Titel: | Die Nachteile der modernen Getreidemüllerei und deren Beseitigung durch das Steinmetz-Verfahren. |
Autor: | Bittinger |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 174 |
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Die Nachteile der modernen Getreidemüllerei und
deren Beseitigung durch das Steinmetz-Verfahren.
Die Nachteile der modernen Getreidemüllerei und deren Beseitigung
durch das Steinmetz-Verfahren.
Obschon die organische Beschaffenheit unserer hauptsächlichsten Brotfrüchte, des
Weizens und des Roggens, in Büchern und Schriften in Wort und Bild genügend bekannt
geworden ist, so dürfte eine kurze Vorführung derselben doch hier zum besseren
Verständnis des Nachfolgenden ganz am Platze sein.
Betrachtet man das Getreidekorn aufgeschnitten, so sieht man innen den grossen,
stärkehaltigen Mehlkern. Ihn umgiebt eine gelbliche, bisweilen graue oder braune,
eiweissreiche Schichte, die Kleberschichte, welcher mit der sie umschliessenden,
braunen eiweiss–, fett- und nährsalzreichen Schichte, der lederartigen, fast
wasserdichten Samenhaut verwachsen ist. Diese Haut zieht sich nicht vollständig um
den ganzen Umfang des Kornes, sondern lässt an einer Spitze eine Oeffnung frei, in
welcher der Keim festliegt. Der Keim. als Träger des Lebens, enthält
natürlicherweise die wichtigsten Nährstoffe, als Eiweiss, Fett und Salze in
reichlicher Menge. Der bis hierher beschriebene Kern besitzt alle für den
menschlichen Körper notwendigen Nährstoffe in idealer Zusammenstellung. Er ist aber
noch umschlossen von drei Häutchen, welche unter sich und mit dem Kern durch eine
neuerdings entdeckte, schmutzigbraune Substanz verklebt sind. Diese drei Häutchen
bestehen zum grössten Teil aus Holzfaser, sind für den menschlichen Organismus
unverdaulich und störend. Alle drei zusammen werden als Fruchthaut bezeichnet. Sie
besitzt an der, der Keimspitze gegenüber befindlichen Spitze, bei Weizen deutlich
sichtbare Härchen.
Diese äussere Haut oder Fruchthaut, ist nun auf dem Halme schon der Beschmutzung
durch Staub. Regen, durch Insekten, Vögel und Würmer, dann bei der Ernte, in der
Scheune, auf dem Speicher, beim Transport in Schiffen, Wagen, im offenen oder
eingesackten Zustande u.s.w. der Verunreinigung durch Ausscheidungen von Mensch und
Getier und durch Schimmelbildung ausgesetzt, wie wohl kein zweites so ungemein
wichtiges Nahrungsrohprodukt, Ist es darum zu verwundern, dass der Mensch instinktiv
das Getreidekorn frei von der schmutzstrotzenden Fruchthaut zu geniessen verlangt
und den Müller zwingt, durch die sinnreichsten und kompliziertesten Einrichtungen
Mehl herzustellen, welches frei ist von dieser Fruchthaut und dem Schmutze?
Viele Mühlen begnügen sich schon, den Schmutz durch Reiben der Körner untereinander
und an rauhen Flächen und Bürsten zu entfernen; aber dies genügt ja bei weitem
nicht. Man bedenke bloss, wenn man schmutzige Hände an einem reinen Handtuche
abreiben wollte, ob da das Handtuchnicht auch schmutzig, die Hände aber
keineswegs rein werden. Genau so ist es auch beim Getreide, und deshalb sind schon
viele bessere Mühlen zum Waschen des Getreides übergegangen. Bei Roggen ist jedoch
dazu nur hin und wieder probeweise geschritten, aber man ist meistens davon wegen
des Trocknens wieder abgekommen. Man hat als Ersatz des Waschens auch noch
Schälmaschinen verwendet, welche diese Fruchthaut herunterschleifen sollen. Diese
Maschinen erfüllen ihren Zweck nur unvollkommen, weil sie das Getreidekorn
beschädigen und dadurch Verluste herbeiführen, denn man muss mit sehr scharfen
Mitteln und starkem Druck das Getreide bearbeiten, um die aufeinander geklebten
Häute von der Samenhaut herunter zu schleifen. Wenn nun die Fruchthaut vom Getreide,
vor der eigentlichen Zerkleinerung desselben zu Mehl nicht vollständig entfernt ist,
so ist es ganz natürlich, dass durch das Zerreiben des Kornes auf Walzenstuhlen oder
Mahlgängen auch die Fruchthaut zerstückelt und etwa darauf haftender Schmutz
ebenfalls abgerieben wird und mit durch die Siebe in das Mehl gelangt.
