Titel: | Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 194 |
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Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der
Gegenwart.
Von Ingenieur M. Richter,
Bingen.
(Fortsetzung von S. 167 d. Bd.)
Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
Auf den britischen Inseln hat sich die 2/4 gekuppelte Zwillingslokomotive gleichzeitig mit
ihrer Schwester auf dem Festland entwickelt, aber nicht gleichartig, sondern mit
unwandelbarer Erhaltung englischer Bauart in allen Eigenheiten des Geschmackes und
durchaus einheitlich auf allen Bahnen und in allen Stufen der Entwicklung, welche
allerdingsmeistens nur eine solche der Grössenverhältnisse, aber keine
Verbesserung der Wirkungsgrade, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gewesen ist. Die
Charakteristik der englischen Lokomotive ist: innerer Rahmen mit inneren Zylindern
und innenliegender Steuerung (fast ausschliesslich Stephenson, manchmal Joy), äussere
(Kupplungs-) Kurbeln meist kürzer als die inneren (Trieb-) Kurbeln, vorderes Drehgestell mit
Druckauflage in der Mitte und seitlicher Verschiebbarkeit, tiefe Feuerbüchse
zwischen den beiden Hinterachsen; Kessel von mittlerer Grösse und Höhenlage, mit Dom
auf dem Mittelschuss; Ramsbottomsches Sicherheitsventil
meist über der Feuerbüchse, vor dem Führerstand, welcher bei einigen Bahnen
hinsichtlich des Schutzes der Mannschaft sehr verbesserungsbedürftig ist.
Rauchkammer von massiger Länge mit verschwindend kurzem Kamin (bei der
höchstzulässigen Höhe von nur 4,07 m über S. O.), welches allerdings oft tief in die
Rauchkammer hinein verlängert und durch Düsen in seiner Wirkung unterstützt ist.
Sehr viel, manchmal unnötig viel, wird auf das Aeussere gegeben und gehalten; die
Formgebung möglichst elegant in geschweiften Zügen, mit Vermeidung alles
schwülstigen Stangen- und Röhrenwerkes; die Lackierung übertrieben bunt, oft
lächerlich grell für unsern Geschmack, daher dem Zweck der Maschine wenig
entsprechend und jedenfalls mit sehr grossem Putzaufwand verknüpft.
Dies Gesamtbild der englischen Maschine geht aus den Abbildungen ohne weiteres hervor
und wird durch die fünfreihige Tabelle der Hauptabmessungen wirksam ergänzt, welche
dieses Kapitel eingeleitet hat. Was die Leistungen der 2/4 gekuppelten Zwillingslokomotive
betrifft, so ist dieselbe in England stets bedeutend stärker angestrengt worden, als
auf dem Festland, während die gute englische Kohle, stellenweise auch die
Oelfeuerung, noch zur Vergrösserung dieser Leistung beiträgt. So hat auch diese
Maschinengattung im letzten Jahrzehnt, seit dem grossen „Wettrennen nach
Aberdeen“ (1895) besonders zu Schnellfahrten mit schwereren Zügen herhalten
müssen oder über schwierigere Strecken, wo die beliebte ungekuppelte Gattung nicht
ausreichen kann; lange Zeit (und noch jetzt) hat sie in England die Vorherrschaft im
Schnellverkehr gehabt, und ähnlich wie in Amerika, war sie auch dort von vornherein
einer höheren Brauchbarkeit zugänglich, wo der Achsdruck bis auf 19 t gehen darf, so
dass ein schwererer stärkerer Kessel und eine höhere Zugkraft Hand in Hand für die
vierachsige Lokomotive sich eigneten; die tote Last (d.h. die Belastung des
Drehgestells) ist viel geringer, als bei gleichschweren diesseitigen Mustern, der
kommerzielle Wirkungsgrad ist folglich durch die hohen Achsdrücke gesteigert worden;
gleichzeitig war infolge der inneren Zylinder ein ruhiger Gang gerade für das
Schnellfahren erzielt.
Wie in Amerika, so stand also auch in England die Lokomotive von jeher unter
günstigeren Zeichen als bei uns, weil die Bestimmungen eben viel leichter sind; so
ist in Deutschland jetzt endlich der Achsdruck von 16 t freigegeben, so dass
sehenswerte Leistungen der vierachsigen Lokomotive nun schon eher möglich sind. Bei
den englischen (und besonders amerikanischen) Lokomotiven dagegen sind hohe
Leistungen selbstverständlich; die untere Grenze des Achsdruckes sind etwa 17 t, und
dazu passen die meist grossen Zylinder mit ihren grossen Kolbenhüben.
