie klarzulegen. Dies lässt sich in wenigen Worten sagen, da ich nur den Kern der Entwickelungen, nicht aber mathematische Formeln bringen will. Maxwell gelangt durch seine Wahrscheinlichkeitstheorie zu dem Resultat, dass die Gesamtmasse der Moleküle nur kurze Wege von den Dimensionen der Aetherwellen zurücklegen könne; dies ist aber sachlich dasselbe, als ob man sagte, dass die Moleküle Schwingungen um ihre Gleichgewichtslage ausführen. Nimmt man letzteres von vornherein an, so hat man nicht mehr nötig, den mathematisch schwierigen und gekünstelten Beweis für die mittlere Wegelänge oder Schwingungsbewegung der Moleküle zu führen. Ausserdem hat man noch den Vorteil, die in der Physik nach allen Richtungen hin durchgearbeitete und fast überall als richtig bestätigt gefundene Vibrationstheorie für die bei den Gasen wahrgenommenen Erscheinungen als Erklärung benutzen zu können. Man gelangt so schneller, einfacher und allgemein fasslicher zum Ziel. Die von Maxwell für den wahrscheinlichen Zustand der Gase abgeleiteten Beziehungen sind Exponentialformeln derselben Art, wie solche in der Arbeit „Uebereinstimmung der Spannungs–, Volumen –und Temperaturgesetze der Stoffe mit den Absorptions- bezw. Emissionsgesetzen der Aetherwellen“ (Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleisses 1900) von mir abgeleitet und an der Hand der Beobachtungen als richtig bestätigt worden sind.