Nach Professor Heinrich-Rostock befinden sich auf 0,1 g
Getreide bis 1800000 Bakterien, also auf 1 Korn etwa 500000. Bei dieser ungeheuren
Anzahl ist es klar, dass die Bakterien so klein sind, dass sie unbedingt durch die
feinsten Siebe, durch welche auch das reinste oder weisseste Mehl abgesiebt wird,
hindurch gelangen. Dass solche Bakterien im Mehl vorhanden sind, beweist, dass
Professor Wittmack-Berlin im feinsten Pester Kaisermehl
Bärtchenhaare von den Spitzen des Getreides gefunden hat, und dass bei
mikroskopischen Untersuchungen ein spezifisches Merkmal für Weizenmehle das
Vorhandensein solcher Bärtchenhaare ist.
Um nun möglicht wenig von der Fruchthaut und den daran haftenden Bakterien und
Pilzen, welche nach Prof. Dr. Hofmann–Leipzig nicht
einmal durch die Backofenhitze unschädlich gemacht würden, in das Mehl zu bekommen,
zieht der Müller es vor, auch die Samenhaut, welche einerseits mit der Fruchthaut
verklebt, andererseits mit der Kleberschichte verwachsen ist, mit zu entfernen.
Natürlich bleibt dabei ein Teil des Klebers an der Samenhaut haften. Da diese Haut
braun ist, der Müller aber weisses Mehl erzeugen will, weil es erstens am meisten
Gewähr gegen Verunreinigungen giebt, und weil es zweitens, das ist wohl die
Hauptsache, ohne Zweifel dem Auge schön erscheint, so darf dieselbe nicht ins Mehl
gelangen. Auch der nährstoffreiche Keim, der ja auch das Mehl dunkel machen würde,
muss dasselbe Schicksal erleiden, wie die ebenso wertvolle Samenhaut. Sie wandern unter die Kleie
und dienen daher als Viehfutter.
Was man aber damit getan hat, beantwortet das vom kaiserlichen Gesundheitsamte
herausgegebene Gesundheitsbüchlein, wie folgt:
„Da nun beim Mahlen eine vollkommene Trennung des Kornes
vom Zellstoff auch mit Hilfe der vorzüglichsten Mühlen-Zurichtung bisher
nicht möglich ist, so ist das Mehl ärmer an Eiweiss.und Salzen, als das
Getreidekorn“.
Nachstehende Tabelle zeigt dies bei Weizen bester Sorte:
In je100 Teilensind
Eiweiss-körper
Salze
Fett
Kohle-hydrat
Holz-faser
Wasser
Weizen
14,35
1,50
2,66
65,41
3,37
12,81
Weissmehl
12,01
0,38
0,35
74,53
0,41
12,32
Schwarzmehl
16,87
1,17
1,86
65,63
1,32
13,15
Kleie
16,15
5,68
4,52
45,84
14,69
13,12
Geringerer Weizen und Roggen erhalten vor allen Dingen etwas weniger Eiweiss, doch
das Verhältnis desselben zwischen Korn. Mehl und Kleie bleibt ungefähr das
Gleiche.
Aus dem früher Gesagten, dem Gesundheitsbüchlein und der Tabelle ist es kar
ersichtlich, dass das weisse Mehl ärmer an Eiweiss und Salzen ist, als das Korn,
dagegen ist aber die Kleie ungemein viel reicher daran geworden. Sie dient, wie
schon gesagt, zum Futter unseres Viehes, das uns allerdings als Fleisch zum grossen
Teil wieder zu Gute kommt. Trotzdem liegt in der Anreicherung der Kleie an Eiweiss
ein gewaltiger volkswirtschaftlicher Missgrrff, den nachstehende Rechnung aufklären
wird.
100 kg Kleie mit etwa 15 v. H. Eiweissgehalt kosten
10 Mk.
100 kg Magerfleisch mit etwa 20 v. H. Eiweissgehalt
kosten
160 Mk.
Somit kostet 1 kg Eiweiss aus Kleie 66 ⅔ Pfennige.
1 kg Eiweiss aus Fleisch dagegen 8 Mk., also 12 mal so viel.
Deutschland gebraucht jährlich etwas mehr als 10000000 Tonnen (zu 1000 kg)
Brotgetreide; davon wollen wir nur 20 v. H. Kleien, also 2000000 Tonnen rechnen. Der
Eiweissgehalt daraus mit 15 v. H. ergiebt 300000000 kg zu 66 ⅔ Pfennigen, also einen
Wert von 200 Millionen Mark. Dieselbe Menge Eiweiss von Fleisch stellt einen Wert
von 2400 Millionen Mark dar, also 2200 Millionen Mark mehr; das würde auf den Kopf
der Bevölkerung etwa 40 Mk. ausmachen, mit denen er seine Freude an dem schönen
weissen, aber nährwertarmen Mehle bezahlen muss.