In Besprechung der einzelnen Typen ist folgendes wichtig:
7. Die Schnellzuglokomotive der englischen Westbahn ist
eine für diese Bahn typische, hochelegante, äusserst moderne Erscheinung. Die Rahmen
liegen hier, wie bei den meisten Maschinen der G. W. R., aussen, auch für das
Drehgestell, wodurch die Stützbreite grösser, der Gang also ruhiger wird. Ausserdem
ist aber noch ein vollständig durchgeführtes Paar Innenrahmen vorhanden, so dass
also der Hauptrahmen doppelt ist und zwar jedenfalls mit Rücksicht auf die
Beanspruchung der gekröpften Welle, für welche natürlich die Lagerung trotz des
Aussenrahmens noch einmal möglichst nahe an den Kurbelebenen erfolgen muss. Die
Zylinder mit Kolbenschiebern liegen schwach geneigt. Auch der Kessel zeigt
Eigentümlichkeiten: er ist domlos (wie bei der G. N. R.), trägt das
Sicherheitsventil an der Stelle des Domes, besitzt verlängerte Rauchkammer und hohe
Belpaire-Feuerbüchse, und hat ziemlich grosse, sehr
wirksame Heizfläche: 277 Rohre von nur 3,46 m Länge und 47 mm äusserem Durchmesser,
wodurch jedenfalls eine etwas kostspielige, aber sehr rasche Verdampfung erzielt
wird, wie es der Dienst dieser Maschinen verlangt. Der flache Tender besitzt bei 37
t Dienstgewicht 13,6 cbm Wasserinhalt und ist mit Schöpfer versehen. Von der
Ausrüstung ist die Dampf-Umsteuerung zu erwähnen.
Von dieser Gattung sind 40 Stück in den Swindon-Werkstätten der Bahn nach den Plänen des Oberingenieurs Dean seit 1900 gebaut worden (Fig. 52).
Textabbildung Bd. 318, S. 195
Fig. 52. Englische Westbahn.
Die G. W. R, besitzt nicht weniger als 29 verschiedene, zum Teil mehrere Male des
Tages ausgeführte Schnellfahrten im Fahrplan über 80 km/Std., von denen die schnellste zwischen
London und Bath (172 km in 1 Std. 58 Min.) mit 87,4 km/Std. im Durchschnitt gemacht wird. Die
hier beschriebene 2/4 gekuppelte Lokomotive der „Atbara“-Klasse besitzt einen grossen
Teil des Ruhmes dieser Fahrten; abwechselnd mit den bereits beschriebenen (D. p. J.
1902, Bd. 317, S. 543) ¼ gekuppelten fährt sie auf den
besten, sowie auf schwierigen Strecken mit gleicher Bravour, und stets ohne
Vorspann. Die Hauptlinien dieses Dienstes sind London-Exeter-Bristol-Plymouth
(„fliegender Holländer“) und London-Birmingham. Das Zugsgewicht beträgt
190 bis 250 t hinter dem Tender, die Fahrgeschwindigkeit auf freier Strecke schwankt
zwischen 95 und 105 km/Std. und steigt bis 115 km/Std. auf günstigen Gefällen; Steigungen von 1/80
werden mit 40 km/Std. überwunden; die rechnungsmässige Leistung beträgt auf der Steigung
etwa 700, auf der Ebene etwa 1000 PS.
Auch die längste und schnellste Weitfahrt der Erde wird von dieser Lokomotive täglich
dreimal ausgeführt:
London-Exeter 311 km in 3 Std. 38 Min. ohne Halt, also 85,7 km/Std. im
Durchschnitt.
Bei einer Zuglast von 240 t h. T. beträgt die Grundgeschwindigkeit des Zuges 97 km/Std. (60 engl.
Meilen).
Es verlohnt sich, der Maschine die Leistungen auf dieser fahrplanmässigen Fahrt
nachzurechnen:
Zugsgewicht
Q= 240 t
Maschinengewicht (einschl. Tender)
M = 90 t
Gesamtgewicht
G = M + Q = 330 t.
Widerstand nach Barbier:
\left{{w_M=3,8+0,9\,V\,\frac{30+V}{1000}}\atop{w_Q=1,6+0,3\,V\,\frac{50+V}{1000}}}\right\}\mbox{ kg/t, }V\mbox{ in km/Std.}
Daher a) auf der Horizontalen: V = 97 km/Std.
\left{{w_M=3,8+0,9\cdot 97\,\frac{30+97}{1000}=3,8+11=14,8}\atop{w_Q=1,6+0,3\cdot 97\,\frac{50+97}{1000}=1,6+4,3=5,9}}\right\}\mbox{
kg/t}
WM = wMM = 14,8 . 90 = 1330 kg
Wq = wQQ = 5,9 . 240 = 1240 kg
W = WM + WQ = 1330 + 1420 = 2750 kg Widerstand
N=\ \ \ \ \frac{W\,V}{270}\ \ \ \ \ =\ \ \ \ \ \frac{2750\cdot 97}{270}=980 PS Leistung
Andererseits ist aber
n=5310\,\frac{V}{D}=5310\,\frac{97}{2040}=252Touren/Min.
Ferner ist die innere Heizfläche
Hi = 0,9 . Ha = 0,9 . 154 = 139 qm
somit zu erwarten (s. Tabelle).
N = aH√n = 0,46 . 139 . √252 = 1010 PS Leistung.
Der Unterschied der obigen 980 gegen 1010 ist sehr gering. Endlich
\frac{N}{H}=\infty\,\frac{1000}{139}=\infty\,7,2PS/qm
Ein vorzüglicher Wert bei Zwillingsmaschine!
Ferner ist b) auf der Steigung 1/80 (s = 12,5 m/km): V = 40 km/Std.
w_M=3,8+0,9\cdot 40\,\frac{90+40}{1000}=3,8+2,5=6,3\mbox{ kg/t}
w_Q=1,6+0,3\cdot 40\,\frac{50+40}{1000}=1,6+1,1=2,7
WM = 6,3 . 90 = 570 kg
WQ = 2,7 . 240 = 650 kg
Wh = 570 + 650 = 1220 kg
Ws = (270 + 90) 12,5 = 4100 kg
W = Wh + Ws = 1220 + 4100 = 5320 kg Widerstand.
Der erforderliche Adhäsionskoeffizient ist deshalb \frac{5310}{36200}=\frac{1}{6,8}=0,147 kg/t ein sehr mässiger Wert,
welcher bei dem Adhäsionsgewicht der neuen deutschen Lokomotiven (32 t) auch nur ⅙
betragen, somit das Zulässige noch nicht erreichen würde (⅕ bis ¼). Ferner ist
N=\frac{5320\cdot 40}{270}=790 PS Leistung
Andererseits ist aber
n=5310\,\frac{40}{2040}=104Touren/Min.
somit zu erwarten
N = aH√n = 0,46 . 139√104 = 660 PS Leistung,
es muss also die zu erwartende Leistung durch den Kessel um
volle 130 PS trotz der geringen Tourenzahl übertroffen werden. Es erscheint dies
immerhin etwas zweifelhaft, und eher ist anzunehmen, dass der grösste Teil der
Steigung durch den Anlauf des Zuges überwunden und erst zum Schluss der Kessel
übermässig beansprucht ist.
Der Arbeitsgewinn durch Anlauf (Geschwindigkeitsgefäll von 105 auf 40 km/Std.
beispielsweise) beträgt
ΔA = 3,93 . (240 + 90) . (1052 – 402) =
12200000 mkg;
und genügt somit zur Hebung des Zuges von 330 t Gewicht auf
eine Höhe von \frac{12200000\mbox{ mkg}}{330000\mbox{ kg}}=\mbox{ rund }37\,\mbox{m}; bei 1/80 entspricht dies einer Länge von s=\frac{37}{12,5\,:\,1000}\,\overset{\infty}{=}3\mbox{ km,} da ja
die Widerstandsarbeit von der Lokomotive verrichtet wird. Die erforderlichen
Leistungen der Heizfläche wären ferner \frac{660}{139}=4,75 und \frac{790}{139}=5,7 PS/qm letzteres bei nur 104 Touren, d.h.
7 Dampfschlägen in einer Sekunde durch den Kamin, nicht recht denkbar.
Immerhin zeigt diese Rechnung eine vorzügliche Lokomotive, und dies nicht nur auf dem
Papier, sondern im fahrplanmässigen Betrieb. Viele deutsche (und andere!)
Lokomotiven zeigen viel höhere Leistungsfähigkeit, aber im Fahrplan ist keine Spur
davon zu merken.