Das zeigt nun deutlich den Weg, den wir zu verfolgen haben, nämlich: wir müssen die
Nährsubstanzen in der Kleie, welche den enormen Wert darstellen, uns unmittelbar
nutzbar machen und nur die für den Menschenmagen unverdaulichen und ekelerregenden
Holzfaserhäute abstossen und diese wieder dem Vieh verwertbar machen.
Das ist ja nichts Neues mehr, was hier verlangt wird. was auch schon in dem früher
erwähnten Satz des „Gesundheitsbüchleins“ ganz deutlich zu Tage tritt „die
vollkommene Trennung des Kornes vom Zellstoff“. Diese Aufgabe haben schon
wiederholt die tüchtigsten Fachleute zu lösen gesucht, jedoch trotz der sehr grossen
aufgewendeten Kosten nicht oder nur unvollkommen erreicht. Die Schwierigkeiten sind
auch gar keine so kleinen, wie es im ersten Augenblickeerscheinen mag, und so
muss man es hoch schätzen, dass der Mühlentechniker Stefan
Steinmetz, von dem wir schon seit geraumer Zeit Verschiedenes über
Enthülsung des Getreides gehört und gesehen haben, nunmehr das Verfahren der
Enthüllung soweit ausgebildet hat, dass kaum noch darin wesentliche Verbesserungen
gemacht werden können. Sein Verfahren besteht darin, dass das auf bereits bekannten
Sortier- und Lüftungsmaschinen von allen fremden Beimengungen befreite Getreide
zunächst durch fliessendes Wasser gezogen wird, wobei alle schwereren Beimengungen,
als Steine, Glas, Metallstückchen ausgeschieden werden. Das Getreide wird aus dem
Wasser herausgehoben, auf einer Schleuder abgescheuert und möglichst vom Wasser
befreit. Das so vorbereitete Getreide wird nun in dem eigentlichen
Enthülsungsapparate geschlagen, gedrückt, gerollt und durch einen Saugwindstrom von
den losgelösten Holzfaserhüllen befreit. Die durch den Saugwindstrom fortgeführten
Hüllen werden durch Ablagerung in einem Zentrifugal Staubsammler oder einer Kammer
wieder gewonnen. Durch das fortgesetzte Absaugen der Luft wird das Getreide während
der Bearbeitung zu trocken und muss deshalb wiederholt angefeuchtet werden. Erst
wenn die Holzfaser gut abgelöst ist, hört, das Befeuchten auf, das Getreide wird
durch den Luft ström getrocknet und die Rauhheiten herunter gerieben. Das Getreide
verlässt die Maschine trocken, glatt poliert und kann nun unmittelbar auf dem
einfachsten Wege zu Mehl verarbeitet werden.
Um zu zeigen, was durch dieses Verfahren erreicht ist, soll nachstehende
Vergleichstab eile dienen, deren Werte einesteils für gewöhnliches Brot gelten, bei
dem vom Korne etwa 30 v. H. Kleie abgeschieden sind, andernteils sich auf „Steinmetz Kraftbrot“ beziehen, welches ohne
jeden künstlichen Zusatz aus Mehl hergestellt ist, bei dessen Bereitung nach obigem
Verfahren nur die Holzfaser, also etwa 4 v. H. abgezogen ist.
Gewohnliches
Brotnach den
VeröffentlichungendesReichsgesundheitsamtes:
Steinmetz
Kraftbrotnach der Analyse des HerrnDr. Widera, beeid. Nahrungs-mittelchemiker
Coblenz:
in 100 Teilen sind enthalten:
Eiweissstoffe
6,0
Eiweissstoffe
12,7094
Fette
0,5
Fette
0,6467
Kohlehydrate
48,0
Kohlehydrate
43,9499
Holzfaser
0,5
Holzfaser
0,0036
Nährsalze
1,25
Nährsalze
2,0984
Wasser
43,75
Wasser
40,5874
Selbstverständlich ist das hochprozentige Mehl und Brot nach dem Steinmetz verfahren nicht mehr weiss, aber aus dem
Gutachten des Herrn Dr. Widera ist weiter zu entnehmen,
dass alle Nährstoffe, welche im Korne sich befinden, auch in diesem Brote vorhanden
sind und dessen Nährwert und Verdaulichkeit von keinem anderen Brote übertroffen
werden kann.
Natürlich würde das Enthülsungsverfahren auch für die Herstellung weisser Mehle von
hervorragender Bedeutung sein, da durch die Entfernung der Holzfaser und Bakterien
das Mehl nicht nur gesundheitlich besser wird, sondern auch eine bedeutend höhere
Ausbeute gestattet. Nachträglich dürfte noch bemerkenswert sein, dass die vermittels
dieses Steinmetzverfahrens erhaltenen Holzfaserhüllen
vom Vieh gerne verzehrt werden, wahrscheinlich weil sie reinlicher sind, als
manchmal die so nährwertreichen Kleien.
Bittinger.