Die Westbahn besitzt 4 Hauptklassen moderner
Schnellzuglokomotiven; deren Triebräder absteigend um je einen Fuss im Durchmesser
verschieden sind:
1. ¼ gekuppelte, Triebräder 7' 8'' engl. (2340 mm) für
Flachland;
2.2/4
gekuppelte, Triebräder 6' 8'' engl. (2090 mm) für Hügelland;
3.2/4
gekuppelte, Triebräder 5' 8'' engl. (1720 mm) für Gebirgsland.
Die beiden letzteren unterscheiden sich in garnichts als im Triebraddurchmesser. Die
Kessel aller drei sind zu dem ganz gleich. Auch die letzte, die Gebirgsklasse ist
vorwiegend im Schnellverkehr mit Geschwindigkeiten über 80 km/Std. (im
Fahrplan!) tätig.
4. ⅗ gekuppelte, Triebräder 2030 mm, wie No. 2, diese ganz neue Klasse für schwersten
Schnellzugsdienst im Hügelland soll später beschrieben werden.
8. Die Schnellzuglokomotive der Caledonischen Bahn
besitzt annähernd dieselbe Leistungsfähigkeit wie die vorige, aber höhere Zugkraft.
Der Rahmen liegt innen, die ganze Bauart ist sehr gedrängt; die Schieberkasten z.B.
liegen einander zugekehrt zwischen den Zylindern vertikal, so dass kaum für den
Schieber noch Platz geblieben ist; derselbe ist übrigens ein gewöhnlicher nicht
entlasteter Flachschieber ohne Trickschen Kanal. Die
tiefe Feuerbüchse zwischen den Triebachsen hat ein langes Feuergewölbe; der in die
Rauchkammer verlängerte Kamin besitzt eine starke äussere Verkleidung. Die
Umsteuerung geschieht je nach Belieben, mit Handhebel, Schraube oder Dampf. Wie in
sehr vielen Fällen ist auch hier die vordere Triebachse durch doppelte
Schraubenfeder, die hintere durch gewöhnliche Blattfeder abgefedert, Der Tender
läuft vierachsig, auf zwei Drehgestellen und besitzt keinen Schöpfer. Die Bremse ist
ausnahmsweise Westinghouse (in England meistens
Vakuumbremse). Der Kessel besitzt eine ähnliche Verdampfungsfähigkeit wie beim
vorigen Beispiel (265 Rohre von 3,5 m Länge) (Fig.
53a).
Textabbildung Bd. 318, S. 196
Fig. 53a.Caledonische Bahn.
Die Lokomotive, zur „Breadalbane“-Klasse gehörig, ist die dritte
Entwicklungsstufe der im Jahre 1896 in den St. Rollox
–Werkstätten der Bahn nach den Plänen des Oberingenieurs Mc Intosh gebauten „Dunalastair“- Klasse, welche
ihren Namen nach ihrem in kurzer Zeit durch seine vorzüglichen Leistungen berühmt
gewordenen Vertreter erhielt. Im Jahre 1896 machte nämlich diese Klasse täglich die
damals schnellste Fahrt der Erde: Perth-Forfar 52,3 km in 32 Min., also ein
fahrplanmässiger Durchschnitt von 98 km/Std. Das Zugsgewicht war nur 120 t hinter dem
Tender, aber die Strecke ist ungünstig, scharfe Steigung mit kurzen schwachen
Gefällen abwechselnd; trotzdem wurde oft die Fahrzeit um eine Minute noch gekürzt,
so dass der Durchschnitt („start-to-stop“) 101 km/Std. ausmachte. Die
Dauergeschwindigkeit auf freier Strecke betrug dabei etwa 113 km/Std. (70 engl.
Meilen).
Züge von 200 t h. T. mussten mit 97 km auf wagerechter Strecke befördert werden. In
der Folge ist jedoch die Fahrzeit des Zuges Perth-Forfar auf 33 Min., d.h. auf 95
km/Std.
ermässigt worden, trotz der Einführung schwererer Lokomotiven, jedenfalls weil die
Züge immer schwerer wurden, und noch jetzt ist dies eine der besten englischen
Schnellfahrten, welche täglich ein paar Mal mit den 300 t schweren schottischen
Schnellzügen London-Aberdeen gemacht wird. Die längste und schnellste Weitfahrt der
Cal. Bahn ist Carlisle-Stirling, 190 km in 2 Std. 18 Min., also ein Durchschnitt von
82,7 km/Std.
Die Vorläufer dieser Gattung waren kaum von ihr zu unterscheiden, nur die Abmessungen
etwas geringer. Das hinderte aber nicht die erfolgreiche Beteiligung an dem grossen
„Wettrennen nach Aberdeen“ im Jahre 1895, welches von den konkurrierenden
Bahnlinien (nämlich Östlich die Nordbahn, Nordostbahn und Nordbritische Bahn,
westlich die Nordwestbahn und Caledonische Bahn) ausgetragen wurde. Am 28. August
wurde schliesslich die Strecke London-Aberdeen, 865 km, in 8 Std. 32 Min.
zurückgelegt, entsprechend 101 km/Std. durchschnittlich, oder nach Abzug der 7 Min.
Aufenthalt auf im ganzen 3 Stationen 103 km/Std., wobei allerdings die Zuglast nur etwa 50 t h.
T. betrug.
Die Vorzüge dieser „Breadalbane“ – Klasse haben die belgische Staatsbahn veranlasse sich genau dieselbe Maschine zu
beschaffen, und zwar die ersten vier von Neilson, Reid &
Co., Glasgow, die übrigen von verschiedenen belgischen Firmen; die neueren mit etwas
verstärkten Abmessungen, grösserem Führerhaus, Zugklappe auf dem Kamin u.s.w. Es hat
sich gezeigt, dass die englischen Lokomotiven bedeutend stärker sind, als die
gewöhnlichen der belgischen Staatsbahn, welche bereits beschrieben worden sind (D.
p. J. 1902 Bd. 317 S. 650). Es folgt hier die Abbildung
dieser neuen Lokomotive (Fig. 53b).
Textabbildung Bd. 318, S. 197
Fig. 53b.Belgische Staatsbahn.
9. Die Schnellzuglokomotive der englischen Ostbahn (G.
E. R.) erbaut 1900 in den Bahnwerkstätten zu Stratford nach den Plänen des
Oberingenieurs J. Holden, war in Paris im selben Jahre
ausgestellt. Die Merkwürdigkeiten der Maschine sind: vor allem die Oelfeuerung, dann
der Abdampfinjektor, die pneumatische Umsteuerung und Wasserschöpfvorrichtung, im
übrigen zeigt dieselbe die gleiche Bauart wie die vorige Lokomotive: innere Rahmen,
innere geneigte Zylinder mit darunter liegenden
Schieberkästen von derselben Neigung aufwärts, hochliegender (2515 mm über S. O.)
Kessel von hoher Verdampfungsfähigkeit (274 Messingrohre von 3680 mm Länge).
Textabbildung Bd. 318, S. 197
Fig. 54. Englische Ostbahn.
Die Feuerbüchse, über der Hinterachse liegend, besitzt ein langes Feuergewölbe,
welches sich an eine steinerne Schutzmauer für die vordere Wand anschliesst, sowie
einen sehr tiefen Aschfall als Luftfang. Sämtliche Stehbolzen sind gelenkig, System
Stone. Bei reiner Oelfeuerung dient als Unterlage
des Feuers eine glühende Schicht von Chamottebrocken, durch welche zugleich die
Verbrennungsluft vorgewärmt wird; bei gemischter Feuerung ist eine Kohlenschicht die
Unterlage. Mit Hilfe des verstellbaren Blasrohres von Mc'Allan wird im ersten Fall der Zug gemässigt, im zweiten Fall
verstärkt.
Textabbildung Bd. 318, S. 197
Fig. 55a.Feuerbüchse.
Der Oelbehälter (Oelrückstände, Teer) von 3,3 t Inhalt hängt im Kohlenraum des
Tenders. Der dickflüssige Teer wird durch eine mit Kesseldampf betriebene
Heizschlange verflüssigt und vor dem Eintritt in die Zerstäuber noch durch den
Abdampf der Westinghouse pumpe nachgeheizt. In den
Zerstäubern wird durch konzentrische dreifache Düsen eine innige Mischung von Teer,
heisser Luft und Kesseldampf herbeigeführt, und diese Mischung in einem Strahl in
die Feuerbüchse geworfen. Die Zerstäubung wird durch einen konzentrisch um die
Auswurfdüse vor der Einwurföffnung (kurzer Kupferrohrstutzen) liegenden Ringbläser
bewirkt, welcher mit Kesseldampf arbeitet und zugleich injektorartig Luft mit
ansaugt. Die heisse Luft für den Zerstäuber wird in der Rauchkammer gewonnen; unter
der Thüre derselben liegt nämlich, nach vorn offen, ein Trichterrohr, welches unter
der Ejektorwirkung der Zerstäuber, frische Luft in eine imInnern der
Rauchkammer konzentrisch an der Wand herumlaufende doppelte Heizschlange einsaugt,
sodass dieselbe stark erhitzt und in diesem Zustand dem Zerstäuber zugeführt
wird.
Diese nach jeder Seite hin genial ausgedachte Anordnung, Patent Holden, hat sich von allen als beste erwiesen;
natürlich ist der Dampfverbrauch ein ziemlich hoher, da Frischdampf dreimal
gebraucht wird; jedoch kann darunter die Leistungsfähigkeit des Kessels nicht
leiden, denn die Verdampfungsziffer des Petroleums ist rund doppelt so hoch, als
diejenige der Steinkohle, und für die Wasserstationen kommt der Verbrauch ebenfalls
nicht in Frage, denn die Bahn arbeitet mit Wasser trögen; der dreiachsige Tender
besitzt eine Pressluftvorrichtung zur Betätigung des Schöpfers. In praktischer Weise
ist übrigens der grosse gusseiserne Tenderzugkasten als Hauptluftbehälter
ausgebildet. (Fig. 54).
(Genaueres möge man in der „Zeitschrift d. Ver. d. I.“, 1902 S. 317 ff. bei
Brückmann
„Die Lokomotiven der Pariser Weltausstellung 1900“ nachlesen, wo eine sehr
eingehende Beschreibung dieser Lokomotive mit Skizzen etc. zu finden ist.)
Es kann wiederholt werden, dass man es hier mit einer Schnellzuglokomotive zu tun
hat, deren Hauptfähigkeit es ist, Fahrzeit zu halten unter allen Umständen, wozu
einerseits das Petroleum als Brennstoff selbst, andererseits die Entlastung des
Heizers von schwerer Arbeit beiträgt. „The punctual Great Eastern“ ist ein
stehender Ausdruck geworden. Das Zugsgewicht beträgt 240 bis 330 t h. T. auf
Strecken mit Steigungen bis 1/85, wie sie zwischen London und Cromer, York und
Harwich vorkommen.
10. Die Schnellzuglokomotive der englischen Südwestbahn,
erbaut 1899 in den Bahnwerkstätten Nine-Elms nach den Plänen des Oberingenieurs Drummond, ist ebenfalls eine beachtenswerte
Erscheinung, welche mit der Aussicht auf künftigen Wegfall des Vorspanns ins Leben
gerufen worden ist. Der durch das geringe englische Normalprofil begrenzten Grösse
des Kessels soll hier auf eigenartigem Wege nachgeholfen werden: durch 2 Bündel von
Stahlrohren von 51 mm Durchmesser und 3 mm Wandstärke, welche quer den oberen Teil
der Feuerbüchse mit Gefäll durchziehen. Das vordere Bündel enthält 36, das hintere
25 Rohre, und die Neigungen beider Bündel sind einander entgegengesetzt, sodass der
Wasserumlauf noch verbessert wird. Die Bündel sind von aussen zugänglich, indem über
die Mündungen Verschlusskappen des Feuerbüchsmantels gelegt sind. Diese Kappen sind
gegenseitig durch lange Stehbolzen, welche die Rohre durchziehen, mittels
Gewindeköpfen versteift (Fig. 55a u. b entnommen aus „Engineering“, 16. Juni
1899).
Textabbildung Bd. 318, S. 198
Fig. 55b.Feuerbüchse.
Die tiefe, zwischen den Triebachsen liegende Feuerbüchse besitzt gerade unter dem
vorderen Rohrbündel ein langes Feuergewölbe. Ihre direkte Heizfläche von 13,8 qm
wird durch die Querrohre auf 29,2 qm gebracht, also auf mehr als das Doppelte. – In
betreff der Anordnung des Triebwerks muss auch hier gerügt werden, dass die Schieber
zwischen die beiden Zylinder gezwängt sind.
Textabbildung Bd. 318, S. 198
Fig. 56a.Südwestbahn.
Die neueren Maschinen dieser Art haben vierachsigen Tender von 18 cbm Wasserinhalt;
die Drehgestelle haben Innenrahmen (Fig. 56a, b).
Textabbildung Bd. 318, S. 198
Fig. 56b.Südwestbahn.
Eine andere Maschine der gleichen Bahn ist der eben besprochenen ganz gleich
ausgeführt bis auf Anordnung der Zylinder. Das Triebwerk ist nämlich das bereits
beschriebene D. p. J. 1901, Bd. 316, S. 351)
Doppelzwillingstriebwerk von Drummond; 2 äussere
Hochdruckzylinder treiben die hintere, zwei innere Hochdruckzylinder die vordere
Triebachseund die beiden Achsen sind nicht mit einander gekuppelt. Vorteil
dieser Anordnung ist der leichte Gang der ungekuppelten Maschine; Nachteile sind
dagegen: kleine Zylinder, also grosse Füllungen, doppelte Niederschlagsverluste
gegenüber der einfachen Zwillingsmaschine, doppeltes Triebwerk ohne ausgeglichene
Massen, endlich grösseres Dienstgewicht ohne Gegenleistung; die Anordnung ist daher
zu verwerfen.
Die Abmessungen dieser Gattung (bis jetzt zehn Stück, wovon die fünf ersten ohne
Wasserröhren) sind ebenfalls unter b) in der Tabelle enthalten.
Die schnellste Fahrt der „London and South Western Railway“ ist
Basingstoke-Vauxhall 74,8 km in 54 Minuten, entsprechend einem Durchschnitt von 83,2
km/Std. die
längste und schnellste Weitfahrt ist London-Bournemouth, 173 km in 2 Std. 6 Min.,
also ein Durchschnitt von 82,2 km/Std.
Für gemischten Dienst ist die erste Gattung mit kleineren Triebrädern, 1700 mm statt
2010 mm, im übrigen genau gleich, gebaut worden.
Die anderen englischen Bahnen besitzen ebenfalls Lokomotiven von dem in 5 Beispielen
gezeigten Typus, die sich nur äusserlich unterscheiden, sonst aber alle so ziemlich
gleiche Betriebszwecke mit denselben Leistungen zu erfüllen haben. Die englische
Bauart hat sich ausser in Baden und Belgien noch besonders in Holland, auf der
französischen Westbahn und in Schweden Anerkennung verschafft; meistens sind diese
Bahnen auch mit englischem Fabrikat versorgt; dasselbe gilt für Indien, Südamerika,
Aegypten und Australien. –
Die Rundschau über 2/4 gekuppelte Zwillingslokomotiven muss damit geschlossen werden, ohne dass
gesagt sein soll, dass nicht noch viele hervorragende Muster mit vorzüglichen
Leistungen in Europa und Amerika aufzutreiben wären. Aber um den Rahmen des Themas
nicht zu sehr zu erweitern, mögen die herausgegriffenen Muster als besonders
hervorragend durch ihre Leistungen und konstruktiven Eigenheiten dem Zwecke
genügen.
Ueberschaut man noch an Hand der Tabelle S. 163 die Gesamtheit der aufgeführten
Zwillingslokomotiven, so ist zu bemerken:
Die grösste Zugkraft wird ebenso wie grösste Leistung, von der Lokomotive der
„Delaware Lackawanna und Western Bahn“ entwickelt, was mit ihrer grossen
Adhäsion einerseits, und ihrer sehr grossen Rostfläche andererseits
zusammenhängt.
Mittlere Zugkräfte und Leistungen finden sich bei den englischen und bei der
preussischen Heissdampflokomotive, alle hinsichtlich der Leistung auf einer Stufe,
abgesehen von der etwas schwächeren Maschine der englischen Südwestbahn. Diejenige
der Westbahn hat geringste Zugkraft bei der grossen Leistung, ist also ein richtiger
Flachlandrenner, während die vierzylindrige der Südwestbahn zugleich hohe Zugkraft
aufweist, somit für ungünstiges Terrain bestimmt ist. Zwischen beiden steht die
Heissdampflokomotive, gleich gut geeignet für Schnellfahren im Flachland wie für
schwere Züge im Hügelland, sowie noch besonders ausgezeichnet durch ziemlich weite
Grenzen der Leistungsfähigkeit, welche längere Zeit um etwa 30% gesteigert werden
kann, während bei den übrigen ausnahmslos so ziemlich die höchste Leistung schon
eingesetzt ist. Gibt man der Heissdampflokomotive amerikanisch hohe Adhäsion, womit
eine entsprechende Vergrösserung des Kessels eintreten kann, so gewinnt sie mit
leichter Mühe das Feld.
Die Maschinen der französischen und badischen Staatsbahn bleiben hinter den anderen
infolge ihres geringen Gewichts bescheiden zurück; die letztere verschwindet
geradezu zwergenhaft neben den amerikanischen Kolossen und auch die
„kleinen“, aber starken und zähen englischen Maschinen sind weit im Vorrang,
was allerdings darauf zurückzuführen ist, dass die badische Maschine sich
unverändert seit 1893 in dieser Form erhalten hat.
Was nun gewissermassen die „Kosten“ dieser Leistungsfähigkeit hinsichtlich des
dazu erforderlichen Materialaufwandes (also Anlagekosten) betrifft, so geben darüber
die Verhältniszahlen Auskunft.
Die „Kraftziffer“
\frac{Z_2}{Z_1} zunächst zeigt die Ausnützung des Adhäsionsgewichts durch die Kraft der
Maschine; je höher sie ist, um so weniger ist Schleudern zu befürchten, und um so
höher kann ohne Zuhilfenahme des Sanders die Anfahrzugkraft genommen werden. Diese
Ziffer ist ziemlich gleichmassig, 1,1 bis 1,2, im Mittel 1,15; sie sinkt bei der
Heissdampflokomotive auf 1,05 und steigt bei der englischen Westbahn auf 1,33; im
ersten Fall für die grossen Zylinder etwas zu wenig, im letzten für die kleinen
Zylinder etwas zu viel.
Aehnlich verhalten sich die „Gewichtsziffern“
\frac{Q_a}{Q}, welche das Verhältnis des für Kraft nutzbaren Gewichts zum Gesamtgewicht
angeben. Infolge mangelnder Angaben konnte nur in einzelnen Fällen im Dienstgewicht
Q noch der beladene Tender mitgerechnet werden.
\frac{Q_a}{Q} beträgt im Mittel 0,65 ausschliesslich, und 0,37 einschliesslich Tender
und ist ziemlich konstant; die französische Staatsbahn und die preussische
Heissdampflokomotive zeigen hier den geringsten Wert.
Die Ladeziffer des Tenders beträgt im Mittel 0,51 (Verhältnis des Vorratsgewichts zum
Gesamtgewicht), so dass also das Eigengewicht des Tenders etwa gleich dem Gewicht
der zu fassenden Vorräte zu setzen ist. Bei der badischen und preussischen
Staatsbahn ist diese Ziffer auf 0,56 getrieben, so dass diese Tender als
ökonomischste anzusehen sind.
Sind damit die unbenannten Zahlen erledigt, so bleiben die „Wertziffern“
\frac{Z}{Q} und \frac{N}{Q} als eigentliche Kennzeichen der wirtschaftlichen
Brauchbarkeit der Maschine übrig; sollen die Kennzeichen selbst richtig sein, so
muss allerdings vorausgesetzt werden, dass die Berechnung der Zugkraft
richtigist, und dass hierin alle Lokomotiven über einen Kamm geschoren werden
dürfen. Unter diesen Voraussetzungen ist zu bemerken:
Eine sehr hohe Ausnützung des Dienstgewichts für Zugkraft zeigt die
Vierzylindermaschine der englischen Südwestbahn mit 108 kg/t, was immerhin etwas befremdet, da die
Verdopplung der ganzen Maschine eher eine Verminderung des Kraftwertes erwarten
liesse. Dann kommt diejenige der Caledonischen Bahn, hierauf die Amerikaner, während
diejenige der englischen Westbahn die schlechteste Ausnützung zeigt, wie es dem
Renner entspricht.
Der Leistungswert \frac{N}{Q} endlich ist bei den Amerikanern sehr hoch, was mit der
grossen Heizfläche bei geringem Dienstgewicht infolge Verwendung dünnwandiger
eiserner Röhren und Feuerbüchsen zu erklären ist. Die englischen Maschinen sind
einander ziemlich gleich mit 18 bis 19 PS/t ohne und 10 bis 11 PS/t mit Tender. Auch hierin bleibt die
badische Schnellzuglokomotive mit nur 16,7 bezw. 9 PS/t merklich zurück.
Das Ergebnis ist daher, dass die Amerikaner mit ihren sehr grossen Adhäsionsgewichten
bezw. Achsdrücken, ihren grossen eisernen Feuerbüchsen sich in einem
wirtschaftlichen Vorteil befinden, während man in Deutschland zaghaft zurückbleibt.
Die Engländer dagegen halten den goldenen Mittelweg, und dieser hat sich im Fahrplan
glänzend bewährt.
Im folgenden sollen die 2/4 gekuppelten Verbundlokomotiven der wichtigsten
Systeme in ihren Vertretern aus allen Ländern besprochen werden.
(Fortsetzung folgt.)